Das Ende der Äquidistanz? Russlands Korea-Politik am Scheideweg
Annäherung zwischen Russland und Nordkorea mit Folgen für Europa. Militärische Kooperation zwischen Südkorea und Ukraine nimmt zu.
Die jüngste Neuausrichtung der russischen Koreapolitik wirft Fragen bezüglich der geopolitischen Auswirkungen auf die Sicherheit in Osteuropa auf. Das kürzlich unterzeichnete Abkommen zwischen Russland und der Demokratischen Volksrepublik Korea (DVRK oder Nordkorea), das eine "umfassende strategische Partnerschaft" begründet, signalisiert eine deutliche Annäherung Moskaus an Pjöngjang. Laut Experten könnte das "Ende der Äquidistanz" zwischen beiden Ländern die bisherige Balance in der Region verändern.
Rückblick: Russlands Äquidistanz zu den Koreas
Mit dem Ende der Sowjetunion hat die Russische Föderation als deren Rechtsnachfolger sämtliche militärischen Beistandsaufkommen mit Nordkorea aufgegeben. Seit Mitte der 1990er Jahre verfolgte Russland eine diplomatische Politik der Äquidistanz, die darauf abzielte, ausgewogene Beziehungen zu beiden koreanischen Staaten zu unterhalten.
Diese Strategie basierte auf der Annahme, dass eine wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Nord- und Südkorea auch die Sicherheitsdynamik verbessern und zum Frieden auf der Halbinsel beitragen könnte. Südkorea sah in Russland einen wichtigen Partner, um in Kooperation mit Nordkorea die wirtschaftlichen Aktivitäten zwischen der koreanischen Halbinsel und dem eurasischen Kontinent zu stärken. Verschiedene Initiativen wie die "Eurasia Initiative" und die "Neue Nordpolitik" zeugen von dieser Strategie.
Ukraine-Krieg als Spiegel der Beziehungen
Die aktuelle Annäherung zwischen Russland und Nordkorea, insbesondere im militärischen Bereich, könnte jedoch ein Indiz dafür sein, dass Russland seine Äquidistanz aufgibt und sich Nordkorea stärker annähert. Der Schritt fällt in eine Zeit, in der Nordkorea Russland im Konflikt mit der Ukraine unterstützt hat.
Die Intensivierung der militärischen Zusammenarbeit zwischen Russland und Nordkorea wird von Südkorea als Bedrohung empfunden und könnte die Rolle Russlands bei der Förderung der koreanischen Denuklearisierung schwächen. Ein diplomatischer Zwischenfall im Februar 2024, bei dem Südkorea Russland aufforderte, Nordkorea nicht bei seinen Rüstungsambitionen zu unterstützen, deutet auf Spannungen hin, die bereits vor dem Gipfeltreffen zwischen Kim Jong-un und Wladimir Putin im Juni 2024 spürbar waren.
Waffenkooperation zwischen Ukraine und Südkorea
Gleichzeitig zeichnet sich auch eine potentielle neue Waffenkooperation zwischen Südkorea und der Ukraine ab. Die ukrainische Regierung hat im Kontext der jüngsten Annäherung zwischen Nordkorea und Russland zuletzt deutliches Interesse an einer verstärkten Kooperation mit Südkorea gezeigt.
Im Zentrum der Diskussion steht der Einsatz von südkoreanischen Kurzstreckenraketen des Typs Hyunmoo-2B. Diese Raketen, so Experten, könnten eine Antwort auf die zunehmende Nutzung nordkoreanischer KN-23-Raketen durch Russland bieten. Die Hyunmoo-2B zeichnet sich durch ihre Fähigkeit aus, einen schwereren Sprengkopf zu tragen und weist bei gleicher Sprengkopflast eine höhere Reichweite als das nordkoreanische Pendant auf. Zudem wird die südkoreanische Rakete für ihre Präzision gelobt.
Ende der Äquidistanz?
Russische Entscheidungsträger sahen die Rolle ihres Landes lange Zeit in der Förderung einer möglichen koreanischen Wiedervereinigung. Die trilaterale wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Nordkorea, Südkorea und Russland, insbesondere in den Bereichen Energie und Eisenbahnverkehr, könnte nach Ansicht von Regionalexperten politische Spannungen abbauen, die innerkoreanischen Beziehungen stärken und die Russische Föderation in eine relativ gute Position bringen, um die innerkoreanische Zusammenarbeit zu fördern.
Dies hat sich zu ändern begonnen. Die "Summe der jüngsten Entwicklungen in den Beziehungen zwischen Russland und Südkorea", schreibt der Analyst Anthony V. Rinna für das Fachportal 38 North, "hat dazu geführt, dass Nordkorea der zugänglichste Partner Russlands auf der koreanischen Halbinsel ist".
Obwohl die Beziehungen zwischen Russland und Nordkorea derzeit stärker zu werden scheinen, wird die tatsächliche Belastbarkeit dieser Partnerschaft erst noch auf die Probe gestellt werden. Insbesondere wird sich erst zeigen müssen, inwieweit Russland bereit ist, Nordkorea militärisch zu unterstützen und damit eine Abkehr von Südkorea zu signalisieren – bisher scheint Moskau die Äquidistanz nicht völlig ad acta legen zu wollen.