Corona für die Kirche

Danke, Corona! Das Leben des Brian öffentlich zeigen geht nicht, aus der Kirche aus treten klappt nicht.

In Köln kann man gerade kaum aus der Kirche austreten. Es gibt Terminstau beim Amtsgericht. Ist das rechtens?

In Köln überlegen viele Menschen – wie auch landesweit – die Mitgliedschaft in den großen religiösen Gemeinschaften zu beenden. In der Diözese des Erzbistums Köln betrifft das vor allem die skandalgeschüttelte katholische Kirche. Doch an einen raschen Austritt ist derzeit nicht zu denken. Es herrscht Terminstau beim zuständigen Kölner Amtsgericht. Die nächsten Kirchenaustrittstermine gibt es erst wieder im Juni 2021.

Nach Angaben des Pressesprechers des Amtsgerichts Köln, Richter Maurits Steinebach, werden die Austrittszahlen quartalsmäßig erfasst. Meldeschluss ist jeweils der 15. des Folgemonats. "Daher kann ich Ihnen für das laufende Quartal noch keine Zahl mitteilen", so Steinebach auf Telepolis-Anfrage. Allerdings habe er für die Monate Januar und Februar vorläufige Auswertungen vorgenommen. Diese haben für Januar 880 und für Februar 1.005 Austritte ergeben.

Seit Sommer letzten Jahres, so Steinebach weiter, "können Kirchenaustritte zum Infektionsschutz nur nach vorheriger Terminvereinbarung erklärt werden. Dazu nutzen wir ein Online-Buchungssystem". Anfangs seien pro Monat 600 bis 650 Termine angeboten worden, Ende Januar habe man eine erste Aufstockung auf rund 1.000 Termine pro Monat vorgenommen. "Eine zweite Aufstockung erfolgte Ende Februar auf jetzt rund 1.500 Termine pro Monat. Die Termine werden am Monatsanfang freigeschaltet und sich derzeit alle ausgebucht", so Steinebach weiter.

Austritt kostet 30 Euro

Seit 2006 ist ein Kirchenaustritt zudem gebührenpflichtig. Die Kirche zu verlassen kostet 30 Euro. Eine Verfassungsbeschwerde gegen diese Regelung hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen.1.

Unabhängig von den Gebühren aber stellt sich die Frage, ob die derzeit langen Wartezeiten überhaupt rechtens sind. Im Paragraph 4.2 des Kirchenaustrittsgesetzes für Nordrhein-Westfalen heißt es, die Austrittserklärung werde mit dem Ablauf des Tages wirksam, an dem die Niederschrift der Austrittserklärung unterzeichnet worden oder an dem die schriftliche Erklärung bei dem Amtsgericht eingegangen ist.

Stellt sich die Frage, ob die Überlastung des Amtsgerichts einen sofortigen Austritt verhindert und jemand, der oder die eigentlich sofort austreten möchte, somit bis Juni 2021 warten muss. Und welche Auswirkung hat dies für die Kirchensteuer? Zur Steuerpflicht heißt im Kirchenaustrittsgesetzes NRW, ihr Ende regele das Gesetz über die Erhebung vor Kirchensteuern im Lande Nordrhein-Westfalen in der jeweils geltenden Fassung.

Liest man dort nach, heißt es, die Kirchensteuerpflicht ende "bei einem nach Maßgabe der geltenden staatlichen Vorschriften erklärten Kirchenaustritt mit dem Ablauf des Kalendermonats, in dem die Erklärung des Kirchenaustritts wirksam geworden ist".

Erneute Nachfrage bei der Pressestelle. Der schriftliche Austritt werde unabhängig von der weiteren Bearbeitung mit Ablauf des Tages wirksam, an dem die Erklärung bei dem Gericht eingegangen sei, heißt es in der Antwort. Dieder "schriftliche Austritt" erfordere aber eine beglaubigte Form. "Auf diesem Weg ist ein sehr kurzfristiger Austritt möglich", so der Gerichtssprecher.

