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Covid-19-Impfstoffe: Der verhinderte Gamechanger

Solidarische Grüße aus Kuba, Einmaleins der Proteinimpfstoffe, Potenz statt Profit und die mangelnde Langstreckentauglichkeit der neuartigen Impfstoffe (Teil 1).

In Kuba ist Corona schon seit längerem Geschichte – mindestens seit dem zeitigen Frühjahr (unserer Breiten) 2022, als hingegen die Inzidenz in Deutschland sich in vierstellige Höhen aufschwang. Bereits die weit zurückliegenden Impfungen im kubanischen Gesundheitswesen schlugen sich signifikant in den Infektionszahlen nieder (vgl. Lateinamerika: Hochwirksame Impfstoffe "Made in Cuba": Hoffnung für den Globalen Süden? [1]).

Zwar kann die Maßnahmen-Politik dieser von Mangel-Zuständen geplagten Volkswirtschaft nicht in jeder Hinsicht als Ideallösung für andere Länder gelten – doch kein Experte bestreitet die eminente Bedeutung der hochwirksamen Vakzine aus bestens etablierter Eigenproduktion für die erfolgreiche Pandemie-Bekämpfung des Inselstaates.

Retter in der Not für Italien

Darauf vertraut auch Italien – ein Land, das aufgrund besonders unglücklicher Schwächen im Gesundheitssystem schon zu Beginn der Corona-Krise auf die Nothilfe der weltberühmten kubanischen Katastrophen-Ärzteteams angewiesen war.

Weil schon das Problem multiresistenter Krankenhauskeime in Italien seit etlichen Jahren völlig außer Kontrolle geraten ist, hatte man den Eintrag eines weiteren, unbekannten Erregers in Kliniken unbedingt vermeiden wollen – und traf daraufhin in der Lombardei unter anderem die dramatische Fehlentscheidung, dass Covid-19-Patienten ausgerechnet in Altersheimen untergebracht werden sollten, was naheliegenderweise rasch zu einer deutlichen Überlastung des Gesundheitssystems – sprich: sehr vielen lebensbedrohlich Erkrankten auf einmal – führte.

Nachdem dann die Impfstoff-Beschaffung über die EU für Italien ausgesprochen suboptimal verlaufen war, besann sich die Bevölkerung auf die guten Erfahrungen mit dem sozialistischen Land und rief eine Petition ins Leben, in der die Zulassung der kubanischen Impfstoffe in Europa gefordert wurde.

Immerhin seit Mai 2022 geht Italien auch in dieser Frage seinen eigenen Weg und produziert die Soberana-Vakzine – eine der beiden Impfstoffserien des Landes – für den Eigenbedarf selbst.

HBV-Vakzine als Vorlage

Grundlage der Präparate aus Übersee ist die Technologie der rekombinanten Herstellung von Erreger-Proteinen bzw. Protein-Fragmenten (Peptiden), wie sie seit den 1980er-Jahren insbesondere für Hepatitis-B-Impfungen genutzt wird.

Der Erreger dieser Leberentzündung ist ebenfalls mit Spike-Proteinen gespickt, deren Rezeptor-Bindung-Domäne (RBD) sich rasch in Hefezell-Kulturen gentechnisch nachzüchten lässt.

Es hakt in der Abstimmung mit der WHO

So basiert denn auch der RBD-Peptid-Impfstoff Abdala konzeptuell auf einem HBV-Vakzin. Es handelt sich um die andere der beiden gelungenen kubanischen Entwicklungen, die trotz der sanktionsbedingten Rohstoff-Engpässe frühzeitig in Nachbarländer exportiert werden konnte – auch ohne WHO-Zulassung, die aus inzwischen unerfindlichen Gründen noch immer aussteht.

In Kuba werden Wissenschaftler nicht dafür bezahlt, Studiendaten aufzubereiten und zu veröffentlichen, was ein Stück weit erklären könnte, weshalb Finlay-Institut (Soberana) und Centro de Ingeniería Genética y Biotecnología / CIGB (Abdala) mehr Zeit benötigten, um der WHO die notwendigen Unterlagen vorzulegen. Seit einiger Zeit jedoch werfen die Kubaner der WHO vor, die Zulassungsprozesse zu verschleppen.

