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Das Unwort Ökofaschismus

Reformpädagogisch wertvoll oder Vorläufer der völkischen Siedler? Kolonie Monte Verità, gegründet um 1900. Bild: Johann Adam,Meisenbach, Nachlass Kunsthaus Zürich

Wer sich mit einem Schlagwort politische Kontrahenten vom Leib halten will, muss aufpassen, dass es ihm nicht auf die eigenen Füße fällt

Der Attentäter von Christchurch nannte sich einen Ökofaschisten. Der Attentäter von El Paso1 [1] nannte sich ebenso. Für linke Gruppierungen der Umweltbewegung ist Extinction Rebellion ökofaschistisch. Diese wiederum distanziert sich von linker Militanz als, wen wundert’s, ökofaschistisch, wenn nicht gar "ökoterroristisch".

Jede Gruppe hat ihre Leitfiguren, die für die Gegenseite zum Buhmann werden. Einerseits ist das Roger Hallam [2] Mitbegründer von Extinction Rebellion, der den Holocaust relativierte, um die Klimakrise stärker zur Geltung zu bringen. Für den Ökoterrorismus kann hingegen Tadzio Müller [3] stehen, bunter Vogel der Bewegung, der jüngst verkündete: "Wer Klimaschutz verhindert, schafft die grüne RAF."

Der Ökofaschismus-Keule wird quer durch alle Fraktionen geschwungen und trifft gelegentlich auch Abweichler in den eigenen Reihen. Der Begriff wird durch inflationären Gebrauch seines Inhalts entleert. Jeder kann ihn nach seinem Gusto auslegen, sich aneignen und die verbleibende aggressive Konnotation gegen Andersgläubige richten.

Solche politischen Wortkompilation scheinen Gefahr zu signalisieren und neue Bedeutungen und Zuschreibungen zu kondensieren. So etwa die Wortschöpfung "Sozialfaschismus", die auf die deutsche Sozialdemokratie gemünzt war. Stalin erklärte damit die Partei zu einem Zweig des Faschismus. Ihm passte das ins Machtkalkül, aber der Partei tat es gar nicht gut.

Es ist genau hinzuhören, wer wie "Ökofaschismus" in seiner Rede verwendet, welches Motiv er hat. Man könnte es als Cui-bono-Frage bezeichnen: Wer ist es, der das mit welchem Zungenschlag unters Volk streut? Welchen Nutzen zieht er daraus?

Dieses mehrschichtige Hinhören ist umso nötiger, als im Zusammentreffen von linken und rechten Botschaften in der Umweltbewegung eine Seite die Regie führt. Die Rechte rückt von außen ihre Positionen an die linkslastigen Umweltorganisationen und deren Klientel in verschlüsselter Form heran. Die Verschlüsselung ist nicht zu durchschauen, weil sie als solche nirgends erscheint.

Gelogen wird mit der Wahrheit. Die Lüge wird nicht bemerkt, weil viele umweltpolitische Themen, mit denen die rechtsextremen Gruppierungen aufwarten, wortwörtlich denen der hergebrachten linken und sozial bewegten Gruppen entsprechen. Die Rechte, die auf Grün macht, hat mimetische Fähigkeiten.

Einige Themen wie Tierschutz, Vegetarismus, Kappung der Wachstumsökonomie und Zivilisationsflucht aufs Land [4] werden dabei in den Vordergrund gestellt, weil sie eingängig sind und dem grünen Wertekanon nur zu gut entsprechen.

In historischer Perspektive haben die rechten Umweltschützer sogar die älteren Rechte. Sie behaupten nicht ganz falsch, sich ihre ureigenen Themen zurückzuholen.

Die Unschärfe des Begriffs Ökofaschismus bildet einen virtuellen Raum, in dem sich linke und rechte Argumentationsmuster treffen. Sobald sich die rechte der linken umweltpolitischen Position assimiliert hat, kippt der ganze Komplex in die Realität und offenbart ein hohes faschistoides Vernichtungspotential.

