Das gefrorene Paradies

Update: Nach 20 Jahren Bürgerkrieg hält in Sri Lanka seit 2002 der Waffenstillstand an - das ist nicht nur eine gute Nachricht

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Waren es 60.000 oder 100.000 Menschen, die in den letzten zwei Jahrzehnten in Sri Lanka ihr Leben lassen mussten? Es gab Zeiten, da waren exakte Zahlen wichtig. Zeiten, in denen die Öffentlichkeit im Banne des body counts stand. Heute sind die Opfer eine abstrakte Größe, wie auch das Schlachtfeld, auf dem sie zu Stande kamen. Der Konflikt ist seit zwei Jahren auf Eis gelegt, die Uhren sind stehen geblieben. Die Naturkatastrophe, die Weihnachten 2004 in erster Linie Sri Lanka beschert worden ist, hat diese Situation verschlimmert. Nicht nur mehr als 10.000 Todesopfer mussten hinzuaddiert werden. Vor allem die Starre hat einen neuen Grad erreicht. Experten schätzen, dass allein die Folgen der "Todesflut"(ZDF) 10 Jahre Genesung bedürfen.

Touristenattraktion: die Strände von Sri Lanka

Schon von weitem sind die Rhythmen zu hören. Peitschend, repetitiv, ekstatisch. Während die perkussiven Klänge an Intensität zunehmen, wird das Gedränge der Menschen dichter und schließlich nahezu undurchdringbar. Gesangsstimmen schälen sich im Klanggewirr heraus, Singhalesisch oder Tamilisch - die Amtssprachen von Sri Lanka. Das kann man dem Messeplan der Internationalen Tourismus Börse 2004 in Berlin entnehmen: Hallenlage und Nachbarstände lassen darauf schließen, dass das Spektakel in der Abteilung von Indiens kleinem Nachbarn stattfindet.

Wer sich den Weg durch die Menschen bahnt, sieht im Zentrum des Messestands zwei altertümlich anmutende, gigantische Pranken, in deren Mitte eine von gewundenen Mauern umgebene Treppe steht. An vorderer Stelle erzeugt ein Trommler die immer lauter und intensiver werdenden trance-artigen Rhythmen, umgeben von mehreren Tänzerinnen, die sich mühelos in ihren traditionellen Trachten bewegen und mit graziösen Schrittfolgen die Schönheit ihres Lands heraufbeschwören: eine von Lagunen gesäumte Insel, mit weit gespannten Tief- und Küstenebenen, einem tropischen Klima, das durch die Höhenlage gemildert ist und von südostasiatischen Monsunen beeinflusst wird. Mittlerweile aber auch von Erdbeben, die "Killerwellen" (Bild) nach sich ziehen.

Ermattet vom Trott von Land zu Land, steht das sichtlich gebannte ITB-Publikum diesen energetischen Tänzern gegenüber - zwei Pole, die einen deutlicheren Kontrast kaum bilden können: hier die in der anonymen Masse verschwindenden, disziplinierten Körper, gebunden an einen vorgezeichneten Parcours, der durch die Weltausstellung der ITB führt. Dort die sich entladende Physis, die aufgeht im symbolischen Konnex einer rituellen und traditionellen Gemeinschaft.

Riviera am Indischen Ozean

Hinter der Performance-Kulisse hat Sri Lankan Airlines seine Lager aufgeschlagen. Der Messestand ist eine Mischung aus Flugsimulator und Airport Lounge. Hier darf man für einige Minuten ausharren und sich von den Strapazen der Messe ausruhen, doch nur als Kunde ist man hier wirklich willkommen. In dieser Eigenschaft wird man von Damen in traditionellen Trachten zum Tee eingeladen, zum Sitzen in der oberen VIP-Abteilung aufgefordert und dort nicht nur mit Prospekten und schönen Urlaubsaussichten hofiert, sondern in erster Linie zum Buchen eines Fluges angehalten.

Eine Broschüre verspricht "Urlaub nach Maß" in einem "königlich leuchtenden Land". Bereits an Bord des Fliegers werde einem die unendliche Freundlichkeit der Inselbewohner zu teil. Gastfreundschaft, die Tradition hat. Bereits in der Geburtsstunde des Massentourismus lockte Sri Lankas Fremdenverkehrsamt in Frankfurt mit Slogans wie "Kommen Sie, wann immer sie wollen!" und "Sie leben billig auf Ceylon, denn Ihr Geld ist dort 55% mehr wert." Kurz bevor die Inselnation den kolonialen Namen Ceylon abstreifte und sich 1972 in Sri Lanka umbenannte, konnte vollmundig damit geworben werden, dass sie "noch nicht überlaufen" ist. Noch! Denn bereits 1970 verdrängten deutsche Urlauber die Briten von der Spitzenposition der Tourismus-Charts.

