Corona: Politik verschärfte Fehlentwicklung der Konzertbranche

Was sind die Gründe, warum weniger Menschen in bestimmte Konzerte (vor allem in kleinere und mittlere) kommen? Zur Situation der Konzertbranche im Winter 2022/23. (Teil 2)

Das beginnt bei der Konstruktion einer Fan-feindlichen, unseriösen gesetzlichen Gutschein-Regelung, mit der den Großen der Branche ihr Cash-Flow auf dem Rücken der Fans gesichert wurde, während die kleinen Veranstalter, die Clubs und die Musiker:innen nichts davon hatten – die Fans "durften" die Tickets für verschobene Konzerte vorfinanzieren und wurden mit Gutscheinen abgespeist, die irgendwann in der Zukunft eingelöst werden konnten, im Zweifel sogar für Konzerte, die die Fans gar nicht sehen wollten.

Die Corona-Hilfsprogramme der Bundesregierung haben manches Gute geleistet, insbesondere das Förderprogramm für die Corona-gerechten Um- und Aufrüstung von Lüftungsanlagen und der Sonderfonds mit seinen Wirtschaftlichkeitshilfen und Ausfallabsicherungen für Kulturveranstaltungen sind hier zu nennen.

Einige der Hilfen waren allerdings denkbar schlecht konstruiert: Hanebüchen zum Beispiel die Umsatz-bezogenen November- und Dezemberhilfen 2020, die die großen Firmen bevorzugt haben, während kaum etwas bei den Musiker:innen und den soloselbständigen Kulturarbeiter:innen ankam.

Ein Rechercheteam von Deutschlandfunk Kultur hat herausgefunden, dass im Bereich der bildenden Kunst von den dort ausgeschütteten 105,6 Millionen Euro etliche Kunstbetriebe und Galerien profitiert haben, die mit ihren Millionengewinnen eigentlich gar keine Fördermittel brauchten (siehe Spiegel vom 15.11.22).

Quasi-Monopolist profitiert von "erheblichen staatlichen Unterstützungsleistungen"

Ganz ohne Rechercheteam kann man erkennen, dass die Situation im Konzertbereich exponentiell absurder war: Vermutlich der mit Abstand größte Corona-Profiteur in Deutschland dürfte ausgerechnet CTS Eventim sein. Laut ihrem Geschäftsbericht erzielte die Aktiengesellschaft im Corona-Jahr 2021 einen Gewinn (EBITDA) von 208 Millionen Euro – bei einem Umsatz von nur 408 Mio. Euro!

Dabei profitierte der deutsche Quasi-Monopolist von "erheblichen staatlichen Unterstützungsleistungen", namentlich rund 157 Millionen Euro an Corona-Hilfen der Bundesregierung, wovon allein rund 100 Millionen Euro auf die Corona-November-Dezemberhilfen des Jahres 2020 entfallen.

Der größte deutsche Konzert- und Ticketing-Konzern hat 157 Millionen Euro Staatshilfen erhalten, während er im gleichen Jahr 208 Millionen Euro Gewinn gemacht hat. Vereinfacht gesagt: Mehr als drei Viertel des Jahresgewinns von CTS Eventim haben die deutschen Steuerzahler:innen aufgebracht!

Diese Staatshilfen waren in ihrer Umsatz-Bezogenheit von den zuständigen Ministern Scholz (SPD) und Altmaier (CDU) geradezu amateurhaft konstruiert worden. Zudem wurden die Hilfen, die tatsächlich auch viele kleinere und mittlere Kulturbetriebe gerettet haben, nicht gedeckelt.

Vor allem aber wäre es sinnvoll gewesen, die Maximalprofiteure zumindest zu verpflichten, einen nennenswerten Teil ihrer Fördersummen an diejenigen weiterzuleiten, die tatsächlich in größte Not geraten waren, nämlich die Musiker:innen, die Gewerke und all die vielen meist soloselbständigen, im Hintergrund tätigen Kulturarbeiter:innen, ohne die Veranstaltungen nicht durchgeführt werden können.

Der CTS Eventim-Konzern beziffert in seinen Geschäftsberichten den Ertrag aus dem Veranstaltungsgeschäft (Segment "Live Entertainment") mit in der Regel weniger als zehn Prozent (im Gegensatz zum Segment "Ticketing" mit einer EBIT-Marge von sage und schreibe 63,9 Prozent).

