DIE TECHNOZOOSEMIOTIK

Seite 3: Die Kunst der Technochoreographie

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Die mit den Techniken verbundenen künstlerischen Aktivitäten werden ins Verhalten umgesetzt und beginnen die spezifischen Konturen eines Universums der Erkenntnis und des Ausdrucks zu markieren. In dieser Umorientierung der künstlerischen Disziplinen bildet sich ein neuer Raum, der Raum einer Technochoreographie, heraus.

Er führt die Grundlagen bestimmter Ausdrucksweisen, ausgehend von biologischen Verankerungen des Verhaltens, von propriozeptiven und multisensoriellen Aspekten des Lebendigen und ihrer digitalen Verarbeitung in Echtzeit, zusammen. Solche experimentellen Kunstformen werden durch die Verbindung mit den Wissenschaften des Lebendigen, den Kognitions-, Kommunikations- und Technowissenschaften möglich.

Auch die interaktiven Medien haben auf eine neue Stellung des Lebendigen in der Kunst hingewiesen. Nach den Erkenntnissen Pawlows und den schwarzen Kästen Skinners hat der Körper als wahrnehmendes, energetisches und bioelektrisches System im Kern des technologisch geschaffenen lebendigen Schauspiels, im Herzen der virtuellen Realitäten und simulierten Welten seine Wahlheimat gefunden, die ein instrumentelles Kontinuum in den körperlichen Rückwirkungen zwischen der simulierten und der realen Welt eröffnen.

Weil die "körpergrafische" Aktivität sich übereinander schichtet, sich im ethologischen Design aufsummiert, erscheint sie wie ein kognitives und synästhetisches Forschungsfahrzeug für neue emotionale und sensorische Kontinente, feindliche Umgebungen, virtuelle und bildliche Umgebungen ...

Sie wird aus dem gleichen Grund - und das ist ihr fundamentaler Beitrag - zu einem der seltenen Übersetzungsagenten, zu einem technischen Führer im Grenzgebiet zwischen zwei Ausdrucksweisen, die man bislang als Gegensätze gesehen hat.

1. Die erste Ausdrucksweise entfaltet sich im Umkreis von kinetischen und paralinguistischen Signalen, den Werkzeuge der tierischen Kommunikation. Die Lebewesen kommunizieren die meiste Zeit durch Körperbewegungen, unwillkürliche Muskelspannungen, durch Veränderungen des Verhaltens, der Hautfärbung, des Ausdrucks, durch Unschlüssigkeit, Rhythmusmodifikationen der Atmung oder der Sprache, durch Nuancen beim Schreien oder in der Stimme. Das sind die Zeichen, die in einer dauerhaften Weise informieren.

2. Die zweite Ausdrucksweise ist die Sprache, verstanden als ein symbolisches und syntaktisches System, das unendlich viele kreative Konstruktionen und codierte Informationen erzeugen kann, die in diskrete Bits zerlegbar sind. Das ist eine grammatisch strukturierte Sprache, die abstrakte Ideen, Dinge und zeitlich sowie räumlich entfernte Ereignisse formulieren kann und die durch kulturelle Mittel jenseits des Vererbten gelernt und überliefert werden muß.

Die Konstruktion einer Metasprache für Tiere, Maschinen und Menschen, die durch das Bild, den Ton, die Bewegung und den Text die beiden Ausdrucksweisen integriert, ist eines der möglichen Werkzeuge für jede Kommunikation zwischen verschiedenen Arten.

Die Künste haben zu diesem "Projekt" exemplarische Beiträge geliefert und machen dies noch immer. Sie wurden, während sie sich in einer bestimmten Logik des Lebendigen einschrieben, tiefgreifend in ihrer Politik der Ausbreitung, in ihrer Kapazität, die Grenzen ihrer geistigen und körperlichen Viabilität auszureizen, verändert.

Die Künste sind zu Sonden geworden, die man in neue künstliche Räume und in die Welten der digitalen Kommunikationen eingeführt hat. Diese Neigung hat unter anderem zu bestimmten künstlerischen Forschungen in der praktischen Wirklichkeit der tierischen Kommunikation zwischen Arten oder in der Verfolgung von Fährten geführt, die aus der Perspektive des Künstlichen Lebens als Vermittlungsformen für Lebensformen gelten, die es geben könnte.

Wer hätte sich vorstellen können, daß nach der Körperkunst und der Einführung des Lebendigen in die Szene der plastischen Künste vor einigen Jahren ein wichtiger Teil der Kunst, angetan vom tierischen Wesen, seiner Darstellung und seiner Modellierung und auch angestachelt von einer immer weiter zurückgestellten Erschaffung des Lebendigen , sich in dieser Richtung betätigen würde?

Wenn wir aufmerksamer gewesen wären, hätten wir Zeichen beobachten können. Wir müssen wahrscheinlich noch einmal die berühmte "amerikanische" Performance von Beuys in seinem "tete à bete" mit dem Kojoten betrachten. Man muß sie vielleicht als eine vorausschauende Aufführung, als einen noch diffusen Versuch sehen, durch die Überschreitung der Domestikation und der Zootechnik darauf hinzuweisen, daß die Zukunft einer öffentlichen, ankündigenden und zukunftsschwangeren künstlerischen Handlung in der logosystematischen Herstellung einer sprachlichen Beziehung liegt, die zwischen allen Komponenten der Biomasse getanzt wird.