Der Planet im Computer

Wie zuverlässig sind Klimamodelle?

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Um den Geheimnissen des Klimas auf die Spur zu kommen und seine Entwicklungen vorherzusagen, betreiben Forscher in Instituten auf der ganzen Welt Klimamodelle. Das sind eigentlich Wettermodelle, die über Jahrzehnte und Jahrhunderte laufen. Ein Modell ist die primitive mathematische Nachbildung der Vorgänge in der Natur auf Computern. Im Rechner wird ein kleines Abbild der Erde aufgebaut, das im Idealfall genauso funktioniert und reagiert wie der echte Planet. Je mehr Vorgänge in der Natur man als mathematische Formel oder als Datensatz aus Beobachtungen einbaut, desto wirklichkeitsgetreuer ist das Modell.

Prinzipiell läuft die nachgebildete Natur darin entlang einer bestimmten Zeitschiene. Wenn es mit einem bestimmten Datensatz als Ausgangsmaterial gestartet wird, rechnet das Modell in Minutenschritten Jahrhunderte und Jahrtausende vorwärts. Man kann sich zwischendurch den gesamten globalen Zustand von Atmosphäre und Ozean ausdrucken lassen und den im Computer simulierten Planeten als dreidimensionale bunte Grafik betrachten. Es hängt von der Computergröße ab, wie lange ein Modell für die Simulation braucht. Ein gekoppeltes Modell mit 200 km Auflösung, das sind so ungefähr die besten, die es zur Zeit gibt, brauchen für einen 100-Jahres-Lauf vielleicht ein halbes Jahr eines Supercomputers.

Die Modelle werden ständig verbessert. Getestete Unterprogramme der neuen Modelle, die das Verhalten von Ozean, Atmosphäre und Landfläche in ihre Simulation einbeziehen und deshalb "gekoppelte Modelle" genannt werden, simulieren bereits wirklichkeitsgetreu, wie sich Meereis bildet, wie es schmilzt und wie es von Strömungen weiterbewegt wird. Schnellere Superrechner erlauben eine feinere Auflösung, zum Beispiel stellen sie die Konturen und Oberfläche der Kontinente und der Tiefsee realistisch dar. Sogar tropische Wirbelstürme können die Forscher im Modell toben lassen. Wenn dann sogar Zahl, Stärke und Zugbahn der im Modell entstehenden Taifune und Hurrikane auch in Wirklichkeit so beobachtet werden, schafft sich das Ozean/Atmosphäre/Land-Modell wieder ein paar neue Freunde.

Kann man den Modellen glauben?

4,5 Grad Celsius globale Erwärmung: Das könnte uns im schlimmsten Fall blühen. Das hat der Zwischenstaatliche Ausschuß Klimaänderungen (IPCC) in seinen beiden Berichten abgeschätzt: Bei einer Strahlungsbilanzstörung, die einem verdoppelten Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre gleichkommt, wird bei voller Anpassung an die Störung die mittlere globale Erwärmung an der Erdoberfläche 1,5 bis 4,5 Grad Celsius betragen. 2,5 Grad Grad gelten als beste Schätzung.

Diese Werte ergaben sich aus einer Art Wettbewerb verschiedener Klimamodelle. Jede der in diesem Bereich besonders erfahrenen Forschergruppen führte ihr eigenes Modell ins Feld und ließ es durchspielen, wie die Erde mit noch mehr Treibhausgasen umgehen könnte. Sie unterscheiden sich vor allem darin, wie sie die Wolken behandeln, die in den Modellen wie in der Natur entstehen, manchmal auch ausregnen und wieder vergehen sollten. Allerdings fehlen dazu Daten aus Feldexperimenten. Wenn die Wolken nicht, wie man es aus Satellitendaten abgeleitet hat, stärker kühlen, wenn der Treibhauseffekt zunimmt, müssen wir mit der größten Erwärmung rechnen.

