77 Experten gegen deutsche Doppelmoral im Völkerrecht

Friedrich Merz kündigte an, den Haftbefehl aus den Haag gegen Netanjahu ignorieren zu wollen
(Bild: noamgalai/Shutterstock.com)
Namhafte Völkerrechtler fordern die Bundesregierung auf, den IStGh zu respektieren – auch im Falle von Israel. Ausnahmen verstießen gegen Völker- und deutsches Recht.
Eine Erklärung von 77 deutschsprachigen Völkerrechtlern hat die Bundesregierung dazu aufgefordert, die Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag konsequent zu beachten und auszuführen.
Dies gelte auch für den kürzlich ergangenen Haftbefehl gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, heißt es in dem Appell, der vergangenen Donnerstag von der FAZ veröffentlicht wurde.
Kritik an Merz’ Einladung
"Ungeachtet dessen, ob wir einen Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs inhaltlich richtig finden", sei entscheidend, dass sich Deutschland zur Mitwirkung an internationalen Institutionen verpflichtet habe, so die Völkerrechtler. Dazu gehöre auch, die Reichweite persönlicher Immunität nicht selektiv auszulegen.
Eine Einladung Netanjahus nach Deutschland unter Zusicherung von Immunität, wie sie Friedrich Merz vor kurzem ausgesprochen hatte, verstoße sowohl gegen das Völkerrecht als auch gegen deutsches Recht.
Redefreiheit für UN-Sonderberichterstatterin gefordert
Darüber hinaus forderten die Unterzeichner, die UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese nicht "am Sprechen an Universitäten zu hindern". Die Ludwig-Maximilians-Universität München und die Freie Universität Berlin hatten im Februar Vorträge der Italienerin wegen Sicherheitsbedenken abgesagt.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hatte ihr vorgeworfen, "antisemitische Narrative" zu bedienen. Klein steht indes selbst in der Kritik, den Vorwurf des Antisemitismus gezielt zu missbrauchen, um der Expansionspolitik der rechtsgerichteten israelischen Regierung Schützenhilfe zu leisten.
Die Autoren der Erklärung betonten, ihr Appell gelte "ungeachtet dessen, ob wir Albaneses Analysen zustimmen, und einiger umstrittener Äußerungen". Die Ausladung der UN-Sonderberichterstatterin verstoße gegen die im Grundgesetz und in internationalen Menschenrechtsnormen verankerte Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit.
"Darüber hinaus erfordert die verfassungsrechtlich verankerte Mitgliedschaft Deutschlands in den Vereinten Nationen Respekt vor deren Institutionen einschließlich der von ihr mandatierten Sonderbeauftragten. Wir schließen uns der diesbezüglichen Kritik der European Society of International Law und unserer Kollegen der Freien Universität Berlin an", so die Verfasser weiter.
Kritik an Waffenlieferungen an Israel
Mit Blick auf Israel halten es die Völkerrechtler für unerlässlich, dass die Bundesregierung angesichts des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs vom Juli 2024 zur Rechtswidrigkeit der israelischen Besatzung sicherstellt, dass keine Waffen an Israel geliefert werden, "die völkerrechtswidrig zum Einsatz kommen".
Die Bundesregierung hatte die Einschätzung des Gutachtens geteilt. Die Autoren mahnen zudem eine Beachtung völker- und europarechtlicher Pflichten im Umgang mit Geflüchteten an.
Völkerrecht "wichtiger denn je" für den Weltfrieden
Die Initiatoren der Stellungnahme sehen die Beachtung des Völkerrechts angesichts der derzeitigen globalen Lage als "wichtiger denn je" für die Erhaltung und Wiederherstellung des Weltfriedens.
Dies gelte insbesondere für Deutschland, dessen Legitimation in der Welt seit jeher entscheidend auf dem Entschluss beruhe, das Völkerrecht nicht nur einzuhalten, sondern auch zu schützen und zu fördern. Die Völkerrechtsfreundlichkeit durchziehe das deutsche Grundgesetz von der Präambel bis zum letzten Artikel, heißt es in dem Appell.
Einer der Initiatoren der Erklärung ist der Göttinger Völkerrechtslehrer Kai Ambos, Richter am Kosovo-Sondertribunal. Zu den Unterzeichnern gehören außerdem mehrere ehemalige hochrangige Richter – etwa der frühere Bundesverfassungsrichter Andreas Paulus, der ehemalige IGH-Richter Bruno Simma und Kay Hailbronner, ehemals Richter am Mannheimer Verwaltungsgerichtshof.