Der "Fake News"-Vorwurf gegen RT DE – und wie wir alle manipulieren
Medien sind Tendenzbetriebe. Die Tendenz von RT DE wirkt aus geopolitischen Gründen widersprüchlich und die Qualität schwankt. Aber gibt es ausreichend Gründe für eine Sperre?
RT DE ist dafür bekannt, Kritik an der deutschen Regierungspolitik aus allen Richtungen abzubilden - sei sie nun links oder rechts, seriös oder unseriös. Unkommentierte Livestreams gab es seit dem Start des deutschsprachigen russischen Auslandssenders sowohl von linken Protestaktionen gegen Gipfeltreffen der Mächtigen wie den G-7-Gipfel 2015 in Elmau als auch von ultrarechten Pegida-Demos in Dresden.
"Wir von RT Deutsch verstehen diese Übertragung als ein journalistisches Angebot, sich selbst ein Bild von der Demonstration zu machen", hieß es zur Begründung, während etliche Linke die Position vertraten, rassistischen Parolen solle keine größere Reichweite verschafft werden. Einige lehnten deshalb auch Interview-Anfragen von RT DE ab, andere hielten es für klüger, die Reichweite des Senders auch für linke Positionen zu nutzen.
Vor diesem Hintergrund kann auch die Abbildung von Positionen und Demos der "Querdenker"-Bewegung gegen die Corona-Maßnahmen durch RT DE nicht so verstanden werden, dass sich der Sender deren Aussagen komplett zu eigen macht.
Opposition im Spiegel des geopolitischen Freund-Feind-Schemas
Diese "Redaktionslinie" hat RT DE nicht erfunden. Es gibt sie "spiegelverkehrt" auch bei größeren deutschen Medien, die sich erst mal für alle Gruppen und Personen interessieren, die in Russland gegen Präsident Wladimir Putin und die Regierungspartei sind. Momentan dürften sie dabei ins Grübeln kommen, weil dort mit dem Wahlerfolg der Kommunistischen Partei die soziale Opposition stärker geworden ist und die prowestliche ihren Einfluss nicht ausbauen kann.
Ein rein geopolitisches Freund-Feind-Schema kann aber grundsätzlich dazu verleiten, erst einmal jede Art von Opposition innerhalb des gegnerischen Machtblocks zu hypen - nicht unbedingt durch Übernahme ihrer Positionen, aber zumindest durch Erhöhung ihres Bekanntheitsgrads mit einer Reichweite, die man der Opposition in "befreundeten" Staaten eher nicht zuteil werden lässt. Kritikwürdig ist das, weil es auf beiden Seiten nicht um das Wohl der Bevölkerung geht, sondern nur um die Schwächung der jeweils anderen Regierung und die Interessen der Mächtigen.
Beispiel Impfkampagne
Auffällig ist in der Berichterstattung von RT DE zur Corona-Pandemie, dass Vorbehalten gegen alle hier verfügbaren Covid-19-Impfstoffe auch in redaktionellen Inhalten sehr viel Raum gegeben wird. Das entspricht nicht gerade der russischen Staatsdoktrin für das eigene Land, denn dort läuft eine Impfkampagne mit einem Vakzin, das nach Aussage deutscher Fachleute auf derselben Wirkungsweise basiert wie der hier verwendete Impfstoff von Astrazeneca.
"Zweierlei Maß" in der Berichterstattung kann RT DE also vorgeworfen werden - aber das ist keine russische Spezialität; und das allein rechtfertigt auch keinen "Fake News"-Vorwurf wegen medizinischer Desinformation. Mit der Präsentation von Belegen hierfür tat sich das ZDF nach der Sperrung und Löschung beider Kanäle von RT DE durch die Google-Tochter Youtube in dieser Woche tatsächlich schwer oder recherchierte nicht sorgfältig. Angeblich falsche Zitate deutscher Politiker erwiesen sich dann doch als inhaltlich korrekt, nur nicht als buchstabengetreu - was für RT DE eine Steilvorlage war, den Vorwurf der Desinformation zurückzugeben, wenn auch mangels Videokanälen erst mal nur in Textform.