Aufsehenerregende Resultate

Indes an den Notfallzulassungsstudien selbst gibt es prinzipiell nichts zu beanstanden: In der Phase-3-Studie mit 40.000 Probanden, adäquaten kritischen Endpunkten (Wirksamkeit gegen mittlere und schwere Symptome) und obligatorischen PCR-Tests bei Krankheitszeichen erreichte Abdala eine "Relative Risikoreduktion" (RRR) von 92,28 Prozent. (Seit Einsetzen des Impfstoff-Wettlaufs wegen Covid-19 wird diese einst nicht zu Unrecht als "Marketing-Wert" verschriene Angabe absurderweise ganz selbstverständlich als "Wirksamkeit" bezeichnet – denn das tatsächliche Expositionsrisiko findet dabei zunächst einmal keine Berücksichtigung.)

Auch Soberana kam in Phase 3 auf eine RRR von rund 90 Prozent. Während Abdala wie ein Großteil der weltweit gegen verschiedene Krankheiten zum Einsatz kommenden Impfstoffe (außer Lebendimpfstoffe) allein mit Aluminiumhydroxid adjuvantiert ist, provozieren sog. Konjugationsimpfstoffe wie die aufeinander aufbauenden Soberana-Versionen die Immunantwort zusätzlich durch Fremdproteine wie in diesem Fall ungefährliche Meningokokken-Bestandteile und das mit Formalin unschädlich gemachte Tetanus-Toxoid, an die das Antigen gebunden wird. Beide Herangehensweisen ergeben äußerst verträgliche Präparate.

Wirkverstärker sind in Tot- und Proteinimpfstoffen in der Regel vonnöten, um die Aufmerksamkeit des Immunsystems für die Antigene zu steigern und eine T-Zell-Immunität zu erzeugen.

Auch die Resultate der gemeinsamen Bemühungen des Bailor College of Medicine und Texas Children's Hospital in Houston um ihren ebenfalls mit Aluminiumhydroxid, doch zusätzlich auch mit dem neuartigen Wirkverstärker CPG 1018 adjuvantierten RBD-Peptidimpfstoff CorbeVax ließen unweigerlich aufhorchen:

Eine RRR von 90 Prozent gegen die Ursprungsvariante und immer noch 80 Prozent gegen Delta, ein Wirkverlust von den Angaben nach weniger als 30 Prozent binnen eines halben Jahres im Gegensatz zum (laut den Corbevax-Entwicklern) mehr als 80-prozentigen bei den sog. genbasierten Konkurrenten und 50 Prozent weniger Nebenwirkungen als bei der indischen AstraZeneca-Version "Covishield" [2].

Zu schweren Komplikationen ist es in der finanziell bedingt kleinen Probandengruppe von 3.000 Menschen in Indien – wo das Mittel nun auch produziert und hauptsächlich verimpft wird – ohnehin nicht gekommen, die Entwickler verweisen auf die umfänglichen Erfahrungswerte mit diesem erprobten Verfahren, aus denen sich das einwandfreie Sicherheitsprofil ergebe [3].

Die Produktion bei "Biological E. Limited" in Indien läuft reibungslos, zur indischen Zulassung Ende Dezember 2021 waren bereits 150 Millionen Dosen hergestellt – insgesamt 300 Millionen hat die indische Regierung bestellt, ein Produktionsvolumen von 400 Millionen Dosen ist geplant [4].

Softskills, GMP und das liebe Geld – fast überall auf der Welt

Peter Hotez berichtete dem Wissenschaftsmagazin Nature schon im September 2021, man erhalte wöchentlich Anfragen aus Entwicklungs- und Schwellenländern, die verzweifelt nach Impfstoff suchten (siehe: The fight to manufacture Covid vaccines in lower-income countries [5]).

Obwohl der Biologe und Mediziner Peter Hotez und die Mikrobiologin Maria Elena Bottazzi auf ihre rund zehn Jahre alte Sars-1-Vakzin-Plattform zurückgreifen konnten, benötigten sie für Entwicklung und Zulassung mehr Zeit als die großen Konzerne für die Implementierung ihrer neuen Technologien.