Sri Lanka veränderte in dieser Zeit sehr schnell sein Gesicht - doch eher hinter den Kulissen. Vor allem an der Südwestküste kam es zu einem in der Geschichte unvergleichlichen Bauboom. Multinationale Konzerne erwarben dort Grundstücke und Immobilien, darunter BOAC und Trust Houses Forte International, sowie globale Gastronomieunternehmen wie Holiday Inn und Intercontinental. Hotels entstanden, die so üppige Namen trugen wie "Pegasus Reef", "Coral Gardens" und "Blue Lagoon". Trotz der forcierten Entwicklung blieb man seiner Geschichte treu. Der Hotelkonzern Hyatt, der damals das aus einem Gouverneurspalast hervorgegangene "Mount Lavinia" übernahm, modernisierte und erweiterte das Anwesen, ohne dessen alten Kern zu zerstören. Die Regierung, die selbst viel in die neue Wachstumsbranche investierte, ließ mit dem "Bentota Beach" hingegen ein Hotel entstehen, das im Stil eines alten holländischen Kolonialforts entworfen war.

Die Regierung hatte bereits 1967 einen Tourismusplan ins Leben gerufen, der sehr ambitioniert war. Bis 1973 sollten 2500 neue Betten entstehen, bis 1976 sollte die Zahl um weitere 6.500 Stück aufgestockt werden. Für jenes Jahr antizipierte man immerhin 100.000 Touristen - eine Dekade früher waren es im Vergleich dazu nur 8.000 gewesen. Und so verlautbarte das weibliche Regierungsoberhaupt in jenen Tagen: "Es ist die Politik meiner Regierung, die Türen zu unserer Insel allen Touristen offen zu halten - von Osten und Westen, von Norden und Süden." Während unter diesen inklusiven Vorzeichen an der Südwestküste des Landes die Riviera des Indischen Ozeans entstand, erhärtete sich innenpolitisch immer stärker der Eindruck, dass Sri Lanka nach innen hin diese Offenheit nicht zu praktizieren gewillt war.

Symptomatisch für die innenpolitischen Widersprüche war ein Aufstandsversuch der damals noch zu großen Teilen als Geheimorganisation im Untergrund operierenden Volksbefreiungsfront (JVP). Sie war mit dem Sozialisierungstempo unzufrieden und leitete im April 1971 einen Umsturzversuch ein, der vom Militär nur mit ausländischer Waffenhilfe niedergeschlagen werden konnte und überaus blutig war. 1977 radikalisierte sich wiederum die ethnische Minderheitenbewegung der Tamilen, die im Jahre zuvor noch auf friedliche Weise versucht hatte, eine angemessene Position im politischen System Sri Lanka zu erkämpfen. Das bedeutete damals nichts weniger als ein souveränes Territorium im Nordosten der Insel. Innenpolitisch verschärfte sich die Polarisierung dahingehend, dass nur sechs Jahre später das "worst case scenario" eintrat: 1983 brach auf Sri Lanka der offene Bürgerkrieg aus.

Juweleninsel im Flammenmeer

Wie auch in anderen Ländern, die unter Kolonialherrschaft gestanden hatten, leitete nach dem Zweiten Weltkrieg der Rückzug der Briten eine wichtige Wende in Sri Lanka ein. Seit die Portugiesen 1505 ins Land gekommen waren, stand man unter Fremdherrschaft, die zunächst durch die Holländer und dann im ausgehenden 18. Jahrhundert durch die Engländer fortgeführt wurde. Nach Erlangung der Unabhängigkeit als Dominion (1948) war das Land sehr stark darum bemüht, die Kolonialzeit hinter sich zu lassen. Die Suche nach einer nationalen Identität wurde in den 1950er Jahren zum bestimmenden Moment im Wahlkampf. Und das bedeutete, dass man das multiethnische und multireligiöse Land auf sprachlicher und kultureller Ebene uniformieren wollte. Eine Einheit sollte entstehen. Zum Wahlspruch der nationalen Bewegung wurde 1956 "Sinhala Only". Die Sprache der Singhalesen, die die Bevölkerungsmehrheit stellten und die - abgesehen von den Ureinwohnern - die längste Geschichte auf der Insel zu verbuchen hatten, sollte zur Amtssprache werden.

