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Corona-Nachimpfung: Der Booster zündet nicht

Impfschutz gegen Covid-19 nimmt ab, Schutz vor schweren Verläufen bleibt offenbar aber bestehen. Spärliche Evidenz für Wirksamkeit von "Boosterung" durch Auffrischungsimpfung (Teil 2 und Schluss)

Der vorliegende Text ist eine gekürzte Fassung einer Stellungnahme zu diesem wichtigen Thema aus der September-Ausgabe der von mir sehr geschätzten pharmakritischen wissenschaftlichen Monatsschrift Der Arzneimittelbrief1 [1]. Die wichtigsten Aspekte des dort erschienenen lesenswerten Artikels habe ich hier für Telepolis zusammengestellt.

Teil 1: Corona-Auffrischimpfung für alle? [2]

Von der Politik geplant- von der WHO für fragwürdig befunden

Die Gesundheitsministerkonferenz in Deutschland [3] und das österreichische Gesundheitsministerium [4] haben im August 2021 Pläne vorgelegt, ab September bzw. Herbst "vulnerablen Gruppen", wie immungeschwächten Patientinnen und Patienten sowie Pflegebedürftigen und Höchstbetagten ab 80 Jahren, eine Auffrischungsimpfung mit einem mRNA-Impfstoff gegen Covid-19 anzubieten, sofern der Abschluss der ersten Impfung mindestens sechs Monate zurückliegt.

Außerdem soll allen Personen, die die erste Impfung mit einem Vektor-Impfstoff erhalten haben, ebenfalls sechs Monate bzw. spätestens neun Monate nach der ersten Immunisierung eine weitere Impfung mit dem mRNA-Impfstoff von Biontech-Pfizer (Handelsname: Comirnaty) oder Moderna (Spikevax) angeboten werden.

In Deutschland wurde dieser Beschluss gefasst, ohne eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) abzuwarten. In Österreich basiert er auf den Empfehlungen des Nationalen Impfgremiums [5].

Auch international haben mehrere Länder, darunter Großbritannien, Frankreich und die USA, eine Booster-Impfung für vollständig geimpfte Personen eingeleitet oder angekündigt. Die Impfung wird in diesen Ländern vornehmlich Menschen mit Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 angeboten, aber auch dem Gesundheitspersonal.

In Israel werden dagegen inzwischen alle bisher immunisierten Personen erneut geimpft, auch Kinder über zwölf Jahre.

Im Unterschied dazu appelliert die WHO [6], sich um die Grundimmunisierung der Bevölkerung weltweit zu bemühen, da es bislang nur sehr wenige und inkonsistente Daten dazu gibt, ob eine Auffrischungsimpfung allgemein erforderlich ist.

Hinweise für geringe Verminderung des Impfschutzes

Hinweise darauf, dass der Impfschutz vor einer Infektion mit Sars-CoV-2 mit der Zeit abnimmt, ergeben sich aus einigen Beobachtungsstudien, darunter beispielsweise die Sechs-Monats-Daten der Zulassungsstudie des mRNA-Impfstoffs Comirnaty von Biontech-Pfizer, die als Preprint veröffentlicht worden sind.

Nach dieser Untersuchung sank der Impfschutz vor Covid-19 vom Zeitraum der größten Wirksamkeit nach sieben Tagen bis weniger als zwei Monate nach der zweiten Dosis von 96,2 Prozent allmählich auf 83,7 Prozent ab vier Monate nach der zweiten Impfung. Covid-19 war dabei definiert durch einen positiven PCR-Test und mindestens ein Symptom, u.a. Fieber, Husten, Geruchs- und Geschmacksverlust.

Da von den insgesamt 24 schweren Verläufen von Covid-19 in dieser Analyse nur eine Erkrankung in der Verumgruppe auftrat, ist eine Aussage zur Wirksamkeit im zeitlichen Verlauf hinsichtlich schwerer Erkrankungen nach Sars-CoV-2 nicht möglich. Ein schwerer Verlauf war definiert durch bestätigte Sars-CoV-2-Infektion und u.a. Atemfrequenz gleich/größer als 30/min, Herzfrequenz gleich/größer als 125/min und Sauerstoffsättigung gleich/größer 93 Prozent bei Raumluft.

Ergebnisse einer Analyse landesweiter Daten aus New York mit ca. zehn Mio. geimpften Erwachsenen deuten darauf hin, dass der Schutz vor Krankenhausaufenthalten und schweren Covid-19-Verläufen erhalten bleibt: Die altersbereinigte Wirksamkeit des Impfstoffs gegen eine Sars-CoV-2-Infektion verringerte sich von Mai bis Juli 2021 von 92 Prozent auf 80 Prozent. Die Wirksamkeit gegen eine Krankenhauseinweisung blieb in diesem Zeitraum jedoch mit 92 bis 95 Prozent stabil.

