"Der letzte große Sieg der petro-chemischen Industrie"
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Energie und Klima – kompakt: Kolumbien als neuer Partner? Bundesregierung hat wenig gegen die Extra-Profite der Energiewirtschaft einzuwenden und will lästige Bürgerrechte abräumen
Der Krieg in der Ukraine bestimmt auch die energiepolitische Debatte. Letzte Woche hat das Bundeskabinett einen Entwurf einer Novelle des Energiesicherungsgesetzes verabschiedet.
Vorgesehen sind weitreichende Eingriffe in Markt und Unternehmen im Falle einer Gefährdung der Energieversorgung. Möglich würde unter anderem auch, dass wichtige Infrastruktur treuhänderisch vom Staat übernommen wird. Der Entwurf ist jetzt im parlamentarischen Prozess.
Passend dazu legte am vergangenen Sonntag Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) seinen zweiten Fortschrittsbericht Energiesicherheit vor. Deutschland sei dabei, seine Energieabhängigkeit von Russland im schnellen Tempo zu verringern, heißt es in einer Pressemitteilung seines Ministeriums.
"Die Abhängigkeit beim Öl sinkt auf zwölf Prozent; bei Steinkohle sind wir bei etwa acht Prozent und bei Gas bei etwa 35 Prozent", so Habeck. Ziel sei es, nicht mehr von Russland erpressbar zu sein.
Kolumbien als Kohlelieferant?
Die importierte Steinkohle sei zu Jahresbeginn noch zu 50 Prozent aus Russland gekommen. Man habe sich seitdem aber um den Bezug aus anderen Ländern gekümmert und bereite damit das von der EU geplante Kohleembargo vor.
Vor allem Kolumbien scheint als künftiger Kohlelieferant vorgesehen. Das Land mit seinen rechten, von der Armee gedeckten Paramilitärs – verantwortlich für zahllose Morde an Linken und Gewerkschaftern – und seinen für diverse Massaker an Zivilisten verantwortlichen Streitkräften, ist seit Neuestem enger Partner der Nato und auch mit Deutschland durch ein Militärabkommen verbunden.
Die Korrespondentin der Berliner taz berichtet aus Kolumbiens Hauptstadt Bogotá, dass der Kohleabbau für zahlreiche Umweltzerstörungen und Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sei.
Den Indigenen Wasser abgraben
Indigenen Anwohnern würde das Wasser abgegraben. Der größte Teil der von Deutschland eingeführten kolumbianischen Kohle komme aus El Cerrejón, dem größten Tagebau Lateinamerikas. Auf 690 Quadratkilometern wird dort im Norden des Landes seit den 1970ern Kohle abgebaut.
Die gewaltige Grube ist in einer trockenen Halbwüste gelegen und gefährdet die ohnehin schwierige Wasserversorgung der Anwohner vom Volke der Wayúu. Aktuell befürchten diese die Umleitung eines der wichtigsten Bäche der Region.
Löhne drücken
Der Tagebau gehört seit Neuestem vollständig Glencore, einem Schweizer Rohstoff-Multi, der in zahlreichen Ländern Erze und Kohle ausbeutet. Zurzeit versucht der Konzern in seinem kolumbianischen Geschäft die Löhne der Bergarbeiter zu drücken und die Arbeitszeit auszuweiten.
Da sollte man doch eigentlich meinen, dass dann eben lieber ganz auf die Verwendung von Steinkohle verzichtet werden sollte, zumal diese, wie seit über 30 Jahren allen politischen Verantwortlichen hierzulande bekannt, erheblich zur Verschärfung der Klimakrise beiträgt.
Doch wie man schon beim Erdgas gesehen hat, sind die wirtschaftlichen Interessen immer noch stärker und moralische Bedenken werden nur gelten gelassen, wenn sie, wie im Falle des Konflikts mit Russland, für die Auseinandersetzung mit einem geopolitischen Konkurrenten zu instrumentalisieren sind.
Bürgerrechte abgeräumt
Deshalb müssen ja nun auch für den schnellen Umstieg auf das besonders schädliche Frackinggas aus den USA und eventuell auch auf konventionelles Flüssiggas aus dem nahezu absolutistisch – aber bestimmt nicht autoritär, oder? – regierten Katar schnell ein paar Bürgerrechte aus dem Weg geräumt werden.
Die Presseagentur dpa hat erfahren, dass die Bundesregierung ein sogenanntes LNG-Beschleunigungsgesetz vorbereitet. LNG steht Flüssiggas oder Liquified Natural Gas.
Demnach feilen das Grün geführte Wirtschaftsministerium und das von der FDP geleitete Justizministerium an einer Gesetzesvorlage, die es ermöglicht, dass Genehmigungsbehörden sowohl für schwimmende als auch an Land gebaute LNG-Terminals die Umweltverträglichkeitsprüfung und andere Anforderungen verzichten.
Wie nützlich so ein Krieg doch sein kann, um das Rad der Geschichte mal eben 40 Jahre zurückzudrehen. Und dazu noch vollbracht von einer Partei, die einst aus den zahlreichen Bürgerinitiativen hervorging, die Bürgerbeteiligung, Umweltverträglichkeitsprüfungen und Ähnliches erkämpften. Kann man sich eigentlich nicht ausdenken.
"Frust und Wut"
Vorletzte Woche stand in Schleswig-Holstein das dort in Brunsbüttel geplante LNG-Terminal im Zentrum der regelmäßigen Klimaproteste der Schülerinnen und Schüler. Dazu gab es auch Unterstützung von den Vertretern der dänischen und der friesischen Minderheit,dem SSW (Südschleswigscher Wählerverband).