Sehr viel problematischer war ein RT-DE-Artikel Anfang des Jahres, in dem tatsächlich von einem "Impfmassaker" in Norwegen die Rede war. Anlass war die international beachtete Meldung, dass dort mindestens 23 alte Menschen kurz nach der Impfung gegen Covid-19 gestorben waren. Obwohl es zu diesem Zeitpunkt keine eindeutigen Belege für Impfnebenwirkungen als Sterbeursache gab, hatte die staatliche Arzneimittelbehörde in Norwegen daraufhin ihre Impfempfehlungen überarbeitet und für "sehr gebrechliche" und "terminal kranke" Patienten "eine gründliche Abwägung von Nutzen und Nachteilen der Impfung" empfohlen.
Dieses Beispiel liegt nun ein Dreivierteljahr zurück und wurde zunächst nicht als Grund für die Löschung der Kanäle von RT DE genannt.
Abgesehen davon sind nicht alle Berichte, durch die ein falscher Eindruck von der Häufigkeit schwerer Impfkomplikationen entstehen kann, als solche unbelegt oder nachweislich falsch, weder bei RT DE noch in anderen Medien. Ähnlich wie in der Kriminalberichterstattung von Boulevardmedien können besonders erschütternde Fälle unabhängig von ihrer Häufigkeit Leserinnen und Zuschauer ängstigen. Die trockene Statistik, falls es sie gibt, weckt dagegen einfach weniger Interesse.
In Textbeiträgen auf der Internetseite von RT DE wird außerdem häufig betont, dass die hier verwendeten Covid-19-Vakzine nur bedingt zugelassen sind - was allerdings Tatsache ist. Laut der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA bedeutet das beispielsweise strengere Kontrollen bei der Produktion und eine "strenge Überwachung der Sicherheit des Arzneimittels". Letzteres wegzulassen, mag für Menschen, die selbst keinerlei Bedenken gegen die Impfstoffe haben, vielleicht tendenziös klingen. Aber Medien sind generell Tendenzbetriebe, per Definition auch im deutschen Arbeitsrecht. Die Tendenz von RT DE mag aus den genannten Gründen widersprüchlich sein, aber das darf sie.
Der Unterschied zwischen "Fake News" und alltäglicher Manipulation
Als Medienschaffende "manipulieren" wir alle schon durch die Auswahl unserer Themen. Wenn wir uns für eines entschieden haben und in einer Gerichtsverhandlung 35.000 Zeichen mitschreiben, veröffentlichen wir in der Regel nicht 35.000 Zeichen, sondern treffen eine Auswahl und hoffen, damit die richtigen Schlüsselmomente herauszuarbeiten. Auch diese Auswahl kann bewusste oder unbewusste Manipulation sein.
Wenn wir persönlich Angeklagte schon vor dem Urteil für Täter halten, dürfen wir laut Pressekodex nicht als Tatsache behaupten, dass sie es sind, sofern sie nicht gestanden oder die Tat vor den Augen der Öffentlichkeit begangen haben. Große Boulevardzeitungen pfeifen darauf immer wieder. Aber auch Kolleginnen und Kollegen, die sich an den Pressekodex halten, können diese Überzeugung durchklingen lassen - zum Beispiel, indem sie entlastenden Aussagen weniger Gewicht beimessen und sie weniger ausführlich zitieren.
Wer auf Kriminalberichterstattung spezialisiert ist und über spektakuläre Mord- und Vergewaltigungsfälle berichtet, kann bei der Wahrheit bleiben und trotzdem einen falschen Eindruck von der Häufigkeit solcher Verbrechen oder dem typischen Tatort erwecken. Das kann übersteigerte Ängste hervorrufen, sich an bestimmte Orte zu begeben. Das muss aber weder journalistisch beabsichtigt sein noch verdient es die Bezeichnung "Fake News".
Gleiches gilt für die Berichterstattung über schwere Impfkomplikationen, die es tatsächlich gegeben hat: Wenn dazu keine falschen oder nicht belegbaren Zahlen genannt werden und bei Zuschauern oder Leserinnen trotzdem ein falscher Eindruck vom statistischen Risiko solcher Komplikationen entsteht, ist das noch keine Desinformation, die Zensur rechtfertigen würde.
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