Der König von Deutschland spricht wieder zu uns
- Der König von Deutschland spricht wieder zu uns
- Gute Bürger machen alles mit und dürfen außerdem eine Meinung haben
- Wie ein König – und doch wieder nicht so ganz
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Alle Jahre wieder gibt es die Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten. Frank-Walter Steinmeier hat wenig zu sagen und redet trotzdem regelmäßig viel. Über ein nur scheinbar überflüssiges Amt.
So ähnlich wird es wohl auch dieses Mal laufen: Am 25. Dezember sendet das Fernsehen die alljährliche Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten. Man sieht Frank-Walter Steinmeier in einer warmen Stube mit Deutschland-Fahne und Weihnachtsbaum im Hintergrund.
"Liebe Landsleute", wird er wohl gewohnt jovial beginnen, "zu Weihnachten grüßen meine Frau und ich Sie alle aus vollem Herzen. Wieder, wie in den beiden Jahren zuvor, steht dieses Fest unter dem Eindruck bedrohlicher Entwicklungen. War es 2020 und 2021 die Corona-Pandemie, hat sich dieses Jahr etwas ereignet, was wir nicht mehr für möglich gehalten haben: ein Krieg mitten in Europa.
Der Angriffskrieg Russlands hat alles verändert. Es gibt keine Sicherheiten mehr, und mit den aus der russischen Aggression folgenden schwerwiegenden Folgen für unsere Wirtschaft und unseren Alltag haben wir alle zu kämpfen. Umso wichtiger ist es, dass wir zusammenhalten und dieses Weihnachten dazu nutzen, uns auf unsere Kräfte zu besinnen ..."
Was war das doch schön nach dem Anschluss des Ostens ...
Wie die Ansprache weitergeht, kann man sich denken. Etwas kürzer und salbungsvoller, aber in der Sache gleich wie in seiner Rede "Alles stärken, was uns verbindet" vom 28. Oktober wird er einen Rundgang durch die aktuellen nationalen Befindlichkeiten machen.
Möglich, dass er am Anfang wieder vom "Rückenwind" spricht – nein, nicht von dieser nervigen Bank in der Fernsehwerbung, die einen Kredit gnädigerweise aussetzt, weil eine gerade fertiggestellte Terrasse einen Kratzer abbekommen hat. Sondern Frank-Walter Steinmeier fabuliert von einer "Epoche im Rückenwind". Vor dem Krieg in der Ukraine waren es
Jahre, geprägt vom Glücksmoment der Deutschen Einheit, vom friedlichen Abzug der sowjetischen Truppen, vom Ende der Blockkonfrontation und dem Zusammenwachsen Europas. Es waren Jahre der Friedensdividende, von der wir Deutsche in der Mitte des vereinten Europas reichlich profitiert haben (…) Wir setzten darauf, dass wir von Freunden umgeben und der Krieg in Europa jedenfalls unvorstellbar geworden sei. Freiheit und Demokratie schienen überall auf dem Vormarsch, Handel und Wohlstand in alle Richtungen möglich.
Frank-Walter Steinmeier
In welcher Welt lebt der Mann? In seiner ganz eigenen offenbar. Sie wird beherrscht vom unbedingten Interesse eines Polit-Profis am Erfolg seines Staates – und verlangt, dass dieses Interesse seine lieben Untertanen gefälligst teilen.
Wer erinnert sich nicht an seinen "Glücksmoment", als Deutschland-West ganz ohne Kanonen Deutschland-Ost anschloss? Und die eigentlich furchtbar bösen Sowjetrussen das ohne Widerstand hinnahmen? Da wurde das normale Leben zwischen Job und Familie doch gleich viel schöner!
Reichtum und Wohlstand breiteten sich unaufhaltsam aus. Wählen durften die "da drüben" jetzt endlich wie wir, also welche Figuren ihnen die nächsten vier Jahre die Vorschriften machen sollten. Und in Europa begegnete fortan jeder den Deutschen mit einem zugewandten Lächeln.
Gegensätze, gar Krieg? Aber nein, wir sind doch jetzt alle Freunde. Es können nur alle zustimmen, wenn die Deutschen gerade zur größten Macht auf dem Kontinent heranwachsen und das Sagen haben ...
