Das sind die Hintergründe der Youtube-Sperren gegen RT DE

Nach der ersten Sperre wich RT DE auf einen zweiten Kanal aus, der dann auch offline genommen wurde. Bild: Screenshot

Suspendierung bislang nicht konkret begründet. Telepolis dokumentiert Argumentation der Videoplattform und Sperrnachrichten. ZDF führt fragwürdige Beispiele an

Die Sperrung zweier deutschsprachiger Youtube-Kanäle des russischen Auslandssenders RT DE sorgt nachhaltig für Furore. Nachdem der US-Konzern die Channels mit zuletzt über einer halben Million Followern in der vergangenen Woche offline genommen hatte, war in Deutschland viel von "Desinformation" durch RT die Rede, in Russland hingegen viel von "Zensur" durch Youtube.

Mit wenigen Tagen Abstand nun lässt sich feststellen: In der polarisierten Debatte um medialen Einfluss zwischen Nato-Staaten einerseits und Russland andererseits wurden Grundsätze journalistischer Arbeit ebenso rasch über Bord geworfen wie notwendige Kritik am Vorgehen aller beteiligten Akteure sowie das Gespür für Verhältnismäßigkeit und mögliche Folgeprobleme.

Telepolis hat den Fall nachrecherchiert und ist umgehend auf Lücken in der Berichterstattung gestoßen. Das betrifft nicht nur Vorgehen und Begründung von Google, dem US-Mutterkonzern von Youtube, sondern auch die Reaktionen deutschsprachiger Leitmedien auf die Sperrung der Video-Kanäle.

Konstatiert werden muss zunächst: Obwohl deutsche und internationale Medien über die Maßnahme ausführlich berichteten, ist knapp eine Woche nach der Google- bzw. Youtube-Entscheidung völlig unklar, was genau zur Abschaltung der beiden Kanäle geführt hat.

Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) führte in einer Meldung am Mittwoch der vergangenen Woche vormittags als Begründung für die Sperrung in einer recht direkten Übersetzung aus dem Englischen "Missinformation im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie" an.

In einem ausführlicheren dpa-Text am Abend desselben Tages hieß es, Youtube habe die Channels RT DE und Der fehlende Part "wegen Verstoßes gegen seine Richtlinien bei der Berichterstattung über die Corona-Pandemie gesperrt".

Haben sich alle Medien, die über den Fall berichteten, mit einer pauschalen und wenig aussagekräftigen Begründung des US-Konzerns zufriedengegeben? So scheint es: Offenbar hat niemand bei Google oder RT DE nachgefragt, welche Art von Desinformation letztlich zu der Abschaltung der Videokanäle geführt hat, also was genau die Sanktion rechtfertigte.

Youtube gibt keine weitere Auskunft zu Verstößen von RT DE

Die Pressestelle des US-Konzerns versandte auf Mediennachfragen Textbausteine auf Englisch und einen deutschen Passus. "Bei YouTube gelten seit jeher klare Community-Richtlinien, welche definieren, was auf der Plattform erlaubt ist und was nicht", hieß es darin, und: "RT DE hatte einen Strike für das Hochladen von Inhalten erhalten, die unsere Richtlinie gegen Covid Misinformation verletzt haben."

Mit "Strike" ist eine Verwarnung gemeint. Nach mehreren solcher Verwarnungen erfolgt der Ausschluss von der Plattform.

Textbausteine von Youtube

Weder der deutsche Text noch die angefügten englischsprachigen Erklärungen aber ließen erkennen, welche "Desinformationen", "Misinformation" oder "Fake-News" letztlich zur Abschaltung geführt haben.

Das war kein Versehen. Auf Nachfrage von Telepolis, wie genau welcher Beitrag von RT DE gegen welche Teile der Richtlinien verstoßen habe, gab es keine inhaltliche Auskunft. "Ich kann Ihnen leider darüber hinaus keine weiteren Infos zur Verfügung stellen", antwortete der freundliche Youtube-Sprecher.

Wir hakten bei der Gegenseite nach. Das Ergebnis: Nach den Sperrmeldungen, die bei RT DE eingingen, beanstandete die US-Videoplattform vier hochgeladene Videos. Dabei handelte es sich um Online-Beiträge, die für Youtube eingelesen und mit einem Standbild versehen wurden – als eine Art Video-Podcast. Die entsprechenden Textbeiträge stehen bei RT noch online:

Sperrvermerke von Youtube an RT DE (4 Bilder)

"PCR-Test weist keine Infektion nach" – Immunologe Stadler erneuert Kritik nach COVID-19-Genesung, 23.08.2021. Bild: Screenshot Youtube
  • "PCR-Test weist keine Infektion nach" – Immunologe Stadler erneuert Kritik nach COVID-19-Genesung, 23.08.2021;
  • Corona-Ausschuss: "Nehmt das Zeug vom Markt", 20.06.2021;
  • Pharmaunternehmer will sich nicht gegen Corona impfen lassen: "Will nicht meine DNA verfälschen", 26.05.2021;
  • Epidemiologe Friedrich Pürner: "Klärt die Leute gut auf, die ihr impft", 27.02.2021.

Die Beiträge waren teilweise nicht nur mehrere Monate alt. Den Text über einen impfkritischen griechischen Pharmaunternehmer übernahm RT DE weitgehend von Telepolis. Unser Kollege Wassilis Aswestopoulos hatte für den nachrichtlichen Text aus der griechischen Tagespresse zitiert und die Quellen verlinkt, konkret die Portale athensvoice.gr und topontiki.gr.

