Covid-Impfung: Bleiben schwere Nebenwirkungen Amtsgeheimnis?

Telepolis exklusiv: Ministerium und PEI bemüht, Zahlen zu Nebenwirkungen zu finden. Transparenz fehlt. Zwischenbilanz zur Dimension des Problems.

Im August 2021 erklärte der spätere Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kategorisch, die Impfung gegen Covid-19 sei nebenwirkungsfrei. Im Februar 2022 gab er sich nur unmerklich weniger eindeutig und sprach von einer "mehr oder weniger nebenwirkungsfreien Impfung". Noch etwas später, im Sommer vergangenen Jahres, sagte Lauterbach dann:

Hätte es da Nebenwirkungen gegeben, dann hätten wir das gemerkt.

Karl Lauterbach

Zahlreiche andere Politiker und Entscheidungsträger haben ähnlich deutlich und eindeutig von der Sicherheit der Impfung gesprochen. Bereits im Februar 2021 galt die Impfung schlicht als "sicher".

Entsprechend eindeutig war auch die Werbung für die Impfkampagne: Deutschland krempelt die Ärmel hoch, es handelt sich nur um einen "Piks" und wir holen uns das Leben zurück. Auch in der Diskussion um die Einführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht und 2-G-Regel, die gleichsam einen Lockdown für Ungeimpfte bedeutete, spielte das Thema der schweren Nebenwirkungen keine Rolle.

Von einem Fall auf 10.000

Vor wenigen Wochen sprach Lauterbach nun über schwere Impfschäden und nannte auch Zahlen. Schwere Nebenwirkungen würden in der Größenordnung von "weniger als 1 auf 10.000 Impfungen" (siehe: 01:50) auftreten.

Dabei beruft er sich explizit auf die Daten des Paul-Ehrlich-Instituts. Damit dürfte eigentlich in der Frage nach schweren Impfnebenwirkungen das letzte Wort gesprochen sein. Leider ist es jedoch nicht so eindeutig.

Der Gesundheitsminister spricht zum einen nicht von der Häufigkeit schwerer Impfnebenwirkungen pro Person, sondern nur pro Impfdosis. Bekannterweise wurden und werden die Corona-Impfstoffe jedoch fast immer mehr als einmal verimpft (einige Berichte treffen diese substantielle Unterscheidung nicht).

Zum anderen findet man die genannte Zahl von Lauterbach so nicht in den Berichten des Paul-Ehrlich-Instituts. Der letzte Sicherheitsbericht, der den Zeitraum bis Ende Oktober 2022 umfasst, spricht von 0,27 Verdachtsfällen schwerer Impfnebenwirkungen auf 1.000 Impfdosen.

Das wären also knapp drei Verdachtsfälle schwerer Impfnebenwirkungen auf 10.000 Impfdosen. Auf Nachfrage von Telepolis erklärte das Bundesgesundheitsministerium, die Aussage Lauterbachs sei dennoch korrekt.

An dieser Stelle tauchen zwei zentrale Fragen auf, wenn man wirklich eine genaue Vorstellung der Wahrscheinlichkeit schwerer Impfnebenwirkungen für jeden geimpften Menschen feststellen will:

1. Offiziell kennen wir nur die Wahrscheinlichkeit pro Impfdosis. Wie entwickelt sich die Wahrscheinlichkeit schwerer Impfnebenwirkungen bei Menschen, die häufiger geimpft wurden? Bleibt die Wahrscheinlichkeit bei jeder Wiederholung gleich, so dass die korrekte Formel lauten würde: 0,27 x Anzahl der Impfdosen = Wahrscheinlichkeit eines Verdachtsfalls schwerer Impfnebenwirkungen auf 1.000 Menschen? Wäre diese also bei Menschen, die zum dritten Mal eine Impfauffrischung erhalten haben, bei knapp 1,4 auf 1.000 Menschen? Also 0,14 Prozent?

2. Offiziell gibt es nur Zahlen zu gemeldeten, nicht aber zu bestätigten Verdachtsfällen schwerer Impfnebenwirkungen. Welche Zahlen entsprechen also der Wirklichkeit?

An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass es auch Verdachtsfälle von schweren Nebenwirkungen mit Todesfolge gibt (Das Paul-Ehrlich-Institut sprach im Herbst 2022 beispielsweise von 120 dieser Verdachtsfälle).

Was ist ein Verdacht?

Wie erwähnt: Auf Anfrage von Telepolis erklärte das Bundesgesundheitsministerium dennoch, die oben zitierte Aussage Lauterbachs sei richtig, denn:

Sie müssen beachten, dass allein aus der Zahl der Verdachtsfallmeldungen und auch aus deren Melderaten nicht auf die Häufigkeit von Nebenwirkungen geschlossen werden kann. Informationen zu Häufigkeiten bekannter Nebenwirkungen sind in den Fachinformationen der Impfstoffe gelistet.

