Das Erfolgsrezept der AfD ist die Extreme Mitte
Seite 2: Höhenflug der Millionäre und Milliardäre
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Dieser Vorgang ist heute unstrittig. Nach dem Global Wealth Report besaß im Jahr 1970 das oberen eine Prozent der deutschen Bevölkerung (rund 800.000 Menschen) 20 Prozent des privaten Gesamtvermögens. Auch das ist schon enorm, damals war Deutschland also keineswegs eine ausbalancierte oder gar gleiche Gesellschaft.
Bis 2020 stieg der Anteil auf bis zu 35 Prozent. Die Hyperreichen, die oberen 0,1 Prozent (rund 85.000 Deutsche), können für sich heute bis zu 20 Prozent des nationalen Vermögens beanspruchen (so viel wie 1970 das obere eine Prozent). Bei den oberen zehn Prozent sind es rund 67 Prozent, das sind Zweidrittel des gesamten privaten Reichtums.
Die Betriebsvermögen liegen wie viele große Immobilien fast gänzlich in der Hand der Top-1-Prozent-Klasse. Die untere ärmere Hälfte in Deutschland besitzt dagegen praktisch kein Vermögen, abgesehen von einigen kleineren kreditfinanzierten Immobilien oder Autos.
Diese extreme Konzentration von Reichtum in den Händen sehr weniger nimmt zudem weiter zu, ohne dass gegengesteuert wird. Die Zahl der Millionäre in Deutschland stieg zum Beispiel von 2019 bis 2024 von 2,1 auf 2,8 Millionen Millionäre, ein Sprung von 30 Prozent in wenigen Jahren. Bei den Milliardären ist eine ähnliche Kurve auszumachen. 2001 gab es 69 Milliardäre in Deutschland, 2022 waren es schon 212 und im letzten Jahr dann 249 (einschließlich Großfamilien), die eine Milliarde oder mehr besitzen.
Deutschland führend bei Ungleichheit
Nach dem Global Wealth Report und anderen Studien ist die "Vermögensungleichheit in Deutschland höher als in anderen großen westeuropäischen Ländern. Der Gini-Koeffizient – er misst Ungleichheit: 100 Prozent bedeutet, alles Vermögen ist in einer Hand, bei null würden alle das Gleiche besitzen – für Vermögen in Deutschland liegt beispielsweise bei 82 Prozent, verglichen mit 67 Prozent in Italien und 70 Prozent in Frankreich".
In anderen reichen Industriestaaten ist, trotz gradueller Unterschiede, ein vergleichbarer Konzentrations- und Ungleichheitsprozess zu erkennen. Die Spaltung der Gesellschaft wächst überall in den westlichen Demokratien, von der Politik, der Extremen Mitte, bewusst in Gang gesetzt und genährt.
Noch stärker als in Deutschland ist das Ungleichheitsregime in den USA und Großbritannien ausgeweitet worden – wo die neoliberalen Programme unter Reagan und Thatcher schon in den 1970er- und 1980er-Jahren initiiert wurden, und insbesondere in den Vereinigten Staaten mit großer Härte von der Businessklasse und dem politischen Establishment implementiert wurden.
Es waren vorwiegend drastische Steuererleichterungen für die Reichen und Superreichen, also fürs Kapital, und Deregulierungen der Finanzindustrie, während die Reallöhne (die von der Inflation bereinigte Kaufkraft) der unteren und mittleren Schichten sanken und der Sozialstaat, auf den große Teile der Bevölkerung angewiesen sind, den Rückzug antreten musste.
Der "50-Billionen-Diebstahl"
Die US-amerikanische Extreme Mitte, sowohl die Republikaner wie die Demokraten, wollten es so. Die Medien feierten die Politik als dynamische Wachstumsstrategie, obwohl die Wachstumsraten wie die Produktivität danach im Vergleich zu den drei "goldenen Jahrzehnten" zuvor deutlich niedriger lag.
Die direkten Effekte dieser neoliberalen Entsicherungsmaßnahmen sind verblüffend. Eine Studie der Rand Corporation in den USA von 2020 zeigt, dass die obersten 1 Prozent der Einkommensbezieher in den USA den unteren 90 Prozent in den vergangenen Jahrzehnten 50 Billionen Dollar (50.000 Milliarden) entzogen haben.
