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Coronakrise: Die alten Fehler wiederholen?

Symbolbild: Clément Falize/unsplash

Die Energie- und Klimawochenschau: Von solidarischen Schülern, die faire Löhne für das Pflegepersonal fordern, von kreativen Politikern in New York und Bogotá und von Zielproblemen bei den jüngsten Konjunkturprogrammen

Es gibt manches, worüber man sich dieser Tage große Sorgen machen muss: Über die abschmierende Weltwirtschaft [1], über die sich ausbreitende Covid-19-Pandemie [2] oder auch über die Versammlungsfreiheit in Zeiten der "Ausgangssperre mit Ausnahmen" [3], verhängt von Behörden und Regierungen, die viel zu spät reagiert haben und trotz Vorwarnung äußerst schlecht vorbereitet waren.

Da fragt sich unter anderem, wie kann man noch Protest organisieren, wenn nicht einmal mehr politische Versammlungen möglich sind. Bei den Schülerinnen und Schülern von Fridays For Future, für die die Internetmedien ohnehin eine große Rolle spielen, ist man darauf verfallen, einen sogenannten Onlinestreik [4] zu organisieren. Alle werden aufgerufen, sich mit ihren Demo-Schildern zu fotografieren und die Bilder auf den sozialen Medien hochzuladen.

Die Berliner Gruppe [5] stellt dabei angesichts der Coronakrise die Solidarität mit den Beschäftigten in der Pflege in den Mittelpunkt, die unter niedrigen Löhnen und schlechten Arbeitsbedingungen leiden.

30 Jahre lang seien dem Dogma der Wettbewerbsfähigkeit folgend Personalmangel geschaffen, Löhne und Gehälter gedrückt und Krankenhäuser geschlossen worden. Noch im Februar habe Bundesgesundheitsminister Jens Spahn über weitere Krankenhausschließungen diskutieren wollen.

Beim Kohleausstieg werde den Konzernen "- und nicht den Beschäftigten - der längst überfällige Ausstieg aus der dreckigsten Form der Energiegewinnung mit Milliarden Entschädigungen belohnt", aber für "faire Löhne und ausreichend Personal im Gesundheitssektor" sei angeblich nicht genug Geld vorhanden.

Wir brauchen jetzt politische Weichenstellungen, um gute Arbeitsbedingungen und gerechte Löhne für die Beschäftigten zu erreichen. Wir müssen den Beschäftigten und ihren Anliegen jetzt Gehör verschaffen und politisch aktiv werden, damit das Gesundheitswesen und nicht die Lufthansa, VW oder Kohlekonzerne gestärkt aus dieser Krise hervorgehen. Wenn wir eine sozial gerechte und nachhaltige Gesellschaft schaffen wollen, müssen unsere Steuergelder nicht nur jetzt, sondern auch in der Zukunft ins Gesundheitswesen fließen und vor allem auch bei den Beschäftigten ankommen. Lasst uns diesen Freitag unseren #climateonlinestrike in Dankbarkeit und vor allem in Solidarität mit den Beschäftigten im Gesundheitswesen machen!

Fridays For Future Berlin

Bildungsprogramm

Auch bei der bundesweiten FFF-Koordination [6] wird der Kampf gegen den Virus und die Unterstützung für die Beschäftigten im Gesundheitssektor ganz groß geschrieben. Schülerinnen und Schüler werden aufgefordert, Menschen zu unterstützen, die nicht mehr aus dem Haus gehen können.

Der Aufruf, auf die Wissenschaft zu hören, gelte nicht nur für die Klimakrise, sondern auch für die Ratschläge der Mediziner. Ansonsten wird über YouTube ein Bildungsprogramm der besonderen Art organisiert. Ab Freitag 14 Uhr gibt es auf dem FFF-Kanal [7] zum Beispiel ein Gespräch der Journalistin und Publizistin Naomi Klein mit Diarmid Campbell-Lendrum von der Weltgesundheitsorganisation WHO zu sehen.

Radfahren verboten

Eigentlich haben ja Südkorea [8], Taiwan [9], China [10] und einige andere ost- und südostasiatische Staaten schon vorgemacht, wie die Verbreitung der Corona-Pandemie verhindert werden kann und zwar in Südkorea auch ohne Ausgangssperren [11].