Das World Trade Center in Colombo

Unter Hochdruck wurde in den weiteren Jahren an der Modernisierung gearbeitet, die unter sozialistischen Vorzeichen stand und so unterschiedliche Projekte wie den Aufbau einer landesweiten Infrastruktur und die Alphabetisierung zum Gegenstand hatte. Entwicklungen, die zu einer nachhaltigen Entfremdung der größten Minderheit des Landes führten: Die Tamilen, die im Gegensatz zu den buddhistischen Singhalesen, der hinduistischen Religion angehören. Sie sahen sich zusehends als Bürger zweiter Klasse. Nicht nur ihre Religion, auch ihre Kultur und Sprache wurde im neuen Sri Lanka zurückgedrängt und zweitrangig. Sie konnten mit der Selbstbeweihräucherung der Singhalesen wenig anfangen. Immerhin war ihre Geschichte auf der Insel mehr als Tausend Jahre alt und sie waren - entgegen aller diskriminierenden Fremdzuschreibungen - dem Selbstverständnis nach ein stolzes Volk von strebsamen, bescheidenen und traditionsbewussten Leuten.

Kurz, der "Sinhala Only"-Weg bedeutete die Unterdrückung der Tamilen, in deren Reihen zunächst die Tamil United Liberation Front (TULF) und dann die radikal-rebellische Organisation Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) entstand. Der gewalttätige Konflikt brach schließlich aus, als die LTTE einen Anschlag auf eine Armee-Patrouille verübten. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, da die Gemüter bereits soweit erregt waren, dass die Zentralregierung nur tatenlos zusehen konnte, als der Racheakt des singhalesischen Bevölkerungsanteils zu einem weitläufigen Massaker an Tamilen ausuferte. Hunderte von Tamilen wurden im Zuge dessen getötet, weitaus mehr mussten die Flucht in den Norden antreten. Der darauf hin entfachte Bürgerkrieg zwischen dem tamilischen Norden und dem singhalesischen Süden, konnte durch eine Intervention Indiens nicht gestoppt werden: 1987 marschierte der große Nachbar mit Hunderttausenden von Soldaten ein, die drei Jahre später nach schweren Verlusten erfolglos wieder abzogen.

Selbstmordanschlag in der Nähe des World Trade Center im Oktober 1997

Der Zweifrontenkrieg verlagerte sich darauf hin zusehends in eine asymmetrische Konstellation. Während die singhalesische Armee mit schwerem Geschütz gegen tamilische Stellungen im Norden vorging und dabei 1996 sogar die Tamilenhochburg Jaffna einnehmen konnte, zog im Süden des Landes tamilischer Terror ein. Während die "Riviera am Indischen Ozean" Bombenanschlägen und Selbstmordattentaten ausgesetzt wurde, verwandelte sich vor allem die Hauptstadt Colombo in einen Schauplatz des Schreckens. Wie sich ein Besucher erinnert, waren die sich dort bietenden Szenen um ein Vielfaches grausamer als vergleichbare Zustände in Europa:

The rebells were car-bombing Colombo skyscrapers into tiny glass shards, shreding a couple hundred of innocents in the process. The glass was falling like hard rain, unheard by the hundreds whose eardrums have exploded like an aerosol can tossed into a fire.

Neben Hotels, Stränden und Hochhäusern, wurden religiöse Stätten, Züge und Armeebaracken zu Zielen der Attacken. Als 1997 das World Trade Center in Colombo einem Anschlag zum Opfer fiel, war die Spirale der Gewalt ebenso wenig an ihrem Höhepunkt angelangt, wie der Bürgerkrieg an seinem Ende (LTTE: Befreiungstiger oder Terrorbrüder?). Umso überraschender war Anfang 2002 der Vorstoß der LTTE, die am 11. Februar eine internationale Pressekonferenz einberief und sich damit erstmals der Weltöffentlichkeit präsentierte. Sehr darum bemüht, nicht mit Terrororganisationen in eine Reihe gestellt zu werden, gab sich die LTTE-Führung staatsmännisch und untermauerte mit ihrem Auftritt einmal mehr die Forderung der Mit-1970er auf einen souveränen Staat. Norwegen, das nach Indiens Rückzieher die Vermittlerrolle übernommen hatte, leitete darauf hin einen Versöhnungsprozess ein, der im gleichen Jahre zu einem Waffenstillstandsabkommen führte, das bis heute verbindlich geblieben ist.