... und das hat Russland jetzt kaputtgemacht
Zur staatstragenden Schönrednerei Steinmeiers gehört desgleichen seine immer wieder aufgetischte Erzählung: Vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine hat es keinen Krieg in Europa mehr gegeben, jedenfalls nicht seit dem Fall Nazi-Deutschlands! Durch Wiederholung wird es aber nicht richtiger.
Er selbst müsste sich noch gut daran erinnern, wie die rot-grüne Bundesregierung Ende der 1990er-Jahre das Eingreifen der Nato in den jugoslawischen Bürgerkrieg guthieß und sich am Krieg beteiligte.
Zuvor hatte Deutschland diesen Bürgerkrieg durch die frühzeitige Anerkennung der abtrünnigen Kroatien und Slowenien angeheizt. Innerhalb der EU im Alleingang, gegen Widerstand von Großbritannien, Frankreich und Spanien. Diese Länder haben bekanntlich ihre liebe Not mit eigenen Separatisten (Iren, Korsen und Basken). Da zuckte man verständlicherweise davor zurück, in einem europäischen Nachbarland solche Bestrebungen zu unterstützen.
Beinahe sprachlos macht vor diesem Hintergrund, wie dreist der Mann im höchsten Staatsamt einfach das falsche Gegenteil behauptet. Und fast noch sprachloser, dass die überwiegende Mehrheit der Medien ihm das durchgehen lässt. Es ist ja auch zu schön für die Propaganda gegen den aktuellen Kriegsgegner: So lange war Europa friedlich, und dann zerstört Russland alles.
Für einen Bundespräsidenten stellt sich die Welt eben anders dar als für einen normalen Bürger: Sein Staat muss sich behaupten und größer werden (Glücksmoment), sein System soll sich durchsetzen (Freiheit und Demokratie), sein nationaler Reichtum sich mehren ("in alle Richtungen").
Dennoch kann Steinmeier davon ausgehen, dass kaum einer seiner Untertanen abwinkt und sagt: "Ihre Sorgen möchte ich haben. Bei mir geht es ums tägliche Überleben. Und das ist abhängig davon, ob ich von Ihrem sogenannten nationalen Reichtum ein paar Krümel abbekomme, für die ich mich auch noch übel krumm machen muss. Außerdem, was für eine Dividende? Muss ich etwa dankbar dafür sein, dass Sie mit Ihren Politikkumpanen keinen Krieg anzetteln?"
Jetzt müssen "wir" konfliktfähig werden – "Frieden" war gestern
Wenn Frank-Walter Steinmeier deshalb am 1. Weihnachtsfeiertag ähnliche Worte findet wie Ende Oktober, und das darf man getrost annehmen, werden vielleicht nicht so viele zuschauen wie beim Ausscheiden der deutschen Fußballmannschaft in Katar.
Aber einige Millionen werden es schon sein. Die sich als Teil einer großen Gemeinschaft begreifen, deren Oberhaupt ihnen einerseits Honig um den nationalen Bart schmiert: Wie wichtig alle sind, jeder an seinem Platz selbstverständlich.
Andererseits aber auch einige harte "Wahrheiten" verkündet, was auf sie an unangenehmen Anforderungen jetzt zukommt. Und dass das nun mal sein muss – für was wohl? Natürlich den Erfolg Deutschlands.
Vielleicht wird er zum Friedensfest der Christenheit etwas sanfter formulieren, doch in der Sache dürfte es auf Folgendes hinauslaufen:
"Wir müssen konfliktfähig werden, nach innen und außen. Wir brauchen den Willen zur Selbstbehauptung, und wir brauchen auch die Kraft zur Selbstbeschränkung. Wir brauchen keine Kriegsmentalität – aber wir brauchen Widerstandsgeist und Widerstandskraft!::Frank-Walter Steinmeier
"Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen"? (Lukas 2,14) – wohl eher nicht für die Angehörigen des deutschen Staatsvolks:
"...ich weiß, viele Menschen in unserem Land sehnen sich nach Frieden. Einige glauben, es fehle an ernsthaften Bemühungen unsererseits, ja gar an Bereitschaft zum Verhandeln. Ich kann Ihnen versichern: Niemandem, der bei Sinnen ist, fehlt der Wille. Aber die Wahrheit ist: Im Angesicht des Bösen reicht eben guter Wille nicht aus. (…) Ein Friede, der Putins Landraub besiegelt, ist kein Friede.