Im Januar 2022 nennt Hotez gegenüber dem Spiegel das Kind beim Namen [6]:

Wenn wir auch nur einen Bruchteil der Unterstützung gehabt hätten, wie sie Moderna oder Pfizer bekommen haben, dann hätten wir die Welt vielleicht schon durchgeimpft.

Peter Hotez

Dem Guardian sagte Bottazzi, man habe sich nicht optimal ausgekannt mit Regularien zur Qualitätssicherung und den Ansprüchen hinsichtlich des öffentlichen Auftretens als Hersteller von Pharmazeutika [7].

Ähnliche Erfahrungen machte hierzulande Prof. Winfried Stöcker, der einstige Gründer von Euroimmun: Als einer der Ersten erkannte er die besondere Eignung von RBD-Peptidimpfstoffen für den Kampf gegen Covid-19. Doch für ihn als bis dato nicht registrierten Impfstoffhersteller hätte eine wie auch immer geartete Zulassung aufgrund der Regularien der Good Manufacturing Practice (GMP) mindestens zwei Jahre gedauert, weshalb er sich dazu entschloss, seine Entwicklung LubeCaVax off-label wenigstens in Komponenten bereitzustellen und auf diese Weise eine rechtliche Grauzone auslotete.

Genau wie das Entwickler-Duo Hotez-Bottazzi machte auch Stöcker sein Produkt umgehend gemeinfrei. Zudem sind RBD-Peptidimpfstoffe relativ kostengünstig: Preisangaben zu einer Dosis CorbeVax bewegten sich vor dem Ukrainekrieg zwischen 1,30 US-Dollar und drei US-Dollar – im Rahmen einer Non-Profit-Kalkulation, wohlgemerkt.

Zwei Dosen gelten auch hier als Grundimmunisierung – alle Covid-19-(Untereinheiten- bzw. Subunit-)Proteinimpfstoffe erfordern ebenfalls zwei oder drei Injektionen für den Basisschutz. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass die exorbitant hohen Preise für mRNA-Vakzine (in Europa gut 15 bis mehr als 20 Euro pro Dosis, in den USA plant Pfizer neuerdings mit 130 US-Dollar pro Dosis) gegenüber den reichen Industrieländern mit dem Gelöbnis gerechtfertigt wurden, sie dafür besonders günstig an Entwicklungsländer abgeben zu wollen.

Dass dies aber aufgrund der beispiellosen Anforderungen hinsichtlich der Kühlkette und eines erschütterungsarmen Transports auf lange Sicht ein Lippenbekenntnis bleiben würde, dürfte den Herstellern damals schon klar gewesen sein.

Kaum Gemeinsamkeiten mit Grippeimpfstoffen

Die rekombinante Herstellung von Erreger-Proteinen unterscheidet sich grundlegend von dem Verfahren, das für klassische "Spaltimpfstoffe" beispielsweise gegen die Influenza zum Einsatz kommt: Die gebräuchlichste Technologie zur Produktion der meisten Grippeimpfstoffe erfordert es, dass die Erreger zunächst in Hühnereiern stark vermehrt und schließlich zwecks Verwendung die Impfstoffviren inaktiviert werden, wobei sie für die Anzucht in Hühnereiern vorübergehend zu adaptieren sind.

Diese Machart ist aus leicht zu erläuternden Gründen für die Erzielung einer niedrigen Wirksamkeit bekannt, im Vergleich mit in Zellen produzierten Influenzaimpfstoffen: Prof. Carlos A. Guzmán – Leiter [8] der Abteilungen Vakzinologie und angewandte Mikrobiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig – verweist auf den entscheidenden Umstand, dass die bei diesem althergebrachten Verfahren erforderliche natürliche Vermehrung des Pathogens die Wirksamkeit des Endprodukts potentiell mindert, weil es währenddessen zu Änderungen (bspw. in Richtung einer weitergehenden Anpassung an Hühnereier) kommen könnte.

Andererseits ist die Influenza-Anzucht in Hühnereiern besonders ergiebig und von daher kostengünstig, was die Abdeckung des weltweiten Proteinbedarfs erlaubt. Bei den Antigenen, die nach diesem Verfahren schließlich verimpft werden, handelt es sich übrigens selten um einzelne Proteine, sondern für gewöhnlich um stark aufgereinigte größere Fragmente des Erregers.