ZDF führt eigene Beispiele von "Desinformation" an

Der Fall wirft Fragen auf, was in der Corona-Pandemie als "Desinformationen", "Misinformation" oder "Fake-News" gewertet und gegebenenfalls sanktioniert wird. Führende Medien stellten diese Fragen im Streit um die Youtube-Sperren gegen RT DE aber kaum.

Das ZDF jedenfalls berichtete am 29. September tagesaktuell über die Videosperren und führte in einer Sendung des Nachrichtenjournals heutehier ab Minute 08:53 – zwei eigene Beispiele für, wie es hieß, "Desinformation" des russischen Auslandssenders an.

"Geisterfahrer Lauterbach? 'Könnten Sport komplett verbieten'", heißt eine der als "Desinformation" angeführten Überschriften. Doch ist das Beispiel belastbar? Der Satz stammt aus einem dpa-Interview vom 23.11.2020. Der Originalpassus:

dpa: Falls sich die Fallzahlen nicht gut entwickeln, was dann?

Karl Lauterbach: Dann könnte ich mir gut vorstellen, dass wir den Freizeitsport und auch den Profisport, zumindest den Hallensport, komplett verbieten.

Sicher, in der inkriminierten Schlagzeile ist die Aussage des SPD-Politikers verkürzt wiedergegeben worden. Aber der Konjunktiv ("könnte"/"könnten") ist beibehalten, ebenso der Plural ("wir") und "Freizeitsport" sowie "Profisport" wurden zu "Sport" zusammengefasst.

Im Text zitiert RT DE die Aussage dann in Gänze. ZDF-Sprecher Stange bleibt auf Nachfrage dennoch bei der Position seines Hauses: "Das von RT als wörtliche Rede verbreitete Zitat ist falsch."

Auch die Einstufung einer RT-Meldung über eine Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verteidigt Stange. "Bitte Gürtel enger schnallen! – Bundespräsident Steinmeier stimmt Deutsche auf Entbehrungen ein", hieß es dort in der Überschrift. "Das hat Bundespräsident Steinmeier nie gesagt", heißt es in dem heute-Beitrag.

Das hat RT aber auch nicht behauptet - der Satz steht ohne Anführungszeichen. "RT hat dieses erfundene Zitat mehrmals zu verbreiten versucht", so auch in der Bundespressekonferenz, beharrt ZDF-Sprecher Stange gegenüber Telepolis.

Unterschiedliche Bewertungen von Medienexperten

Wie sehen Medienexperten den Fall? Als "grenzwertig", aber "nicht gerade aussagekräftige Beispiele" bezeichnet Monique Hofmann, Bundesgeschäftsführerin der Deutsche Journalistinnen- und Journalisten Union (dju) in der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di die Steinmeier-Titelzeile.

Es handele sich zwar nicht um ein Zitat, aber "in der Darstellung und auch durch das Ausrufezeichen am Ende würde ich schon sagen, dass der und die Durchschnittsleser:in das als Zitat auffasst", so Hofmann.

Beim Lauterbach-Zitat sei die Aussage verkürzt, aber inhaltlich nicht verfälscht worden. "Durch die Kennzeichnung als wörtliches Zitat ist es natürlich trotzdem nicht korrekt", so die dju-Bundesgeschäftsführerin.

Für "Peanuts" indes hält die Journalistik-Dozentin und Leiterin des in Berlin ansässigen Instituts für Medienverantwortung, Sabine Schiffer, die ZDF-Kritik an RT DE. Schiffer ist sich sicher: Die beiden Zitate dürften kaum als Beweise für gefährliche Verschwörungen bezüglich der Corona-Pandemie ins Gewicht fallen und fragt im Telepolis-Beitrag: "Warum aber kapriziert sich das ZDF auf diese Belanglosigkeiten und bedienen damit den Verdacht, dass man mit Faktenchecks schön an relevanten Aspekten vorbeirecherchieren kann?"

Ob RT DE die Zitate legitim wiedergegeben hat oder das ZDF über das Ziel hinausgeschossen ist, bleibt also Gegenstand von Debatten. Angemerkt aber werden muss, dass beim ZDF selbst klarere Verstöße festgestellt worden sind, etwa durch die gerichtlich festgestellte Manipulation eines Zitats des ehemaligen FAZ-Herausgebers Hugo Müller-Vogg vor knapp einem Jahr, oder mehrfach beim Satire-Polit-Journal heute show und bei übersetzten Stellungnahmen.

Ein Unterschied würde nur dann bestehen, wenn man RT DE Vorsatz nachweist, eine politische Mission also. Dieser Nachweis steht aus. Ergo: Entweder betreibt auch das ZDF Desinformation oder RT DE nicht. Alles andere ist Glaubenssache.

Das alles bedeutet nicht, dass RT DE stets sauber arbeitet, etwa, wenn, wie Telepolis berichtete, von einem "Impfmassaker" in Norwegen geschrieben wird. Auch kann man kritisieren, dass Zitate wiederholt grenzwertig zugespitzt worden sind. Aber rechtfertigt das eine bis heute unbegründete und unhinterfragte Sperrung zweier Videokanäle mit hunderttausenden Followern? Und den Vorwurf von "Desinformation"?

Der Umstand, dass die Youtube-Vorwürfe zum geopolitische Narrativ von EU und Nato gegenüber RT DE und damit Russland passen, scheint in manchen Redaktionen zum Trugschluss zu führen, dass auf gängige Nachfragen und Belege verzichtet werden kann. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall.

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