"Wie bereits geschildert, haben wir im Hinblick auf die Pandemielage seit letztem Sommer für die mündlichen Austritte auf ein Terminsystem umgestellt. Zu überfüllten Wartebereichen ist es seitdem nicht mehr gekommen. Im Hinblick auf die anhaltend hohe Nachfrage müssen derzeit aber leider Wartzeiten für einen Termin in Kauf genommen werden", heißt es weiter in der Antwort, die sich auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts bezieht.

Kirchensteuer und andere Privilegien

Entsprechende Termine gibt es erst wieder im Juni dieses Jahres. Bis dahin kassiert das Finanzamt die Kirchensteuer. Eine der zahlreichen Privilegien der christlichen Kirchen, die großenteils noch aus Kaisers Zeiten überdauert haben.

Einige gehen auch zurück auf das Reichskonkordat zwischen dem Vatikan und Nazi-Deutschland. Der Vertrag wurde am 20. Juli 1933, vom damaligen Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli, dem späteren Papst Pius XII, und dem deutschen Vizekanzler Franz von Papen unterzeichnet.

Heute stehen Einfluss und Rechtsstellung der Kirchen im klaren Missverhältnis zu ihrer seit Jahren stetig sinkenden Relevanz in der Bevölkerung. So hat sich zwischen 1956 und 2019 der Anteil der evangelischen Bevölkerung in Deutschland von 50,1 auf 24,9 Prozent reduziert. Der Anteil der katholischen Bevölkerung fiel von 45,9 auf 27,2 Prozent

Weitere kirchliche Privilegien

Dennoch genießen die Kirchen zahlreichen Privilegien. Dazu gehören enorme Steuergeschenke. So erhalten die beiden Kirchen nach Berechnungen des Fachpublizisten im Bereich Kirchenfinanzen, Carsten Frerk jährlich rund 19 Milliarden Euro aus der Staatskasse.

Gerade im Zuge der Missbrauchsvertuschung innerhalb der Katholischen Kirche wurde nochmal deutlich, dass der Staat weiterhin ein eigenes Kirchenrecht akzeptiert, mit dem sich die Kirchen dem staatlichen Recht entziehen. Kirchen verfügen über den Status der Körperschaft öffentlichen Rechts und nehmen eigentlich öffentlich Aufgaben wahr, verfügen über hoheitliche Aufgaben und unterliegen einer öffentlichen Kontrolle. Doch bei den Kirchen fehlt ein wesentliches Element dieser Kontrolle, nämlich die Rechnungshöfe.

In NRW sind 33 Prozent der Grundschulen staatliche konfessionelle Schulen. Hier müssen Kinder am Religionsunterricht und am Schulgottesdienst teilnehmen. So organisieren sich Eltern "ausländerfreie" Schulen. An den Universitäten gibt es konfessionelle Fakultäten. Dieser Logik folgend, könnte es in den politikwissenschaftlichen Fakultäten genauso gut Lehrstühle politischer Parteien geben.

Eine Zusammenstellung der zahlreichen kirchlichen Privilegien hat die Humanistischen Union erstellt.

Sonderstellung im Arbeitsrecht

Der Bochumer Kirchenkritiker Martin Budich kritisiert vor allem die Sonderbehandlung der Kirchen im Arbeitsrecht. "Der materiell größte Skandal im Bereich Kirche und Staat ist meiner Ansicht nach, dass für circa 1,2 Millionen Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen das Betriebsverfassungsgesetz und das EU-Antidiskriminierungsverbot nicht gilt." Es gebe nur Mitwirkungs- keine Mitbestimmungsrechte und Beschäftigte können aufgrund privaten Verhaltens gekündigt werden.

Kirchliche Einrichtungen dürfen ungestraft Nichtgläubige auch bei einer bis zu 100 Prozent öffentlich finanzierten Einrichtungen, zum Beispiel Krankenhäusern, bei Einstellungen diskriminieren und dies in Stellenausschreibungen sogar ankündigen.

Budich rechnet damit, dass das noch bestehende Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen "demnächst kippen" wird. Budich ist bundesweit auch deshalb bekannt geworden, weil der in Bochum seit Jahren am Karfreitag den Film Das Leben des Brian zeigt und damit jedes Jahr aufs Neue gegen das Feiertagsgesetz verstößt. Coronabedingt mussten die Vorführungen im vergangenen und in diesem Jahr ausfallen.

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