Defender 2023 und die Atomkriegsgefahr
Bei dem geplanten Großmanöver wird voraussichtlich auch der Umgang mit Nuklearwaffen geübt. US-Arsenale lagern in Büchel, F-35-Kampfjets dienen als Trägersystem.
Vom 12. bis 23. Juni wird über Deutschland das Nato-Manöver Defender 2023 stattfinden. Über 200 Flugzeuge der Luftwaffe aus 18 Staaten proben die Luftüberlegenheit der Nato. Unter den Kampfjets sind Tarnkappenbomber vom Typ F 35, die für den Angriff mit B61-12-Nuklearsprengköpfen ausgelegt sind. Die Bundeswehr soll aus dem zur "Zeitenwende" beschlossenen 100-Milliarden-Sonderfonds 35 dieser Kampfjets erhalten.
Das Manöver wird – wie sein englischer Name "Verteidiger" nahelegt – als Defensivübung kommuniziert. Bis zu 10 000 bewaffnete Kräfte werden dabei einbezogen. "Defender 2023" knüpft an die Atomkriegsmanöver der letzten Jahre an – vor allem an "Cold Igloo" und "Steadfast Noon".
Um die Öffentlichkeit und die eigenen Kräfte zu beschwichtigen, sprechen die Militärs in solchen Fällen lediglich davon, dass "der Umgang mit Atomwaffen geübt werden soll". Das klingt freundlicher, weniger bedrohlich als das, was es ist: der Atomkrieg. Und so sehr, wie die Nato ein Friedensbündnis ist, dessen Mitglieder niemals das Völkerrecht brechen würden, nicht in Jugoslawien, Libyen, Afghanistan oder dem Irak, so wenig ist "Defender 2023" eine reine Verteidigungsübung.
Warum die Situation mit der Kuba-Krise vergleichbar ist
Die aktuelle Atomkriegsgefahr macht "Defender 2023" umso interessanter für die Militärs: Die nukleare Infrastruktur, die die Nato in Europa aufbaut, generiert eine umgekehrte Kuba-Krise: Die militärische Bedeutung einer Waffe ergibt sich nicht nur aus ihren technologischen Zerstörungs-"Fähigkeiten", sondern – wie es einst die Kuba-Krise zeigte, auch aus der Geografie: von wo aus eine feindliche Waffe das eigene Staatsgebiet bedroht.
Ein russischer Angriff auf die USA über einen der großen Ozeane hätte längst nicht die überfallartig kurze Flugzeit wie ein vergleichbares US-Arsenal innerhalb des europäischen Kontinents. Die russischen nuklearen Arsenale in Kaliningrad bedrohen Ziele in europäischen Nato-Staaten, nicht aber die USA.
Als auf Kuba sowjetische Nuklearraketen stationiert waren, drohte US-Präsident John F. Kennedy mit dem Atomschlag, sollten diese Arsenale nicht aus der Nähe des US-Territoriums verschwinden.
Die für einen möglichen Erstschlag einsetzbaren US-Atomwaffen B 61-12, die seit Ende 2022 in Büchel bei Koblenz stationiert sind, gelten aufgrund ihrer "differenzierten" Dosierbarkeit der Wirkung und aufgrund ihrer Zielfindungstechnik (sie sind keine reinen Fallbomben, sondern finden ihr Ziel in der Schlussphase ihres Angriffsfluges selbstständig) laut US-General Cartwrighht als besonders "gebrauchsfreudig": Ihre technischen Fähigkeiten bedeuten, dass sie Kommandozentralen und Nuklearbunker möglicher Gegner in einem minutenkurzen Angriff von einem europäischen Nato-Staat aus ausschalten können – das wäre der Enthauptungsschlag.
Die Radarüberwachung hätte keine Zeit mehr, um einen Fehlalarm zu überprüfen, geschweige denn über eine effektive Gegenreaktion zu beraten: Das Trägersystem für die US-Atomwaffen B 61-12 ist zum einen der Tarnkappenbomber F 35, der das Radarecho eines unbedeutenden Flugobjektes an die Atom-Alarm-Systeme Russlands oder Chinas zurückwirft – diese Atombomber, die für die Aufnahme, den Transport und für den Einsatz der B 61-12 vorgesehen sind, werden ergänzt durch die weiteren Trägersysteme für die B 61-12, die Hyperschall-Raketen mit dem Namen "Dark-Eagle", die in der Nähe von Nürnberg stationiert werden sollen.
Zur Legitimation der Stationierung verweist die Nato darauf, dass auch Russland derartige Systeme hat. Das ist so zutreffend wie manipulativ: Dieses Argument wäre dann valide, wenn Russland derartige Systeme vergleichbar nahe an der US-Grenze und -Küste aufstellen würde.
Passend zur Kombination aus F 35, "Dark Eagle" und B 61-12, also passend zur Erstschlags-Konzeption der US-Armee als Führungsmacht der Nato drängen Nato-Partner aktuell darauf, die Strategie eines "vorsorglichen" Atomangriffs beizubehalten.
Alles in allem generiert die Nato hier ein Risiko, das niemand berechtigt ist, einzugehen. Und zur Einübung ihres Einsatzes finden Manöver wie Defender, Cold Igloo und Steadfast Noon regelmäßig statt. Nukleare Arsenale von Rivalen der USA sind Hintergrund für John F. Kennedys Warnung, die er kurz nach dem Ende der Kuba-Krise aussprach:
"Vor allem müssen (...) die Atommächte jene Konfrontationen vermeiden, die einen Gegner vor die Wahl stellen, entweder einen demütigenden Rückzug hinzunehmen oder einen Atomkrieg. Ein solches Vorgehen wäre im Atomzeitalter nur ein Beweis für den Bankrott unserer Politik – oder für einen kollektiven Todeswunsch für die Welt."
Die Gefährlichkeit der aktuellen Lage zeigt auch die Äußerung Wladimir Putins im Herbst 2022, in der er von einer "nuklearen Erpressung" des Westens sprach und ankündigte, "natürlich alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um Russland zu schützen. Das ist kein Bluff".
Die Bemerkung der US-Botschafterin in Warschau, man könne die B61-12-Arsenale auch nach Polen holen, ist als weiterer Weckruf zu verstehen.
Fazit: Ausrüstung statt Abschreckung
Wenn das Überleben der Menschheit gesichert werden soll, ist atomare Abrüstung das Gebot der Stunde. Manöver mit Anteilen zur Vorbereitung eines Atomkrieges, die Stationierung atomarer Arsenale an den Hochspannungsgrenzen Europas, die Stationierung nuklearer Arsenale, die den Atomkrieg "aus Versehen" wahrscheinlicher machen, zeigen: Die "Sicherheitspolitik" der Nato stellt ein unverantwortliches Risiko dar. .