Der Niedergang des US-Imperiums – begleitet von kostspieligen Illusionen
Slogan "Make America Great Again" begleitet den Niedergang der US-Hegemonie. Der Ukraine-Krieg zeigt das, aber nicht nur er. Was daraus folgt. Gastbeitrag.
Als Napoleon Russland in einen europäischen Landkrieg verwickelte, leisteten die Russen entschlossene Gegenwehr, und die Franzosen verloren. Als Hitler dasselbe versuchte, reagierte die Sowjetunion in ähnlicher Weise, und die Deutschen verloren.
Wirtschaftlicher Niedergang des Westens
Im Ersten Weltkrieg und im nachrevolutionären Bürgerkrieg (1914 bis 1922) verteidigten sich erst Russland und dann die UdSSR weitaus effektiver gegen zwei Invasionen, als die Angreifer es sich ausgerechnet hatten. Diese Geschichte hätte die verantwortlichen Politiker der USA und Europas dazu veranlassen müssen, die Risiken einer Konfrontation mit Russland zu minimieren, insbesondere wenn sich Russland bedroht fühlt und entschlossen ist, sich zu wehren.
Stattdessen haben Illusionen den kollektiven Westen (grob gesagt die G7-Staaten, die USA und ihre wichtigsten Verbündeten) zu unüberlegten Entscheidungen veranlasst. Diese Illusionen entstanden zum Teil aus der weitverbreiteten Verleugnung des relativen wirtschaftlichen Niedergangs des kollektiven Westens im 21. Jahrhundert.
Diese Verleugnung ermöglichte auch eine bemerkenswerte Blindheit gegenüber den Grenzen, die dieser Niedergang dem gemeinsamen Handeln des Westens in der Welt auferlegte. Die Täuschung resultierte auch aus einer grundlegenden Unterschätzung der russischen Bereitschaft und der daraus resultierenden Verpflichtungen.
Der Krieg in der Ukraine veranschaulicht sowohl den Niedergang als auch die kostspieligen Illusionen, die er begünstigt.
Unterschätzung Russlands
Die Vereinigten Staaten und Europa haben auf fatale Weise unterschätzt, was Russland tun könnte und würde, um in der Ukraine militärisch zu siegen. Russlands Sieg – zumindest nach bisher zwei Jahren Krieg – hat sich als bedeutsam erwiesen.
Die Unterschätzung Russlands beruhte auf der gemeinsamen Unfähigkeit der westlichen Staaten, die sich verändernde Weltwirtschaft und ihre Auswirkungen zu begreifen oder zu verarbeiten. Indem sie den Niedergang des US-Imperiums gegenüber dem Aufstieg Chinas und seiner Brics-Verbündeten zumeist herunterspielten, marginalisierten oder schlichtweg leugneten, entgingen den Vereinigten Staaten und Europa die sich entfaltenden Effekte dieses Niedergangs.
Die Unterstützung durch russische Verbündete und Moskaus Entschlossenheit zu kämpfen, haben dazu geführt, eine Ukraine zu bezwingen, die vom kollektiven Westen stark finanziert und bewaffnet wird. Historisch gesehen rufen untergehende Imperien Realitätsverleugnungen und wahnhafte Idee hervor, die ihrer Bevölkerung "harte Lektionen" erteilen und "schwere Entscheidungen" auferlegen. An diesem Punkt befinden wir uns jetzt.
Die wirtschaftlichen Aspekte des Niedergangs des US-Imperiums bilden den globalen Kontext. Das kollektive BIP der Brics-Länder, ihr Wohlstand, Einkommen, Anteil am Welthandel und ihre Stellung auf höchster Ebene in Bezug neuen Technologien übertreffen zunehmend die der G7.
Trumps Nato-Bashing: Sündenbock für Abstieg
Diese unaufhaltsame wirtschaftliche Entwicklung bildet auch den Rahmen für den Niedergang des politischen und kulturellen Einflusses der G7. Das massive Sanktionsprogramm der USA und Europas gegen Russland seit Februar 2022 ist gescheitert. Russland hat sich vor allem an seine Brics-Verbündeten gewandt, womit die meisten der anvisierten Sanktionseffekte schnell und umfassend umgangen werden konnten.
