"Das Gefühl, sozial unnütz zu sein"
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Frankreich: 700.000 Personen im Alter zwischen 15 und 30 Jahren sollen "sozial isoliert" sein. Die Zahl der "sozial Verwundbaren oder Gefährdeten" ist laut einer Studie doppelt so hoch
Der Rückzug ins Alleinesein oder in die Einsamkeit wird hier und da von Literaten als Bedingung für die Entwicklung von Ideen und für gutes Arbeiten beschworen, im Leben der anderen wird das nicht unbedingt so empfunden. Gesellschaftlich ist der Rückzug ein Ausstieg aus dem sozialen Betrieb, den dieser aus naheliegenden Gründen kaum wahrnimmt. Es gibt keinen Bekannten - oder Freundeskreis, dem dies groß auffällt. Für Medien ist das nur selten ein Thema, außer wenn es um die Einsamkeit von älteren Menschen geht.
Mit dem auf Französisch beinahe schon poetisch klingenden Satz "la solitude n'a pas d'âge", trocken übersetzt mit "die Einsamkeit ist vom Alter unabhängig", weist der Sender France Info darauf hin, dass im Nachbarland 700.000 Personen zwischen 15 und 30 Jahren, etwas weniger als die Bewohnerzahl von Frankfurt am Main, in einer Situation der "sozialen Isolation" leben.
60 Prozent der Zurückgezogenen fühlen sich sozial nutzlos
Das entspreche etwa 6 % aller Franzosen in dieser Altersgruppe, so der Bericht, der sich auf eine Studie der Fondation de France bezieht, die sich als erstes philanthropisches Netzwerk in Frankreich beschreibt. Auf deren Webseite wird gleich groß und auffällig eine "Schock-Zahl" präsentiert, die einen Hauptgrund des Rückzug hervorheben soll: 60 Prozent der Jungen, die als "isoliert" oder "sozial gefährdet" beschrieben werden, fühlen sich sozial nutzlos.
Zur Unterscheidung: Die Studie, die im April und Mai dieses Jahres online 2.000 Personen im Alter zwischen 15 und 30 Jahren befragt und bei 21Personen eine Telefonbefragung durchgeführt hat, nahm den Kontakt zu fünf "Netzwerken des sozialen Umgangs" zum Maßstab: Familie, Freunde, Nachbarn und schließlich Arbeitskollegen, Klassenkameraden ggf. Mitstudierende oder andere Personen, mit denen man im Rahmen einer gesellschaftlichen oder vereinsmäßigen Tätigkeit zu tun hat.
Wer gar keinen Kontakt zu einem dieser "geselligen Netzwerke" angab, wird als "sozial isoliert" bezeichnet, und wer Kontakt nur zu einem dieser Kreise hält, wird als "sozial gefährdet" (i.O. "vulnérabilité sociale") eingestuft. Das wären anteilsmäßig auf die gesamte Altersgruppe bezogen 12 Prozent oder 1,4 Millionen junge Französinnen und Franzosen, also doppelt so viele wie die sozial Isolierten, wie die Studie hochrechnet.
Familie als erste und oft einzige Adresse
Interessant ist, dass das Phänomen laut Studie bei Frauen wie Männern etwa gleich häufig auftritt. Es werden keine deutlichen Unterschiede erwähnt. Unter denjenigen, die regelmäßigen Umgang nur zu einem Kreis pflegen, ist die Familie anteilsmäßig mit 38 Prozent die erste Adresse. Danach folgen Freunde mit 26 Prozent und Nachbarn mit 19 Prozent. Auffällig ist, dass berufliche Netzwerke mit 3 Prozent an letzter Stelle stehen.
Hinter den Zahlen stünde eine "komplexe und schmerzliche Realität", heißt es bei der Präsentation der Studie auf der Webseite, wo eine Reihe von Faktoren aufgelistet wird, die "anscheinend zum Alleinsein beitragen": der Auszug aus dem Elternhaus, das Fehlen einer Liebesbeziehung, schlechte Wohnverhältnisse oder auch eine schlechte Verkehrsanbindung, Gesundheitsprobleme. Bei den Telefongespräche hätte sich zudem gezeigt, dass mangelndes Selbstvertrauen, Komplexe wegen Übergewicht, Probleme mit Belästigungen eine Rolle spielen.
Die Faktoren werden von der Studie nicht in eine Rangfolge gebracht, es gibt prozentuale Angaben. Danach haben 61 Prozent der Zurückgezogenen das Elternhaus verlassen, was die Folgerung aufwirft, dass immerhin 39 Prozent der "sozial Gefährdeten" zurückgezogen im Elternhaus leben. Beinahe die Hälfte, 47 Prozent, sind in keiner Liebesbeziehung. Aufgefallen ist den Studienverfassern, dass der Anteil der Personen ohne höheren Schulabschluss etwas größer ist.
Bewertet oder weiter eingeschätzt werden diese Faktoren von der Studie nicht. Dennoch werden ein paar differenzierte Angaben gemacht, die das Widersprüchliche des Rückzugs andeuten. So findet sich einerseits die Aussage, dass es die knappe Mehrheit, 52 Prozent, "schmählich" findet, keine Freunde zu haben.