Demoverbote – kein Beitrag gegen den Antisemitismus

Propaläistinensische Demonstration in Berlin (2021). Foto: Michael Künne, PRESSCOV picture agency / CC-BY-SA-3.0

Propalästinensische Gruppen sollten sich klar von Judenfeindlichkeit distanzieren. Versammlungsverbote wegen Parolen von Einzelpersonen fördern kein Nachdenken. Eher sehen sich die Gruppen als Opfer.

Mit großem Polizeiaufgebot wurde am vergangenen Wochenende im Berliner Stadtteil Neukölln das Verbot zweier propalästinensischer Demonstrationen durchgesetzt. Die Polizei begründete das Verbot mit der Gefahr, dass volksverhetzende, antisemitische Parolen und gewaltverherrlichende Texte verbreitet werden könnten. Zudem wurde den Organisatoren das Vermitteln von Gewaltbereitschaft und Einschüchterungen vorgeworfen.

Das propalästinensische Netzwerk Samidoun hatte sich m Vorfeld gegen die Demoverbote gewandt und bezeichnet sie als "schamlosen Angriff" auf die Demonstrationsfreiheit. Dabei fällt auf, dass sich das Netzwerk vor allem als Opfer staatlicher Repression sieht, wenn es in der Erklärung heißt: "Wie immer, wenn es eine große Demonstration für Palästina gibt, und insbesondere, wenn die palästinensische und arabische Gemeinschaft in Berlin sich für Gerechtigkeit sowie gegen Rassismus und Unterdrückung ausspricht, folgen bald die Angriffe und Versuche, die Demonstration zu kriminalisieren."

Klare Ablehnung von antisemitischen Parolen ist nötig

Dann wird ein "sensationslüsternes Video" kritisiert, das angeblich die Sache der Palästinenser in Deutschland verleumde. Das Netzwerk geht auf einen Punkt ein, der es den Behörden leicht machte, wie im letzten Jahr auch 2023 die propalästinensischen Demonstrationen zu verbieten.

In dem Video wird versucht, eine einzelne Person hervorzuheben, die während der Demonstration eine antisemitische Parole rief. Die Person, die diese Aussage angeblich rief, ist im Video nicht zu sehen. Keine andere Person schloss sich ihr an, der Ruf kam weder von der Spitze der Demonstration noch über das Mikrofon.


Aus der Erklärung von Samidoun

In einem Bericht des Spiegel war von mehreren antisemitischen Rufen auf der Demonstration am 8. April dieses Jahres in Berlin-Neukölln die Rede.

Tatsächlich wäre eine klare Distanzierung von solchen antisemitischen Parolen auch auf Seiten der propalästinsischen Gruppen notwendig. Das würde auch eine Auseinandersetzung mit dem regressiven Antizionismus bedeuten, der oft keine Trennschärfe zum Antisemitismus hat. Es ist eben nicht damit getan, wenn man palästinensischen Demonstranten sagt, sie sollen in ihren Parolen "nicht gegen Juden, sondern gegen Zionisten" Stellung nehmen. Dann hätte man es tatsächlich nur mit einen etwas modernisierten Antisemitismus zu tun.

Kritik an Demoverboten

Diese Auseinandersetzung um Antisemitismus und regressiven Antizionismus muss auch mit den propalästinensischen Spektrum geführt werden. Doch da sollte auch gleich klargestellt werden, dass Demoverbote und andere Eingriffe in die Versammlungsfreiheit kein geeignetes Mittel im Kampf gegen Antisemitismus ist.

Wie die Demoverbote vom Wochenende zeigen, werden diese antisemitischen Parolen aber genutzt, um das Versammlungsrecht einzuschränken. Auch wenn davon ausgegangen werden muss, dass mehr als eine Person die antisemitischen Parolen gerufen hat, behauptet auch der Spiegel nicht, dass sie von einem Großteil der Demonstranten skandiert wurden.

Ihnen allen wird aber durch die Demoverbote die Versammlungsfreiheit beschnitten. Manche erinnern sich noch an die Zeiten, als auf größeren Demonstrationen von Einzelpersonen oder einer kleinen Gruppe Steine geworfen wurden – offensichtlich nicht mit dem großen Rest der Demonstrierenden abgesprochen.

Auch damals wurde mit Recht die Position vertreten, dass deshalb nicht das Demonstrationsrecht der übrigen Teilnehmer beschnitten werden darf. Genau so sollte auch im Fall der propalästinensischen Demonstrationen argumentiert werden.

Deshalb ist es auch positiv zu werten, dass es gegen die Pläne des Berliner Innensenats, den Begriff der "öffentlichen Ordnung" wieder in das Berliner Versammlungsgesetz einzufügen, Widerstand gibt.

Darauf haben sich Vertreter der SPD und CDU bei ihren Koalitionsvereinbarungen geeinigt. Diese geplante Verschärfung des Versammlungsrechts wird nun von Berlins Innensenatorin Iris Spranger mit den antisemitischen Parolen auf den Demonstrationen in Neukölln begründet, obwohl die Pläne zur Verschärfung schon vorher fertig in den Schubladen lagen.

Der Begriff der öffentlichen Ordnung war von dem von SPD, Linken und Grünen gestellten Senat 2021 aus dem Berliner Versammlungsfreiheitsgesetz gestrichen worden, was bei zivilgesellschaftlichen Organisationen auf Zustimmung stieß. Mit der Wiedereinführung des Begriffs soll die Staatsautorität wieder wachsen – mit der notwendigen Bekämpfung des Antisemitismus hat das wenig zu tun.

Der Autor hat in der Edition Assemblage das Buch "Eine kurze Geschichte der Antisemitismusdebatte in der deutschen Linken herausgegeben.