Siege ohne Glanz bei Duma-Wahl in Russland

Der Einfallsreichtum der Regierungspartei bei der Gestaltung ihrer Wahlplakate hielt sich in Grenzen. Foto: Engelbert Humperdink / CC-BY-SA-4.0


Die Regierungspartei Einiges Russland verdankt Mehrheit im Parlament dem Wahlsystem und der Fünf-Prozent-Hürde. Eine neue Kraft überspringt diese. Kommunisten legen deutlich zu

Bei der Wahl zur russischen Staatsduma am Wochenende verteidigte die Machtpartei "Einiges Russland" mit gewissen Verlusten ihre Mehrheit im Parlament. Die größte Überraschung des Urnengangs ist eine neue Kraft, die es voraussichtlich über die Fünf-Prozent-Hürde schaffte.

Nach Auszählung von 80 Prozent der Stimmen entfielen auf die staatstragende Kreml-Partei "Einiges Russland" 49,4 Prozent. Als 90 Prozent der Stimmen ausgezählt waren, stieg deren Anteil auf 49,7 Prozent - 4,5 Prozentpunkte weniger als bei der letzten Wahl 2016. Aufgrund der Zersplitterung eines relativ hohen Stimmenanteils auf Kleinparteien ohne Sitze dürfte das reichen, um "Einiges Russland" eine deutliche Mehrheit zu verschaffen.

Sieg für die Macht mit "Gschmäckle" und ohne Prominenz

Dass es sich hier aber nicht um einen glänzenden Sieg der Macht handelt, hat vor allem zwei Ursachen. Zum einen lag die Wahlbeteiligung bei gerade 45 Prozent. Angesichts der Tatsache, dass Behördenbeschäftigte und andere potenzielle Wählergruppen von "Einiges Russland" massiv (mit Geldgeschenken vor der Wahl) zum Urnengang gelockt oder sogar am Wahltag gedrängt wurden, ist das eine sehr niedrige Mobilisierung. "Einiges Russland" profitierte hier lediglich von einer ebenso schwachen Konkurrenz, die wie sie nicht mehr Leute für sich zur Abstimmung trieb.

Zum anderen gibt es nicht nur von Seiten oppositionsnaher Wahlbeobachter eine ganze Reihe von Berichten über Wahlmanipulationen vor Ort - vor allem zusätzliche, schon für die Machtpartei vorausgefüllte Stimmzettel - so dass nicht ganz klar ist, wie viel des prozentualen Stimmenanteils der Partei "echt" sind. Bei Exit-Polls nach der Wahlhandlung war das Ergebnis der Machtpartei noch bei etwa 40 Prozent gelegen - ob der Unterschied an Schwindeleien oder der Ungenauigkeit solcher Polls liegt, ist ein Glaubenskrieg, den die Medien je nach ihrer eigenen Überzeugung in den nächsten Tagen ausfechten werden.

So richtig in Feierstimmung war denn "Einiges Russland" auch nicht - Parteichef Medwedjew ließ sich bei der Wahlparty ebenso wenig sehen wie die Spitzenkandidaten und amtierenden Minister Lawrow und Schoigu. Präsident Putin selbst befindet sich aktuell coronabedingt in Selbstisolation.

Kommunisten legen zu

Dass aber auch Wahlen in Russland nicht nach einem Skript aus dem Kreml verlaufen, sondern schon der Wählerwille hier den größten Einfluss besitzt, zeigen die Ergebnisse anderer Parteien. So holen sich die Kommunisten nach aktuellem Auszählungsstand 19,6 Prozent der Stimmen, damit gut sechs Prozentpunkte mehr als bei der letzten Wahl und das beste Ergebnis seit dem Millennium. Es dürfte daran gelegen haben, dass sie mit mehr jüngeren Kandidatinnen und Kandidaten und einem etwas aufmüpfigeren Kurs gegenüber dem Kreml in den Wahlkampf gegangen sind.

So haben sie sich erstmals auch nennenswert Stimmen außerhalb ihres immer älter werdenden Stammwähler-Milieus aus Sowjetzeiten geholt. Inwieweit die Smart-Voting-Kampagne des Oppositionellen Alexej Nawalny, die häufig die Wahl von Kommunisten favorisierte, einen Einfluss hatte, wird Teil des nächsten Glaubenskriegs zwischen diversen Medien bei der Wahlinterpretation sein.

