Der letzte ukrainische Friedensstifter: In Erinnerung an Sergej Siwocho
- Der letzte ukrainische Friedensstifter: In Erinnerung an Sergej Siwocho
- Einige Nationalisten werden sich über sein Ableben freuen
- Auf einer Seite lesen
Er versuchte, Nationalisten und russischsprachige Bürger zusammenzubringen. Das könnte ihm zum Verhängnis geworden sein. Über sein Erbe und seine Vision der Ukraine. Gastbeitrag.
Sergej Siwocho, ukrainischer Friedensaktivist, erlag am 17. Oktober seinem chronischen Asthma. Sein Name war außerhalb der Ukraine nicht sehr bekannt, vielleicht weil er in diesen Zeiten der Wut versuchte, die Ukrainer zu versöhnen, anstatt sie auseinanderzutreiben.
Man fragt sich, ob dieser große Bär von einem Mann am Ende an einem gebrochenen Herzen gestorben ist.
Siwocho erlangte dank seiner engen persönlichen Freundschaft mit Wolodymyr Selenskyj politische Prominenz. Er war der kreative Produzent der Comedy-Show Kvartal 95. Nach Selenskyjs unerwartetem Sieg versuchte der frischgebackene Präsident, ihn für ein öffentliches Amt zu gewinnen.
Siwocho, der ursprünglich aus dem Donbass stammte, bat stattdessen um seine Ernennung zum Berater des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine mit dem Auftrag, über die humanitäre Politik gegenüber seiner Heimatregion zu beraten.
Sehr schnell kam er jedoch zu dem Schluss, dass der Frieden in der Ukraine aus einer radikal anderen Perspektive angegangen werden muss, nämlich durch die Beendigung des "Krieges in unseren eigenen Köpfen", wie er es nannte. Siwocho sagte:
Schrecklicher als der Coronavirus ist der Virus des Hasses. Es ist wichtig, nicht nur die Einstellung des Staates zu seinen Bürgern zu ändern, sondern auch die Einstellung der Menschen zueinander .... Mein Team versucht, die Menschen zu gegenseitigem Verständnis zu bewegen, denn der Frieden, den wir alle suchen, beginnt in den Herzen und Köpfen der Ukrainer.
Der Optimismus von Siwocho wurde zunächst von Selenskyj selbst aufgegriffen. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2020 und später auf dem Forum zur Einheit in Mariupol rief Selenskyj zu einem "massiven nationalen Dialog" auf, bei dem die Menschen von Angesicht zu Angesicht über ihre gemeinsame Zukunft diskutieren könnten. Zu diesem Zweck unterstützte er Siwochos Lieblingsprojekt – eine Nationale Plattform für Versöhnung und Einheit –, die am 12. März 2020 offiziell der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.
Lesen Sie auch:
Diese Präsentation dauerte jedoch nur 20 Minuten, weil eine Gruppe von etwa 70 jungen Leuten des Nationalen Korps (des zivilen Flügels des Asowschen Bataillons) in den Saal mit "Verräter"-Rufen stürmte und Siwocho so lange schubste, bis er zu Boden fiel. Siwocho wurde zwei Wochen später von seinem Posten als Regierungsberater entlassen.
Es mag seltsam erscheinen, dass bereits vor dem Einmarsch Russlands die bloße Erwähnung von Versöhnung und Dialog so viel Wut hervorrufen konnte. Siwocho forderte eigentlich einen grundlegenden Wandel im politischen Denken der Ukraine. Seiner Meinung nach sollten die Ukrainer erkennen, dass sie alle ein gewisses Maß an Verantwortung für den Konflikt im Donbass tragen, insbesondere für die Entmenschlichung der anderen Ukrainer, derjenigen, die nicht so denken oder reden wie sie.