Sars-Coronaviren hingegen eignen sich nicht für die Anzucht in Eiern, weshalb für Proteinimpfstoffe hier nur das rekombinante Verfahren infrage kommt: Dazu wird das Antigen (ein Protein oder Peptid) in Hefen, Insekten- oder auch beispielsweise Hamsternierenzellen gebildet. Hier wird also schon im Labor vollführt, was bei einer mRNA-, Vektor- oder auch DNA-Impfung erst in unserem Körper passieren soll.

Unzutreffend ist indes die Behauptung, es bestehe ein grundsätzlicher Mangel an den für proteinbasierte Vakzine erforderlichen Rohstoffen – Hefen, Hamsternieren- und Insektenzellen beispielsweise lassen sich ohne weiteres in völlig ausreichender Menge für den Pandemiefall bereitstellen.

Allerdings ist es nicht immer leicht, einen qualitativ wie quantitativ zufriedenstellenden Produktionsprozess zu entwickeln. Engpässe sind hingegen in der Produktion der althergebrachten Spaltimpfstoffe ein Thema – wegen des enormen Bedarfs an Hühnereiern und der Erfordernis, bei Verwendung aktiven Virusmaterials in Hochsicherheitslabors zu produzieren.

Die Causa "Pandemrix" – der Teufel steckt im Detail

Bei Anwendung der fortschrittlicheren Methode wird ein weiteres Risiko gebannt, das zu Zeiten der Schweinegrippe H1N1 unerwartet und folgenreich hervortrat.

Das für den europäischen Markt produzierte Präparat Pandemrix von GlaxoSmithKline enthielt ein nicht hinreichend inaktiviertes Protein des natürlichen Grippe-Virus, das bei jungen Menschen, die ein bestimmtes Gen aufweisen, Narkolepsie auslösen konnte – eine Folgeerkrankung, die insbesondere in Asien auch nach Infektionen mit dem natürlichen Erreger beobachtet wurde [9] (auch hier [10] und hier [11]).

Weil Behörden-Mitarbeiter und Politiker in Deutschland damals eine Pandemrix-Version ohne Wirkverstärker erhielten, setzte sich hierzulande das irrige Gerücht fest, jene ernste Komplikation sei auf den Wirkverstärker AS03 zurückzuführen gewesen – diesen enthielt jedoch auch das kanadische Pendant des Herstellers namens Arepanrix, ohne dass eine Häufung von Narkolepsie-Fällen zu beobachten gewesen wäre.

Tatsächlich war schon zu Beginn der Impfkampagne deutlich geworden, dass Pandemrix insgesamt erheblich ausgeprägtere Nebenwirkungen auslöste als Arepanrix – dennoch rief GSK das Produkt nicht zurück.

RBD vs. Spike-Protein

Die Rezeptor-Bindungs-Domäne von Sars-CoV-2 ist siebenmal kleiner als das gesamte Spike-Protein und ließe sich daher auch ohne gesonderte Innovationsleistungen rasch in weltweit völlig hinreichender Menge produzieren. Allerdings betrafen etliche Mutationen von Sars-CoV-2 gerade diesen Abschnitt des Spike-Proteins, mit dem das Virus an die ACE-2-Rezeptoren menschlicher Zellen andockt.

Eine Anpassung kann auch aufgrund der überschaubaren Größe des Viruspartikels sehr zügig erfolgen: LubeCaVax war schon im August 2021 an die Delta-Variante angepasst und im Januar 2022 an Omikron.

Auch in Kuba sind längst Varianten-spezifische Impfstoffe zum Einsatz gekommen. Der Schutz einer bloßen Ursprungsvarianten-Grundimmunisierung mag jedoch gegenüber Omikron geringer ausfallen, als dies' bei Verwendung des gesamten Spike-Proteins der Fall ist: Die Firma Novavax entwickelte ein Verfahren, mit dem sich das in Mottenzellen gezüchtete Spike-Protein schneller "abpumpen" lässt, sodass auch die Herstellung eines solchen wesentlich größeren Antigens fortan nicht zu lange dauert.