Die UN-Abstimmungen über die Waffenstillstandsfrage im Gazastreifen spiegeln die zunehmenden Schwierigkeiten wider, mit denen die Position der USA im Nahen Osten und weltweit konfrontiert ist, und verstärken diese.
Das gilt auch für die Interventionen der Huthi in die Schifffahrt auf dem Roten Meer und für künftige arabische und islamische Initiativen zur Unterstützung der Palästinenser gegen Israel. Viele der Konsequenzen, die sich aus der sich wandelnden Weltwirtschaft ergeben, untergraben und schwächen letztlich das US-Imperium.
Trumps Geringschätzung der Nato ist zum Teil Ausdruck der Enttäuschung über eine Institution, die er dafür verantwortlich machen kann, dass der Niedergang des Imperiums durch die Allianz nicht aufgehalten wird. Trump und seine Anhänger werten viele Institutionen, die einst als zentral für die Führung des US-Imperiums galten, auf breiter Front ab.
Wirtschaftskrieg mit China schädigt die USA
Sowohl die Trump- als auch die Biden-Regierung haben das chinesische Unternehmen Huawei angegriffen, trieben Handels- und Zollkriege voran und subventionierten US-Konzerne, die starkem Wettbewerb ausgesetzt sind. Nichts Geringeres als eine historische Verschiebung weg von der neoliberalen Globalisierung hin zum ökonomischen Nationalismus ist im Gange.
Ein amerikanisches Imperium, das einst die ganze Welt im Visier hatte, schrumpft zu einem rein regionalen Block, der einem oder mehreren neu entstehenden regionalen Blöcken gegenübersteht. Ein Großteil der übrigen Nationen der Welt – eine mögliche "Weltmehrheit" der Weltbevölkerung – zieht sich vom US-Imperium zurück.
Die aggressive nationalistische Wirtschaftspolitik der US-Regierung lenkt vom Niedergang des US-Imperiums ab und erleichtert so dessen Leugnung. Doch sie verursacht auch neue Probleme.
Die Verbündeten befürchten, dass der Wirtschaftsnationalismus in den Vereinigten Staaten ihre ökonomischen Beziehungen zu den USA bereits beeinträchtigt hat oder bald beeinträchtigen wird. "America First" richtet sich ja nicht nur gegen die Chinesen.
Die veränderte Weltwirtschaftsordnung
Viele Länder sind dabei, ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und ihre Erwartungen an die Zukunft dieser Beziehungen zu überdenken und neu zu gestalten. Ebenso stellen gewichtige Unternehmergruppen in den USA ihre Investitionsstrategien infrage.
Diejenigen, die im Rahmen des neoliberalen Globalisierungswahns des letzten halben Jahrhunderts stark im Ausland investiert haben, sind besonders ängstlich. Sie rechnen mit Kosten und Verlusten, wenn sich die Politik in Richtung wirtschaftlicher Nationalismus bewegt.
Ihr Widerstand verlangsamt diese Veränderungen. Und während sich die Kapitalisten überall auf der Welt in praktischem Sinn an die sich verändernde Weltwirtschaft anpassen, beginnen sie über Richtung und Tempo des Veränderungsprozesses zu streiten.
Das führt zu mehr Unsicherheit und Reibungen in einer dadurch weiter destabilisierten Weltwirtschaft. In dem Maße, wie sich das US-Imperium auflöst, verändert sich auch die Weltwirtschaftsordnung, die es einst dominierte und steuerte.
MAGA als politische Waffe
Die Slogans von der Art "Make America Great Again" (MAGA) haben den Niedergang des US-Imperiums zu einer politischen Waffe gemacht, dabei aber vage bleibend. Solche Sprüche simplifizieren und missverstehen den Abstieg und erzeugen eine andere Illusion.
Trump will, wie er wiederholt versprochen hat, diesen Niedergang rückgängig machen und umkehren. Er wird diejenigen bestrafen, die er für die Entwicklung verantwortlich macht: China, aber auch die Demokraten, Liberalen, Globalisten, Sozialisten und Marxisten, die er in einer Strategie der Blockbildung in einen Topf wirft.