Die Weltbevölkerung dezimieren

Ganz harmlos wird auf das Wirtschaftswachstum sowie die Bevölkerungsexplosion verwiesen. Sie seien ein Raubbau an der Natur. Diese ist nur zu erhalten, wenn die Weltbevölkerung dezimiert wird. Das geschieht nicht allein durch Geburtenregelung, sondern unter eugenischen Gesichtspunkten. Eine Auswahl ist zu treffen. Getroffen werden zwangsläufig die Armen und Schwachen.

Da der Schutz der Rasse in ihrer Landschaft Vorrang hat, ist die Ausmerzung alles Fremden zu betreiben. Solche Ideen stammen nicht nur von den eingangs erwähnten Attentätern, sondern prominent auch von dem verstorbenen, international bekannten finnischen Umweltschützer Pentti Linkola [5], der die Vorteile eines Genozids darin sah, der Mutter Erde zu helfen.2 [6] Das Corona-Virus assistiert dabei. Das tatsächlich zu bekämpfende Virus ist der Mensch.

Nicht anders als Linkola bestreitet der australische Sozialphilosoph Peter Singer [7] eine Privilegierung des Menschen in der Natur. Er stellt die Tierrechte faktisch höher als die Menschenrechte.

Der Mensch beutet die Tiere aus, wofür er, die Schlussfolgerung liegt auf der Hand, bestraft werden muss. Singer bringt die Euthanasie ins Spiel. Ausdrücklich rechtfertigt er die Tötung behinderter Babys.3 [8]

Die Tierrechtsdiskussion ist eine Kippfigur. Ein von einer hohen ethischen Warte aus befeuertes emotionales Engagement zum Schutz der Tiere mündet in einen Hass gegen karnivore Täter, die Tiere quälen, foltern, töten und die zur Not, im Notstandsfall, auch am Rechtssystem vorbei bestraft werden müssen.

Wer die Schuldigen sind, wird schon in dem von Goebbels inspirierten Film "Der ewige Jude" am Beispiel des Schächtens aufgezeigt. Mit solchen verschreckenden Stimulanzien wurden die Juden zugleich zu einer "Gegenrasse" stilisiert.

Dass die Nazis, vorneweg der Vegetarier Himmler, in Auschwitz, Dachau und Mauthausen Versuche mit ökologischem Landbau und veganer Ernährung durchführten, widerspricht dem nicht. Der Sozialökologe Rudolf Bahro [9] schlug 1990 den Bogen zurück von der grünen zur braunen Ökologie: "Eigentlich ruft es in der Volkstiefe nach einem neuen Adolf."

Vorurteile und Feindbilder – in der Mitte der Gesellschaft angekommen

Die Linien verlaufen nicht nur quer zwischen den Fraktionen, sondern auch längs der Geschichte. Der Naturschutz war ein Abkömmling des 1904 institutionalisierten Heimatschutzes. Dieser wurde spätestens 1933 durch den Schutz der Rasse untermauert.

Die nächste Zäsur von 1945 beeindruckte durch eine große Kontinuität in den Karrieren des Personals, das unter den Nazis für die Landschaftspflege zuständig gewesen war.

Es war gar keine Zäsur [10]. Etliche der Altvorderen tauchten in der Gründungsphase der Grünen bzw. beim BUND wieder auf. Die Zuschreibung "Ökofaschisten" war herabsetzend, aber diesmal gerechtfertigt. Sie brauchten nicht viel vom erlernten Handwerk aufzugeben. Das war scheinbar neutral. Man könnte die Frage stellen: Ist Landschaft unpolitisch?

Anastasia. Ein völkisch-antisemitischer Siedlungsmythos aus Russland. Bild: Belltower News

Wie kann der friedliche Kern der Umweltbewegung den antisemitischen, völkischen und rassistischen Kräften von rechts begegnen, wie kann sie sich der wachsenden Militanz erwehren? Einmal durch klare Abgrenzung. Das ist ein Allgemeinplatz, aber es sollte klar geworden sein, dass das immer nur zeitweise hilft.

Die Einflüsse sind subtil, und die Einflüsterer treiben Camouflage. Sie sind vor und hinter der Grenze, quer zur Grenze aktiv, und die Bedeutungen der politischen Aussagen, siehe Ökofaschismus, changieren. Sie sind anpassungs- und anschlussfähig.

