Kampfbrigade in Litauen: Berlins neuer Machthebel

Uwe Kerkow
Gepanzerte Fahrzeuge der Bundeswehr

Gepanzerte Fahrzeuge der Bundeswehr in Vilnius, Litauen. Foto: Michele Ursi, shutterstock

Deutschlands litauischer Stützpunkt kompliziert die Schaffung einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur. Doch das ist nicht der einzige Aspekt.

Deutschland hat gerade seine erste dauerhafte Militärbasis im Ausland seit dem Zweiten Weltkrieg eröffnet. Die im Südosten Litauens nahe der belarussischen Grenze und in der Nähe der russischen Region Kaliningrad gelegene Basis ist strategisch günstig positioniert, um Deutschland bedeutenden Einfluss bei der Gestaltung der zukünftigen Sicherheitsarchitektur Europas zu verleihen.

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius formuliert das so: "Mit dieser kriegstüchtigen Brigade übernehmen wir eine Führungsverantwortung im Bündnis hier an der Nato-Ostflanke". Am 1. April 2025 wurde nun eine Panzerbrigade als Kern der "Brigade Litauen" genannten Truppe offiziell in Dienst gestellt. Insgesamt sollen es 5.000 Bundeswehrangehörige in drei Kampfverbänden mit 2.000 Fahrzeugen werden.

Auf den ersten Blick wirkt der Aufmarsch deutscher Soldaten an der "Nato-Ostflanke" ziemlich sinnfrei. Denn wie sollen "mehrere hundert deutsche Soldatinnen und Soldaten" Russland vor einem Angriff abhalten können? Auch auf Abschreckung kann Berlin nicht glaubwürdig setzen, denn anders als die USA hat Deutschland keine Möglichkeit, seine Soldaten durch die Drohung zu schützen, Atomwaffen einzusetzen.

Entscheidende Position an der Suwalki-Lücke

Bei genauerem Hinsehen stellt sich jedoch heraus, dass diese Stationierungspolitik mehrere miteinander zusammenhängende Ziele verfolgt. Zunächst schafft Deutschland damit im Wettbewerb um die Führung in Europa mit Frankreich und Polen unübersehbar Fakten. In Litauen sind Soldaten aus den Nato-Ländern Norwegen, Niederlande, Belgien, Tschechien und Luxemburg stationiert, nicht aber aus dem benachbarten Polen und auch nicht aus Frankreich.

Frankreich überwacht in einer gesonderten Mission seit 2017 den Luftraum an der Grenze zu Russland. Zwischen Polen und Litauen bestehen alte Animositäten. Allerdings werden innerhalb der Nato gemeinsam Manöver durchgeführt.

Mit dieser Stationierung nimmt Deutschland eine entscheidende Position bei der Überwachung und gegebenenfalls sogar Verteidigung der sogenannten Suwalki-Lücke ein. Diese Lücke trennt die russische Exklave Kaliningrad vom Kernland und besteht aus einem 65 Kilometer langen polnisch-litauischen Grenzstreifen.

Polen und Frankreich ausmanövriert

Deren Verteidigung ist also eine eigentlich originär polnische Aufgabe, denn das litauische Militär zählt keine 18.000 aktiven Soldaten und ist dazu schlichtweg nicht in der Lage. Das Militärbudget des baltischen Staates umfasst für 2025 etwa 2,5 Milliarden Euro, was rund drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht.

Also wird Warschau in der Verantwortung bleiben – selbst wenn die Regierung in Vilnius ihre Ankündigung wahrmacht und künftig fünf bis sechs Prozent des BIP für Waffen und Soldaten aufwendet.

Allerdings hat Russland bisher keine Absicht erkennen lassen, seine baltische Exklave mit einem Blitzkrieg durch Polen oder eben durch das viel schwächere Litauen anzuschließen. Auch hat trotz des dröhnenden Getrommels bisher niemand schlüssig erklärt, warum Moskau das tun sollte. Immerhin würde ein solches Szenario fast sicher zu einem kontinentalen Konflikt und wohl auch direkt in den Dritten Weltkrieg führen.

Militärisches Schengen-Abkommen

Nicht zuletzt um die Soldaten in Litauen ungehindert versorgen zu können, haben Deutschland und die Niederlande mit Polen Anfang 2024 die Schaffung eines sogenannten "militärischen Schengen Raums" vereinbart. Das grenzt den Einfluss Warschaus auf deutsche Truppenbewegungen im eigenen Land ein.

Und schließlich münden die beiden genannten Ziele Berlins, im Wettbewerb um Einfluss in den baltischen Ländern robuster mit Polen zu konkurrieren und bei der Planung für den "Suwalki-Korridor" ein größeres Mitspracherecht zu haben in das Bestreben in jede russisch-US-amerikanische Vereinbarung über die künftige Sicherheitsarchitektur Europas zwingend einbezogen zu werden.

Denn mit der Stationierung seiner Soldaten in Litauen ist Deutschland zum unmittelbaren Stakeholder in Bezug auf die Sicherheit Zentral- und Osteuropas avanciert. Wie die Asia Times in diesem Zusammenhang betont, ist jedwede andere Entsendung der Nato nach Osteuropa – obwohl ebenfalls dauerhaft eingerichtet – doch mit rotierendem Personal ausgestattet.

Fuß in der Tür zum Verhandlungszimmer

Nur Deutschland und die USA verfügen offiziell über ständige Bodentruppen in Osteuropa, was auch einen anderen rechtlichen Rahmen impliziert. Das Bestreben Moskaus nach einer Rückkehr zur NATO-Russland-Grundakte von 1997 ist jetzt ohne die Zustimmung Deutschlands nicht mehr möglich.

Drei Jahre ist die Aufforderung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, zum Nato-Russland-Gründungsakt von 1997 zurückzukehren, jetzt alt. Dafür müsste die Nato allerdings westliche Truppen und militärische Infrastruktur aus den Ländern des ehemaligen Warschauer Paktes abziehen. Ein solcher Schritt bräuchte nun aber zwingend die Zustimmung und aktive Beteiligung Berlins.

Damit wird Deutschland zwar keineswegs automatisch in die aktuellen Ukraine-Gespräche zwischen den USA und Russland einbezogen. Allerdings hat Berlin inzwischen eine Position erlangt, aus der heraus die deutsche Politik eine mögliche Einigung zwischen den USA und Russland über die Beendigung des Ukrainekrieges ganz empfindlich hintertreiben kann.