Aber Regierungen und Behörden reagieren ganz unterschiedlich auf die Krise. In einigen Ländern wie etwa Spanien beflügelt der Notstand vor allem die autoritären Fantasien von Militärs [12] und kleinen Möchtegern-Diktatoren. Aus Madrid gibt es zum Beispiel ein Video [13] auf Twitter, das zeigt, wie am Bahnhof ein Mann brutal festgenommen und mit dem Gesicht auf den Boden gedrückt wird, der einfach nur Brot kaufen wollte.

Ebenfalls aus Spanien stammt ein denkwürdiges Video [14], das einen von der Polizei oder dem dortigen Äquivalent zum hiesigen Ordnungsamt angehaltenen Radfahrer zeigt. Der Mann wird aufgefordert, nicht mit dem Fahrrad, sondern mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit zu fahren. Ist ja schließlich Ausgangssperre.

Mangelhafte Hygiene

Da stellt sich die Frage, ob in Spanien im Nahverkehr ähnlich lax mit der Hygiene umgegangen wird wie hierzulande? Während in Fernost Desinfektionstrupps seit Wochen zum täglichen Anblick gehören, denkt man hierzulande nicht im Traum dran, Busse und Bahnen regelmäßig zu entkeimen.

Nötig wäre es allemal. Auf der "Diamond Princess", jenem Kreuzfahrtschiff, dessen Passagiere Japan nicht an Land lassen wollte, hat man Covid-19-Viren gefunden [15], die 17 Tage lang überlebt hatten. Für deutsche Behörden allerdings noch lange kein Grund, mal zum Desinfektionsmittel zu greifen. Wäre ja auch noch schöner, wenn wir etwas von Asiaten lernen würden.

Nein, nein. Wir dünnen lieber die Fahrpläne aus, damit die nichtdesinfizierten Fahrzeuge trotzdem schön voll bleiben. Und ansonsten gibt es ein paar warme Worte für die Menschen in Pflege und Einzelhandel, die das Land am Laufen halten.

Aber dafür sorgen, dass sie halbwegs vor Ansteckungen sicher zur Arbeit kommen können? Oder die anderen, die trotz Ausgangssperre weiter in Großraumbüros oder Callcentern arbeiten müssen?

Autos müssen Platz machen

Anderswo hat man zumindest verstanden, dass in Zeiten der Pandemie das Fahrrad für viele das Fortbewegungsmittel der Wahl ist. In Kolumbiens Hauptstadt Bogotá werden auf den Straßen provisorische Fahrradwege abgetrennt, um Platz für den wachsenden Zweiradverkehr zu schaffen, wie der Spiegel schreibt [16].

Und man ist dort sogar in der Lage, den Effekt sofort zu beobachten und die Maßnahmen zeitnah anzupassen, wie Bogotás erste Bürgermeisterin auf Twitter berichtet [17]. In Berlin benötigt man hingegen für die Planung neuer Fahrradwege, zu der Senat und Bezirke per Landesgesetz verpflichtet sind, Jahre.

Auch in New York City ist man etwas flexibler als an der Spree. Wie in Bogotá reagiert man am Hudson auf die Coronakrise, indem dem Autoverkehr Platz genommen und den Radfahrern gegeben wird. Denn außer spanischen Polizisten weiß vermutlich jeder, dass die Ansteckungsgefahr auf dem Rad deutlich geringer als in der U-Bahn oder im Bus ist.

Das Wetter wird schöner und New Yorker müssen raus um Sport zu machen und für ihre geistige Gesundheit während der Covid-19-Pandemie. Um dies während der Selbstisolation zu ermöglichen, werden wir viele Straßen für den Autoverkehr sperren. Unser Ziel ist es, dass es eine autofreie Straße für jeden New Yorker nicht weiter als vier Blocks von seinem Haus entfernt gibt.

