Klima, Militär und BND: Wie Sicherheitspolitik den Klimadiskurs erobert
Bild: Ma Ti /Unsplash
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Wohin die geopolitische Zeitenwende läuft: Bundeswehr-Studie zum Klimawandel als Risiko für die Sicherheit Deutschlands im kritischen Rückblick. Analyse.
Als Journalist ist man immer auch Chronist, hieß es bei den Altvorderen der Branche. Und der Historiker kann zwar ohne objektive Daten nicht arbeiten. Aber ohne eine zeitgenössische, notwendigerweise subjektive Interpretation derselben muss ihm wohl zugleich deren Bedeutung verschlossen bleiben. Der folgende Beitrag unternimmt eine solche Interpretation.
Anlass dazu gibt eine Meldung, die bereits am 12. Februar kursierte. An diesem Tag berichtete das ZDF und andere Medien, wie etwa Die Zeit oder Focus, über eine Analyse, die im Auftrag des Auswärtigen Amtes erstellt wurde.
Sie trägt den Titel "Nationale Interdisziplinäre Klimarisiko Einschätzung", ihr Akronym heißt NiKe, der Name der griechischen Siegesgöttin. Wo ein Sieg ist, ist auch ein Krieg?
Tatsächlich geht es im Bericht um Sicherheitspolitik. Genauer: Es geht um die sicherheitspolitischen Risiken des Klimawandels. So ist er auch Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Institutionen, das gibt ihm einen interessanten Akzent.
Zugespitzt und provokant formuliert lautet dazu die Frage, ob da nun ein militär-klimawissenschaftlicher Komplex in statu nascendi zu beobachten ist?
"Klimaschutz als Sicherheitspolitik" – ein interdisziplinärer Bericht
Für den Analyse-Bericht verantwortlich zeichnen das Metis Institut für Strategie und Vorausschau der Bundeswehr-Universität München, das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) –weshalb der Bericht von manchen auch "Bundeswehr"-Studie genannt wird –, sowie der Think Tank Adelphi Research.
Darüber hinaus ist auch der deutsche Auslandsgeheimdienst BND, der Bundesnachrichtendienst, hervorgegangen aus der ehemaligen Organisation Gehlen, daran beteiligt.
Das lässt aufmerken.
"Wer Sicherheit denkt, muss Klima mitdenken"
"Wir leben bereits in der Klimakrise" und "Wer Sicherheit denkt, muss Klima mitdenken". Das sind die beiden Kernaussagen der Nike-Analyse, die rhetorische Klammer, die Anfang und Ende markiert.
In seinem Vorwort zu der Publikation nennt der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Bruno Kahl, den Klimawandel als eine "fünf großen externen" Bedrohungen für Deutschland – neben einem "aggressiv-expansiven Russland", den weltpolitischen Ambitionen Chinas, zunehmenden Cyber-Gefahren und dem internationalen Terrorismus.
Die Analyse setzt als gegeben voraus, dass die Häufigkeit und Intensität wetterbedingter Katastrophen bis 2040 weltweit zunehmen werden. Diese Ereignisse, davon geht der Bericht aus, gefährden Gesundheit, Infrastruktur und Wirtschaft. Sie führen zu hohen Anpassungs- und Wiederaufbaukosten.
Zudem erhöhe der Klimawandel das Risiko von Ernteausfällen und Preisschocks und verschärfe auf diese Weise besonders in einkommensschwachen Staaten Migrationsbewegungen und Konflikte.
Dazu komme, dass ein wachsender globaler Ressourcenbedarf die Umwelt bedrohe. Zugleich befürchten die Verfasser des Berichts eine "Erosion der regelbasierten internationalen Ordnung" durch Verteilungskämpfe zwischen den Nationen.
Wegen dieser "Grenzen des Wachstums", auf die der malthusianische Impetus des Club of Rome erstmals 1972 in größerer Dimension aufmerksam machte – müsse Deutschland auch "jenseits seiner Grenzen" Vorbereitungen gegen den Klimawandel treffen.
Drohende humanitäre Krisen und unterbrochene Lieferketten verlangen, so der aktuelle Bericht, über ein halbes Jahrhundert später, dass Deutschland und die EU "strategisch" mit anderen Ländern zusammenarbeiten und dabei helfen, "Governance-Mechanismen" auf globaler Ebene zu implementieren – etwa mit Blick auf die weltweite Ernährungssicherheit.
Die Berichtsverfasser warnen davor, dass sich mit einem Nachlassen der Klima-Bemühungen Deutschlands und der EU – und zwar konkret in Bezug auf die Ziele des Pariser Klima-Abkommens – der "Gestaltungsspielraum" für Verteidigungsmaßnahmen zunehmend reduziere, während gleichzeitig die Kosten für eine politisch-ökonomische "Kurskorrektur" in die Höhe schössen.