Sie werden eingeordnet in folgende Kategorien: Sehr häufig (≥ 1/10), Häufig (≥ 1/100, < 1/10), Gelegentlich (≥ 1/1 000, < 1/100), Selten (≥ 1/10 000, < 1/1 000), Sehr selten (< 1/10 000), Nicht bekannt (Häufigkeit auf Grundlage der verfügbaren Daten nicht abschätzbar). Die Kategorie "< 1/10 000" hatte der Minister genannt. Und sie ist auch richtig.

Bundesgesundheitsministerium

Wohlgemerkt beziehen sich diese offiziellen Kategorien für die Beurteilung der Häufigkeit von Nebenwirkungen pro Person, nicht pro Dosis. Zudem basiert also Lauterbachs Aussage auf den "Informationen zu Häufigkeiten bekannter Nebenwirkungen, die in den Fachinformationen der Impfstoffe gelistet" sind. Nicht auf den Zahlen des Paul-Ehrlich-Institut, die er aber explizit in seiner Aussage erwähnt.

Von verschiedenen Stellen wird immer wieder betont, dass es sich um Verdachtsfälle halte und es daher ein Fehler wäre, diese mit offiziell bestätigten Fällen zu verwechseln. Beispielsweise schreibt ZDF-Heute:

Wie viele Impfschäden in Deutschland bisher tatsächlich aufgetreten sind, ist unbekannt - dazu führt keine Behörde eine Statistik. Das PEI zählt nur Verdachtsfälle, keine Impfschäden. Einen Anhaltspunkt könnte die Zahl der Anträge auf Anerkennung eines Impfschadens liefern, die bei den Landesbehörden gestellt wurden. ZDFheute hat die Sozialbehörden aller 16 Bundesländer gefragt, wie viele Anträge auf Versorgungsleistungen bisher eingegangen sind.

Bis Mitte März wurden 6.977 Anträge gestellt, von denen 301 bewilligt wurden. Rund 2.300 wurden abgelehnt, die meisten sind noch in Arbeit. Somit kommt in Deutschland derzeit ein anerkannter Impfschaden auf etwa 211.000 geimpfte Einwohner. Aufgrund der Vielzahl der noch nicht entschiedenen Anträge ist damit rechnen, dass die Zahl der anerkannten Impfschäden noch steigt.

ZDFheute

So wichtig und richtig es ist, zu betonen, dass es sich bei Verdachtsfällen nicht automatisch um wirkliche Impfschäden handelt, so sehr macht es sich diese Einschränkung mit dem Verweis auf anerkannte Impfschäden zu einfach (und wäre eine ähnlich klare Unterscheidung auch bei der Frage, ob Menschen an oder mit Corona verstorben sind, notwendig).

Sie übersieht, dass viele Verdachtsfälle von den Ärzten gar nicht gemeldet werden (zum Beispiel hier und hier), was zu einer deutlichen Unterfassung geführt haben dürfte. Das ist eigentlich ein Skandal.

Der Sprecher des Verbandes der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte Deutschlands betont:

Der Dokumentationsaufwand, den die Praxen dabei bewältigen müssen, steht bisher in keinem angemessenen Verhältnis zu den relativ geringen Beträgen, die die Krankenkassen dafür erstatten.

Virchowbund, Welt

Bereits aus der Vergangenheit ist bekannt, dass bei Impfungen Nebenwirkungen eher selten gemeldet werden. Auch ist die eindeutige Beweisführung, dass die Impfung den erlittenen Schaden verursacht hat, alles andere als einfach.

Und allein die Tatsache, dass nur weniger als 7.000 Anträge gestellt worden sind, obwohl deutlich mehr Verdachtsfälle schwerer Impfnebenwirkungen gemeldet wurden (zu der genauen Zahl kommen wir am Ende des Artikels), deutet zudem darauf hin, dass vermutlich das Stellen des Antrags kompliziert und die Menschen auf die Möglichkeit nicht hingewiesen werden.

Da der Versuch nicht unternommen wird, jeden Menschen, der schwere Impfnebenwirkungen gemeldet hat, konkret zu untersuchen, um die Berechtigung der Meldung einschätzen zu können, dies bei den Zahlen wohl auch deutlich die medizinischen Kapazitäten übersteigt und die Beweisführung sehr schwierig ist, bleibt nichts anderes übrig, als sich auf die Zahl der gemeldeten Verdachtsfälle als Indikator zu beziehen.

In Anbetracht der Tatsache, dass viele Menschen, die schwere Nebenwirkungen erleiden, diese nicht melden beziehungsweise ihre Meldung nicht weitergeleitet wird, sollte auch ein ausreichender Grund sein, die gemeldeten Verdachtsfälle nicht auf die leichte Schulter nehmen, "nur" als Verdachtsfälle aufzufassen und davon überzeugt zu sein, die eigentliche Zahl liege zwar – einmal mehr – im Dunkeln – sei aber sicher viel niedriger.

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