Der größte Teil der Einnahmen aus den Veranstaltungen geht üblicherweise für Künstlergagen und Produktionskosten drauf – dank der Bundesregierung mussten CTS Eventim und Co. jedoch die Coronahilfen nicht mit Musiker:innen und Kulturarbeiter:innen teilen, sondern konnten sie komplett für sich selbst als leistungslose Profite einstreichen.

Außerdem hatte die Produktivitäts-bezogene Förderung des BKM (die "Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien", bis 2021 Monika Grütters/CDU, seit Ende 2021 Claudia Roth/Grüne), die insbesondere für Musiker:innen, Bands und ihre Plattenfirmen zur Verfügung gestellt wurde, im Endeffekt problematische Folgen.

Anstatt endlich eine längst überfällige grundsätzliche soziale Absicherung für Kreative und Kulturarbeiter:innen ins Leben zu rufen, ein Kulturexistenzgeld, das unverschuldet in Not geratene selbständig Tätige im Kulturbereich absichert (siehe "Kultur-Existenzgeld" in: Wie wirklichkeitsfremd darf Kulturpolitik eigentlich noch sein?), hat das BKM die deutschen Musiker:innen ins Produktivitäts-Hamsterrad geschickt nach dem Motto "schaffe, schaffe, Werkle baue": Gefördert wurden neue Werke, also neue Alben, zusätzliche Konzerte und Tourneen.

Mal abgesehen davon, dass ein derartiger Veröffentlichungszwang nicht notwendigerweise zu besserer Qualität der Musik beiträgt, führte diese Förderung zu einem Überangebot von Konzerten deutscher Bands in den Corona-Jahren 2020 und vor allem 2021 – während 2022, als endlich wieder viele ausländische Bands auf Tournee gingen, kaum mehr jemand die deutschen Bands hören wollte.

Einbruch bei kleineren Bands

Vor allem bei kleineren Konzerten sind bis zu drei Viertel der Besucher:innen verschwunden. Deutsche Musiker:innen und Bands berichten, dass sie häufig nur noch vor niedrigen zweistelligen Besucherzahlen spielen – falls die Konzerte nicht wegen mangelnden Vorverkaufs gleich ganz abgesagt werden.

Renommierte Indie-Musiker wie Rocko Schamoni erzählen, dass einige Termine ihrer Tournee gecancelt werden mussten, "vor allem im Süden läuft der Vorverkauf nicht gut".

Und selbst eine Indie-Institution wie die Band Tocotronic musste wegen fehlender Nachfrage große Teile ihrer Herbst-Tournee absagen: "Wir wollen ganz ehrlich sein: Im Augenblick sind die Vorverkäufe zu schwach, als dass sich eine Durchführung der Tour für die Clubs, die örtlichen Veranstalter:innen, uns und unsere Crews gerechnet hätte", teilte die Band auf ihrer Homepage mit (lassen wir mal beiseite, dass bei dieser Erklärung die Erwähnung der "Crews" nicht ganz korrekt sein dürfte – Crews bekommen ja üblicherweise feste Tagessätze, für sie hätte sich die Tournee wohl durchaus "gelohnt", während sie durch die Tourneeabsage keinerlei Einnahmen in dem Zeitraum hatten…).

Warum kommen weniger Besucher in bestimmte Konzerte?

Was sind die Gründe, warum weniger Menschen in bestimmte Konzerte (vor allem in kleinere und mittlere) kommen? Letzten Endes kann man nur spekulieren – einige Faktoren scheinen sich aber herauszuschälen: Wie bereits erwähnt boomen die meisten Großkonzerte wie selten zuvor. Viele Fans erwarten eben ein ganz bestimmtes Erlebnis, das ihnen die Superstars garantieren (bis hin zu AI-gesteuertem Teil-Playback, damit sich alles genauso perfekt anhört wie auf den Tonträgern…).

Dann gibt es Konzerte mit Persönlichkeiten und hervorragenden Bands, bei denen sich die Fans auf ein besonderes Konzerterlebnis verlassen können – von The Cure, deren Shows die Fans "wunschlos glücklich" machten, wie Tourveranstalter Karsten Jahnke bekannte, über Patti Smith, die im Sommer diesen Jahres nicht nur Allzeit-Rekordergebnisse einfuhr, sondern von ihren Fans mit Ovationen gefeiert wurde, bis hin zu Musikern wie Kendrick Lamar, der Antilopen Gang oder Bonnie 'Prince' Billy, die sich in den vergangenen Jahren eher rar gemacht haben und nicht ständig auf Tour gehen – das will dann kein Fan verpassen.