Diese Präventions-Maßgaben haben, wie hier aufscheint, eine sicherheitspolitische, sprich: militärische Komponente. Auch werden geopolitische Erwägungen angeschlossen. So riskiere Deutschland etwa, "die Führungsrolle in der grünen Transformation" an China abzugeben. Die geopolitische Dimension der Analyse zeigt sich etwa in folgendem bemerkenswerten Zitat:1
Gelingt es der Weltgemeinschaft nicht, die Erderwärmung gemäß des Pariser Abkommens zu begrenzen, könnte dies Zweifel an der Legitimität und Effektivität der regelbasierten internationalen Ordnung schüren.
Von der Delegitimierung des Staates bis zum Bürgerkrieg
Ein weiterer, hervorzuhebender Punkt in der "Nike"-Analyse betrifft die Gefahren und die Aufrechterhaltung der "sozioökonomischen Resilienz" im Angesicht der Folgen des Klimawandels, zu denen auch "Preissteigerungen infolge der CO2-Bepreisung" gezählt werden.
Die Verfasser skizzieren dramatische Szenarien von "zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen" bis hin zu "Staatszerfall" und "Bürgerkrieg" , die durch die Folgen des Klimawandels ausgelöst werden könnten.
Dabei könnten "extremistische Akteure" – hervorgehoben werden hier "Rechtspopulisten und Rechtsextremisten" –, die "Angst vor Veränderungen" und "Statusverlust" nutzen, um Zweifel am Klimawandel zu säen, um "breitere Protesthaltungen zu fördern und Anschlussfähigkeit zu ihrem Weltbild herzustellen".2
Die Handschrift des BND zu tragen scheint die Aussage, dass von dieser Seite der Klimawandel im Kontext der (seit 2021 auch "verfassungsschutzrelevanten") der "Delegitimation des demokratischen Rechtsstaats" zu sehen ist. Da er nämlich in der Perspektive der Rechtspopulisten und Rechtsextremisten als ein von "Eliten gesteuertes" Thema präsentiert wird, um deren Kontrolle über die Bevölkerung zu sichern.
Große Transformation und die Politik
Verlässliche Prognosen der Klimawissenschaft bilden die Grundvoraussetzung für die Maßnahmen, die in der "Nike"-Analyse empfohlen werden. Dabei hat der Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer, bereits 2013 in einem Artikel des Spiegel beschrieben, dass es eine Herausforderung für die Klimawissenschaft darstelle, der Politik einen eindeutigen Konsens zu vermitteln und klare Handlungsempfehlungen an die Hand zu geben.
Maßnahmen sind letztlich immer politisch, das hat auch die Corona-Krise gezeigt.
Der Spiegel-Artikel erwähnt eben auch, dass der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU) mit dem "Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation" bereits 2013 eine solche, detailliert ausgearbeitete Handlungsempfehlung für einen, so der Autor Axel Bojanowski, "grundlegenden Umbau der Weltwirtschaft" ausgesprochen hat. Mit dem WBGU-Vorsitzenden Hans-Joachim Schellnhuber und Stefan Rahmstorf zählen zwei prominente Mitglieder des PIK zu den Autoren.
Der Klimaforscher und Meteorologe Hans von Storch vertrat gemeinsam mit dem Soziologen Werner Krauß damals gegenüber dem Spiegel (und der Argumentation nach noch heute) die Ansicht, dass die spezialisierte Wissenschaft das "das Rohmaterial für eine große Klimaerzählung" liefere, die "das Schreckensszenario des Kalten Krieges abgelöst" habe.
Modelle und ihre Herausforderungen
Allerdings gibt es auch wissenschaftlich fundierte Berichte über Unsicherheiten in der Eindeutigkeit der Klimaprognosen, die ebenfalls weitreichende Implikationen für klare Handlungsempfehlungen haben.
So veröffentlichte etwa das Wissenschaftsmagazin Spektrum im August 2023 einen Artikel über die Anomalie der Kaltwasserzunge im Ostpazifik, die nicht mit den gängigen Prognosemodellen in Einklang zu bringen sei.
Das Phänomen, welches Pedro DiNezio von der University of Colorado Boulder im Artikel als "die wichtigste unbeantwortete Frage der Klimawissenschaften" beschreibt, stelle eine Herausforderung für bestehende Klimamodelle dar. Sollte der aktuelle Trend anhalten, heißt es bei Spektrum, könnte die Kaltwasserzunge die prognostizierte globale Erwärmung um bis zu 30 Prozent verringern.