Die neusten Vorhersagen beruhen also auf dem, was gekoppelte Ozean/Atmosphäre-Modelle für die Zukunft berechnet haben. Doch kann man diesen Modellen glauben? Es gibt sie zwar schon seit 1990, und sie wurden auch im ersten Bericht des IPpC (der bei der zweiten Weltklimakonferenz veröffentlicht wurde) erwähnt. Doch Klimaschutz-Empfehlungen stützte man damals noch nicht auf ihre Befunde. Zu dieser Zeit, als nur ganz wenige Forschergruppen solche dreidimensionalen Zirkulationsmodelle der Atmosphäre und des Ozeans miteinander wechselwirken ließen, waren ihre Ergebnisse noch nicht sehr zuverlässig. Kleine Fehler bei Energieflüssen zwischen Ozean und Atmosphäre schaukelten sich, als das Modell nicht nur einige Jahre, sondern Jahrzehnte und Jahrhunderte simulierte, so auf, daß es völlig unrealistische Klima zustände vorhersagte. Als man gezielt Korrekturen bei den Energieflüssen einführte, waren - so wie es sein sollte - nur noch die Klimaschwankungen von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zu erkennen. Doch die gekoppelten Modelle hatten sich ihre Glaubwürdigkeit schon verscherzt - ein großer Teil der Wissenschaftler traute ihnen bei numerischen Experimenten mit z.B. zunehmendem Treibhauseffekt nicht mehr.

Inzwischen gibt es viele Klimamodellgruppen, die mit Ozean-Atmosphäre-Modellen experimentieren. Die ozeanischen Modelle sind nun viel realistischer als früher. Doch ob die gekoppelten Modelle zukünftiges Klimas wirklich richtig vorhergesagt haben, kann man erst nach Jahrzehnten beweisen. Die Gretchenfrage lautet also: Glaubt man den Modellen oder glaubt man ihnen nicht? Da man heute schon Maßnahmen auf sie stützen muß, bleibt einem oft keine andere Möglichkeit, als ihre Vorhersagen für bare Münze zu nehmen. Das An-sie-glauben fällt um so leichter, je mehr Tests sie erfolgreich überstanden haben. Sie sollten im Idealfall das Klima, das wir jetzt haben, die Entwicklung der vergangenen 100 Jahre, die kleine Eiszeit von 1300 bis 1850 und rapide Wechsel in der Klimageschichte wie den Rückfall in eine Kaltzeit vor 12.000 Jahre zeigen. Bisher sind bestenfalls die beiden ersten Tests erfolgreich überstanden. Die beiden letzten können erst dann gelingen, wenn wir mehr über das Klima in der Erdgeschichte wissen und die veränderten Einflußfaktoren kennen.

Wie weit soll man den Modellen jetzt folgen? Ich meine, sie sind für vorgegebene Szenarien der Emission von Treibhausgasen und Vorläufergasen für die Aerosolbildung aussagekräftig, was globale Durchschnittswerte angeht. Auch wenn man über die Erdhälften etwas wissen möchte, sind sie praktisch. Doch sie dürfen nicht verwendet werden, um Wirkungen in Skalen von etwa 200 Kilometer, also in kleineren Regionen zu interpretieren, zum Beispiel um den Effekt der Erwärmung in Nord- und Süddeutschland zu vergleichen.

Doch vor Überraschungen, die kein Modell vorhersagt, sind wir nicht gefeit: Rasche unvorhergesehene Klimaumschwünge wie das antarktischen Ozonloch für die Ozonschicht, bleiben möglich; mehr Treibhausgase heißt nicht gleichmäßige Erwärmung an einem Ort, sondern kann auch heißen, Verlust der Winterschneedecke in einem Jahrzehnt oder Übergang vom Wald in die Steppe in einer bestimmten Region, auch wenn die mittlere globale Erwärmung im zeitlichen Verlauf korrekt vorhergesehen worden ist. Aber auch letzteres ist nicht garantiert, weil langfristige natürliche Schwankungen mithelfen oder bremsen können.

Prof. Dr. Hartmut Graßl, Klimaforscher und Meteorologe, ist seit 1994 Direktor des World Climate Research Program bei der World Meteorogical Organisation der UN. Im November 1998 erhielt er gemeinsam mit zwei Kollgen vom Max-Planck-Institut für Meteorologie den Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Für ein allgemeines Publikum erschien 1990 sein Buch "Wir Klimamacher".

Dieser Text wurde mit freundlicher Genehmigung des Verlags dem Buch von Prof. Dr. Hartmut Graßl: "Wetterwende. Vision: Globaler Klimaschutz."( EXPO 2000, Bd. 3. Campus Verlag 1999, DM 36,-) entnommen.

Weitere Artikel aus der im Campus Verlag erscheinenden Buchreihe: "EXPO2000 - Visionen für das 21. Jahrhundert":

Nachhaltigkeit konkret: Wissen: Information und Kommunikation. Chancen der digitalen Revolution von Franz Josef Radermacher.

Wie wird eine postnationale und zugleich politische Bürgergesellschaft möglich? Grundzüge eines europäischen Gesellschaftsmodells von Ulrich Beck.