Frank-Walter Steinmeier
Die Weihnachtsbotschaft lautet also: Erst, wenn Russland sich komplett aus der Ukraine zurückzieht, also seine Niederlage eingesteht, können wir über einen Frieden verhandeln! Da dies jedoch in Anbetracht des Bösen – recht besehen der Kräfteverhältnisse – einstweilen nicht der Fall sein dürfte, müsst ihr, meine lieben Untertanen, Euch auf die hiesige Kriegswirtschaft bis auf weiteres einstellen.
Also das nötige Geld aufbringen für die Finanzierung der durch Gas- und Ölboykott geschaffenen Energienotlage, für die drastische Aufrüstung der Bundeswehr und natürlich auch für die zusehends kaputte und ungebrochen korrupte Ukraine. Begleitet von einer dramatischen Verteuerung der Lebenshaltungskosten, die damit zusammenhängt. Es geht ums Gürtel-enger-schnallen und das sich Einreihen in die ideologische Kriegsfront.
"Landraub" des "Bösen": Mehr Kriegsgründe gehen nicht
Zur präsidialen Lesart der Lage zählt außerdem ernsthaft, dass es sich bei Russland um "das Böse" handele und es um "Landraub" ginge. Beides ist grundverkehrt – und der langjährige Außenminister Steinmeier weiß das natürlich. Schließlich besteht Außenpolitik von Staaten prinzipiell darin, sich mit anderen Staaten ins Benehmen zu setzen. Dafür muss man nun einmal die Herrschaft des Gegenübers über sein Land und seine Leute anerkennen. Moral ist da fehl am Platz.
Solange Beziehungen von Nutzen sind, schaut man auch nicht so genau hin, wie der andere Staat mit seinen Bürgern umspringt – beispielsweise Ägypten. Das ist Sache der anderen Herrschaft, und die verbittet sich auch eine Einmischung.
Die Alternative ist allerdings die Einmischung. Sie kratzt an der nötigen Anerkennung der Souveränität und ist deshalb heikel. Wenn Druck ausgeübt werden soll, weil die Beziehung nicht in die richtige Richtung läuft, hat sich der Hinweis auf Menschenrechte gut bewährt oder die Warnung, sich nicht mit den falschen Staaten zusammenzutun.
Dann kann man prima testen, wie sehr der eigene Einfluss reicht – also der andere Staat sich den Vorwurf gefallen lässt, vielleicht sogar sich der Einmischung fügt und gewünschte Änderungen bei seinem Regieren zeigt. Bei Staaten wie China und Indien erfährt Steinmeiers Nachfolgerin im Außenministeramt Annalena Baerbock die Grenzen der deutschen Macht. Beide wollen partout nicht von ihren umfangreichen Beziehungen zu Russland lassen, und sie reihen sich nicht in die Anti-Putin-Front ein.
Das "Böse" in der internationalen Politik ist einfach keine Kategorie, in der sie begleitenden Propaganda umso mehr. "Böse" allerdings ist es aus der jeweiligen Sicht eines Staates oder Bundes wie der Europäischen Union, wenn sich andere Regierungen nicht wie gewünscht verhalten. Das trifft gerade auf Russland besonders zu, entsprechend fallen die Mittel aus, diese Macht in die Schranken zu weisen – und die moralische Begleitmusik, um der rechtschaffenen Empörung Ausdruck zu verleihen.
Dabei geht es "Putin" nicht darum, die Ukraine einzuverleiben. Sein "Landraub" im Osten und auf der Krim dient dem Zweck, den "Landraub" des Westens zu stoppen. "Landraub" ist in diesem Zusammenhang ein bewusst irreführender Begriff: Es geht nicht um die Vergrößerung von Staatsgebiet, sondern von Zugehörigkeit der Ukraine zum jeweiligen Einfluss- und militärischem Aufmarschgebiet.
Und in diesem Kampf hat der Westen seit der Auflösung der Sowjetunion enorme Erfolge erzielt. Sein "Landraub" führte schließlich dazu, dass von den einstigen Verbündeten Russland bis auf Belarus kein Staat mehr übrig geblieben ist. Die Ukraine ist de facto seit 2014 auch für Moskau verloren. Aber wenigstens die Aufnahme in die – mitsamt der Stationierung Russland bedrohender Raketen will man verhindern.
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