Sind Wahlergebnisse in Russland "echt"?

Nicht hundertprozentig korrekt, aber die Richtung stimmt: Eine Wahlurne im "Haus der Kultur" in Kropotkin / Russland. Foto: Roman Kubanskiy / CC BY-SA 4.0

Duma-Wahl: Die Dominanz der Establishment-Partei begünstigt zwar Manipulation, kann aber den Wählerwillen nicht ins komplette Gegenteil verkehren

Eine Frage, die sich bei Wahlen in Russland - wie auch in anderen Ländern - immer stellt ist, inwieweit das Ergebnis der Abstimmung dem tatsächlichen Willen des Volkes entspricht. Ein Problem bei den Wahlen in Russland ist unzweifelhaft, dass es mit "Einiges Russland" eine Partei gibt, hinter der sich praktisch das gesamte politische Establishment versammelt, darunter die Spitzen der mächtigen Bürokratie, etwa der Verwaltung, Geheimdienste oder Staatsunternehmen.

Zum einen ist es damit vorprogrammiert, dass eventuelle Manipulationen immer zugunsten dieser Partei geschehen. Zum anderen gibt es dadurch bereits den Anreiz zur Manipulation vor Ort im Wahllokal durch die Helfer, ein für die eigene Obrigkeit "möglichst gutes" Ergebnis hinzufrisieren, um vor der Führung zu glänzen. Denn die Helfer stammen - wie in Deutschland - mit Ausnahme von Parteivertretern - aus eben jener Verwaltung, die "Einiges Russland" dominiert.

Plumpe Fälschungsversuche dokumentiert

So sind bei der aktuellen Duma-Wahl dokumentierte plumpe Verfälschungen recht einfach zu erklären. Sie bestehen, wie bei per Video dokumentierten Fälschungsversuchen in Kemerovo, Kalmückien und Sankt Petersburg vor allem durch den Einwurf zusätzlicher Stapel von Wahlzetteln in die Urne - wahrscheinlich mit Kennzeichnung für die Regierungspartei. In Kemerovo kam es deshalb auch zur Annullierung eines Teilergebnisses. Dabei werden bei einigen Vertretern der mittleren Führungsebene vor Ort solche Manipulationen unzweifelhaft positiv gesehen - Berichte existieren über eine Deckung solcher Manipulationen durch eine kurzfristige Deaktivierung von Überwachungsmaßnahmen - Stromausfälle in Wahllokalen werden für das Wahlwochenende mehrfach berichtet.

Ob die wirkliche Spitze der Bürokratie im Kreml vor allem so leicht nachweisbare Versuche der Manipulation gutheißt, die letztendlich die Legitimität der Wahlen insgesamt in Frage stellen, darf bezweifelt werden. Fraglich ist jedoch, ob sie immer so sanktioniert werden, dass dies weitere Manipulierer abschreckt, oder ob sie, wenn sie nicht zu plump gemacht sind, für ein "gutes" Ergebnis auch mal billigend in Kauf genommen werden. Anders ist die große Anzahl der bei jeder Wahl aufgedeckten Schwindeleien durch amtliches Zählpersonal nicht erklärbar.

Trotzdem kein kompletter Schwindel

Es ist aber falsch, den Eindruck zu erwecken, die Wahl sei ein kompletter Schwindel, bei dem der "Kreml" vor der Auszählung das Ergebnis schon wisse, wie es die Tagesschau in einer Überschrift pauschal unterstellt. Im Gegensatz dazu beweist gerade die Manipulationstätigkeit "von unten" und die Geschäftigkeit des Polit-Establishments im Wahlkampf, dass man sich eben über den Wahlausgang nicht vorab sicher ist.

Etwa deshalb wurden populäre Oppositionskandidaten abgewiesen oder auch ein faktischer Abstimmungszwang für besonders regierungsnahe Bevölkerungsgruppen wie Behördenbeschäftigte erzeugt. Hinzu kam die Schaffung von Abstimmungsmöglichkeiten für schnell ernannte Russen in den Rebellengebieten im Donbass, wo mit einem hohen Stimmenanteil für die Regierungskräfte gerechnet wird.

Auch in Russland kannte man das Ergebnis erst nach der Auszählung. Denn die Wahlen dort sind nach wie vor frei und geheim (man kann in einer ordnungsgemäßen Kabine ankreuzen was man will und wirft dann selbst ein) und bei allen kleinen Schwindeleien stammt die Mehrheit der Wahlzettel in den Urnen von echten Wählern. Auch unzufriedene Behördenbeschäftigte stimmen insgeheim für Gegenkandidaten, nicht alle populären Oppositionellen konnten von der Wahlteilnahme abgehalten werden. Alexej Nawalnys taktische "Smart-Voting"-Kampagne konnte trotz vieler Versuche nicht ganz unterbunden werden und stärkte die jeweils in den Wahlkreisen populärsten Gegenkandidaten der Kreml-Partei.