Jaffne ist noch immer stark zerstört

Schlachtfeld auf Eis gelegt

Der Bürgerkrieg hat eine Destabilisierung nach sich gezogen, die nicht nur die Wirtschaft des Landes betrifft, sondern auch die sozialen Strukturen. Vor allem der Nordosten ist großräumig zerstört worden. Städte wie Chavakachcheri liegen in Schutt und Asche. Selbst Kilinochi, nach dem Fall von Jaffna zur "Hauptstadt" des tamilischen Territoriums avanciert, hat unermessliche Verwüstungen hinnehmen müssen.

Die tamilische Bevölkerung ist von Armut und Unterernäherung gezeichnet. Krankheiten grassieren. Arbeitslosigkeit herrscht. Mit der Rückkehr vieler Flüchtlinge aus Indien steigt auch das Risiko der Verbreitung von HIV. Viele Minderjährige, die während des Bürgerkriegs als Kindersoldaten angeheuert haben, kehren freiwillig in die Reihen der tamilischen Armee zurück, nicht zuletzt deshalb, weil sich jenseits davon, wenig Perspektiven für sie bieten. Die Naturkatastrophe, die Weihnachten 2004 dem Land beschert worden ist, hat diese Situation verschlimmert. Neben dem Süden Sri Lankas, sind von der "Killerflut" vor allem die östlichen Küstengebiete betroffen: Großräumige Zerstörungen und Tausende von Todesopfer, bei denen es sich zumeist um Kinder und ältere Menschen handeln soll, wurden von der Armee und den LTTE-Rebellen zu Protokoll gegeben.

Die ohnehin verkrampfte Lage hat sich dadurch nicht entspannt. Gradmesser der anhaltenden Anspannung ist vor allem Jaffna. Minen, die die LTTE weiträumig verstreute, als sie sich in den 1990ern gezwungen sah, Jaffna an die gegnerische Seite abzutreten, bestimmen heute noch das Stadtbild. Detaillierte Karten stehen an Straßenecken, so genannte "mine maps", die eine möglichst friedliche Navigation im urbanen Raum ermöglichen sollen. Solche Karten könnten die nach wie vor einander feindlich gesinnten Lager des gespaltenen Landes gut gebrauchen, denn auch das politische Territorium Sri Lankas ist bis auf weiteres vermint.

Interne Machtkämpfe stellen das Beschäftigungsprogramm der beiden Pole dar und verhindern damit eine Lösung des Konflikts: Während sich die tamilische Seite mit abtrünnigen Generälen herumschlägt, steht an der politischen Spitze in Colombo ein Ringen um Einfluss an der Tagesordnung, das November 2003 sogar dazu führte, dass der Premierminister während eines Washington-Besuchs gestürzt wurde. Die Oppositionsführerin hatte in seiner Abwesenheit kurzerhand den Ausnahmezustand ausgerufen, das Parlament aufgelöst und die Macht an sich gerissen.

Velupillai Pirapaharan, der an der Spitze der LTTE steht, warnte im November 2004 vor einer Wiederaufnahme der Kämpfe, wenn der Friedensprozess weiter verzögert werde

Nach Außen hin gibt man sich derweil diplomatisch, schließlich stehen von Seiten der USA Zuschüsse in Milliardenhöhe in Aussicht. Auch das offizielle Image Sri Lankas, an dem seit 2002 hoffnungsvoll gearbeitet worden ist, soll kein Zweifel darüber aufkommen lassen, dass mit der "Löweninsel" wieder zu rechnen ist. Dass das Land nach 20 Jahren Bürgerkrieg der Außenwelt wieder zur Verfügung steht - vor allem dem Tourismus.

Das Motto eines Mobilfunkanbieters "Jaffna connected!" macht dabei deutlich, dass auch eine Ruinenstadt wie Jaffna von dieser Entwicklung nicht ausgeschlossen bleiben soll. Im Jahr 2003, als Sri Lanka stolze 500.000 Besucher verbuchen konnte, wurde dort medienwirksam eine Zweigstelle von Sri Lankan Airlines eröffnet. Die bevorstehende Rückkehr von Flüchtlingen stellt der Fluggesellschaft einen enormen Markt in Aussicht und wenn sie die Dienstleistung als wohltätigen Zweck verpacken kann, dürfte ihr sogar eine ruhmreiche Rolle beim Wiederaufbau zukommen.