Auch Daten aus Israel [7] weisen auf eine Abnahme des Impfschutzes hin. Nach dieser Untersuchung treten jedoch auch schwere Erkrankungen im Verlauf häufiger auf, insbesondere bei Personen von 60 Jahren und älter.

Spärliche Evidenz für eine Steigerung der Impf-Wirksamkeit durch Boosterung

Die Evidenz dafür, dass eine Auffrischungsimpfung die Wirksamkeit der Impfstoffe verbessern kann, ist spärlich und beschränkt sich zurzeit auf Untersuchungen zur Höhe der Antikörpertiter. Es ist jedoch noch unklar, inwieweit die Höhe der Antikörpertiter mit dem Impfschutz korreliert (siehe auch die Diskussion über das "Schutzkorrelat" in Teil 1 [8]).

Der Schutz gegen schwere Erkrankungen wird wahrscheinlich weitgehend durch die zellvermittelte Immunität aufrechterhalten. Kleine Fallserien bei immunsupprimierten Patienten, insbesondere nach Organtransplantation, zeigen, dass eine Auffrischimpfung den Immunstatus bei einem Teil der Geimpften verbessern kann.

Gerechtere globale Verteilung der Impfstoffe gefordert

Der Bioethiker Owen Schaefer fordert zusammen mit Kollegen im Journal American Medical Assoziation [9] (JAMA), vor einer Auffrischungsimpfung in den reichen Nationen mit hoher Impfquote zunächst eine gerechtere globale Verteilung der Impfstoffe sicherzustellen.

Er weist darauf hin, dass durch vertragliche Vereinbarungen Impfungen in einer kleinen Gruppe wohlhabender Länder konzentriert sind. Zehn Länder, China, Indien, USA, Brasilien, Deutschland, Vereinigtes Königreich, Japan, Frankreich, Türkei und Italien, haben etwa drei Viertel aller Impfstoffdosen verabreicht.

Dadurch ist die Bevölkerung in vielen Ländern mit geringerem Einkommen bisher ungeschützt. Schaefer befürchtet, dass hohe Infektionsraten in diesen Ländern zur Entwicklung von gefährlichen Virusvarianten führen, zum Schaden der gesamten Welt. Außerdem erwartet er durch Booster-Impfungen keinen relevanten Nutzen, da Todesfälle bei zweifach Geimpften sehr selten vorkommen.

In den USA traten von Januar 2021 bis Juni 2021 mehr als 99 Prozent der Todesfälle durch Covid-19 bei ungeimpften Personen auf.

Länder mit einer weitgehend noch ungeimpften Bevölkerung haben dagegen hohe Todesraten durch Covid-19.

Auch der Direktor der "Oxford Vaccine Group" Andrew Pollard, der an der Entwicklung von Vaxzevria (AstraZeneca) beteiligt war, fordert, Impfstoffe zu spenden, statt Auffrischimpfungen zu verabreichen [10].

Booster-Impfungen begonnen

Gleichwohl haben in Deutschland [11] und Österreich [12] inzwischen mehrere Bundesländer mit den Booster-Impfungen in Pflegeeinrichtungen und bei besonders gefährdet eingeschätzten Menschen begonnen.

Auch in Krankenhäusern wird bereits den Beschäftigten eine Auffrischimpfung angeboten [13]. Die Kriterien hierfür erscheinen allerdings nicht einmal innerhalb einer Stadt einheitlich: In Berlin beispielsweise wird sie in der Charité Mitarbeitenden ab einem Alter von 60 Jahren angeboten [14], während im landeseigenen Klinikkonzern Vivantes den Mitarbeitenden, die mit dem Vakzin von AstraZeneca geimpft wurden, Drittimpfungen mit einem mRNA-Impfstoff angeboten werden sollen.

Das Fazit der Autoren des Arzneimittelbriefs lautet [15]:

Erneut hat die Gesundheitspolitik in Deutschland und Österreich einen Beschluss zur Impfung gegen Covid-19 gefasst, ohne die Auswertung der vorliegenden Evidenz, in Deutschland auch ohne die Empfehlung der Stiko, abzuwarten. Danach soll verschiedenen Risikogruppen eine Auffrischungsimpfung angeboten werden. Der deutsche Bundesgesundheitsminister erwägt sogar "Booster-Impfungen für alle".

Die Daten zur Abnahme des Impfschutzes mit der Zeit sind jedoch spärlich und inkonsistent; Daten zur klinischen Wirksamkeit einer Auffrischungsimpfung fehlen.

Sicher ist dagegen, dass ungeimpfte Erwachsene von einer Grundimmunisierung gegen Covid-19 profitieren, so dass ihnen ein Angebot gemacht werden sollte - weltweit. Vor einer Empfehlung für eine Auffrischungsimpfung muss in klinischen Studien der Bedarf ebenso geklärt werden wie die Wirksamkeit und Sicherheit, auch hinsichtlich von Virusvarianten.

