Der fragwürdige Wahltipp des Linken Ramelow
Zweite Amtszeit für Bundespräsident Steinmeier? Thüringens Landesvater ist mit einer Empfehlung vorgeprescht, die in seiner eigenen Partei keineswegs konsensfähig ist
Schon die letzte Bundespräsidentenwahl gehörte nicht zu den spannendsten Ereignissen der bundesrepublikanischen Demokratie: Frank-Walter Steinmeier (SPD) war von den Parteien der großen Koalition als ideeller Gesamtdemokrat präsentiert worden - auch FDP und Grüne hatten ihn unterstützt. Nun hält es Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) für eine gute Idee, wenn sich auch seine Partei an Steinmeiers Wiederwahl im Februar 2022 beteiligt.
"Er hat das Land in der schwierigen Phase der Pandemie gut geführt. Wie er mit den Menschen umgeht, überzeugt mich. Eine solche Persönlichkeit können wir gerade auch in der Zeit nach der Pandemie, wenn wir einiges aufarbeiten müssen, gut gebrauchen", so Ramelows Begründung, so Ramelows Begründung gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Breit diskutiert wurde diese Wahlempfehlung in der Partei Die Linke offensichtlich nicht, denn Ramelow betonte, er mache seinen Vorschlag "ausdrücklich als Ministerpräsident, nicht als Parteipolitiker".
Der Parteivorstand der Linken hält sich offiziell noch bedeckt; konsensfähig ist Ramelows Empfehlung dort aber sicher nicht - mehrheitsfähig vermutlich auch nicht. Der Vorstand werde sich erst nach der Bundestagswahl über "die Frage der Kandidatenaufstellung" zur Wahl der Bundespräsidentin oder des Bundespräsidenten verständigen, erklärte Linke-Pressesprecher Matthias Hinze am Mittwoch gegenüber Telepolis. "Dabei wird der Parteivorstand selbstverständlich auch Stimmen aus der Partei berücksichtigen, auch die von Bodo Ramelow."
Ob die Mitgliedschaft der Linken Steinmeier mehrheitlich verzeiht, dass er während der Kanzlerschaft seines Parteifreundes Gerhard Schröder maßgeblich an den "Arbeitsmarkt- und Sozialreformen" der Agenda 2010 mitgewirkt hat, die links von der SPD bisher als Verarmungsprogramm und als Umverteilung von unten nach oben galten, darf bezweifelt werden.
Auch Steinmeiers Rolle als Kanzleramtschef und Außenminister im Fall Murat Kurnaz in den Jahren 2002 bis 2006 haben einige nicht vergessen, zumal Steinmeier bisher nicht bereit war, sich bei dem in Bremen geborenen türkischen Staatsbürger zu entschuldigen. Kurnaz hatte diesen Zeitraum im US-Gefangenenlager Guantanamo verbracht und war dort gefoltert worden. In einem Untersuchungsausschuss wurde Steinmeier vorgeworfen, ein Angebot aus den USA zur Haftüberstellung von Kurnaz nicht angenommen zu haben, obwohl es keine Belege für angebliche terroristische Aktivitäten des Mannes gab.
Als Bundespräsident musste Steinmeier während der Pandemie keine ähnlich folgenreichen Entscheidungen treffen wie Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Kabinett, er konnte durch verständnisvolle Reden glänzen. Einige in der Partei Die Linke halten aber für Ramelows Wahlempfehlung für ein völlig falsches Signal.
"Demokratie lebt von der Alternative"
Für die Bundespräsidentenwahl 2017 hatte der Parteivorstand der Linken Wert darauf gelegt, einen eigenen Kandidaten "jenseits des neoliberalen 'Weiter so'" aufzustellen, nachdem sich SPD und Grüne nicht offen für eine gemeinsame "Mitte-Links"-Kandidatur gezeigt hatten. Die Wahl der Linken fiel damals auf den parteilosen Armuts- und Reichtumsforscher Christoph Butterwegge, der wegen der Agenda-2010-Reformen aus der SPD ausgetreten war. "Demokratie lebt von der Alternative. Wir sind der Überzeugung, dass Christoph Butterwegge eine hervorragende Alternative in der Bundesversammlung ist", erklärte der Ko-Vorsitzende der Bundestagsfraktion Die Linke, Dietmar Bartsch, bei der Vorstellung des Kandidaten im November 2016.
Mit 10,2 Prozent der Stimmen erzielte Butterwegge in der Bundesversammlung dann immerhin als einziger von vier Gegenkandidaten Steinmeiers ein zweistelliges Ergebnis. Außer der Linkspartei hatten noch die AfD, die Freien Wähler und die Satirepartei Die Partei Kandidaten aufgestellt. Steinmeier wurde mit 74,3 Prozent der Stimmen gewählt - bei 8,2 Prozent Enthaltungen, 3,6 Prozent für den AfD-Kandidaten Albrecht Glaser sowie zwei Prozent für Alexander Hold von den Freien Wählern und 0,8 Prozent für Engelbert Sonneborn von der Partei Die Partei. Deren Vorsitzender Martin Sonneborn hatte als Persiflage auf den Steinmeier-Hype kurzerhand seinen Vater als Bundespräsidenten vorgeschlagen und mit der Parole "Mein Vater - Euer Vater" für ihn geworben.
Die Vorschläge der Linken waren sowohl bei dieser als auch bei der vorherigen Wahl wesentlich ernster gemeint - 2012 hatten sie die Journalistin Beate Klarsfeld aufgestellt, die in den 1960er Jahren durch öffentlichkeitswirksame Aktionen gegen Altnazis berühmt geworden war. Auch für sie hatten sich in der Bundesversammlung 10,2 Prozent der Stimmberechtigten entschieden.
"Ramelow versucht vorzeitig, die Linkspartei auf seine Linie festzulegen"
Die Tradition, dort zumindest Zeichen zu setzen und Achtungserfolge zu erzielen, scheint Ramelow weniger wichtig zu sein als die vage Hoffnung auf eine "rot-rot-grüne" Koalition im Bund, die allerdings auch daran scheitern könnte, dass sich wesentliche Teile der Partei Die Linke nicht zur Nato bekennen wollen, wie es die momentan in den Umfragen vorne liegenden Grünen fordern.
"Ramelow versucht vorzeitig, die Linkspartei auf seine Linie festzulegen, was völlig verfehlt ist", so die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke am Mittwoch gegenüber Telepolis. "Warum sollten wir einen Mann wie Steinmeier unterstützen, der mit zu den Architekten der Agenda 2010 gehört und für eine massive soziale Spaltung in unserem Land verantwortlich ist?" Durch die Aufstellung eigener Kandidatinnen und Kandidaten habe Die Linke auch "eigene Akzente gesetzt und linke, soziale und antifaschistische Alternativen zur herrschenden Politik aufgezeigt", was auch die Aufgabe einer linken Partei sei. "Es gibt keinen Grund, diese Tradition einfach aufzugeben", so Jelpke.
Ihre Fraktionskollegin Sabine Leidig würde Steinmeier zwar nicht für den schlechtesten Präsidenten halten, "wenn es lediglich darum ginge, einen Rechtsdrift zu blockieren". Es gehe aber jetzt "dringend um einen grundlegenden Richtungswechsel mit Umverteilung für Klimagerechtigkeit und Demokratisierung", so Leidig. "Dafür steht Steinmeier nicht. Aber dafür steht die gesellschaftliche Linke." Das müsse sie auch durch eine eigene Kandidatin zeigen.
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