Putin greift ein: Duma-Wahlkampf in Russland
Der Präsident beteiligt sich momentan aktiv am russischen Parlamentswahlkampf. Warum ist das keine Routineangelegenheit, sondern ein Zeichen für Besorgnis im Kreml?
Während deutsche Medien oft jeden Zug der russischen Regierungspolitik mit Präsident Putin persönlich verbinden, greift dieser in die Niederungen der Tagespolitik oder gar in den Konkurrenzkampf zwischen Parteien selten als direkt Beteiligter ein. Obwohl es mit der Partei Einiges Russland ja mehr oder weniger einen konservativen Wahlverein zu seiner eigenen Unterstützung gibt, in der große Teil des landesweiten Establishments Mitglied sind.
Putin selbst ist es nicht und er gefällt sich mehr in der Rolle dessen, der über dem Parteiengezänk steht. Etwa, als er im Februar die Beschwerden der russischen Parlamentsopposition entgegennahm, wonach sie die Behörden im beginnenden Duma-Wahlkampf benachteiligen würden. Es geht um Behörden, die Teil des gleichen Machtapparats sind, der die Kader von Einiges Russland stellt. Denn Gouverneure und andere leitende Beamte sind das Rückgrat der Partei.
Doch Putin hält üblicherweise Distanz zu diesem bürokratischen Geflecht. So vergleicht ihn die Moskauer Politologin Tatjana Stanowaja mit einem von den Alltagsproblemen entrückten Symbol eines Systems.
Das Symbol Putin steigt herab in der Krise
Wenn es aber für seinen Kader ernst wird, steigt auch das Symbol herab und greift für die parteipolitische Gefolgschaft des bürokratischen Systems in das Geschehen ein. Diese bildhafte Sprache ist keine ausländische Übertreibung. Der bekannte Moskauer Journalist Andrej Kolesnikow nannte Putins aktuellen Wahlkampfauftritt in der Zeitung Kommersant eine "Bergpredigt".
Eine solche wurde erforderlich, da Einiges Russland beim staatlichen Meinungsforschungsinstitut WZIOM auf blamable 27 Prozent Unterstützung in der Bevölkerung abgefallen ist. Das ist weniger als die Hälfte der persönlichen Unterstützung für Putin (knapp 57 Prozent).
Wenig Begeisterung weckt ein verkrusteter Apparat, der es sich in der langen Stabilität bzw. Stagnation (je nach Blickwinkel) der letzten Jahrzehnte eingerichtet hat. Und im September will diese Partei eine Parlaments-Zweitdrittelmehrheit verteidigen. Das wird sehr schwer, auch wenn sie durch eine Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht gegenüber kleineren Parteien begünstigt wird.
Zum Machterhalt veranstaltete sie bisher, ohne in der Bevölkerung so rechte Begeisterung zu entfachen, umfassende Vorwahlen und kürte ein Wahlkampf-Spitzenteam aus fünf Personen, darunter den beliebtesten Ministern Lawrow und Schoigu und weiteren gesellschaftlich angesehenen Leuten wie einem bekannten Chefarzt.
Danach hoffte man auf eine Steigerung der zuvor mit 30 Prozent schon mageren Zustimmungswerte - doch sie gingen stattdessen nochmals nach unten. Nur durch ihr Image als Partei für Putin kann Einiges Russland jetzt noch punkten und eine Mehrheit sichern, glaubt der russische Meinungsforscher Boris Makarenko in Kommersant.
500 Milliarden Rubel Geldgeschenke für Stammwähler
Das Staatsoberhaupt ermöglicht jetzt der Partei, ganz auf ihn zu setzen. Am vergangenen Wochenende verkündete er laut der Nachrichtenagentur TASS eine Einmalzahlung für alle Rentner in Höhe von 10.000 Rubel (etwa 130 Euro) und 15.000 Rubel (etwa 200 Euro) für Soldaten. 500 Milliarden Rubel wird dieses Geschenk den russischen Staatshaushalt laut dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses der Staatsduma kosten.
Die russische Nesawisimaja Gaseta weiß, warum gerade diese beiden Bevölkerungsgruppen nun bedacht werden: Rentner und Militärs sind die treusten Wählergruppen von Einiges Russland ebenso wie von Putin als Präsident. Sie sollen für die Partei an die Urnen gelockt werden, Putin will ihnen signalisieren, dass der aktuelle Stand der Dinge besser ist als jede Alternative.
Eine solche wünschen häufiger andere: Jüngere und urbane Russen sehen das herrschende System im Schnitt kritischer - in Moskau sind sogar mehrere der nach dem Mehrheitswahlrecht zu vergebenden Sitze für die Regierungsmacht in Gefahr.