Tatsächlich zeigt Nuvaxovid, eine recht robuste Schutzwirkung gegen Omikron – wer sich nach zweifacher mRNA-Impfung mit Nuvaxovid boostern lässt, bildet die doppelte Menge Omikron-spezifischer neutralisierender Antikörper im Vergleich zu einem (nicht Omikron-spezifischen) mRNA-Booster [12].

Neue Wirkverstärker bannen altbekannte Risiken

Auch bei der Wahl des Wirkverstärkers schlug Novavax einen neuen Pfad ein. Aus unterschiedlichen Gründen war die Pharmaindustrie jahrzehntelang leider vergebens dazu aufgefordert worden, insbesondere für Aluminiumhydroxid einen Ersatz zu finden.

Denn dieses ungemein gebräuchliche Adjuvanz löst zwar nahezu keine akuten Nebenwirkungen aus, doch andererseits erhält z.B. seit einiger Zeit eine Debatte Auftrieb, inwieweit Aluminium-Expositionen Langzeitfolgen haben können.

Und anders als bei der Verwendung von Deos oder einer Aufnahme über die Nahrung wird das in einer Impf-Dosis enthaltene (hydroxierte) Aluminium vollständig vom Organismus des Impflings aufgenommen [13].

Im Pandemie-Fall hingegen, der im Übrigen seit der WHO-Neudefinition von 2009 ja auch ohne "enorme Opferzahlen" (vorheriger WHO-Wortlaut) und flächendeckend schwere Krankheitslast ausgerufen werden kann, sind es die Mittel der Volkswirtschaften und auch der Stiftungen, die so mancher überfälligen Neuerung einen "Booster" verpassen können oder müssen.

In Nuvaxovid erlangte nun Matrix M – nicht das erste Adjuvanz auf Basis der Saponine des Seifenrindenbaumes – Serienreife. Darüber hinaus wird das Antigen nicht einfach unstrukturiert an den Wirkverstärker gebunden, sondern die Spike-Proteine ordnen sich gemäß der anspruchsvollen Virus-like-particle-Technologie (VLP) um Trägermoleküle (in diesem Fall PEG-freie Lipid-Nanopartikel) herum an, sodass die Gestalt des natürlichen Erregers nachgeahmt wird.

Das hat unter anderem den Vorteil, dass die B-Zellen des Immunsystems das Antigen besser aufnehmen können. Auch für viele HBV-Impfstoffe findet diese Methode Verwendung, die bis zum Aufkommen von Vektor-, DNA- und mRNA-Vakzinen als der modernste Ansatz in der Impfstoffentwicklung galt.

Angstfaktor ADE bei Corona-Impfstoffen

Die Vielzahl an Epitopen (Antigen-Molekül-Abschnitte, die eine spezifische Immunantwort auslösen) im gesamten Spike-Protein birgt prinzipiell auch Risiken für den Fall einer Ansteckung bei zu geringem oder nachlassendem Immunschutz.

Dann kann es zumindest theoretisch zu einem infektionsverstärkenden Effekt mancher vorhandener Antikörper kommen (ADE), indem diese im Infektionsfall zwar an den Erreger binden, ihn aber nicht neutralisieren können und auf diese Weise sogar den Eintritt in menschliche Zellen erleichtern.

Deswegen wurden alle Epitope aus dem Nuvaxovid-Spike-Protein entfernt, denen ein solches Potential zugeschrieben wird. Indes Ganzvirus-Totimpfstoffe wie bspw. die chinesischen Präparate bergen bis auf weiteres logischerweise noch weit mehr Einfallstore für ADE.

Das Risiko für ADE hängt jedoch noch von anderen Faktoren ab – und einer dieser Faktoren darf aus wissenschaftlicher Sicht immerhin als einer der Gründe gesehen werden, weshalb die großen westlichen Pharmakonzerne gegen Covid-19 nicht auf solche einfachen Peptidimpfstoffe gesetzt haben, wie sie sich nun mit Abdala in Kuba bestens bewährt haben.

