Der "Baby-Hitler" schlägt zurück!
Läutet der absurde Kult um Österreichs blutjungen starken Mann das Ende der Satire ein?
Volk, steh auf, und Sturm, brich los! Die Alpenrepublik echauffiert sich derzeit über die Unverschämtheiten des linksgrün versifften Frankfurter Humors! In Österreich sorgte kurz nach der Nationalratswahl nicht etwa deren Ergebnis, das einen massiven Rechtsschub mit sich brachte, für eine breite Empörungswelle, sondern das Satiremagazin Titanic.
Die Redaktion des Magazins ließ im Internet einen harmlosen - streng objektiv betrachtet wirklich witzigen! - Aufruf verbreiten, in dem Zeitreisende zur Beseitigung des jugendlichen, kaum seinen Milchzähnen entwachsenen Wahlsiegers Sebastian Kurz aufrufen, der als Hauptprofiteur des österreichischen Rechtsrucks gilt. Dank Zeitreisen "Endlich möglich: Baby-Hitler töten", heißt es in dem satirischen Posting des Hamburger Satiremagazins.
Zur Erläuterung (ein Service für unsere national gesinnten Leser): Damit sollte auf die beständige, schleichende Rechtsentwicklung, auf die Faschisierung Österreichs wie der meisten europäischen Gesellschaften humoristisch hingewiesen werden. Bei Beibehaltung der gegenwärtigen Dynamik beständiger Rechtsverschiebung des politischen Spektrums drohe der Alpenrepublik mittelfristig ein neuer Hitler - zumal ja das Original rein formell ebenfalls Österreicher war. Dem gelte es, solange es noch möglich sei, vorzubeugen.
Dies war Zuviel der Reflexion für die Neue Rechte Österreichs, die längst die Hegemonie über die veröffentlichte Meinung der Alpenrepublik errungen hat. Das Satire-Magazin habe sich mächtig Ärger eingehandelt, titelte der Merkur. Die berüchtigte Kronen Zeitung, das Sturmgeschütz der österreichischen Postdemokratie, machte aus dem Titanic-Tweet einen "unfassbaren" Aufruf zum "Mord an Kurz". Der geschmacklose Tweet habe sofort "seine Runde auf Twitter" gemacht. Es sei ein "Aufruf zu einer Straftat", ließ das mit der Bildzeitung eng verwandte Revolverblatt verlautbaren.
Das ging der Kronen Zeitung samt der Gefolgschaft des adoleszenten österreichischen Nachwuchsführers nun wirklich zu weit. Anzeigen wurden erstattet, die Wiener Polizei nahm Ermittlungen auf. Facebook blockierte sogar kurzfristig den Account des Partei-Chefs Martin Sonneborn, nachdem diese den Cartoon der TITANIC-Redaktion auf seiner Facebook-Seite teilte.
Die wüsten Beschimpfungen, die im Rahmen des obligatorischen Shitstorms die Redaktion der Titanic erreichten, wurden - wie eigentlich üblich - auf deren Internetpräsenz veröffentlicht. Und tatsächlich brach sich hier des Alpenvolkes Wut freien Lauf, wie eine kleine Auswahl belegt:
"Die 'Deutschen' haben ja noch nie mit herausragender Intelligenz geglänzt. Ihr seid humorlos, nicht witzig, einfach dumme Piefke's. Wir lachen eh über euch, links linke Blindgänger. Hoffentlich bekommt euer Scheisshauspapierl eine satte Strafe das ihr gleich zusperren könnt."
"Sie haben hoffentlich bemerkt, dass sie jetzt in ziemliche Schwierigkeiten geraten. Zu Recht! Es kommt ja nicht von ungefähr, dass die Deutschen als primitivstes Volk der Welt bekannt sind. Wo ihr hinkommt und den Mund aufmacht, wenden sich die Menschen ab. Die Titanic wird jetzt endgültig sinken!!"
"An alle gewaltaffinen Linksradikalen ihrer Redaktion, die für den öffentlichen Mordaufruf an Sebastian Kurz verantwortlich sind: Strafanzeige wurde erstattet. … Auf dass ihnen diese Schweinerei Geld und Freiheit kosten wird!"
"Euer linksfaschistisches Schmierenblatt sollte nun endgültig wegen Volkverhetzung dichgemacht werden. Solch ein widerliches, feiges Hetzblatt hat in der deutschen Medienlandschaft nichts mehr verloren."
Diese - gelinde gesagt - postdemokratischen Bestrafungsphantasien haben - noch? - wenig Aussicht auf Realisierung. Trotz der Ermittlungen des Wiener Landesamts für Verfassungsschutz sei ein Strafverfahren eher unwahrscheinlich, erläuterte eine Expertin für Internetrecht gegenüber dem österreichischen Der Standard. Eine "öffentliche Aufforderung zur Straftat" liege hier nicht vor, da es sich um eine "satirische, nicht ernst gemeinte" Äußerung handele. Überdies wurde Kurz nicht mit Hitler, sondern mit "Baby-Hitler" verglichen. Titanic werfe zudem die legitime Frage auf, "wie weit rechts" der neue Politführer sei. Auch werde in der Satire auf die Geschichte Österreichs eingegangen.
Kurz als Erlöserfigur
Kurzfristig, solange noch die postdemokratischen Fassaden stehen, droht Satire somit nicht an Verboten zu scheitern. Das muss aber nicht so bleiben, sofern die Baby-Hitlers Europas ihren braunen Windeln entwachsen. Kritische Satire (und nicht der in rechten Kreisen als "Humor" bezeichnete Aufruf zum Pogrom an Minderheiten) ist aber subversiv, weshalb die neue Rechte sie bereits jetzt landesübergreifend bekämpft.
Viel "gefährlicher" sind aktuell die bizarren Ergebenheitsadressen, der absurd anmutende, nordkoreanische Dimensionen erreichende Kult um den jungen Politstar, der zu einer Erlöserfigur aufgebaut wird. Ein Paradebeispiel für eine Unterwerfungsprosa, an der jede Satire scheitert, lieferte jüngst Franz Josef Wagner.
Kurz sei vergleichbar mit Mozart, er verfüge über eine "genetische Profession", ähnlich dem österreichischen Musikgenie: "Welch überirdische Gaben haben Sie, Sebastian Kurz?", fragte Wagner. Der Führer der kräftig nach rechts verschobenen ÖVP "ist zu jung, um eine Sünde zu begehen", seine Jugend sei entwaffnend, so der ins Homoerotische abdriftende Bildzeitungs-Goethe: "Wir sehen den Körper eines jungen Mannes. Keine Falten, Augen klar, volles Haar. … Gott, was für Sünden kann ein 31-jähriger Mann haben? Ein 31-jähriger Mann hat keine Altlasten, Sex-Affären."
Nordkorea ist überall - die krisenbedingte Sehnsucht nach einem starken Führer in schweren Zeiten bricht sich hier ihre irre Bahn. An solch einer realsatirischen Führerverehrung scheitert jede Satire, wie soll das hier noch irgendwie getoppt werden?
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.