Die wirtschaftlichen Gründe für den Niedergang der G7 werden selten ernsthaft erörtert, da es bedeuten würde, offenzulegen, dass die profitorientierten Entscheidungen der Kapitalisten die Hauptursache für den Niedergang sind.
Weder die Republikaner noch die Demokraten sind dazu bereit. Biden spricht und handelt, als ob der Reichtum und die Machtposition der USA in der Weltwirtschaft im Vergleich zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (den größten Teil von Bidens politischem Leben) unvermindert anhält.
Präsidentschaftswahlen als kostspieligste Täuschung
Die andauernde Finanzierung und Bewaffnung der Ukraine im Krieg mit Russland sowie die Unterstützung Israels im Vorgehen gegen die Palästinenser sind Maßnahmen, die die veränderte Weltlage leugnen. Das Gleiche gilt für die aufeinanderfolgenden Wellen von Wirtschaftssanktionen, obwohl jede Runde ihre Ziele verfehlt hat.
Der Einsatz von Zöllen, um bessere, billigere chinesische Elektrofahrzeuge vom US-Markt fernzuhalten, benachteiligt die US-Bürger (durch höhere Preise chinesischer Elektrofahrzeuge) sowie US-Unternehmen (die im globalen Wettbewerb mit anderen Unternehmen stehen, die die billigeren chinesischen Autos und Lastwagen kaufen).
Die vielleicht größte und kostspieligste Täuschung, die sich aus der Leugnung des jahrelangen Niedergangs ergibt, sind die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen. Die beiden großen Parteien und ihre Kandidaten haben keinen ernsthaften Plan, wie sie mit dem untergehenden Imperium umgehen wollen.
Beide Parteien haben in wechselnder Regierungsverantwortung den Niedergang politisch begleitet. Doch das Einzige, was beide Parteien im Jahr 2024 anbieten, ist Realitätsleugnung sowie die Zuweisung der Schuld an die andere Seite.
US-Kapitalismus macht die Augen zu
Trump verspricht vage, den Niedergang rückgängig zu machen, der durch die schlechte Führung der Demokraten verursacht worden sei, die er mit seiner Wahl beseitigen wird. Keine der beiden großen Parteien bietet nüchterne Eingeständnisse und Einschätzungen der veränderten Weltwirtschaft an, keine sagt, wie ihre Pläne das angehen wollen.
In den letzten 40 bis 50 Jahren der Wirtschaftsgeschichte der G7 kam es zu extremen Umverteilungen von Vermögen und Einkommen nach oben. Diese Umverteilungen waren sowohl Ursache als auch Wirkung der neoliberalen Globalisierung.
Die Auswirkungen in den USA (wirtschaftliche und soziale Spaltungen, die immer feindseliger und unberechenbarer werden) und im Ausland (der Aufstieg Chinas und der Brics-Staaten) untergraben jedoch die neoliberale Globalisierung und beginnen, die damit einhergehenden Ungleichheiten infrage zu stellen.
Der US-Kapitalismus und sein Imperium können dem Niedergang in einer sich verändernden Welt bisher nicht ins Auge schauen. In den oberen Gesellschaftsschichten breiten sich Illusionen über den Erhalt oder die Wiedererlangung der Macht aus, während unten wahnhafte Verschwörungstheorien und politische Sündenböcke (Einwanderer, China, Russland) herhalten müssen.
Unterdessen steigen die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Kosten. Und in einem gewissen Sinn ist es wie in Leonard Cohens berühmtem Lied: "Everybody Knows", "Jeder weiß es".
Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem Independent Media Institute. Sie finden das englische Original hier. Übersetzung: David Goeßmann.
Richard D. Wolff ist emeritierter Professor für Wirtschaftswissenschaften an der University of Massachusetts, Amherst, und Gastprofessor im Graduiertenprogramm für internationale Angelegenheiten der New School University in New York. Seine drei jüngsten Bücher sind "The Sickness Is the System: When Capitalism Fails to Save Us From Pandemics or Itself", "Understanding Marxism" und "Understanding Socialism".