Der politische Islam im Marsch durch die Institutionen
Türkische konservative Organisationen in Deutschland und die Nähe zur AKP. Hintergründe und Kommentar zu einer Diskussion mit Minenfeldern
Langsam sickert bei den Parteien die Erkenntnis durch, dass Vertreter und Vertreterinnen des sogenannten politischen Islam, auch legalistischer Islam genannt, zunehmend in Parteien, Behörden und Wohlfahrtsverbänden vertreten sind. Experten warnen schon länger davor, dass dies problematisch ist.
Hinzu kommt, dass die Grenzen zwischen türkischen Nationalisten und Islamisten oft fließend sind. Es gibt keine einfachen Antworten, wie damit umzugehen ist. Die Diskussion darüber birgt viele Minenfelder. Kritikern dieser Entwicklung wird schnell antimuslimischer Rassismus oder AfD-Nähe vorgeworfen. Um nicht in dieser Schublade zu landen, werden problematische Positionen verschwiegen, verharmlost oder relativiert.
Niemand stellt mehr die Frage, für welches gesellschaftliche System, für welche Werte die Muslimbrüder, Milli Görüs, Ditib, Atib oder die Gülenisten eintreten. Man müsse mit den Gruppen oder Personen reden, auch wenn sie problematische Positionen vertreten. Sie seien Teil der Zivilgesellschaft und dürften nicht ausgegrenzt werden, heißt es bis ins linke Lager hinein. Würden sie auch so argumentieren, wenn es sich um deutsche Faschisten, Reichsbürger, Ökofaschisten oder christliche Fundamentalisten handelt?
Konservative Muslime in den Bundestag?
Bülent Güven, ein Vertrauter und Mittelsmann des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan forderte in der Zeit, die Parteien sollten Bundestagsmandate für konservative Muslime bereitstellen. Schon der Begriff "konservative Muslime" wirft die Fragen auf, wer damit gemeint ist und was mit dieser Forderung bezweckt wird? Ist es wichtig, ob ein konservativer, liberaler oder linker Bewerber für ein politisches Mandat Christ, Jude, Muslim oder Ezide ist?
Güven bewarb sich in der Hamburger SPD um ein Bundestagsmandat und scheiterte. Für ihn war dies ein Beweis, dass "gläubige Muslime" gezielt von der politischen Teilhabe ausgegrenzt werden. Womit wir mit der Person Güven beim Minenfeld der Erdogan-Anhänger in Deutschland wären und beim Minenfeld "politischer Islam". Ali Ertan Toprak, Kurde und CDU-Mitglied, schreibt in seinem Kommentar für die Zeit, dass Deutschtürken, die Sympathien für Erdogan und seine Politik hegen, von den deutschen Volksparteien zunehmend gemieden werden.
Dies stimmt allerdings nur bedingt, denn Kanzlerkandidat Armin Laschet ist z.B. bekannt dafür, dass er eine Affinität für das Erdogan-Regime hat und in seinem CDU-Umfeld auch türkeistämmige Personen mit Kontakten in nationalistisch-islamistische Kreise unterstützt werden.
Toprak hat trotzdem recht. Denn es wird in den Parteien mittlerweile genauer hingesehen, wie loyal die Bewerber und Bewerberinnen zur deutschen Demokratie stehen. "Ein wahrer deutscher Demokrat kann keinen Autokraten im Ausland unterstützen, der die Demokratie, den Rechtsstaat und die Pressefreiheit abschafft", schreibt Toprak.
Mit welchem Motiv kandidiert jemand in Deutschland in einer demokratischen Partei, wenn er wie Bülent Güven ein System unterstützt, in dem die Demokratie gerade abgeschafft wird?
Das Minenfeld der Erdogan-Anhänger
Bülent Güven ist Erdogan-Lobbyist in der Union Internationaler Demokraten (UID, bis 2018 UETD genannt). Als Vertreter der UID in Deutschland hat er für Erdogan und für die AKP eine wichtige Funktion. Er wurde persönlich vom türkischen Präsidenten empfangen und durfte, so die Zeit, neben Erdogan auf dem Stuhl Platz nehmen und nicht etwa auf dem Sofa. Der Name Union Internationaler Demokraten täuscht. Die Organisation ist weder international noch demokratisch.
Die UID gilt als inoffizielle Auslandsorganisation der türkischen Regierungspartei AKP und wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Nun ist die Erdogan-Regierung von Demokratie weiter denn je entfernt. Gleichzeitig verbreitet die UID seit Jahren Erdogans Botschaft an die türkeistämmigen Bürger und Bürgerinnen im Ausland:
"Lasst euch in den Einwanderungsländern einbürgern, dient aber eurem Herkunftsstaat Türkei!"