Weiter lässt sich ein Altersunterschied konstatieren: Konzerte, die eher ein jüngeres Publikum ansprechen, laufen weiterhin sehr gut. Die jungen Menschen freuen sich, nach zweieinhalb Jahren Pandemie endlich wieder feiern gehen zu können, wofür auch die vielen erfolgreichen Tanzveranstaltungen sprechen. Auch Tourneen, bei denen einem älteren Publikum (sagen wir "Ü 60") ihre alten Helden präsentiert werden (Musterbeispiel Bob Dylan), sind in aller Regel ausgesprochen erfolgreich.

Das Problem ist das Publikum im Alter zwischen 30 oder 35 und 60 – diese Fans bleiben überdurchschnittlich häufig weg. Und das betrifft eben viele der mittleren Acts, Bands der sogenannten Indie-Szene, aber auch generell ruhigere Formate wie zum Beispiel Singer/Songwriter.

Man sollte aber nicht darüber hinwegsehen, dass es gerade in diesem Bereich seit Jahren auch ein gigantisches Überangebot gibt: Es gibt schlicht "viel zu viele" sehr gute Bands für ein Publikum von eher gleichbleibender Zahl.

Die Gagen für die mittleren Bands bei internationalen Festivals sinken wegen des hohen Konkurrenzdrucks bereits seit geraumer Zeit in den Keller, und die früher üblichen Zusatztourneen, bei denen Bands mit einem neuen Album zwei oder drei Mal auf Tour gehen konnten, sind bereits seit Langem kaum mehr realisierbar (wenn man genau hinsieht, handelt es sich bei der im Herbst 2022 abgesagten Tocotronic-Tournee just um eine solche Zusatztour).

Bei Spotify werden jeden Tag mehr als 100.000 neue Tracks veröffentlicht – wer soll das alles hören, wer soll all die Konzerte besuchen? Und mir scheint, dass davon gerade auch die mitunter etwas schlurfige und autoreferentielle Indieszene besonders betroffen ist, die einfach darauf setzt, dass die Bands eben regelmäßig auf Tour gehen und die Fans schon irgendwie kommen werden.

Ich will hier keinesfalls dem Kasperletheater der gigantomanischen Großproduktionen mit aufwendigen Showelementen und künstlichen Hypes das Wort reden – aber dass Bands und Musiker:innen in diesen Zeiten um ihr Publikum kämpfen und es durch eindrucksvolle Konzerte langfristig als Fans gewinnen müssen, scheint noch nicht überall angekommen zu sein.

Natürlich gibt es auch nach wie vor nicht wenige Menschen, die Angst vor einer Corona-Ansteckung haben, und denen die Vorstellung eines Konzerts gerade in einem kleinen Club oder in einem mittelgroßen Venue, wo die Leute eng bei eng stehen, nicht verlockend erscheint.

Andere wiederum wollen endlich wieder ausgehen, nur eben nicht in die Clubs oder Venues – die Restaurants sind ja voll, man bekommt ohne Reservierung kaum mehr einen Tisch –, oder es stehen an Wochenenden Familienfeiern an, aktuelle sowie die vielen wegen Corona ausgefallenen und nachzuholenden, wie zum Beispiel runde Geburtstage oder Hochzeiten.

Abzocke beim Vorverkauf

Wie funktioniert das eigentlich genau mit dem Vorverkauf (VVK)? "Früher" gab es sogenannte Vorverkaufsstellen, die Konzertkarten verkauften und dafür eine geringe Gebühr vereinnahmten, die sogenannte Vorverkaufsgebühr.

Die Kartenverkaufsstellen hatten Kosten für Miete, Ausstattung und Personal, später noch für Computer, und diese Kosten bestritten sie von den Vorverkaufsgebühren – das waren in den frühen 1980er Jahren etwas mehr als fünf Prozent (bei den Rolling Stones 1982 haben die Karten zum Beispiel 40 D-Mark gekostet, "38 DM zzgl. DM 2.- Vorverkaufsgebühr" stand auf den Tickets, also gerade einmal 5,26 Prozent für den VVK).