Viele politische Entscheidungen und Planungen basierten hingegen auf Modellen, die eine Erwärmung des Ostpazifiks vorhersagen, hält Spektrum weiter fest, betont aber zugleich, dass die Klimamodelle – selbst, wo diese "die Anomalie nicht widerspiegeln" und daher "gravierend in die Irre führen" könnten – aus diesem Grund aber nicht rundweg abzulehnen seien.
Globale Strategen
Grund, die Analyse mit dem BND als interdisziplinären Mitverfasser auf Hintergründe abzuklopfen, gibt es aber nach Ansicht des Verfassers dieses Beitrags nicht nur in Bezug auf die Exaktheit und Solidität von Prognosen-Modellen, sondern auch hinsichtlich der anderen beteiligten Institutionen.
So gibt es personelle Verbindungen des PIK mit der Stiftung Mercator und Fragen zur Darstellung der Klima-Problematik, die mit Klima-Lobbyvorwürfen verknüpft werden.
Die ebenfalls am Bericht zur "Klimarisiko-Einschätzung" beteiligte, in der Öffentlichkeit aber weniger bekannte Organisation Adelphi Research hat in der Vergangenheit ihrerseits Projektförderungen sowohl des Umweltbundesamts (UBA), des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) sowie des Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) erhalten.
Die genannten Ministerien, inklusive des Auftraggebers, des Auswärtigen Amtes, waren zum Zeitpunkt der Beauftragung mit Parteimitgliedern der Grünen besetzt. Die geplante Festschreibung der Klimaziele ins deutsche Grundgesetz, die manche Verfassungsrechtler als inakzeptables Einschreiben politischer Ziele in die Verfassung kritisierten, erfolgt aber bekanntlich im Namen der Koalition aus der SPD und den Unionsparteien.
Der Mitbegründer und Geschäftsführer von Adelphi, Alexander Carius, arbeitet nach eigenen Angaben seit mehr als zwei Jahrzehnten zu den Themen "Global Governance, Nachhaltige Ressourcennutzung, Klimarisiken, Krisen- und Konfliktprävention, Migration sowie Urbanisierung".
Unter den Kooperationspartnern von Adelphi finden sich mit der Mercator Stiftung, dem Aspen Institute und Chatham House auch solche, die eine betont globale Ausrichtung der Weltpolitik anstreben, wie Telepolis am Beispiel der traditionsreichen, letztgenannten Thinktanks und dem "One Health"-Konzept ausführlicher beschrieben hat. Jene globale Strategie stellen die genannten Organisationen meist als die einzig erstrebenswerte oder gar als unausweichliche Lösung dar.
Der BND als politischer Akteur und der Systemrivale China
Was den BND angeht, so ist dessen Mitautorenschaft am Bericht zur Einschätzung der Klima-Risiken nicht der letzte Hinweis auf seine Mitwirkung als politischer Akteur mit einem bemerkenswerteEinfluss.
Anfang März erregten Medienberichte über einen Hinweis des Nachrichtendienstes Aufsehen, wonach das Coronavirus SARS-CoV-2 mit einer Wahrscheinlichkeit von "80 bis 95 Prozent" aus dem Institut für Virologie im chinesischen Wuhan stamme.
Zuvor hatte der US-amerikanische Geheimdienst eine ähnliche Beurteilung veröffentlicht, die den Systemrivalen China die Schuld an dem Krankheitsausbruch zuweist.
Nach dem Hinweis des BND gelangte auch ein Bericht aus den Reihen des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6 an die Öffentlichkeit, der ebenfalls China als den Verursacher einer weltweiten Pandemie bezichtigte.
Die Volksrepublik, die in der Vergangenheit eine Kontrolle ihrer Labore durch die Weltgesundheitsorganisation ablehnte und von letzterer daher mehrfach für das Zurückhalten von Informationen kritisiert wurde, bezeichnete entsprechende Vorwürfe als "politisches Manöver".
Die Laborthese, die im Jahr 2020 – zum Veröffentlichungszeitpunkt der jüngst publik gewordenen Berichte – als substanzlose Vermutung oder Verschwörungstheorie von "Querdenkern" dargestellt wurde, ist mittlerweile sogar so salonfähig geworden, dass sie das Parlament, das hauseigene Magazin der Berliner Bürokratie, aufgegriffen hat. Der Genetiker Günter Theißen rückt darin ebenfalls China in den Fokus der Beschuldigungen:
Ich habe nicht den Eindruck, als hätte China wesentlich zur Aufklärung beigetragen. China unternimmt alles, um insbesondere die Labor-Hypothese zu entkräften. Es geht offensichtlich um rein politische Interessen, die Wahrheit scheint eher sekundär zu sein.
Günther Theißen, Das Parlament
Es bleibt zu hoffen, dass sich der Umgang mit der Wahrheit nicht in beiden Richtungen so verhält, wie hier angedeutet.