Die alleinige Adjuvantierung mit Aluminiumhydroxid provoziert nicht nur die gewünschte Th1-Zellen-Antwort, sondern auch eine ausgeprägte Bildung von Th2-Zellen (Th "T-Helferzellen") - und in der Impfstoffforschung zu Coronaviren hat sich über die Jahrzehnte gezeigt, dass eine starke Th2-Reaktion häufig ADE auslöst. Dass Sars-CoV-2 sich in diesem Punkt anders "verhalten" würde, war nicht von vorneherein absehbar gewesen.

Bekanntermaßen unproblematisch wäre hingegen der im Kontext von Pandemrix zu Unrecht verschriene Wirkverstärker AS03 gewesen, auf den Sanofi für seinen Impfstoff-Nachzügler setzt. Und auch die Corbevax-Entwickler versäumten nicht, dem gefürchteten ADE-Blowback vorzubauen, indem sie nämlich einen zweiten Wirkverstärker einsetzten: CPG 1018 von Dynavax, wie es auch in Valnevas Ganzvirus-Totimpfstoff gegen Covid-19 Verwendung findet, besteht aus DNA-Schnipseln (die nicht in menschliche Zellen eingeschleust werden) und regt einerseits eine im Vergleich zu anderen proteinbasierten Impfstoffen deutlichere Bildung zytotoxischer T-Zellen an.

In Corbevax verhindert die Zugabe dieser Adjuvanz eine Th2-lastige zelluläre Immunantwort, wie sie normalerweise durch das ebenfalls enthaltene Aluminiumhydroxid zustande käme – stattdessen überwiegt hier wie bei vielen anderen Impfstoffen die Th1-Stimulation.

Überstarke T-Zell-Aktivierung durch mRNA-Impfung erfüllt nicht alle Erwartungen

Wie ist es nun aber zu erklären, dass die Immunisierung der Bevölkerung bspw. in Kuba nachhaltiger gelungen zu sein scheint als in reichen Industrieländern?

Prof. Guzmán macht in diesem Zusammenhang auf Erkenntnisse hinsichtlich des Wirkprofils insbesondere von Covid-19-mRNA-Impfungen aufmerksam: Es zeige sich einerseits, dass die Antikörpertiter nach einer solchen Impfung rascher zurückgingen, als dies' bspw. bei früheren proteinbasierten Impfstoffen der Fall sei.

Der Grund hierfür sei vielleicht in einer schwächer ausgeprägten Bildung von B-Gedächtniszellen zu suchen. Ob ein solches Phänomen, unabhängig von neuen Virusvarianten, nur Sars-CoV-2 betreffe, oder mRNA-Vakzin-bedingt sei, müsse noch aufgeklärt werden.

Man habe nicht voraussehen können, dass die infolge mRNA- und Vektor-Impfung besonders starke und langanhaltende T-Zell-Immunantwort gegen das Spike-Protein keinen entscheidenden Faktor für protektive Immunität gegen Covid-19 darstelle. Hiervon unbenommen sei jedoch ein robuster und entscheidender Schutz vor schweren Verläufen.

Einen wirklichen Schutz vor der Infektion im engeren Sinne bietet keiner der bisherigen Covid-19-Impfstoffe – sondern eine etwaige Verringerung der Übertragungsrate bei ausgesprochen frischem Impfschutz ist laut Guzmán lediglich auf eine Art Pseudo-Lokalimmunität zurückzuführen.

Sehr hohe Antikörper-Titer ermöglichen wahrscheinlich eine sofortige Eliminierung von Erregern, die in die Lunge gelangt sind, weil in der Lunge ein Übertritt von Antikörpern aus der Blutbahn erfolgen kann.

Unsere Schleimhautbarrieren hingegen bleiben gegenüber Sars-CoV-2 naiv, solange keine natürliche Infektion stattgefunden hat – oder aber mittelfristig eine mukosale Impfung. Auch Guzmán forscht an zweien solcher immunisierender Nasensprays.