Der damalige Chef der rechtsextremen MHP, Alparslan Türkes, rief schon "1996 auf einem Kongress der Türkischen Föderation in der Essener Grugahalle seine Anhänger zum Eintritt in die CDU auf. Ziel war es, die CDU zu unterwandern, um die deutsche Politik im eigenen Sinn beeinflussen zu können. Ein Beispiel ist der 1979 gegründete national-konservative Verein "Hür-Türk", der sich selbst als türkische Zweigstelle der CDU/CSU bezeichnet" (Graue Wölfe in Deutschland).
Nun wurde bekannt, dass AKP-Stadtverwaltungen in den vergangenen zwei Jahren bis zu 1.000 Menschen mit sogenannten "Grauen Pässen" nach Deutschland geschmuggelt haben. Die Hannoveranische Staatsanwaltschaft ermittelt in einem Fall eine Delegation aus dem nordöstlichen Korgan im letzten Sommer. Von 53 Delegationsmitgliedern des Projektes für Umweltsensibilität kehrten nur vier Teilnehmer zurück, so der Tagesspiegel: "Es seien nur Leute nach Deutschland geschickt worden, die der Türkei zur Last gefallen wären, sagte der AKP-Bürgermeister Sabahattin Kaya aus Akacakiraz."
Das türkische Innenministerium leitete zwar Ermittlungen gegen mehrere AKP-Stadtverwaltungen ein, aber das dürfte nur eine vordergründige Nebelkerze sein. Vielmehr liegt der Verdacht nahe, auf diesem Wege AKP-Angehörige nach Deutschland zu bringen, um hier Einfluss zu nehmen.
Laut einem Bericht der Jüdischen Rundschau verwies die Hannoversche Allgemeine Zeitung 2016 auf einen Screenshot des Smartphones der Vorsitzenden der regionalen SPD-Arbeitsgruppe "Religion und Vielfalt", Zeynep Dogrusöz, deren WhatsApp-Profil mit einem Zitat des türkischen Blut-und-Boden-Ideologen und Gründers der faschistischen "Grauen Wölfe" geziert war.
2017 bedankte sich der nationalistische "Türkische Jugend- und Studentenbund e.V. - Türk Öğrenci Birligi" bei Dogrusöz und dem FDP-Kommunalpolitiker Ekim Bulut für ihr Engagement türkischer Belange, als es um die Ablehnung der Benennung eines Platzes nach dem 1994 in Hannover ermordeten Kurden Halim Dener ging.
Cemile Giousouf, CDU-Mitglied und 2013-2017 Abgeordnete im Deutschen Bundestag, trat bei Veranstaltungen der fundamental-islamischen "Milli Görus" auf. Kritik begegnete sie mit dem Argument, sie hätte sich mit den IGMG-Vertretern getroffen, um Solidarität zu zeigen, da auf eine Milli-Görüs-Moschee Brandanschläge verübt wurden. Giousouf soll auch auf Veranstaltungen der von "Grauen Wölfen" gegründeten ATIB (Avrupa Türk-İslam Birligi) teilgenommen haben, berichtete die Jüdische Rundschau.
Ein anschauliches Beispiel, wie sich rechte Türken gegenüber der deutschen Öffentlichkeit modern und weltoffen präsentieren, ist die Partei Bündnis für Innovation & Gerechtigkeit (BIG). In ihren deutschen Publikationen hält sie Vielfalt, Diversität und Interkulturalität hoch, auf Türkisch präsentiert sie sich antisemitisch und homophob.
Der Parteivorsitzende Haluk Yildiz warf 2019 "den Grünen nach der Wahl von Belit Onay zum Oberbürgermeister von Hannover unter anderem vor, Familienwerte zu zerstören, indem er Propaganda für Homosexualität betreibe. Onay ist verheiratet und hat zwei Kinder. Yildiz kritisierte die türkischen Wähler des liberal-muslimischen Onay scharf:
"Entweder begnügt man sich damit, prinzipienlos zu sein, oder man nimmt eine ehrenhafte Haltung ein, damit man dem Türkentum und dem Islam gerecht wird."
