Cybermobbing: Destruktives Hobby in Corona-Krisenzeiten beliebter
Laut einer neuen Studie nehmen die Fälle auch unter Erwachsenen zu
Manche haben während der Lockdown-Phasen in den letzten 20 Monaten Brot backen gelernt oder ihre Kochkünste verfeinert. Aber auch weniger sozialverträgliche Hobbys, die sich in den eigenen vier Wänden praktizieren lassen, haben seither Hochkonjunktur: Laut einer aktuellen Studie nehmen Ausmaß und Umfang von Mobbing vor allem im Internet auch unter Erwachsenen deutlich zu.
Die Zahl der Betroffenen wachse rasant, teilte das Bündnis gegen Cybermobbing e. V. am Donnerstag mit: Seit der Vorgängerstudie aus dem Jahr 2018 stieg sie demnach in Deutschland um 25 Prozent auf mehr als fünf Millionen Menschen. Das entspricht einem Anteil von 11,5 Prozent bei den Erwachsenen. Vor allem Frauen und junge Menschen seien häufig Zielpersonen. Für die am Donnerstag veröffentlichte Studie waren 2000 Erwachsene in Deutschland sowie jeweils 1000 in Österreich und der Schweiz befragt worden.
Mehr als 60 Prozent der Befragten waren laut Selbstauskunft bereits in Mobbing- oder Cybermobbing-Situationen involviert – sei es als Betroffene, Täter, Beobachter, Unterstützer oder Schlichter. Bemerkenswert ist, dass die so erfassten Täter mehrheitlich selbst schon einmal Opfer von Mobbing (77 Prozent) oder Cybermobbing (68 Prozent) waren.
Was tun, wenn Trolle mehr als lästig werden?
Wie Betroffene reagieren sollen, dafür gibt es laut Fabian Herr vom Bündnis gegen Cybermobbing kein allgemeingültiges Patentrezept. Nur die Beweissicherung durch Screenshots von strafrechtlich relevanten Beleidigungen, Drohungen oder falschen Tatsachenbehauptungen sei in jedem Fall wichtig, um dergleichen anzeigen zu können, so Herr gegenüber Telepolis.
Bei nicht eindeutig strafbaren Inhalten in einer beginnenden Mobbing-Situation hänge es "von der Psyche der betroffenen Person ab": Ignorieren und blockieren sei eine Möglichkeit. Wer stattdessen im Auge behalten will, was über ihn oder sie verbreitet wird, sollte sich zumindest nicht schnell aus dem Gleichgewicht bringen oder provozieren lassen.
Laut der Studie gilt das Persönlichkeitsmerkmal "Offenheit" tendenziell als Risikofaktor, um Opfer zu werden. Sowohl Opfer als auch Täter weisen demnach höhere Werte beim Persönlichkeitsmerkmal "Neurotizismus" auf als die Kontrollgruppe, die angab, in Mobbing-Situationen weder Opfer noch Täter zu sein.
Erst vor wenigen Wochen war bundesweit über den Fall des Youtubers Rainer Winkler alias "Drachenlord" berichtet worden, der nach längerem drastischen Cybermobbing auch im realen Leben von Trollen und "Hatern" heimgesucht worden war, nachdem er sich hatte provozieren lassen. Aus Ärger über die Attacken aus der Anonymität heraus hatte der mutmaßlich lernbehinderte Mann nach einer Drohung gegen seine Schwester seine Adresse preisgegeben und die Mobber aufgefordert, Gesicht zu zeigen. Und in diesem Fall "trauten" sie sich sogar.
"Schulhofisierung" der Öffentlichkeit
Nach diversen Versammlungen und Hass-Demos inklusive Böllerwürfen vor seinem Haus im mittelfränkischen Altschauerberg war der "Drachenlord" wiederholt handgreiflich geworden und vor Gericht gelandet: Im Oktober wurde er wegen Körperverletzung zu zwei Jahren Haft verurteilt.
Der Spiegel-Kolumnist Sascha Lobo kritisierte das Urteil und sprach von einer "Schulhofisierung der deutschen Öffentlichkeit": Es sei, "als würde der kleine Willi von den Klassenbullys in den Mülleimer gesteckt und der Schulleiter bestraft Willi für seinen Missbrauch des Mülleimers".
Während in vielen Fällen anderen Fällen die Anonymität des Internets eine "enthemmende" Rolle spielt und die Strafverfolgung erschwert, spielt sich aber im deutschsprachigen Raum immer noch ein Großteil der Mobbing-Fälle in der Arbeitswelt ab: Unter Mobbing allgemein hätten 32,6 Prozent der Menschen zwischen 18 und 65 Jahren - also mehr als 17 Millionen in Deutschland - schon einmal zu leiden gehabt, heißt es in der Studie. Fast die Hälfte aller Mobbing-Attacken spiele sich in Deutschland in der Arbeitswelt ab. Gleiches gelte für Österreich und die deutschsprachige Schweiz.