Der lange Arm der Ölindustrie

Extremwetter in Australien, 22. März 2021. Bild: Spisah/CC BY-SA 4.0

Energie- und Klimawochenschau: Klimaziele, Extremwetter, Enteignungen, gegen die Liberale nichts haben, und Chevrons Rache an einem Anwalt, der einen Prozess gegen den Konzern gewann

Corona ist das alles beherrschende Thema, oder? Nicht ganz. Es gibt immer noch eine ganze Reihe Menschen, die nicht vergessen haben, dass wir mitten in einer großen Klimakrise stecken, und dass diese uns noch beschäftigen wird, wenn die Corona-Pandemie längst Eingang in die Geschichtsbücher gefunden hat.

In Frankreich zum Beispiel, das derzeit von der Pandemie besonders gebeutelt wird, gingen am vergangenen Sonntag Zehntausende auf die Straße, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren. Die Süddeutsche Zeitung zitiert die Polizeizahlen mit 44.000 und die der Veranstalter mit 110.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.

So richtig erhört wurden diese aber nicht. Das Pariser Parlament beriet am Montag ein Klimagesetz, das ein paar Beruhigungspillen enthält. Kurzstreckenflüge sollen verboten werden, wenn sich die gleiche Strecke sich in nicht mehr als zweieinhalb Stunden mit dem Zug zurücklegen lässt. Auch das Beheizen von Außenterrassen wird künftig unzulässig sein.

Die Demonstranten hatten am Tag zuvor von einem "Pseudo-Klimagesetz" gesprochen. Am 6. Mai soll es verabschiedet werden. Weitere Proteste sind geplant.

Taschenspielertricks

Schon Mitte April soll eine neue Klimaschutzdirektive der EU fertig sein, die derzeit zwischen dem EU-Parlament, der Kommission und dem Ministerrat, also den Regierungen der Mitgliedsländer, verhandelt wird. Die auf Nachrichten aus der EU spezialisierte Plattform Euractive berichtet von einer festgefahrenen Situation, die sich vor allem um das Reduktionsziel für 2030 dreht.

Eigentlich ist man sich einig, dass die Treibhausgasemissionen in der Gemeinschaft bis 2030 um 55 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 reduziert sein sollen. Gemessen an der in der Pariser Klimaübereinkunft eingegangenen Verpflichtung, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau (oder 0,3 bis 0,4 Grad vom aktuellen Niveau) zu beschränken, ist das allerdings zu wenig.

Doch die EU-Kommission sucht dennoch nach einem Weg, dieses Ziel weiter zu verwässern. Im Auftrag des Ministerrats beharrt sie darauf, die CO2-Emissionen mit der Aufnahme von CO2 durch veränderte Landnutzung zu verrechnen. (Allerdings sollte den Regierungen vielleicht mal jemand erzählen, dass in Dürrejahren wie zuletzt die Wälder gar kein CO2 aufnehmen, sondern in größerem Umfang abgeben.)

Das Parlament hingegen hält nicht viel von derlei Taschenspielertricks. Die sozialdemokratische Abgeordnete Jytte Guteland, die die Verhandlungsdelegation des Parlaments in dieser Frage leitet, verweist darauf, dass die Formel der Kommission nicht einmal den Effekt von Waldbränden und Stürmen berücksichtigt, die den Wald wie auch Dürren aus einem CO2-Speicher zur CO2-Quelle machen können.

Landunter "down under"

Derweil hat im australischen Sydney das große Aufräumen begonnen. Letzte Woche hatten dort und in der umliegenden Provinz New South Wales schwere Niederschläge für extreme Überschwemmungen gesorgt, über die unter anderem die britische Zeitung Guardian berichtete.

Hier finden sich einige Bilder, die Ausmaße der Überflutungen verdeutlichen. Einige sprechen von "historischen" Ausmaßen, das US-Magazin Forbes von den schlimmsten Fluten seit Jahrzehnten.

Zum Teil sind die gleichen Gemeinden betroffen, die ein gutes Jahr zuvor unter den schwersten Busch- und Waldbränden in der Geschichte des fünften Kontinents zu leiden gehabt hatten.

Hierzulande könnte indes ein wenig mehr Regen nicht schaden, wie der Deutsche Wetterdienst (DWD) in seiner Übersicht für den März feststellt. Demnach fielen mit 45 Liter pro Quadratmeter im Landesmittel im März 25 Prozent weniger Regen und Schnee, als zu erwarten war. Die Temperatur lag mit 4,6 Grad Celsius um 1,2 Grad über dem Wert der Referenzperiode 1961 bis 1990.