Bill de Blasio, Bürgermeister von New York City auf Twitter [18]

Die US-amerikanische Metropole ermuntert in Zeiten der Pandemie ihre Bewohner ausdrücklich, aufs Fahrrad zu steigen. Außerdem werden 435 Ausgabestellen, eingerichtet [19], an denen sich alle Kinder und Jugendliche Frühstück, Mittag und Abendbrot abholen können. Auch hieran könnten sich deutsche Politiker ein Beispiel nehmen.

Viren und Feinstaub

Übrigens: Wenn wegen nachlassender wirtschaftlicher Aktivitäten und vermindertem Autoverkehr durch die Krise die Luft in den Städten besser wird, könnte das eventuell auch die Ausbreitung des Virus etwas verlangsamen. Wie berichtet [20] haben italienische Wissenschaftler in der Po-Ebene einen Zusammenhang zwischen hoher Feinstaubbelastung und der schnellen Verbreitung des Coronavirus festgestellt.

Offensichtlich ist es gar nicht so ungewöhnlich, dass Viren die kleinen Schwebteilchen als Taxi nutzen, mit dem sie tagelang durch die Luft reisen können. Verschiedene chinesische Studien hatten das schon für andere Krankheitserreger nahegelegt.

Weniger Kohle

Hierzulande haben derweil in den letzten Wochen zumindest die Kohlekraftwerke weniger als sonst zur Feinstaubbelastung beigetragen. Neue Rekorde bei der Erzeugung von Strom mit Windkraft- und Solaranlagen sorgten dafür, dass sie kaum zum Einsatz kamen.

Deutschland hat für die Einspeisung ins öffentliche Netz Braunkohlekapazitäten [21] von 21,11 Gigawatt (GW). Aber in den letzten Tagen stand manches Kraftwerk still, während andere weit unter ihren Möglichkeiten ins Netz einspeisten. Sonne und Wind deckten hingegen oft meist über 50 Prozent des Strombedarfs, wie die Daten [22] des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme zeigen.

Das ist insofern bemerkenswert, als die Braunkohlekraftwerke sehr träge sind. Daher werden in der Regel bei großen Angebot an Strom der erneuerbaren Energieträger erst Gas- sowie Steinkohle- und erst dann die Braunkohlekraftwerke runter gefahren. So auch derzeit. Am vergangenen Sonntag, als sonniges Wetter für reichlich Sonnenstrom sorgte, musste dann sogar noch die Mehrzahl der verbliebenen AKW für einige Stunden gedrosselt werden.

Solardeckel klemmt

Man könnte also meinen, dass der Umbau der Stromversorgung auf dem richtigen Weg ist. Doch der Eindruck täuscht. Der Ausbau der Windenergie ist, wie hier schon des öfteren berichtet, eingebrochen und auch dem Markt für Solaranlagen, der aufgrund der inzwischen äußerst niedrigen Preise der Solarmodule [23] nach Jahren wieder anzieht, droht neues Ungemach.

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz legt fest, dass es keine Förderung, das heißt, keinen garantierten Abnahmepreis für Strom aus neuen Solaranlagen mehr gibt, sobald die Solarkapazitäten 52 GW überschreiten. Diese werden noch in diesem Jahr erreicht, wenn sich der Ausbau nicht als Folge der Coronakrise verlangsamt.

Im letzten Jahr waren rund vier GW hinzu gekommen, derzeit hat Deutschland Solaranlagen mit einer Kapazität von knapp unter 50 GW [24]. Eigentlich hatte sich die Berliner Regierungskoalition längst darauf geeinigt, das EEG zu ändern und den Solardeckel anzuheben. Doch die CDU-Wirtschaftskreise mauern und spielen auf Zeit.

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft sowie der Bundesverband Solarwirtschaft fordern daher in einer gemeinsamen Stellungnahme [25] den Deckel schleunigst abzuschaffen. Das sei eine einfach umzusetzende Maßnahme, um auch der Branche der erneuerbaren Energien vor dem Hintergrund der Coronakrise die notwendigen "industriepolitische Impulse" zu geben. Es dürfe nicht zu einem fahrlässig herbeigeführten Ausbaustopp in der Photovoltaik kommen.