Die Autoren des Arzneimittelbriefs

Schlussfolgerungen:

1. Angesichts der anstehenden Herbst-Wintermonate muss damit gerechnet werden, dass die schon begonnene 4. Welle von Covid-19 an Fahrt aufnimmt.

2. Um dafür möglichst gut gerüstet zu sein, sind wir in Deutschland mit einer Impfquote von knapp 65 Prozent unserer Bevölkerung [16] (4.10.2021) nicht gut aufgestellt. Im Vergleich dazu beträgt die Quote der vollständig Geimpften z. B. in Dänemark 75 Prozent.

3. Während die altersbezogene Quote der vollständig Geimpften bei den über 60-Jährigen bei knapp 85 Prozent liegt, beträgt sie bei den 18- bis 59-Jährigen nur 70 Prozent.

4. Da ungeimpfte Personen dieser Altersgruppe von einer Grundimmunisierung sicher profitieren können, sollten vonseiten der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte die Bemühungen verstärkt werden, diese Patientengruppe vom Nutzen einer Impfung zu überzeugen. Außerdem sollten für diese Personengruppe weitere niederschwellige Angebote anstelle der geschlossenen Impfzentren gemacht werden.

5. Im Gegensatz dazu ist der Nutzen einer Auffrischimpfung zum jetzigen Zeitpunkt bei den meisten vollständig Geimpften fragwürdig.

6. Auffrischimpfungen werden von der Stiko in einer Stellungnahme vom 23.9.2021 nur für Risikopatienten empfohlen [17].

7. Demnach werden abgestuft Auffrischungsempfehlungen für Menschen mit Immundefekten oder Erkrankungen, bei denen das Immunsystem medikamentös reguliert werde, etwa bei Rheuma oder nach einer Transplantation, gegeben.Eine generelle Empfehlung für Auffrischungsimpfungen nach Altersgruppen hat die Stiko zunächst nicht gegeben.

8. Am 7.10.2021 hat die Stiko jedoch grundsätzlich eine Corona-Auffrischungsimpfung für Menschen ab 70 Jahren empfohlen [18]. Zudem soll Bewohnern und Bewohnerinnen von Altenheimen sowie Pflegepersonal und anderen Mitarbeitern mit direktem Kontakt zu Betreuten in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen eine dritte Impfdosis angeboten werden, wie die Stiko am Donnerstag in Berlin mitteilte. Gleiches gelte für das Personal in medizinischen Einrichtungen mit direktem Patientenkontakt.

Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin - Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Zudem arbeitet er in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhinderung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit. E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6211530

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Corona-Nachimpfung-Der-Booster-zuendet-nicht-6211530.html?view=fussnoten#f_1
[2] https://www.heise.de/tp/features/Corona-Auffrischimpfung-fuer-alle-6209860.html
[3] https://www.gmkonline.de/Beschluesse.html?uid=219&jahr=2021
[4] https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20210817_OTS0079/bundesregierung-legt-plan-fuer-3-stich-der-corona-schutzimpfung-vor
[5] https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20210817_OTS0079/bundesregierung-legt-plan-fuer-3-stich-der-corona-schutzimpfung-vor
[6] https://www.who.int/news/item/10-08-2021-interim-statement-on-covid-19-vaccine-booster-doses
[7] https://www.gov.il/BlobFolder/reports/vaccine-efficacy-safety-follow-up-committee/he/files_publications_corona_immunity-waning-082021.pdf
[8] https://www.heise.de/tp/features/Corona-Auffrischimpfung-fuer-alle-6209860.html
[9] https://jamanetwork.com/journals/jama/fullarticle/2783234
[10] https://www.reuters.com/world/uk/oxford-researcher-urges-britain-donate-vaccines-rather-than-give-boosters-2021-08-10/
[11] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/interviews/interviews/rnd-200821.html
[12] https://noe.orf.at/stories/3118724/
[13] https://www.aerztezeitung.de/Wirtschaft/Krankenhaeuser-bereiten-sich-auf-Corona-Auffrischimpfungen-vor-421873.html
[14] https://www.rbb24.de/panorama/thema/corona/beitraege/2021/08/charite-auffrischung-impfung-mitarbeiter-covid-berlin.html
[15] https://www.zeit.de/gesundheit/2021-08/dritte-impfung-corona-jens-spahn-booster-auffrischung?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.der-arzneimittelbrief.de%2F
[16] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-impfung-daten-100.html
[17] https://www.tagesschau.de/inland/corona-auffrischungsimpfung-stiko-101.html
[18] https://www.msn.com/de-de/gesundheit/other/st%C3%A4ndige-impfkommission-empfiehlt-corona-auffrischungsimpfung-f%C3%BCr-%C3%BCber-70-j%C3%A4hrige/ar-AAPeAoc?ocid=hplocalnews