Corona-Auffrischimpfung für alle?

Mit Verweis auf eine mögliche abnehmende Immunität und die ansteckende Delta-Virus-Variante wird eine dritte Impfung angeboten. Aber es ist unklar, wer sie braucht. Experten beantworten die wichtigsten Fragen zur Boosterung. (Teil 1)

Dem ersten Teil dieses Beitrags, der sich mit der zurzeit viel diskutierten Frage beschäftigt, ob eine Auffrischimpfung oder Boosterung wissenschaftlich zu begründen ist, liegt ein Artikel von Ewen Callaway aus dem Wissenschaftsmagazin Nature vom 05.08.2021 zugrunde.

Zunächst wird erläutert, dass man in der Immunologie unter "Boosterung" die verstärkte Bildung von Antikörpern nach wiederholter Antigen-Exposition durch eine weitere Impfung versteht.

Angesichts steigender Infektionszahlen, die durch die hochansteckende Delta-Variante von Sars-CoV-2 verursacht werden, und Hinweisen darauf, dass die durch Covid-19-Impfstoffe ausgelöste Immunität im Laufe der Zeit nachlassen könnte, erwägen einige Länder, ob sie denjenigen, die vollständig geimpft sind, eine dritte Impfung anbieten sollen.

In Deutschland hat Gesundheitsminister Jens Spahn am 20.08.2021 eine Auffrischimpfung für alle Bürger ins Spiel gebracht.1 Auch in Schleswig-Holstein bietet das Land seit Ende August eine dritte Impfung gegen Corona an.2 Dagegen hält der Virologe Christian Drosten eine Auffrischimpfung für die meisten Menschen für unnötig.3

WHO: Moratorium für Booster bis Ende September

Im Nature-Artikel heißt es, dass einige Forscher sagen, dass die Argumente für Covid-19-Impfstoff-Booster zum jetzigen Zeitpunkt nicht überzeugend sind. Booster sind für die meisten Menschen möglicherweise nicht notwendig und könnten Impfdosen von anderen Menschen, die diese dringender benötigen, abziehen.

Am 4. August 2021 forderte die WHO ein Moratorium für Booster bis mindestens Ende September. "Ressourcen für Booster für diejenigen zu verschwenden, die bereits vor schweren Krankheiten geschützt sind, macht nicht wirklich viel Sinn", sagt Laith Jamal Abu-Raddad, ein Epidemiologe für Infektionskrankheiten aus Doha in Katar.

Die Daten, ob und wann Booster benötigt werden könnten, werden aber langsam mehr, meint er. Aber es ist wahrscheinlich, dass wichtige Erkenntnislücken noch für einige Zeit bestehen bleiben werden. Infolgedessen könnten Menschen Booster erhalten, die keinen wirklichen Nutzen davon haben.

Zurzeit liegen nicht genügend Daten über Gruppen vor, die möglicherweise wirklich eine zusätzliche dritten Impfung benötigen, wie ältere Menschen und/oder solche mit geschwächtem Immunsystem.

"Der Aufruf zu Boostern, ist schwierig zu begründen und er wird sich mit ziemlicher Sicherheit auf unvollständige Beweise stützen müssen", sagt Robert Aldridge, epidemiologischer Experte für Infektionskrankheiten am University College London.

Deshalb wird in dem Nature-Artikel untersucht, was Wissenschaftler über Covid-19-Impfstoff-Booster derzeit wissen - und was sie gerne wüssten.

Wie wirken Booster?

Zu Beginn einer Impfung kommt es zu einem Anstieg der Anzahl der Immunzellen, die einen Antikörperspiegel bilden, der dann aber langsam wieder abfällt. Dies hinterlässt einen kleinen Pool von langlebigen "Gedächtnis"- B- und -T-Zellen, die dem Körper für zukünftige Infektionen mit diesem Erreger zur Verfügung stehen.

Ein Booster macht mehrere Dinge mit diesen Zellen, sagt Ali Ellebedy, ein B-Zell-Immunologe an der Washington University in St. Louis, Missouri. Er bewirkt, dass sich die Antikörper-produzierenden B-Zellen vermehren und die Antikörperspiegel gegen den Erreger wieder erhöhen.

Mit der Zeit wird die Zahl der Antikörper jedoch wieder schwinden, aber der Pool der zurückgelassenen Gedächtnis-B-Zellen wird größer sein als zuvor, was zu einer schnelleren und stärkeren Reaktion auf nachfolgende Expositionen mit dem Erreger führt.

Die wenigen Studien, in denen zusätzliche Dosen getestet wurden, unterstützen diese Einschätzung. Dritte Dosen von Impfstoffen führten zu einem Anstieg der Konzentrationen von infektionsblockierenden "neutralisierenden" Antikörpern, wenn sie mehrere Monate nach der zweiten Dosis verabreicht wurden.

Eine laufende britische Studie wird verschiedene Kombinationen von Boostern testen, einschließlich der Verwendung von anderen Impfstoffen als die ursprünglich verimpften Versionen.

Vorläufige Studien dieser "Mix and Match"-Strategien deuten darauf hin, dass sie zu robusteren Immunantworten führen könnten, die durch hohe Konzentrationen von Antikörpern und T-Zellen gekennzeichnet sind, die infizierte Zellen abtöten und andere antivirale Reaktionen unterstützen.