Im Frankfurter Römer, der Stadtverordnetenversammlung hat sich die BIG-Partei mit der Partei Bürger für Frankfurt (BFF) zusammengeschlossen, einer Partei, die zwischen CDU und AfD zu verorten ist. Damit bekam sie Fraktionsstatus und eine finanzielle Ausstattung von etwa 200.000 Euro pro Jahr. Die BFF tritt laut Frankfurter Rundschau bei Pegida-Veranstaltungen in Frankfurt am Main mit Kadern der NPD, Hooligans und anderen Rechtsextremen auf, die bekanntlich Migranten nicht gerade freundlich gesinnt sind.
Der Bundesvorsitzende der BIG-Partei, Haluk Yildiz, ist ein Anhänger des türkischen Staatspräsidenten Erdogan, den er in zahlreichen TV-Talkshows verteidigte. Wie geht das zusammen? Der Publizist Eren Güvercin meint:
"Dieses Bündnis bestätigt, dass identitär und nationalistisch denkende Menschen mehr Gemeinsamkeiten haben als Trennendes."
Ein weiteres Beispiel ist die ebenfalls von Türken gegründete Partei AD-Demokraten, Allianz Deutscher Demokraten, auch bekannt unter ADD. Sie tritt für mehr Patriotismus und Nationalstolz in einem multinationalen und multireligiösen Deutschland ein. Frauenforschung und Gleichstellung von LGBTIQ* lehnt sie als "ideologisch unterfütterte Gleichmacherei" ab.
Sie kritisiert den Sexualkundeunterricht und die Gleichstellung von Homosexuellen. Auf Parteiveranstaltungen beziehen sich die Mitglieder häufig auf ihre osmanischen Wurzeln. Von den faschistischen Grauen Wölfen grenzt sich die Partei ebenso wenig ab wie von der islamistischen Organisation Milli Görüs, berichtet der Bayerische Rundfunk.
Die Partei AD-Demokraten wurde 2017 vom Berliner UID-Mitglied Remzi Aru als Reaktion auf die Bundestags-Resolution zum Völkermord an den Armeniern gegründet. Aru organisierte mehrere Auftritte Erdogans in Deutschland. Auf Social-Media-Kanälen hetzt er gegen die Opposition in der Türkei, in Deutschland bezeichnete er den grünen Bundestagsabgeordneten und Erdogan-Kritiker Özdemir als "lufthansameilenstehlender Cannabiszüchter" und "Polit- Horrorclown", die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen nannte er "Terrormoppel".
2018 erklärte die Partei in türkischsprachigen Mitteilungen, den Syrien-Einmarsch der Türkei "bis zum Schluss" zu unterstützen. Im Gespräch mit dem NRW Landesvorsitzenden der AD-Demokraten, Selcuk Cingi unter einem ADD-Wahlplakat mit Erdogans Konterfei prophezeit der Vorsitzende Aru, sie würden in 15 Jahren die Regierungsverantwortung übernehmen Nun ja, bei den Landtagswahlen in NRW 2017 erreichten sie gerade mal 0,2 Prozent. Bundesweit spielen sie bis heute keine Rolle.
Fast alle türkischen konservativen oder muslimischen Organisationen in Deutschland haben die Nähe zur AKP gemeinsam. Die AKP-Propaganda der Türkei wird durch sie direkt nach Deutschland getragen, ob in Veranstaltungen, sozialen Projekten oder über die türkische Religionsbehörde Diyanet in Moscheen. Ganz oft gibt es auch Verbindungen zu den Grauen Wölfen, zu Salafisten und teilweise sogar zum sogenannten "Islamischen Staat".
Das macht den Umgang mit diesen Organisationen so schwierig. Ginge es nur um eine konservative Grundhaltung auf dem Boden demokratischer Werte, wäre ein konstruktiver Dialog möglich. Aber die fehlende Abgrenzung zu nationalistischem, antisemitischem und rassistischem Gedankengut einerseits und ein unterschiedlicher Diskurs gegenüber der eigenen Klientel und gegenüber der deutschen Gesellschaft verhindern eine konstruktive Auseinandersetzung.
In den eigenen Reihen wird die AKP-Politik gepredigt und gegenüber der deutschen Gesellschaft gibt man sich aufgeschlossen, divers und modern. Der fließende Übergang zwischen den AKP - Lobbyorganisationen und muslimischen Organisationen führt zum nächsten Minenfeld: zum politischen Islam.