In einem offenen Brief erinnern 2.000 Unternehmen aus der Solarbranche Bundeskanzlerin Angela Merkel daran, dass sie bereits am 27. November die Aufhebung des Solardeckels als Tatsache verkündet habe, dies aber noch immer nicht umgesetzt sei. Geschehe nichts, werde der Förderstopp für weitere Anlagen vermutlich bereits in der Sommerpause erreicht.

Und die Zukunftstechnologien?

Überhaupt ist es erstaunlich, dass bei den gewaltigen Summen im dreistelligen Milliardenbereich, die von Bundestag und Bundesrat noch diese Woche zur Stimulierung der Wirtschaft auf den Weg gebracht werden sollen, so wenig von gezielter Förderung der Zukunftstechnologien die Rede ist.

Einerseits kann offenbar - anders als man es den Schülerinnen und Schülern wieder vorhält - doch ganz schnell gehandelt werden, wenn es denn den entsprechenden politischen Willen gibt. Doch andererseits unterbleibt jede Diskussion über die Richtung, in der der warme Regen gelenkt werden soll.

Will man womöglich wie schon nach der Krise 2008ff erneut die Öffentlichkeit überrumpeln und mit einer Shock-and-Awe-Taktik alte, unflexible Konzerne der Autobranche für Versäumnisse und jahrelangen Verkäuferbetrug belohnen, damit sie noch möglichst lange unsere Städte mit ihren Straßenpanzern verheeren können?

Forderungen [26] nach der Aussetzung der Mehrwertsteuer für den Kauf von Luxusautos deuten in diese Richtung.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-4690076

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/news/Corona-Krise-Erneuter-Boersenabsturz-in-Fernost-4688403.html
[2] https://coronavirus.jhu.edu/map.html
[3] https://www.berlin.de/corona/massnahmen/verordnung/
[4] https://twitter.com/Luisamneubauer/status/1241114421314936833?s=20
[5] https://fridaysforfuture.berlin/event/solidaritaetstreik-mit-den-beschaeftigten-im-gesundheitswesen/
[6] https://fridaysforfuture.de
[7] https://www.youtube.com/channel/UCZwF7J5rbyJXBZMJrE_8XCA
[8] https://www.nytimes.com/2020/03/23/world/asia/coronavirus-south-korea-flatten-curve.html
[9] https://www.tagesspiegel.de/wissen/coronavirus-erfolgreich-bekaempft-wie-taiwan-den-covid-19-ausbruch-verhinderte-und-die-who-davon-nichts-wissen-will/25613942.html
[10] https://www.sciencemag.org/news/2020/03/china-s-aggressive-measures-have-slowed-coronavirus-they-may-not-work-other-countries
[11] https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/wie-suedkorea-das-coronavirus-ohne-ausgangssperre-eindaemmt-li.79353
[12] https://twitter.com/el_pais/status/1241393640712425474?s=20
[13] https://twitter.com/Miquel_R/status/1242133491443281920?s=20
[14] https://twitter.com/Miquel_R/status/1242460053959069696?s=20
[15] https://www.cnbc.com/2020/03/23/cdc-coronavirus-survived-in-princess-cruise-cabins-up-to-17-days-after-passengers-left.html
[16] https://www.spiegel.de/auto/corona-fahrraeder-duerfen-in-bogota-pkw-fahrspuren-nutzen-a-b9a4f78e-4a91-450e-a14d-63b37807b19a
[17] https://twitter.com/ClaudiaLopez/status/1239992475332349953?s=20
[18] https://twitter.com/GoodNYCMayor/status/1241140383461113856?s=20
[19] https://twitter.com/Storch_i/status/1241631455199051778?s=20
[20] https://www.heise.de/tp/features/Feinstaubpartikel-als-Viren-Vehikel-4687454.html
[21] https://www.energy-charts.de/power_inst_de.htm
[22] https://www.energy-charts.de/power_de.htm?source=all-sources&year=2020&month=3
[23] https://www.solarserver.de/pv-modulpreise/
[24] https://www.energy-charts.de/power_inst_de.htm
[25] https://www.solarwirtschaft.de/2020/03/24/solardeckel-streichen-wirtschaftliche-impulse-setzen/
[26] https://www.heise.de/news/Dudenhoeffer-Mehrwersteuer-fuer-Autokauf-aussetzen-4687793.html