Der Wählerwille wird verfälscht, bleibt aber bestimmend

So entspricht das Ergebnis nicht genau dem Wählerwillen, kann ihn aber auch nicht ins Gegenteil verkehren und wird nicht von oben diktiert. Wie viel Prozent die Mächtigen schaffen, sich selbst hinzuzuschwindeln, ist dabei weitgehend spekulativ. Auch arbeitet die oberste Wahlaufsicht unter Ella Pamfilova, die Manipulationen kraft ihres Amtes verhindern soll, engagiert - wenn dort offensichtliche Verstöße aufschlagen, wird ihnen nachgegangen.

Unabhängige Wahlbeobachter von Golos, der "Bewegung zum Schutz der Wählerrechte", wurden zwar von anderen Behörden wegen ihrer Finanzierung als Auslandsagenten gebrandmarkt, arbeiten jedoch dennoch auf ihre Einladung mit dieser zentralen Wahlkommission zusammen berichtet der oppositionelle TV-Sender Doschd.

Von der Wahlkommission offiziell erfasste Verstöße gegen die reguläre Wahlordnung bleiben nicht ungeahndet. Der Leiter eines Wahllokals in der Region Stawropol, der mit Lumpen die Videoüberwachung seines Lokals unbrauchbar machte, wurde beispielsweise sofort entlassen, ebenso in Moskau der Vorsitzende einer Wahlkommission, der nicht mit Beobachtern kooperieren wollte. In Adygea wurde nach einer dokumentierten Manipulation ein Strafverfahren eingeleitet und der zuständige Wahlleiter suspendiert.

Insgesamt besteht der Eindruck, dass es bei der ordnungsgemäßen Durchführung der Wahl starke regionale Unterschiede gibt - je nachdem, ob das Pflichtbewusstsein örtlicher Aufsichtsorgane mehr der ordnungsgemäßen Durchführung der Wahl oder dem Gewinn der Bürokratiepartei gilt. Und ob vor Ort auch scharfe Augen etwa der Opposition zuschauen, denn wer zur Wahl zugelassen ist darf auch Beobachter stellen. Verschiedene der bisher geschilderten Schwindeleien wurden von oppositionellen Wahlbeobachtern gemeldet.

Internationale Beobachter fehlen - und standen zuvor in der Kritik

Ein Manko bei der aktuellen Wahl ist das Fehlen ausländischer Wahlbeobachter der OSZE. Diese bekam von Russlands Offiziellen eine Zusage für 60 Beobachter, was ihr zu wenig war. So verzichtete sie komplett auf eine Beobachtung. Auch diese Streitigkeit hat einen tieferen Grund. Die OSZE beobachtete Wahlen in Russland stets mit wesentlich umfangreicherem Personal als Wahlen in anderen Staaten, schreibt dazu die Politologin Elisabeth Gromoglasowa in einer Analyse - stets mit einem sehr kritischen Ergebnis.

Dieses enthielt nach Meinung von Gromoglasowa nicht nur berechtigte Kritik, sondern ein stereotypes Bild russischer Wähler als "einfältige Wilde", die sich von Vertretern eines korrupten Systems einfach übertölpeln lassen. Genau dieses Bild widerspricht aber der Beobachtung auch bei der aktuellen Wahl, dass die russische Öffentlichkeit sehr interessiert verfolgt, wenn Manipulationen aufgedeckt werden. Zumal oppositionell gesinnte Beobachter Schwindeleien auch anzeigen.

Insgesamt machen es die vor allem westlichen Beobachter den russischen Offiziellen mit ihrem Verhalten einfach, sie als ausländische Einflussagenten zu diskreditieren, die schon mit der Einstellung anreisten, nun eine Schwindelwahl zu beobachten. Wirklich aufgedeckte Schiebungen verlieren dadurch an Wert - und verursachten nun die komplette Absage einer Beobachtung als weitere Folge des vergifteten Klimas.

Das gegenseitige Misstrauen schreitet auch noch fort - die Wahlleitung berichtet in der Zeitung gazeta.ru von Cyberangriffen auf die Wahlhandlung, deren Herkunft nach dortigen Angaben vor allem in den USA und Deutschland lagen, Die USA haben laut der Nachrichtenagentur Tass bereits Daten über die ihnen zur Last gelegten Einmischungen angefordert.

Zusammenfassend muss man feststellen, dass sich Russlands Mächtige bei den Wahlen und ihrer Durchführung nicht gemäß allen demokratischen Grundsätzen verhalten und daher der Wille der Wähler von ihrem Fußvolk häufiger verfälscht wird. Ausgeschaltet wird er deshalb jedoch nicht; und Manipulationen begegnen im Land aktiver Gegenwehr - das Bild von aus dem Kreml ferngesteuerten Fake-Wahlhandlungen ist in jedem Fall überzogen.