Brave Systemopposition lohnt sich nicht

Dass zu viel Bravheit gegenüber dem Kreml anderen Parteien schadet, beweist jedoch auch Wladimir Schirinowskis populistische LDPR. Die Partei glänzte in den letzten Jahren vor allem durch markige Sprüche, ließ jedoch jeden echten Oppositionsgeist gegenüber den Mächtigen vermissen und stimmte meist im Parlament für die Vorhaben der Regierung. Sie stürzte dementsprechend von 13,1 auf voraussichtlich um die 7,5 Prozent der Stimmen ab. Nur regional, etwa in Chabarowsk, wo sie vor Ort ein wenig kritischeres Image besitzt, konnte die LDPR Erfolge feiern und dort den Gouverneursstuhl erneut für sich sichern.. https://www.kommersant.ru/doc/4995645. Der frühere LDPR-Amtsinhaber Furgal war von Moskau unter heftigem örtlichem Protest 2020 abgesetzt worden.

An der Sieben-Prozent-Marke trifft die LDPR dann auf eine weitere Kraft, die ebenfalls mehr nur dem Namen nach Opposition betreibt - die linksnationalistische Partei "Gerechtes Russland" liegt bei aktuell 7,4 Prozent. Sie gilt laut dem russischen Politologen Makarkin als die Kraft für Wähler, die zwar Putin, aber nicht dessen eigene Partei unterstützen wollen und hat sich mit einer Dreierfusion aus drei schwächelnden kremlnahen Kräften ins Parlament gerettet.

"Neue Leute" voraussichtlich im Parlament

Eine echte Überraschung beim aktuellen Auszählungsstand ist, dass mit der Partei "Neue Leute" eine fünfte Partei die Fünfprozenthürde überspringt und in die Staatsduma einzieht. Die Nowy Ludi, wie sie im Original heißen, überzeugten offenbar viele Wähler mit einem modernen Auftreten und einem wirtschaftsliberalen, auf Kleinunternehmer zugeschnittenen Programm, das inhaltlich stimmig ist.

Auch gibt es in Russland durchaus Wähler, die "Neue Leute" für ihr Parlament wünschen und wo die zielgerichtete Kampagne der "Neuen Leute" auf fruchtbaren Boden fiel. Aufgrund der Doppelmitgliedschaften ihrer Führung in kremlnahen Vereinigungen steht die Partei jedoch im Verdacht ein "Spoiler" zu sein, also keine echt oppositionelle Kraft, sondern ein Projekt des Kreml, um unzufrieden Gestimmte nicht an "echte" Opposition zu verlieren.

Debakel für Liberale von "Jabloko"

Weitere Parteien, denen verschiedene Beobachter diesen Sprung zugetraut hatten, schafften ihn nicht. Etwa die Liberalen von Jabloko, obwohl sich andere Progressive, die gar nicht angetreten waren, für die Partei aussprachen. Jabloko erzielte im Gegensatz dazu voraussichtlich mit gut einem Prozent ein historisch schlechtes Ergebnis. Zwar war sie durch den Ausschluss zahlreicher Kandidaten durch örtliche Wahlkommissionen geschwächt - jedoch dürfte es angesichts des neuen Einbruchs der früheren Parlamentspartei weitere Ursachen für ihr schlechtes Abschneiden geben.

Der Jabloko-Vorsitzende Grigori Jawlinski hatte sich vor der Wahl sehr kritisch über Nawalny und dessen Bewegung geäußert, was ihm oppositionell gestimmte, urbane und junge Liberale negativ nachgetragen haben dürften. Zwar ist Nawalnys persönliche Anhängerschaft überschaubar, die massiven Repressionen gegen ihn werden jedoch von nahezu allen liberal gesinnten Russen verurteilt und Jawlinskis Diss gegen ihn kam daher zur Unzeit. Auch die russische "Partei der Rentner", der man zeitweise einen Parlamentseinzug zugetraut hatte, landet bisher bei vergleichsweise mageren 2,6 Prozent.

Alles in allem wird die russische Regierung mit dem Wahlergebnis zufrieden sein. "Einiges Russland" hat seine Aufgabe mit den schon von früheren Wahlen gewohnten Methoden erfüllt. Zwischenzeitliche Überlegungen, die Partei aufzulösen und eine neue Machtbasis zu schaffen dürften damit erst einmal vom Tisch sein.

Inwieweit im Parlament echte Opposition stattfindet, dürfte vor allem von den Kommunisten und verschiedenen kritischen Einzelbewerbern abhängen, die den Parlamentseinzug unabhängig von einer erfolgreichen Parteiliste schafften - und von den "Neuen Leuten", die nun beweisen müssen, ob es sich wirklich um eine neue Kraft oder nur eine Tarnliste des Establishments, wie von der Opposition angenommen, handelt.