Der Beitrag der Intellektuellen
Zuvor: Pierre Bourdieu: Gegen die Brüsseler Technokraten
Ulrich Beck: Demokratische Re-Regulierung
Joschka Fischer: Der Euro als Chance für eine europäische Diskussion
Ulrich Beck:: Die Bedeutung von transnationalen Institutionen
Wir müssen mit dem Konzept anfangen. Wir sind ja in Deutschland. Man muß die Frage stellen, ob es einen internationalen einheitlichen Raum gibt. Die Mathematik ist beispielsweise ein Bereich, der international vereinheitlicht ist. Auch die Sozialwissenschaften sind global. Die Tradition und die Kultur hingegen sind national. Aber alle Bereiche werden internationaler, und man kann von einer Globalisierung sprechen, wenn auch mit vielen Anführungszeichen. Die Wirtschaft ist auch ein vereinheitlichter Bereich, aber es gibt Wirtschaften. Die Landwirtschaft beispielsweise ist mit der Entwicklung der Transportmöglichkeiten in der Erzeugung und Verarbeitung einheitlicher geworden. Der Wohnungsbau hingegen ist sehr lokal. Das sind konkrete Elemente. Nehmen Sie den Automobilmarkt oder den Sektor der pharmazeutischen Industrie. Dem muß man sich empirisch nähern. Das Problem, mit dem die Staaten hier konfrontiert sind oder mit dem ein künftiger supranationaler Staat konfrontiert sein wird, betrifft beispielsweise die Regulierung des pharmazeutischen Marktes. Das ist ein wichtiges ökologisches Problem. Überdies gibt es hier ein deutliches Nord-Süd-Gefälle. Wo es ein großes konfuses Konzept gibt, das deutsch im schlimmsten Sinne ist, muß man präzise und spezifische Gegenkonzepte formulieren.
Nehmen wir den juristischen Bereich, von dem Ulrich Beck gesprochen hat. Hier gibt es eine leichte, aber immer noch zu schwache Vereinheitlichung. Es wird einen Kampf geben müssen, um die Vereinheitlichung des Rechts weiter zu treiben. Das ist auch möglich, aber es gibt auch die weltweite Vereinheitlichung des juristischen Bereiches über die großen Anwaltskanzleien, die sich etwa in Chicago befinden. Es gibt, wie Herr Fischer angesprochen hat, zwei große Kräfte: die Ökonomieschule von Chicago und die großen Anwaltskanzleien, die in meiner MacDonald-Parabel eine große Rolle spielen. In der Globalisierung gibt es Kräfteverhältnisse, die im juristischen Bereich anders sind als im Bereich des Automobilmarktes. Wenn man auf Konzepte aus ist, dann wäre dies ein Ansatz.
Aber jetzt zum Konkreten. Es hat eine sehr deutsche Zurückhaltung bezüglich des Staatsbegriffs und der Repräsentation gegeben. Die Sozialgeschichte hat uns gezeigt, daß die mentalen Strukturen das Produkt der Staaten sind, in denen wir leben. Ich teile dieses Resistenz. Ich bin sehr anarchistisch und habe nicht sehr viel Sympathie für den Staat. Dennoch muß man hier Fragen stellen. Es gibt einen europäischen Staat, den man bauen kann, der aber nichts mit dem Staat von heute zu tun hat. Wir befinden uns jetzt in dem Stadium, in dem die Kanonisten im 12. Jahrhundert waren, die die ersten Staatsstrukturen erfunden haben. Wir wissen nicht, wie dieser neue europäische Staats sein wird, aber wir müssen die politische Aktion auf der Grundlage des Wissens, das wir über die Jugend der jeweiligen Staaten haben, ausrichten. Ich stimme Herrn Fischer voll zu und bin auch froh, daß mein kleiner Zornausbruch das provoziert hat.
Eines der großen Probleme, das wir als Intellektuelle haben, ist die Frage, was wir in dieser schwierigen Situation tun und bewirken können. Wir können einen Beitrag dazu leisten, daß in Europa ein intellektueller Raum geschaffen wird. Herr Tietmayer ist mir persönlich völlig egal, aber wenn man eine soziologische Intuition besitzt, dann war meine Kritik richtig: ein französischer Intellektueller, der einen deutschen Banker attackiert hat. Das war die Rekonstruktion einer klassischen Struktur des 19. Jahrhunderts, so wie Baudelaire die Bourgeoisie angegriffen hat. So kann man eine Diskussion entfachen. Wenn ich das nicht getan hätte, wäre ich heute nicht hier. Wir müssen arbeiten, um Diskussionen auszulösen. Und was wir heute abend machen, ist genau das. Wir schaffen ein internationales politisches Feld. Wir sollten die nationalen Bereiche verstehen, um über das Nationale hinausgzugehen, um uns von dieser Unterwerfung unter das Nationale befreien zu können.
Welchen Beitrag können wir leisten? Wir sind als Soziologen Spezialisten für die soziale Welt. Wir müssen politische Orientierungen voraussehen können. Wir können, was sehr schwierig ist, gemeinsam in internationalen Teams Orientierungsschwerpunkte setzen, die realistisch im Hinblick auf die politische transnationale Aktion sind. Die Politiker und die politischen Konzepte sind vielleicht bekannt, aber sie haben keinen guten Ruf in der Soziologie. Auch die intelligenten Politiker kennen nicht immer den neuesten wissenschaftlichen Stand in der Soziologie. Wir müssen Vorschläge kreieren können, die dann etwa vom Europäischen Parlament diskutiert werden. Wir brauchen ein Beobachtungsgremium, das kritisch die Schaffung europäischer Institutionen begleitet. Wir brauchen eine europäische Universität, damit wir einen kritischen europäischen Rahmen schaffen können.
Eine der Schwächen des Sozialstaates in Europa ist, daß dessen Verteidiger schwach sind im politischen Kampf gegen die Technokraten oder Juristen. Sie sind weniger zweisprachig. Es gibt zwei Klassen von Juristen in Europa: Es gibt die internationalen Juristen, die englisch sprechen, und die anderen, die immer weiter deklassiert werden, weil sie keine Fremdsprachen können. Das ist ein Trend. Wie also kann man politische Führungskräfte schulen, egal ob sie blau, grün oder rot sind, die einfach wissen, was in Brüssel passiert? Gewerkschafter, Verbandsvertreter, Feministinnen, Schwule oder Lesben, die nach Brüssel geschickt werden und dort im europäischen Recht und in den europäischen Strukturen geschult werden. Frankreich glaubt immer, daß es Avantgarde ist, aber es hat ein absolut archaisches Rechtssystem. Solche Institutionen müssen modernisiert werden. Der europäische Gewerkschaftsbund muß geschaffen werden. Wir brauchen eine Charta der Immigration. Man muß wissen, auf welchen Kräften man hier aufbauen kann.
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