Kriegsangst in Deutschland: Warum schweigt die Gesellschaft?

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Trotz deutlicher Signale von Kriegsängsten in der Bevölkerung bleibt der öffentliche Diskurs erstaunlich still. Warum hört man nichts von der kollektiven Angst? (Teil1)
Die Deutschen haben Angst. Laut einer Umfrage der Bundeswehr haben 41 Prozent der Deutschen Angst vor einem Krieg in Europa.
Besonders unter jungen Menschen ist die Kriegsangst ausgeprägt: Mehr als 70 Prozent der 14- bis 29-Jährigen haben Angst vor einem Krieg auf dem heimischen Kontinent, was diese Sorge zur größten macht – noch vor dem Klimawandel, fand die Studie Jugend in Deutschland schon vor drei Jahren heraus.
In der Shell-Jugendstudie 2024 gestehen sogar 81 Prozent der jungen Deutschen Angst vor einem Krieg in Europa zu haben.
Auch vor der Ausweitung des Ukraine-Krieges auf Deutschland herrschte Angst. Im letzten Sommer gestanden dies 45 Prozent.
Die Deutschen haben ganz offensichtlich massiv Angst. Angst vor Krieg. Erstaunlich: Diese Angst führt aber weder zu einem Aufschrei noch zu einem Versuch, diesen Krieg zu verhindern.
German Angst weltweit
Nun mag man galant einwenden, dass Angst die zweite Natur der Deutschen ist, es nicht umsonst den Ausdruck "German Angst" in der Welt gebe und Deutschland seit jeher eine "Republik der Angst" ist (Frank Biess), aber die Deutschen sind nicht die Einzigen, die Angst haben.
Kürzlich stellte das Bulletin of Atomic Scientists die Doomsday Clock, die Weltuntergangsuhr, auf 89 Sekunden vor Mitternacht. Noch nie zuvor stand die Uhr so kurz vor Mitternacht, dem Ende der Menschheit.
Auch Politikexperten aus 47 Ländern haben Angst. In Global Foresight 2025, einer aktuellen Umfrage der US-Denkfabrik Atlantic Council stufen 40 Prozent der Befragten den Ausbruch eines Weltkriegs in den nächsten zehn Jahren als wahrscheinlich ein.
Erinnert sei auch daran, dass sogar die US-Regierung von Joe Biden Angst hatte. Im Herbst 2022 befürchtete das CIA den Atomwaffeneinsatz Russlands, wenn Moskau überzeugt sei, die ukrainische Armee könnte russische Verteidigungslinien durchbrechen und die Krim zurückerobern.
Die Wahrscheinlichkeit eines nuklearen Armageddons wurde in diesem Fall auf 50 Prozent und höher eingestuft. Der damalige US-Präsident Joseph Biden warnte daher:
"Zum ersten Mal seit der Kubakrise droht uns direkt der Einsatz einer Atomwaffe, wenn die Dinge so weiterlaufen wie bisher."
Die Experten haben Angst. Erstaunlich: Diese Angst führt aber weder zu einem Aufschrei noch zu einem Versuch, diesen Krieg zu verhindern.
Massive Aufrüstung
Die einzige Reaktion auf die massive Angst vor einem drohenden Krieg, der möglicherweise auch ein Weltkrieg sein würde, besteht in Maßnahmen und Verhaltensweisen, die bereits im Kalten Krieg Konjunktur hatten.
Die Rolle der einzigen Bedrohung für den Frieden wird Russland zugewiesen, was angesichts der Tatsache des Angriffs auf die Ukraine leicht nachzuvollziehen ist.
Inwiefern jedoch die generelle Weltlage in angenehm simplen Schwarz-Weiß-Tönen zu zeichnen, die jede Diskussion über die Zeit zwischen 1989 und 2022 mit dem mantrahaft vorgetragenen Argument ausblendet, dies würde Russlands Angriff entschuldigen, der Wirklichkeit entspricht und somit vor falschen Einschätzungen schützt, wird hierbei ignoriert.
Ebenso unbegründet bleibt, weshalb der Angriff des Nachbarlands zwingend eine imperiale Absicht eines angeblich neo-zaristischen Moskaus und dessen Willen, Nato-Länder anzugreifen, beweisen soll. Gerade diese Frage aber, die für das Ausmaß der Aufrüstung entscheidend ist, wird erstaunlich selten gestellt.
Nein, diese Fragen entschuldigen den russischen Angriff nicht, öffnen aber den Raum für eine differenziertere Betrachtung, die die Welt nicht nur in Gut und Böse aufteilen will.
Tatsächlich bezweifelte eine Reihe von Experten eine militärische Bedrohung der Nato durch Russland.
Ebensowenig wie die Frage, warum eine möglicherweise erreichte militärische Fähigkeit Russland im Jahr 2029 deren Angriffswillen beweisen sollte.
Wie im Kalten Krieg lautet die Antwort auf den angenommenen Angriffs- und Vernichtungswillen des Gegners: massive Aufrüstung. Mehrere Hunderte Milliarden Euro für eine glaubwürdige Abschreckung.
Nachdem Anfang März von einem deutschen Sondervermögen von 400 Milliarden Euro für das deutsche Militär die Rede war, lautet nun die schlussendliche Einigung: Übersteigen die Verteidigungsausgaben mehr als ein Prozent der Wirtschaftsleistung (etwa 43 Milliarden Euro), dann sollen sie von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Wie hoch also die genauen Militärausgaben sein werden, ist unklar und bleibt flexibel.
Die EU nimmt zudem 800 Milliarden Euro für das Militär in die Hand. Gemäß dem neuen Natoziel muss Europa auch die Waffenbestände um 30 Prozent erhöhen.
Die massive Ausgabensteigerung für das Militär und eine glaubwürdige Abschreckung erscheinen vollkommen alternativlos. Es geht weniger um die Sicherstellung der Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr, sondern um Abschreckung. Und Abschreckung ist bekanntermaßen eine äußerst subjektive Einschätzung. Daher sind keine zusätzlichen finanziellen Mittel zu groß.
Währenddessen sucht man in Deutschland Investitionen zur Verhinderung des drohenden Kollaps des sozialen Sektors und Mittel für den Kampf gegen Armut und steigende Ungleichheit in den Plänen der Sondervermögen vergebens.
Dass diese Ignoranz bezüglich des Leidens der Menschen konkret Zehntausende von zu verhindernden Todesfällen jedes Jahr zur Folge hat, kann gar nicht oft genug betont werden.
Vielleicht ist die wilde Entschlossenheit zur Erhöhung des Militärhaushalts die gesuchte Reaktion auf die eingangs beschriebene extreme Angst der Menschen vor einem drohenden Krieg. Leider jedoch ist Angst, wie psychologische Studien beweisen, ein äußerst schlechter Berater.