Hätte sich die gerechtere Verteilung der rund 30-jährigen Nachkriegszeit fortgesetzt, wo die Löhne mit der Produktivität wuchsen, wäre das jährliche Gesamteinkommen der unteren 90 Prozent der amerikanischen Arbeitnehmer im Jahr 2018 um 2,5 Billionen Dollar höher gewesen, was etwa zwölf Prozent des BIP entspricht. Mit anderen Worten: Die Einkommensumverteilung nach oben hat die 1 Prozent der Top-Verdiener auf Kosten der amerikanischen Arbeitnehmer um etwa 50 Billionen Dollar bereichert.
Oder anders gesagt: Das Medianeinkommen eines Vollzeitbeschäftigten in den USA lag 2020 bei 50.000 Dollar. Hätten die Gehälter mit der Wirtschaftsleistung seit Mitte der 1970er-Jahre Schritt gehalten, läge der Medianlohn eines Arbeitnehmers heute bei rund 100.000 Dollar.
Doch die Politik und die Unternehmen blockierten die Lohnsteigerungen im Zuge des sich ausweitenden nationalen Gesamteinkommens und scheffelten immer größere Anteile davon mit "Reformmaßnahmen" (vulgo: Umverteilungsmaßnahmen) an die Hyperreichen. US-Gewerkschaften sprechen von einem "Billionen-Diebstahl" auf offener Bühne, Kritiker von einem äußerst erfolgreichen "Klassenkampf von oben".
Die Verwüstungen der sozialen Spaltung
Hierzulande hat eine ähnliche Umverteilung von unten nach oben stattgefunden, obwohl nicht in der extremen Form, wie jenseits des Atlantiks. Auch wenn es eine vergleichbare Studie wie die von der Rand Corporation für Deutschland nicht gibt: Die meisten Deutschen würden heute deutlich mehr verdienen, wenn es die neoliberale Umverteilungspolitik nicht gegeben hätte.
Der Strukturwandel, besser der Strukturbruch, hat natürlich weitreichende Auswirkungen. Studien dokumentieren die sehr negativen bis zerstörerischen Effekte von Ungleichheit. Danach erzeuge und befördere sie ökonomische Krisen und ökologische Katastrophen, verschärfe Konflikte, Kriege, globale Ungerechtigkeit und Flüchtlingselend. Kate Pickett, Professorin für Epidemiologie am Fachbereich Gesundheitswissenschaften, und Richard Wilkinson, Professor an der Universität York, untersuchen seit vielen Jahren systematisch die Auswirkungen auf den Lebensstandard in den reichen Staaten.
Ihre Forschung zeigt, zusammengefasst in den Büchern "The Spirit Level" und "The Inner Level", dass die Einkommensungleichheit – die Kluft zwischen Arm und Reich – einen starken Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen sowie auf die menschlichen Fähigkeiten und den sozialen Zusammenhalt hat. Dabei verursache Ungleichheit gesundheitliche und soziale Probleme.
Ungleichheit produziert Rechtsruck bei Wahlen
Das reiche von einer geringeren Lebenserwartung bis hin zu einem sinkenden Bildungsniveau, einer geringeren sozialen Mobilität und einem höheren Maß an Gewalt und psychischen Erkrankungen. Die Wissenschaftler argumentieren, dass Ungleichheit die Schaffung einer nachhaltigen Volkswirtschaften verhindere, um so das Wohlergehen der Menschen und des Planeten zu gewährleisten.
Vor allem produziere Ungleichheit eine Erosion von Solidarität, Vorsorge für zukünftige Generationen, den Zusammenhalt in der Gesellschaft und befördere die Neigung von immer größeren Teilen der Bevölkerung, rechte, rechtspopulistische bis rechtsextreme Parteien zu wählen – erst aus Protest, dann immer mehr auch aus Überzeugung.
Im Grunde züchten Ungleichheit und Vereinzelung unsolidarische, egoistische bis autoritär-irrationale Einstellungen. Denn wenn ein großer Teil der Menschen sieht, dass eine winzige Minderheit enorme Vermögen aufhäuft und im Luxus badet, während viele nicht wissen, wie sie angesichts der explodierenden Mieten und Preise sowie fehlender Daseinsvorsorge noch über den Monat und das Jahr kommen sollen, dann ist das Gift für jede Gesellschaft.
Wie die Extreme Mitte mit der AfD eine Allianz eingegangen ist und mit Sündenböcken der extrem rechten Partei Mobilisierungsplattformen bot, darüber morgen mehr im zweiten Teil der Analyse.