Später pendelte sich die VVK-Gebühr auf zehn Prozent des eigentlichen Ticketpreises ein. Tempi passati! Längst haben die Ticketanbieter mit allerlei Zusatzgebühren aus dem Ticketverkauf ein extrem profitables Geschäft gemacht, sei es die drastisch erhöhte VVK-Gebühr (mittlerweile gerne auch mal 15 oder sogar über 20 Prozent), sei es die sogenannte "Ticketgebühr", die "Zahlungsgebühr" oder die geradezu unverschämten Versand- oder "Print at home"-Gebühren – für den Versand in einem gewöhnlichen Brief, Porto 85 Cent, verlangt Eventim "Standard-Versandkosten" in Höhe von 5,90 Euro, während "Print at home"-Gebühren von Ticketdienstleistern dafür erhoben werden, dass die Kunden ihre Tickets am eigenen Computer kaufen und auf ihren Druckern mit dem von ihnen finanzierten Toner selbst ausdrucken – eine besonders dreiste Art und Weise, den Fans in die Tasche zu greifen.

So kann eine Konzertkarte mit einem Preis von 80 Euro am Ende auch mal bis zu 130 Euro kosten, wie im Fall der AC/DC-Tournee 2015 – ein Aufschlag von 62,71 Prozent zugunsten von CTS Eventim für das risiko- und weitgehend leistungsloses Provisionsgeschäft.

Und die Profite sind dank der Digitalisierung nochmal explodiert: Für im Internet verkaufte Konzertkarten fallen ja kaum mehr Kosten an, "die Wertschöpfung im Online-Ticketing ist pro Karte sechsmal höher als beim herkömmlichen Verkauf", erklärte der CTS Eventim-Vorstandsvorsitzende Klaus-Peter Schulenberg, der durchs Ticketing zum Milliardär geworden ist.

Das eigentliche Geld in der Konzertbranche wird heute mit dem Ticketing verdient. Man kann das an den veröffentlichten Kennzahlen in den Geschäftsberichten von CTS Eventim ablesen, das laut des soeben veröffentlichten "International Ticketing Report 2022" nach der vom deutschen Kartellamt trotz Bedenken angesichts "unfairen Wettbewerbs" und "Herstellung eines Monopols" vor einigen Jahren genehmigten Übernahme des größten Konkurrenten Ticket Online "rund 90 Prozent des gesamten Ticketmarkts" in Deutschland bestreitet (diese Zahl dürfte etwas zu hoch gegriffen sein):

Lag die Bruttomarge im Bereich "Live-Entertainment" bis zur Corona-Pandemie in der Regel bei um die 10 Prozent, häufig auch darunter (2018: 8,4 Prozent, 2019: 11,1 Prozent "aufgrund einer Vielzahl von margenstarken Veranstaltungen"), wuchs die Bruttomarge im Ticketing dagegen kontinuierlich auf über 60 Prozent (2018: 61,2 Prozent; 2019: 60,5 Prozent).

Besonders pikant: Im zweiten Corona-Jahr 2021, als die Clubs, Venues und unabhängigen Veranstalter übel gebeutelt wurden und um ihre Existenz kämpften und auch viele Musiker:innen und Crews kaum mehr Einnahmen verzeichnen konnten, stieg die "normalisierte Ebitda-Marge" (die der Konzern seit 2020 statt der "Bruttomarge" ausweist) bei CTS Eventim im Ticketing sogar auf sage und schreibe 79,0 Prozent! Der Anstieg "resultiert im Wesentlichen aus Erträgen für Corona-Wirtschaftshilfen im In- und Ausland in Höhe von TEUR 112.181", vermerkt der Konzern lapidar.

Gleichzeitig hat der CTS Eventim-Konzern den Fans, die in gutem Glauben Konzertkarten gekauft hatten für Konzerte, die dann abgesagt werden mussten, die Rückerstattung des Vorverkaufsgebühren-Anteils an den Tickets schlicht verweigert. Juristisch wohl korrekt – der Ticketingkonzern hatte ja seinen Vertrag erfüllt und seine Tickets an die Fans verkauft; dass die Konzerte letztlich nicht stattfanden und die Karten erstattet werden mussten, war das Pech der Fans und nicht das Problem von CTS Eventim.