Touristische Infrastrukturen erweisen sich auch nach der "Todesflut" als hilfreich. Wo strukturschwache Regionen durch das Dienstleistungsgewerbe erschlossen worden sind, bieten sich kaum andere Alternativen. Sofern nicht tödlich oder existentiell von der Katastrophe betroffen, avancieren Touristik-Unternehmer zu heroischen Helfern im Krisengebiet - der afrikanischen Spielart dieses Phänomens wurde mit "Hotel Rwanda" (2005) ein Denkmal in Celluloid gesetzt.

Die Werbeikonen von Sri Lankan Airlines lassen derweil erkennen, wie die Zukunft des Landes aussehen soll. Die strahlenden Gesichter der Flugbegleiter, die die Anzeigen zieren, sind ethnisch nicht einzuordnende, irgendwie panasiatisch wirkende Models, die auch die Werbelandschaft in anderen Industriezweigen Sri Lankas dominieren. Durch die Aufhebung von ethnischen Grenzen suggerieren diese heimatlosen Gesichter die Aufhebung des ethnischen Konflikts. Ihr Erscheinungsbild macht den Terror von gestern vergessen und lässt sich in diesem Sinne als post-historisch beschreiben. Was mit dem panasiatischen Schönheitsideal aufgehoben wird, ist demnach nicht nur der Konflikt, sondern auch Geschichte. Das könnte als Trauerarbeit ausgelegt werden: Wer heute Reiseberichte aus den 20er, 50er und frühen 70er Jahren des 20. Jahrhunderts liest, kann nur erahnen, welchen Verlust Sri Lanka durch die Entwicklungen der letzten zwei Jahrzehnte erleiden musste.

Auch die Umgebung von Chavakachcheri ist vermint

Andererseits wird man bei der Lektüre von so schwärmerischen Zeilen, wie sie Arthur Holitscher oder Paul Bowels hinterlassen haben, nicht vergessen, dass in jener goldenen Zeit auch ein ideologisches Programm geboren wurde, das Sri Lanka als buddhistisches Territorium auswies und das Land damit nachhaltig spaltete. Wenngleich unter anderen Vorzeichen, hier: denen der Werbung, lautet auch heute die Botschaft "Sinhala Only". Wie Untersuchungen von Steven Kemper gezeigt haben, besteht die Zielgruppe der Werber fast ausschließlich aus Singhalesen. Nur eine der rund 100 Agenturen in Sri Lanka wendet sich an die Minderheit: die Tamilen. Ihr Anspruch auf ein eigenständiges Territorium ist derweil nicht zuletzt im Spiegel der ausländischen Presse in Misskredit geraten - dort werden sie abschätzig als "linke Guerilleros" und "Einwanderer" bezeichnet. Ihre Kultur droht in Vergessenheit zu geraten.

Zwar liest man, dass auf den Straßen von Jaffna aus den Taxis tamilischer Rap erschallt und in so genannten "video projection halls", die heute die zerstörten Kinos ersetzen, auch tamilische Produktionen laufen. Doch ist mit der Vernichtung der städtischen Bibliothek ein Teil der tamilischen Geschichte verloren gegangen, der unersetzbar ist. Die Bücher, die heute dort ausgeliehen werden können, tragen weniger der tamilischen Tradition der Inselgeschichte Rechnung, als der Tatsache, dass das kollektive Gedächtnis an Amnesie leidet.

Diese Krankheit hat durch die "Todesflut", die Sri Lanka in Mitleidenschaft gezogen hat, ein neues Stadium erreicht. Es steht zu erwarten, dass der Touristik-Sektor nach den Höhenflügen der letzten zwei Jahre auf den Stand der späten 1980er zurückgeworfen und sich nur langsam erholen wird. Es werde lange dauern, bis Besucher wieder Vertrauen in das Inselparadies bekommen, wie Experten prophezeien. Die Rede ist von bis zu 10 Jahren.

Sri Lanka, das ist heute ein gefrorenes Schlachtfeld, auf dem seit 1983 fast 100.000 Menschen ihr Leben lassen mussten, das von Millionen von Landminen übersät ist und das unzählige Menschen heimatlos gemacht hat: UNICEF zählte vor der Flutkatastrophe 800.000 Flüchtlinge, die meisten davon Kinder. Mit dem Waffenstillstand wurde damit eine Situation auf Eis gelegt, die keine wirkliche alternative zum Kriegszustand darstellen konnte und kann. Sri Lanka verharrt im Schwebezustand, der es beiden Seiten nicht erlaubt, einen Neuanfang zu machen. Auf der Insel herrscht Stillstand. Fortschritt findet, wenn überhaupt, jenseits der Geschichte statt.