Das soziale Geldgeschenk soll auch symbolisch stehen für eine Konzentration Präsident Putins auf soziale Initiativen, die er im Wahlkampf forcieren will. Aktuell beginnt eine große Programmkonferenz von Einiges Russland, wo Putin maßgeblichen Einfluss ausüben wird. Oder wie es die Nesawisimaja Gaseta ausdrückt: Die Regierungspartei wird daran erinnert, im Programmtext alles niederzuschreiben, worüber er gesprochen hat. Im Gegenzug steht er der Partei Einiges Russland in ihrer aktuellen Schwächephase bei und übernimmt Verantwortung.
Inszenierung beim Tag der russischen Nationalflagge
Die Geschenke wurden im Rahmen einer sehr prunkvollen Parteizeremonie zum "Tag der russischen Nationalflagge" verkündet, an der Putin eingerahmt von seinen fünf Listenführern teilnahm. Dies hatte Reporter Kolesnikow so treffend als "Bergpredigt" bezeichnet, bei der sogar der "starke Wind in den Dienst des Vaterlandes gestellt" wurde - eine Beschreibung, die die tiefe russische Pathetik des Events gut zum Ausdruck bringt, das in den landesweiten Medien natürlich breit dargestellt wurde.
Alle Listenführer erhielten hier im Beisein Putins die Möglichkeit, allgemein populäre Forderungen zum Ausdruck zu bringen, sei es mehr Unterstützung für die Bildung oder für die Wirtschaft. Die Partei nutzte in vollem Umfang, dass sie über mehr Prominenz und Darstellungstalent verfügt als die Parlamentsopposition, die als einzige weitere Kraft Zugang zu den regierungsnahen Massenmedien hat.
Die außerparlamentarische und wesentlich kritischere Opposition kommt dort nicht vor. Das größte Talent Wladimir Putin selbst nutzt die Partei der Macht dabei erst im Ernstfall - wenn die Dinge nicht wie gewünscht laufen - wie im momentanen Wahlkampf. Nur dann kommt es zum Schulterschluss und Putin verlässt seine scheinbar neutrale Position an der Spitze.
Störung der Oppositionskampagnen nicht aus dem Kreml
Wenn man über den Wahlkampf von Einiges Russland spricht, darf man jedoch den Teil nicht unterschlagen, bei der die Behörden ihre Macht nutzen, um die Konkurrenten bei der Wahlwerbung aktiv zu behindern. Hier geht es sowohl um die Störung von Wahlkampfevents, die Nichtregistrierung sehr populärer oder sehr kritischer Kandidaten oder weitere Störaktionen wie die Kandidatur von sogenannten Spoiler-Kandidaten unter ähnlichen Namen wie die der Konkurrenz, um Oppositionsstimmen zu zersplittern.
All das sei hier, wo es um Putins Einstieg in den Wahlkampf geht, jedoch nur am Rande erwähnt, denn es ist sehr unwahrscheinlich, dass derartige Aktionen vom Kreml oder gar Putin selbst dirigiert werden. Wie die bekannte Kremlanalystin Ekaterina Schulmann feststellt, ist eine starke Machtvertikale in Russlands Innerem mehr Propaganda als Realität und Entscheidungen werden nicht nur von einer Person oder einigen Freunden getroffen.
Die örtlichen Behörden haben ihre eigene Dynamik und sind bei solchen Störaktionen vor Ort die treibende Kraft. Unzweifelhaft ist jedoch, dass die Präsidialadministration über diese Dinge im Bilde ist und sie duldet.
Gesamtstabilität nicht in Gefahr
Es ist wegen der schlechten demoskopischen Werten der Partei an der Macht damit zu rechnen, dass Putin weiter zu ihren Gunsten im Wahlkampf von oben mitmischt, bis eine gewisse Stabilisierung eingetreten ist. Genau die Stabilisierung ist seine Funktion im System.
Sollte all das nicht reichen und Einiges Russland sogar eine einfache Mehrheit bei den Parlamentsabgeordneten verfehlen, ist das jedoch nicht der Beginn eines allgemeinen Politikwechsels in Russland. Denn zwei der drei übrigen Parteien in der aktuellen russischen Staatsduma, Schirnowskis populistische LDPR und Gerechtes Russland, gelten als handzahm gegenüber der Partei der Macht und würden im Zweifelsfall den Mehrheitsbeschaffer spielen.
Weiterhin spielt durch die starke Stellung des Präsidenten das Parlament nicht eine so bestimmende Rolle in Russland wie in den Staaten Mitteleuropas. Putins eigene Stellung im Staat ist bei der aktuellen Wahl im September nicht in Gefahr - nur etwas Bequemlichkeit und eine Reihe von Posten mächtiger Gefolgsleute.