Verbraucherschutz-Verbände haben gegen diese kundenfeindliche Praxis protestiert, aber "helfen" würden wohl nur Klagen, und ob die Aussicht auf Erfolg hätten, ist zumindest fraglich. Die Fans, die sich auf die Seriosität von Konzertveranstaltern und Tickethändlern verlassen hatten, wurden zum Ping-Pong-Ball zwischen den Parteien und gehen am Ende leer aus.

Wenn ein Konzert wegen Corona abgesagt werden muss, zahlen alle drauf: Die Konzert- und Tourveranstalter, die ihre Arbeit getan haben und nicht nur auf ihre Einkünfte verzichten müssen, sondern auch auf ihren bereits getätigten Kosten sitzen bleiben; die Musiker:innen, denn ohne Konzerte keine Gagen; all die Kulturarbeiter:innen und Crews, von Stagehands über Tontechniker:innen bis hin zum Securitypersonal: ohne Konzerte keine Honorare; die Fans, die nicht nur aufs Konzert, sondern auch noch auf mindestens 15 Prozent des Ticketpreises verzichten müssen. Es gibt nur einen, der immer profitiert, und das ist der Ticketing-Konzern.

Diese schlechten Erfahrungen mit den Tickethändlern dürften ein wesentlicher Grund sein, warum viele Fans keine Tickets mehr im Vorverkauf erwerben – wer ein- oder zweimal in die Falle der Tickethändler getappt ist, der verzichtet künftig auf den Vorverkauf, es sei denn für Konzerte, die ausverkauft sein werden und bei denen es keinen anderen Weg gibt, dabei zu sein.

Der Vorverkauf bringt ansonsten für die Fans ohnedies nur noch geringe Vorteile: Waren früher die Ticketpreise im VVK gegenüber der Abendkasse noch deutlich billiger, um einen Anreiz zu schaffen, dass Fans rechtzeitig Tickets kauften und die Veranstalter ihre Konzerte sicher kalkulieren konnten, so ist der VVK-Preis durch all die Aufschläge und Zusatzgebühren mittlerweile derart explodiert, dass er nicht selten sogar noch über dem Abendkassen-Preis liegt.

Kein Wunder also, dass viele Fans auf den Vorverkauf jedenfalls für all die kleineren und mittleren Konzerte verzichten, bei denen sie nicht erwarten, dass es an der Abendkasse keine Karten mehr geben wird.

Eigentlich könnte dieses gewandelte Kaufverhalten sogar ein Vorteil für die Veranstalter und für die Musiker:innen sein. Denn der Abendkassen-Preis kommt ja komplett den Veranstaltern zugute (und falls der Break-Even eines Konzertes übertroffen wird auch den Musiker:innen, die sich den etwaigen Gewinn ja mit den Veranstaltern teilen) – lediglich die Tickethändler, die ja sowieso nur "Mitesser" sind und letztlich jenseits der Organisation des Ticketverkaufs keinerlei Leistung erbringen, gehen bei an der Abendkasse erworbenen Karten leer aus. Eigentlich prima, oder?

Das Problem besteht nur darin, dass der Großteil der Konzertbewerbung heute an den Veröffentlichungstermin von Konzerten und Tourneen gekoppelt ist. In den ersten Tagen und Wochen der Bewerbung wird für die meisten Konzerte das Gros der Tickets verkauft.

Wenn aber die Fans vorab nur noch zögerlich Tickets kaufen, müsste man die Konzertpromotion in Zeiten verminderter Aufmerksamkeitsspannen komplett umstellen und in mindestens zwei, wenn nicht drei oder mehr große Wellen aufteilen – einmal wie bisher zu Beginn der Kampagne, zum anderen aber u.a. auch in den 10 bis 14 Tagen vor dem Konzert, um die Fans an das Konzert zu erinnern und Unentschlossene zum Konzertbesuch zu animieren, was gerade bei kleineren Konzerten zu erhöhten Kosten führen würde, die im Grunde nicht zu stemmen sind.

Berthold Seliger ist Publizist ("Das Geschäft mit der Musik", "Klassikkampf", "Vom Imperiengeschäft") und seit über 34 Jahren Konzertagent und Tourneeveranstalter. Er vertritt unter anderem Patti Smith, Tortoise, The Residents, Bonnie 'Prince' Billy und Rufus Wainwright.