Das Wahlergebnis zeigt: Putin hat den Apparat im Griff

Bild: damian entwistle / CC BY-NC 2.0 Deed

Warum wurde Russlands Präsident mit einem Rekordergebnis wieder gewählt? Dafür gibt es mehrere Gründe. Einer ist die Wahlorganisation, die unplausible Resultate erzeugt.

Wahlen wurden im postsowjetischen Russland von den Behörden immer auch mit dem Ziel veranstaltet, dass die Kandidaten der Macht ein möglichst gutes Ergebnis bekommen. Manipulative Praktiken sind dabei keine Erfindung des Systems Putin.

Auch unter Jelzin gab es insbesondere bei der Präsidentschaftswahl 1996 massive Vorwürfe einer Wahlfälschung. Damals noch vom Westen gedeckt statt angeprangert, da es um einen prowestlichen Kandidaten ging.

Der Wettbewerb um das beste Ergebnis

Hierbei gibt es einen Wettbewerb unter lokalen Führungspersonen, in welcher Region das beste Ergebnis für den Regierungskandidaten herauskommt. Wie radikal die Mittel waren, die sie zur Erreichung des Zieles einsetzten, war bis 2022 stets unterschiedlich und kam stark auf die lokalen Verhältnisse an. Etwa wie viele Systemgegner vor Ort vorhanden waren oder auch wie engagiert regionale Führungskräfte wirklich zu Manipulationen greifen wollten.

Hierbei gab es jedoch Grenzen, die durch mehrere Faktoren gesetzt wurden. Zum einen die externe Beobachtung der Wahlen etwas durch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) oder von unabhängigen Organisationen wie Golos. Aber auch die Tatsache, dass es in früheren Jahren durchaus Wahlvorstände gab, die ihre Aufgabe ehrlich und sauber ausüben wollten, im Sinne des Volkes.

Es verhielt sich hier wie in anderen Behörden oder auch den Medien. Den Ton gaben bereits in den 2010er-Jahren überzeugte Putin-Anhänger unterwegs auf der Karriereleiter an. Aber überall gab es auch andere Leute, die einfach gut in ihrem Fach waren und ihre Arbeit fehlerfrei und engagiert machen wollten.

Die Zäsur

Das war so bis zu einer entscheidenden Zäsur in der inneren Entwicklung Russlands: dem Beginn der russischen Ukraine-Invasion 2022. Hier gab es zu Beginn auch öffentlichen Protest von Journalisten in Regierungsmedien, Wissenschaftlern oder Angestellten im Staatsdienst.

In der Zeit seitdem folgte unter diesen Leuten ein Exodus aus dem direkten staatlichen Bereich. Prominente Beispiele sind hier der frühere russische Diplomat Boris Bondarew oder der frühere leitende TASS-Nahostkorrespondent Ruslan Suleimanov.

Der zunehmende Fachkräftemangel in Russland sorgte für Möglichkeiten für anderweitige Jobwechsel, die nicht unbedingt öffentlich oder ins Ausland ablaufen mussten.

Ehrliche Vorstände gab es noch bis 2022

Eine analoge Entwicklung wie in Behörden und Medien gab es auch in den russischen Wahlvorständen. Ein bisheriger Wahlvorsteher aus Sankt Petersburg erklärt in einem aktuellen Artikel der exilrussischen Onlinezeitung The Insider, was ihn zur Aufgabe dieser Arbeit und schlussendlich dem Verlassen Russlands 2022 bewegte.

Schon bei Antritt dieses Jobs 2013 wurde ihm klargemacht, dass die Erreichung "bestimmter Wahlergebnisse" Teil seiner Aufgabe sei. Hierzu sei es zur Verteilung von Umschlägen mit Bargeld gekommen.

Dennoch übte er sein Amt über Jahre so korrekt wie möglich aus, ohne daraus entfernt zu werden. Auch um zu verhindern, dass gewissenlose Fälscher es übernehmen.

Wie Ergebnisse frisiert werden

Vor 2020 habe es keine direkten Anweisungen an ihn gegeben, etwa zusätzliche Stimmzettel in der Wahlurne zu versenken, und da habe er sich erfolgreich geweigert. Getrickst worden sei allgemein mit der Wahlbeteiligung, 2020 sei eine zuvor installierte Videoüberwachung deaktiviert gewesen.

Manipulierende Kollegen in anderen Stimmbezirken hätten gewusst, wie man Ergebnisse frisiert, ohne "rote Linien zu überschreiten". 2021 wurde eine mehrtägige Abstimmung eingeführt, die nach seiner Auffassung zu zusätzlichen, nächtlichen Manipulationen führte.

Das ist nicht nur seine Auffassung: Auch der zeitweilige Präsidentschaftskandidat Boris Nadeschdin hielt in einem Interview mit der Berliner Zeitung eine solche Praxis für möglich.

