Corona-Soforthilfen: Böses Erwachen für kleine Selbstständige
Die Bundesländer fordern zunehmend die Corona-Soforthilfen zurück. Für viele Selbständige wird das nicht nur teuer, in vielen Fällen drohen auch Strafanzeigen, nicht immer gerechtfertigt
Die ehemalige Bundesregierung hatte es vermutlich "gut gemeint": Die Soforthilfen sollten kleinen Unternehmen und Selbstständigen in der Pandemie helfen, wenn ihnen die Umsätze wegbrechen. Was einst als großer Hoffnungsschimmer galt, entpuppt sich für viele als Ärgernis; denn der Staat fordert das Geld oftmals zurück.
Großzügig, schnell und unbürokratisch sollten die Hilfen sein. Kleine Unternehmen mit bis zu fünf Beschäftigten konnten mit bis zu 9.000 Euro rechnen; bis zu 15.000 Euro waren es für Firmen mit bis zu zehn Beschäftigte. Einzige Bedingung war: Das Unternehmen musste sich in einem Liquiditätsengpass befinden. Allein in Baden-Württemberg wurden 245.155 Anträge bewilligt, wie die ARD-tagesschau jüngst berichtete.
Viele hatten den Antrag in dem Glauben gestellt, das Geld behalten zu dürfen – doch sie täuschten sich, wie sie jetzt feststellen müssen. Im November 2021 flatterte den Betroffenen Post der landeseigenen "L-Bank" in den Briefkasten und sie wurden darin aufgefordert, ihre Einnahmen für die Zeit von April bis Juni 2020 anzugeben. Im Ergebnis müssen viele die Hilfsgelder wieder zurückzahlen.
Andere Bundesländer zogen inzwischen nach – sehr zum Unmut des deutschen Mittelstandes. Der Bundesverband mittelständischer Wirtschaft (BVMW) kritisierte am Freitag, dass nun schon 30.000 Kleingewerbetreibende und Selbstständige den Zuschuss zurückzahlen sollen. "Das ist eine geschmack- und gefühllose Weihnachtsbotschaft an Unternehmerinnen und Unternehmer, die in diesen Tagen um ihr wirtschaftliches Überleben und die Arbeitsplätze ihrer Mitarbeitenden kämpfen", erklärte BVMW-Bundesgeschäftsführer Markus Jerger gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Aufschub gefordert
Zuvor hatte schon Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) seine Länderkollegen zu einem Aufschub der Rückzahlungen aufgefordert. Er schlug den Ländern vor, "angemessene Fristen" einzuräumen. Aufgrund der aktuellen Corona-Situation "sollten wir gemeinsam den kleinen Unternehmen und Selbstständigen einen zeitlichen Aufschub für Rückzahlungen einräumen", schrieb Habeck. Die Länder sollen auch ihre Berichte zu den gezahlten Corona-Hilfen erst Ende 2022 – und damit ein halbes Jahr später als bislang vorgesehen – vorlegen müssen.
Dass die Selbstständigen die Corona-Soforthilfen nun zum Teil zurückzahlen müssen, kratzt nach Ansicht von Markus Jerger auch an der Glaubwürdigkeit der neuen Bundesregierung. "Ich erinnere zugleich daran, dass der jetzige Kanzler als Finanzminister bei der Vorstellung der Hilfen noch versichert hatte, es müsse nichts zurückgezahlt werden", sagte er.
Doch es bleibt nicht dabei, die Gelder wieder dem Staat zurückzahlen zu müssen: Wer die Soforthilfe angeblich zu Unrecht bekommen hat, dem droht mitunter ein Strafverfahren. Nach Angaben des Verbandes der Gründer und Selbstständigen (VGSD) liefen Anfang Dezember mehr als 25.000 Ermittlungen gegen Selbständige wegen des Vorwurfs des Subventionsbetruges.
Häufig seien die Vorwürfe jedoch nicht nachvollziehbar, hieß es in einer Erklärung des Verbandes. Doch man ginge davon aus, dass die Zahl der Verfahren weiter ansteigen werde, denn viele Bundesländer hätten "gerade mit der Abrechnung der Soforthilfe begonnen und könnten in der Folge weitere Ermittlungen in die Wege leiten".
11.436 Strafanzeigen und 6.765 Ermittlungsverfahren
Die AfD-Fraktion im Bundestag hatte von der Bundesregierung wissen wollen, welchen Umfang derartige Ermittlungen inzwischen angenommen haben. Kurz vor Weihnachten hatte die Bundesregierung geantwortet. Die Zahlen, die sie dabei angab, stimmen nicht mit denen des VGSD überein; aber das verwundert auch nicht. Denn noch nicht alle Bundesländer hatten ihr Daten übermittelt – und der Monitoring-Prozess ist längst noch nicht abgeschlossen. Die Zahlen haben deshalb auch nur vorläufigen Charakter.
Demnach wurden bislang 11.436 Strafanzeigen gestellt und 6.765 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Der VGSD verweist auf ein neues Urteil aus Nordrhein-Westfalen, das den Betroffenen Hoffnung machen könnte; abgeschlossen ist es allerdings noch nicht: Das Landgericht Wuppertal entschied zwar in der zweiten Instanz zugunsten der Angeklagten, doch die Staatsanwaltschaft hat Revision gegen das Urteil eingelegt.
In dem Fall geht es um eine Alleinerziehende, die sich kurz vor der Corona-Krise mit zwei Kosmetikstudios selbständig gemacht hatte. Um die Anlaufkosten finanzieren zu können, ging sie nebenher noch einer Lohnarbeit nach. Als die Pandemie dann Deutschland erreicht hatte und die ersten Maßnahmen verkündet wurden, folgte sie dem Rat der Handwerkskammer und beantragte Soforthilfe für beide Studios und bekam sie auch in einem Fall.
Doch aus heiterem Himmel seien ihr dann die Konten gesperrt worden, heißt es beim VGSD. Der Vorwurf lautete: Es habe keine hauptberufliche Selbständigkeit vorgelegen, die Soforthilfe sei mehrfach beantragt worden und statt einem Geschäftskonto und der Firmenadresse seien Privatkonto und -adresse angegeben worden. Entsprechend folgte die Anklage wegen zweifachen Subventionsbetrugs.
In der ersten Instanz folgte das Amtsgericht Solingen in einer halbstündigen Verhandlung den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft. Die Angeklagte wurde verurteilt und sollte die 9.000 Soforthilfe zurückzahlen. Außerdem wurde eine Geldstrafe von 10.800 Euro verhangen. Der Staatsanwaltschaft war das Strafmaß offenbar nicht hoch genug – sie hatte zuvor die Höchststrafe von 200 Tagessätzen à 100 Euro oder fünf Jahre Gefängnis gefordert. Schließlich ging sie in Berufung. Das Landgericht Wuppertal sprach die Angeklagte dann allerdings frei. Gegen dieses Urteil geht die Staatsanwaltschaft ebenfalls vor.
Wie dieser Kosmetikerin könnte es auch vielen anderen Selbstständigen gehen.