Abdalas nachweislich phänomenale Performance in der Pandemiebekämpfung

Die erzielte Schutzwirkung von intramuskulär verabreichten Proteinimpfstoffen gegen schwere Verläufe und Todesfälle kann allerdings ein mehr als beachtliches Niveau erreichen: Von Mai bis August 2021, als in Havanna die Delta-Variante dominierte, wurde dort im Rahmen einer in The Lancet publizierten Kohortenstudie [14], die 1.324.205 geimpfte und 31.433 ungeimpfte Erwachsene (bei einer Erwachsenen-Impfrate von 88,04 Prozent in der Stadt zum Ende der Studie) einschloss, von einem Wissenschaftler-Team um Prof. Pedro I. Más-Bermejo, dem Leiter der National Technical Group zur staatlichen Pandemie-Beratung, eine tatsächliche Schutzwirkung des nicht Varianten-spezifischen Abdala-Vakzins gegen schwere Verläufe von 98,2 Prozent für vollständig Geimpfte und immer noch 93,3 Prozent für nur teilweise Geimpfte ermittelt.

Gegen einen tödlichen Ausgang bestand demnach ein 98,7-prozentiger Schutz nach vollständiger Impfung und 94,1-prozentiger nach unvollständiger Impfung. Bemerkenswerterweise hat sich diese enorme Effektivität des simplen RBD-Peptidimpfstoffs gerade auch in den höheren Altersgruppen besonders deutlich abgebildet: 99,1-prozentiger Schutz vor schweren Verläufen bei den Über-80-Jährigen und 98,8-prozentiger Schutz vor tödlichem Ausgang in der Altersgruppe 61 bis 80 sind absolut beispielhaft.

Obgleich all diese Werte auf die gleiche Weise wie die Relative Risikoreduktion (RRR) berechnet worden sind – sie stimmen überein mit der Vorhersage zur Entwicklung von Erkrankungs- und Todesfällen bei einer Impfeffektivität von über 90 Prozent, an welcher Abdala als Impfstoff für den Großteil der Bevölkerung den mit Abstand größten Anteil hat.

Des weiteren spricht es natürlich Bände, dass man zu derart beeindruckenden Ergebnissen gekommen ist, obwohl die Geimpften in der Studie dramatisch in der Überzahl waren – denn je größer die Probandengruppe, desto geringer die Wahrscheinlichkeit zufälliger Abweichungen.

Teil 2: Spike auf Abwegen, zweifelhafte Zulassungsstudien, Rätsel um Nuvaxovid und die kurze Restlaufzeit der mRNA-Patente [15]


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https://www.heise.de/-8515061

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.ipg-journal.de/regionen/lateinamerika/artikel/viva-la-impfung-5284/
[2] https://www.thelancet.com/journals/ebiom/article/PIIS2352-3964(22)00399-1/fulltext
[3] https://www.texaschildrens.org/texas-children%E2%80%99s-hospital-and-baylor-college-medicine-covid-19-vaccine-technology-secures-emergency
[4] https://www.scientificamerican.com/article/a-covid-vaccine-for-all/
[5] https://www.nature.com/articles/d41586-021-02383-z
[6] https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/corona-pandemie-open-source-projekt-corbevax-der-impfstoff-fuer-die-armen-a-e9dd0b79-4252-488e-9091-9b718e9cd607
[7] https://www.theguardian.com/us-news/2022/jan/15/corbevax-covid-vaccine-texas-scientists
[8] https://www.helmholtz-hzi.de/de/forschung/forschungsschwerpunkte/immunantwort-und-interventionen/vakzinologie-und-angewandte-mikrobiologie/carlos-a-guzman/
[9] https://www.nature.com/articles/s41467-021-22637-8#
[10] https://www.researchgate.net/publication/269717373_Antigenic_Differences_between_AS03_Adjuvanted_Influenza_A_H1N1_Pandemic_Vaccines_Implications_for_Pandemrix-Associated_Narcolepsy_Risk
[11] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0889159114005194
[12] https://www.forbes.com/sites/kimberleespeakman/2021/12/22/novavax-covid-vaccine-provides-antibody-response-against-omicron-data-suggests
[13] https://www.aerzteblatt.de/archiv/193510/Gesundheitliche-Auswirkungen-einer-Aluminiumexposition
[14] https://www.thelancet.com/journals/lanam/article/PIIS2667-193X(22)00183-1/fulltext
[15] https://www.heise.de/tp/features/Covid-19-Impfstoffe-Spike-auf-Abwegen-8515300.html