Während die Küstenländer ihr Regensoll erreichten oder gar leicht überboten, war das ohnehin im März eher niederschlagsarme Sachsen-Anhalt einmal mehr die trockenste Region. Landesweit zeigt der Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung im Augenblick noch meist ausreichend für die Pflanzen verfügbares Wasser, aber vor allem im tieferen Boden oft extreme Trockenheit. Die Dürre der letzten Jahre ist also bisher mitnichten überwunden.

Enteignungen am laufenden Band

In Berlin wird ja zurzeit mal wieder über die Enteignung gestritten oder auch über die "Vergesellschaftung", wie es ein Teil der Befürworter dort lieber nennt. Die Kampagne "Deutsche Wohnen & Co. Enteignen" ist in die zweite Phase eingetreten. Über 1.000 Aktive sammeln derzeit fleißig Unterstützungsunterschriften. Bis zum 25. Juni müssen 175.000 beisammen sein, damit es zu einem Volksbegehren kommt.

Wenn alles gut läuft, würden die Berlinerinnen und Berliner dann am sogenannten Superwahltag, am 26. September, nicht nur den Bundestag, ihr Abgeordnetenhaus und die Kommunalparlamente in den Bezirken wählen. Sie würden auch über die Frage abstimmen, ob der neue Senat die Vergesellschaftung aller profitorientierten Wohnungsunternehmen vorbereiten muss, die mehr als 3.000 Wohnungen ihr Eigen nennen.

FDP und CDU rufen natürlich Zeter und Mordio. Die Liberalen schimpfen, dass es sich um Klassenkampf handele, gegen den sie ansonsten aber eigentlich nichts zu haben scheinen. Jedenfalls dann nicht, wenn für die Braunkohle oder für Autobahnen enteignet wird.

Vollkommen unbeeindruckt von den zum Teil sehr heftigen Protesten gegen neue Autobahnen wie etwa die A49 in Hessen, die A445 in Nordrhein-Westfalen, die A100 in Berlin, die A21 in Schleswig-Holstein und die A14 in Sachsen-Anhalt laufen derzeit 142 Enteignungsverfahren für den Autobahnbau, wie die Süddeutsche Zeitung kürzlich unter Berufung auf das Bundesverkehrsministerium berichtete.

43 weitere Verfahren seien in der Vorbereitung. Seit 2010 wurden demnach 420 Verfahren bereits abgeschlossen. Spitzenreiter unter den Enteignern sind übrigens die Bundesländer Sachsen und Sachsen-Anhalt, beides Länder, in denen die Liberalen es zuletzt nicht in den Landtag geschafft haben, also unbeteiligt sind.

Doch weder wurde von ihnen aus dem Off Kritik an diesen Maßnahmen gehört, noch haben ihre Parlamentarier und Minister in Nordrhein-Westfalen Probleme damit, ganze Dörfer für die Ausweitung von Braunkohlegruben zu opfern, die angesichts der Klimakrise eigentlich umgehend statt erweitert geschlossen werden müssten.

Im Dienste des Öls

In der Unionsfraktion des Bundestags sind ja zuletzt diverse Abgeordnete dadurch aufgefallen, dass sie recht erfolgreich Masken an ihren Parteifreund Jens Spahn vermittelt haben. Das ist der Bundesgesundheitsminister, der zu sehr mit der Schließung von Krankenhäusern beschäftigt war, als dass er Zeit zum Lesen von Pandemie-Szenarien oder das Anlegen von Notfallbeständen gehabt hätte.

Nun weist Christian Stöcker im Spiegel darauf hin, dass zumindest ein Teil dieser Abgeordneten auch im Sold eines kriegerischen Ölstaates standen. Aserbaidschan, das unlängst mit tatkräftiger Unterstützung des Nato-Landes Türkei seinen Nachbarn Armenien überfallen hatte, lässt sich die Pflege der hiesigen politischen Landschaft schon seit längerem einiges kosten.

Offensichtlich mit Erfolg: In den Kreisen der Regierungsparteien nehmen wenige Anstoß daran, dass türkische Nationalisten und die Regierung in Ankara das Verhältnis zu Baku als "eine Nation, zwei Staaten" bezeichnen und entsprechend Aserbaidschan beim Angriff auf Armenien unterstützten. Die den Völkermord an den Armeniern verurteilende Resolution des Bundestags von 2016 scheint nicht einmal das Papier wert, auf die sie gedruckt wurde.

Interessant ist dabei, dass sich Abgeordnete mit besonders innigen Beziehungen zum autokratisch regierten Ölstaat Aserbaidschan wie Axel Fischer zugleich auch als Gegner der Energiewende und des Klimaschutzes hervortun.

So auch der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Thomas Bareiß, der im vergangenen Jahr dadurch auffiel, dass er versuchte, die Belieferung Aserbaidschans mit Beatmungsgeräten eines deutschen Hersteller zu beschleunigen. Hauptberuflich ist der in seinem baden-württembergischen Wahlkreis direkt gewählte Bareiß seit 2018 im Wirtschaftsministerium für Energiepolitik und Tourismus zuständig und nicht gerade für aktive Unterstützung des Ausbaus von Sonne und Wind bekannt.