Fakt ist: LNG-Terminals machen uns nicht unabhängiger, sondern verlängern unsere Abhängigkeit von Gas für weitere Jahrzehnte. Wenn quer durch die Parteienlandschaft schon wieder über Laufzeitverlängerungen von AKW, unterirdische CO2-Lagern und Fracking fabuliert wird, dann kann ich gut verstehen, dass die Jugend ihren Frust und Wut auf die Straße trägt. Denn das ist nicht weniger als eine Absage die Klimaziele des Pariser Abkommens und die Erkenntnisse aus 50 Jahren Energie- und Klimadebatte. Und wohl auch der letzte große Sieg der petrochemischen Industrie.
Lars Harms, Vorsitzender des SSW im Kieler Landtag
Flüssiggas ist stark herab gekühltes Erdgas, das in Spezialtankern transportiert wird. Es kann aus der herkömmlichen Förderung stammen, wie zum Beispiel beim russischem oder auch katarischen Gas der Fall, oder auch aus sogenanntem Fracking, wie das meiste Gas aus den USA.
Beim Fracking wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und diversen Chemikalien unter hohem Druck in den Untergrund gepresst, um gasgefüllte Gesteinsporen aufzubrechen. Die Methode ist umstritten, weil ein Teil des Chemikalien-Cocktails ebenso in die Umwelt entweicht, wie auch ein Teil des Gases. Dessen Hauptbestandteil Methan ist ein besonders effektives Treibhausgas.
Extra-Profite
Wenn der Markt für ein beliebiges Produkt eng wird, sei es, dass die Nachfrage besonders rasch ansteigt, sei es, dass es aus dem einen oder anderen Grund Lieferengpässe gibt, dann ist die Stunde für Preissteigerungen und Sondergewinne gekommen.
So auch derzeit im Energiesektor. BP hat seinen Gewinn im ersten Quartal verdoppelt, Shell und die Ölaktien sind im "Kursrausch", wie die Tagesschau konstatiert. In den ersten drei Monaten des Jahres haben allein die beiden Britischen Konzerne über zehn Milliarden Euro eingestrichen.
Natürlich könnte man diese Extra-Profite per Steuer abschöpfen, schließlich gebe es manches Loch im Staatssäckel zu stopfen. Doch derlei gilt in Deutschland, anders als in Italien und Großbritannien als Teufelswerk.
Ein Beispiel, wie diese Gewinne zustande kommen, liefert der Berliner Gasversorger GASAG. Nach Informationen der Verbraucherzentrale müssen seit Ende letzten Jahres Neukunden mehr als das Doppelte dessen bezahlen, was von Altkunden verlangt wird.
Die Verbraucherschützer suchen jetzt Betroffene von hohen Gaspreisen, die bereit sind, gegen die GASAG zu klagen. Geplant ist eine Musterfeststellungsklage, die klären soll, ob diese krasse Ungleichbehandlung noch rechtens ist.
Illegale Geschäfte
Energiepolitik ist in diesen Tagen zu einem nicht unwesentlichen Teil Außenpolitik, und die ist meist etwas komplizierter, als sich das hierzulande mancher grüner Parteigänger oder Feuilletonist so vorstellen kann. Das zeigt derzeit Algeriens Drohung, EU-Staaten den Gashahn zu sperren.
In Algier ist man nämlich not amused über die schleichende Anerkennung, die in Westeuropas Hauptstädten die marokkanische Annexion der Demokratischen Republik Westsahara findet. Der seinerzeit von der örtlichen Befreiungsbewegung, der Frente Polisario, ausgerufene Staat war kurz nach dem Abzug der spanischen Kolonialherren 1975 von Marokko und Mauretanien besetzt worden.
Der größere Teil der saharauischen Bevölkerung lebt seitdem in großen Flüchtlingslagern jenseits der Grenze im algerischen Exil. Mauretanien zog sich später zurück und überließ auch den Süden der Westsahara dem monarchisch regierten Königreich im Norden. Nur ein schmaler Streifen im Osten des Landes wird von der Frente Polisario kontrolliert.
Weltweit größtes Phosphatvorkommen
Hintergrund des marokkanischen Interesses an dem Küstenstaat sind zum einen die dortigen Phosphatvorkommen, die mit Abstand die weltweit größten sind und nun seit über vier Jahrzehnten von Marokko illegal abgebaut werden. Phosphat ist ein wichtiges Düngemittel.
Zum anderen sind die Küstengewässer der Westsahara sehr fischreich. Und schließlich ist die Region auch ein idealer Standort für Windkraftanlagen, da dort sehr stetige Passatwinde wehen.
Schon seit vielen Jahren scheren sich europäische Fischerei- und andere Unternehmen wie etwa Siemens Gamesa wenig darum, dass die lukrativen wirtschaftlichen Aktivitäten in der Westsahara illegal sind, da die Besetzung von UNO-Generalversammlung und -Sicherheitsrat in verschiedenen Resolutionen verurteilt wurde.
Aus für AKW-Bau
Und zu guter Letzt die gute Nachricht der Woche: Der Bau des finnischen Atomkraftwerks Pyhäjoki im Norden des Bottnischen Meerbusen wurde gestoppt, wie die schwedisch-sprachige Nachrichtenplattform svt Nyheter berichtet.
Bauherr Fennovoima habe seine Lieferverträge mit der russischen Firma Rosatom gekündigt. Als Gründe seien Lieferverzögerungen und der Ukraine-Krieg angegeben worden. Zuletzt habe es in der Regierung in Helsinki Widerstand gegen das Projekt gegeben, da man sich aus der Abhängigkeit von Russland befreien wolle.