Die manichäische [11] Einteilung in "wir, die Friedfertigen" auf der einen Seite und "ihr, die menschenfeindlichen Ökofaschisten" auf der anderen Seite, hält nicht lange. Hannah Arendt [12] beschreibt die Banalität des Bösen.

Adolf Eichmann ist kein Monstrum gewesen, keine zerrissene Figur, sondern ein Niemand, ein braver Beamter, der funktionieren wollte. Er war "einer von uns". Wer sich heute mit dem Unheil beschäftigt, das Eichmann anrichtete, sollte sich fragen, wie er/sie unter den gleichen Umständen sich verhalten hätte. Wohnt nicht etwas von dem Übel und dem Opportunismus in uns allen? Oder kann das mit Sicherheit verneint werden?

Aber was exkludiert wird, kommt gerade wegen des Ausschlusses um so monströser zurück. Das könnte in Eichmanns eigenes Psychogramm passen. Es könnte im kleinen Maßstab aber auch auf die Umweltbewegung zutreffen, die immer wieder aufs Neue sich politisch unerwünschter Strömungen erwehren muss, denen sie "Hausverbot" erteilt hat. Das Übel kehrt immer stärker wieder. Da die Quelle nicht erkannt wird, entsteht unbestimmter Hass. Auf wen nur?

Die Vertauschungslogik, das Quidproquo von innen und außen, ist auch das logische Grundmuster, auf dem sich Antisemitismus und Rassismus analysieren lassen. Im Umgang mit der Gesellschaft entspricht dem Anteil des Eigenen am Anderen, am Fremden, umgekehrt ein Anteil des Fremden im Eigenen.

Dieser Fremdkörper kann nach Einverleibung virulent werden. Der eigene Körper drängt auf Abstoßung, so wie erweitert "der Volkskörper" auf Abstoßung "der Juden" drängt. Auch diese Logik reproduziert sich im kleinen Maßstab - bei der Debatte um das Impfen und die Schädlichkeit des Vakzins [13].

Die Kräfte, welche die Umweltbewegung in totalitäre Denk- und Verhaltensweisen lenken mögen, schlummern ebenso in ihr selbst, wie sie von außen kommen. Wenn rechtsextreme Vorurteile in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, können sie auch in der Mitte der Umweltbewegung Platz greifen. Der Sprengsatz ist gelegt.

Die wechselseitigen Einflüsse linker und rechter Ideologeme entziehen sich weitgehend dem rationalen Diskurs. "Klimaangst" treibt die Diskutanten vor sich her. Die Kombination aus Abgrenzung nach außen und tiefenentspannter Motivforschung nach innen mag zur Aufklärung beitragen.


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[1] https://www.heise.de/tp/features/Das-Unwort-Oekofaschismus-6314919.html?view=fussnoten#f_1
[2] https://www.dw.com/de/emp%C3%B6rung-%C3%BCber-extinction-rebellion-mitbegr%C3%BCnder-roger-hallam/a-51338342
[3] https://www.report-k.de/debatte-um-gruene-raf/
[4] https://www.arte.tv/de/videos/103699-002-A/anastasia-bewegung-rueckzug-und-radikalitaet/
[5] https://de-academic.com/dic.nsf/dewiki/1090738
[6] https://www.heise.de/tp/features/Das-Unwort-Oekofaschismus-6314919.html?view=fussnoten#f_2
[7] https://www.britannica.com/biography/Peter-Singer
[8] https://www.heise.de/tp/features/Das-Unwort-Oekofaschismus-6314919.html?view=fussnoten#f_3
[9] https://www.hdg.de/lemo/biografie/rudolf-bahro.html
[10] https://www.heise.de/tp/features/Vom-Heimatschutz-ueber-den-Naturschutz-zum-Schutz-der-Rasse-4670663.html?seite=all
[11] https://www.dwds.de/wb/Manich%C3%A4ismus
[12] https://www.dhm.de/lemo/biografie/hannah-arendt
[13] https://www.heise.de/tp/features/Das-Eigene-und-das-Fremde-zur-Sozialpsychologie-der-Impfgegnerschaft-6258019.html