Das Signal von oben: Geschlossen hinter Putin

Die Kreml-Verwaltung, die stets die Wahlen im Sinne der beschriebenen Ziele koordiniert, signalisierte dann vor der aktuellen Präsidentschaftswahl, dass der Anschein eines echten Wettbewerbs, der bei früheren Urnengängen noch wichtiger war, keine so große Rolle mehr besitzt wie früher. Geschlossenheit und das Versammeln hinter der Symbolfigur Putin war das Gebot der Stunde in Kriegszeiten.

Wirklich oppositionelle Kandidaten wurden von ganz oben gar nicht zugelassen, nur echte Sparringspartner aus dem zahmen Parlament. Die dreitägige Wahl, offiziell eingeführt wegen der Pandemie, wurde auch nach deren Ende beibehalten.

Eine vorher experimentelle elektronische Abstimmung mit undurchschaubarer Auszählung wurde auf 29 Regionen des Landes ausgeweitet. Das alles war auch eine Botschaft an die Wahlvorstände, dass die Priorität des "richtigen" Ausgangs der Wahl nun gestiegen ist. Diese schossen nun, wo es um die Wiederwahl der Symbolfigur ging, schon fast über das Ziel hinaus.

Erwartungshaltung der Spitze und fehlende Beobachtung

Das Ausscheiden gewissenhafter Wahlvorstände, die weitgehend fehlende Beobachtung durch kritische, externe Kräfte und die geänderte Erwartungshaltung der Spitze führten zu den Wahlergebnissen, die nun am Sonntag verkündet wurden. Inwiefern es überhaupt ein höheres Stimmenergebnis für Putin als beim letzten Urnengang gab, lässt sich dabei schwer feststellen.

Die traditionelle Aufteilung des Wahlvolkes ist gegenüber 2018 gleich geblieben: Ältere Russen, die Putin für die Schaffung von Stabilität nach den chaotischen 1990er-Jahren dankbar sind und ihn tatsächlich in großer Mehrheit wählen. Aber auch eine vor allem in den Metropolen wesentlich regimekritischere, liberalere Jugend.

Aufgrund eines zunehmend totalitären Klimas ist der Umfang der Unzufriedenen in der Gesellschaft kaum noch durch Umfragen und schon gar nicht bei solchen "Wahlen" messbar.

Unplausible Wahlergebnisse haben zugenommen

Geändert hat sich aber die Plausibilität von Wahlergebnissen. 89 Prozent erzielte Putin bei der umstrittenen elektronischen Abstimmung dieses Mal in der Hauptstadt Moskau, die schon immer eine Hochburg oppositioneller Kräfte war.

Ähnliche Ergebnisse über dem Schnitt gab es in einer Reihe von großstädtischen Wahlkreisen, obwohl sich in den Metropolen viele an der oppositionellen Aktion "Mittags gegen Putin" beteiligten. Das offizielle Gesamtergebnis landesweit von 87 Prozent für Putin überraschte auch dessen Anhänger, die solche Werte in ihrem eigenen Bekanntenkreis gerade in Großstädten nicht wiederfinden können.

Unabhängige, freiwillige Wahlbeobachter wurden von den Vertretern der Präsidentschaftskandidaten abgewiesen. Die Einsichtnahme in noch vorhandene Videoüberwachungen wurde den Bürgern 2024 verwehrt.

Der unabhängigen Wahlbeobachtungsorganisation Golos wurden von Russen über 1.800 Verstöße gegen eine ordnungsgemäße Wahldurchführung gemeldet. Währenddessen erklärte die regierungsnahe Wahlleiterin Ella Pamfilowa, es habe keinerlei Unregelmäßigkeiten bei den Wahlvorgängen gegeben.

Premiere: Keine einzige Annullierung

In keinem der 90.000 Wahllokale sei das Ergebnis annulliert worden, eine Premiere und ein Zeichen, dass die tatsächliche Kontrolle keine Priorität mehr genießt.

Das Bild, das diese Wahl liefert, gleicht ebenso wie ihr Ergebnis dem in mittelasiatischen Despotien und übertrifft sogar das des weißrussischen Diktators Lukaschenko. Das höchste Ergebnis erzielte Putin auch in der Region, die einer solchen Despotie am nächsten kommt: In Ramsan Kadyrows mit eiserner Hand regiertem Tschetschenien waren es 98,99 Prozent.

Das Ergebnis ist auch ein Symptom dafür, dass Putins Herrschaft aktuell mitnichten zerrüttet, sondern innerhalb des Systems stabil ist. Zu jeder örtlichen Wahlfälschung braucht es jemand, der sie befiehlt, jemand, der sie durchführt, und einige, die dabei wegschauen. All das geschieht nicht innerhalb des Kremls.

Von all diesen Personengruppen sind innerhalb des Systems landesweit ausreichend bei der Wahlorganisation vorhanden, eine solche konzertierte Aktion weitgehend fehlerfrei über die Bühne zu bringen. Und innerhalb des Systems gibt es niemanden mehr, der sich traut, es zu bremsen. Die Ehrlichen haben sich von dort verabschiedet oder in die innere Emigration zurückgezogen.