Rachejustiz

Der New Yorker Anwalt Stephen Donziger bleibt weiter im Hausarrest, wie er nach einem am Montag gefassten Gerichtsbeschluss auf Twitter berichtet.

Dort sitzt er mit einer Fußfessel bereits seit über 600 Tagen und wartet auf seinen Prozess. Ihm wird Missachtung des Gerichts vorgeworfen, nachdem er dagegen protestiert hatte, dass sein Mobiltelefon und sein Laptop beschlagnahmt und dem Ölkonzern Chevron übergeben wurden.

Die britische Zeitung Guardian beschrieb den Fall am vergangenen Sonntag. Demnach hatte Donziger 2011 in Ecuador nach jahrelangem Rechtsstreit bewirkt, dass Chevron zu einem Schadensersatz in Höhe von 9,5 Milliarden US-Dollar für großflächige Umweltverschmutzungen mit schwerwiegenden Gesundheitsfolgen für die Anwohner im Nordosten des Landes verurteilt wurde.

Der Konzern weigerte sich allerdings die vom obersten Gerichtshof des Landes bestätigte Strafe zu bezahlen. Stattdessen hat er einen der beteiligten Richter in die USA geholt, dort mit allerlei Wohltaten für sich und seine Familie versorgt und schließlich von ihm nach langen Gesprächen eine Aussage bekommen, die Donziger der Bestechung beschuldigt. Auf Grundlage dieser zwischenzeitlich widerrufenen Aussagen wird nun seit Jahren gegen Donziger und mehrere Dutzend ecuadorianische Kläger vor einem US-Gericht vorgegangen.

Das US-Magazin The Nation schreibt, dass die zuständige Staatsanwalt in New York sich geweigert habe, den Fall zu verfolgen und der Bundesrichter Lewis A. Kaplan daher eine private, mit Chevron in Verbindung stehende Kanzlei mit der Verfolgung beauftragt habe.

"Richter Kaplan hat in dem Verfahren de facto wie ein Anwalt Chevrons agiert", schrieben letztes Jahr diverse Anwaltsorganisationen, die zusammen 500.000 Juristinnen und Juristen vertreten, in einer Beschwerde über das Vorgehen gegen ihren Kollegen.

Sonst noch

Ansonsten ließe sich noch über den Zusammenhang zwischen US-amerikanischen Gas-Fracking und der Plastikschwemme oder neuen Verfahren zur Gewinnung von Lithium berichten.

Auch über die weiteren Verzögerungen beim Ausbau der Windenergie oder der besorgniserregenden Ansinnen, Wälder in Kohlekraftwerken zu verheizen, und sich dies noch mit Steuergeldern subventionieren zu lassen, wäre zu schreiben.

Erwähnenswert sind auch Berichte von Lobbycontrol, wonach sich die deutsche Energieagentur ihre Leitstudie "Aufbruch Klimaneutralität" unter anderem von Unternehmen der Gasindustrie hat schreiben lassen. Manches davon wird in den nächsten Tagen vielleicht noch näher beleuchtet werden. Hier soll nur noch kurz erwähnt werden, dass in der Schweiz junge Umweltschützerinnen und Umweltschützer eine Auseinandersetzung über einen großen Steinbruch führen.

In der Nähe des Orts La Sarraz nördlich von Lausanne will der weltweit führende Zementhersteller LafargeHolcim seinen Kalksteinbruch ausweiten und dafür ein wertvolles Waldökosystem in der Zentraljura zerstören. Die Herstellung von Zement ist nach der Verbrennung fossiler Kraftstoffe eine der wichtigsten Quellen des Treibhausgases CO2.

Auf Twitter berichten die Aktivistinnen und Aktivisten von ihren Blockaden und deren Räumung durch die Polizei. Hier, hier und hier sind auf YouTube ein paar aktuelle Impressionen von dem Steinbruch, der umgebenden Landschaft und den Protesten zu sehen, und im deutschen Marburg gab es am Dienstag eine kleine Solidaritätsaktionen.

Die Klimaschützerinnen und Klimaschützer werfen dem Konzern neben der Umweltzerstörung auch vor, in Syrien Schutzgelder an den sogenannten Islamischen Staat gezahlt zu haben. Deshalb solidarisierten sie sich auch ausschließlich mit den kurdischen Milizen YPG und YPJ, letzteres eine reine Frauenmiliz, die sich dem IS entgegengestellt und Tausende Yeziden vor ihm gerettet hatten.

Am Dienstagabend berichteten Schweizer Medien, dass die Räumung abgeschlossen sei. 12 Personen befänden sich noch im Gewahrsam.