Das Minenfeld des Politischen Islam
Unter dem Begriff Islamismus werden verschiedene Bewegungen und Strömungen zusammengefasst, die eines gemeinsam haben: Islamisten sehen im Islam eine universale, gottgewollte Ordnung, die jeden, wirklich jeden Bereich des Lebens umfasst. Der Islam, so die Überzeugung, ist also nicht nur eine persönliche, private religiöse Angelegenheit, sondern auch eine juristische und politische. Individualität, Pluralismus, Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit, Säkularität, Volkssouveränität und viele andere Errungenschaften, die demokratische Gesellschaften ausmachen, werden abgelehnt. Nur religiöse Gebote und heilige Texte entsprechen dem Willen von Allah und stehen somit über jeder weltlichen, von Menschen gemachten Ordnung. Das Ziel aller Islamisten ist es, ein Kalifat zu errichten.
Ahmad Mansour
Dieses ideologische Kampffeld geht quer durch alle Parteien. In diesem Diskurs geht es um die angebliche Diskriminierung von Muslimen, welche pauschal als "antimuslimischer Rassismus" deklariert wird. Dabei bestreitet kaum jemand, dass es Diskriminierung von Muslimen, Juden, Hindus, Buddhisten etc., gibt. Wieso also das Adjektiv "antimuslimisch"?
Regelmäßig erhitzen sich die Gemüter in der Diskussion um das Tragen des islamischen Kopftuchs in Schulen, Justiz und anderen öffentlichen Ämtern. Wobei es einen Unterschied macht, ob eine Muslima auf den Hijab besteht, der heute als Symbol des politischen Islams gilt oder ein lockeres Kopftuch trägt, das nicht jedes Haar verbirgt.
Es gab mal andere Zeiten in Deutschland. In den 1970er/80er/90er-Jahren prägte das islamische Kopftuch nicht das Straßenbild. Da gingen Männer und Frauen zum Gebet in die Moschee und kleideten sich für den Moschee-Besuch entsprechend. Das streng islamisch gebundene Kopftuch spielte keine Rolle, es genügte ein lockeres Kopftuch.
Dass das Kopftuch und die neuerdings angesagte "korrekte" islamische Kleidung generell, ohne Differenzierung im öffentlichen Dienst, an den Schulen, Kitas und Gerichten etc. eingeführt werden soll, ist neueren Datums. CDU, SPD, Grüne und Linke haben heute kein Problem mehr damit, Talkrunden mit - vorsichtig ausgedrückt - fragwürdigen Personen mit Verbindungen zu islamistischen Organisationen durchzuführen.
Kübra Gümüsay ist eine sehr umstrittene Person, der eine unreflektierte Nähe zur islamistischen Regierung Erdogan und den Milli-Görus-Netzwerken sowie der Muslimbruderschaft vorgeworfen wird. Was dies in der Lebenswelt der liberalen Muslimas oder anderen religiösen Minderheiten in unserer Gesellschaft auslöst, ist vielen Entscheidungsträgern nicht bewusst.
Was empfindet z.B. ein ezidisches Mädchen, das aus der Sklaverei des Islamischen Staates befreit wurde, deren Familie sich vor dem Genozid nach Deutschland retten konnte, wenn ihre Lehrerin den Hijab und "islamisch korrekte" Mode trägt, die sie aus ihrer Sklaverei her kennt? Einem Kind kann man nicht erklären, dass sich der IS bestimmter Symbole oder eines Kleidungsstils bedient hat, die selbst in Deutschland mittlerweile akzeptiert sind.
Für dieses Kind ist das die Wiederkehr seiner Traumata. Wie geht es einer Lehrerin mit Migrationsgeschichte, die kein islamisches Kopftuch trägt und deshalb von islamistisch geprägten Schülern und Eltern zur Rede gestellt, nicht ernst genommen oder sogar bedroht wird?
75 Prozent der Muslime in Deutschland betrachten ihre Religion als Privatsache und halten es mit einem liberalen Islam, so wie die meisten Christen mit einem liberalen Christentum. Nur 25 Prozent der Muslime sind in den Moscheen von Ditib, Milli Görüs, den Grauen Wölfen oder der Muslimbrüder organisiert und nur eine sehr kleine Minderheit ist in den Organisationen der Gülenisten organisiert. Von ihnen wurde der Hijab als Symbol des politischen Islams stilisiert. Von ihnen kommt auch der Ruf nach einer Quotenregelung für Muslime bei den politischen Mandaten der Parteien.
Religion ist aber in erster Linie Privatsache und sollte von keiner Partei zum Stimmengewinn benutzt werden. Ali Ertan Toprak stellt in seinem Kommentar in der Zeit fest:
"Kein ernst zu nehmender gesellschaftlicher Akteur würde mit demselben Argument nach der Glaubensfestigkeit von Abgeordneten fragen, um herauszufinden, ob die Christen im Bundestag angemessen vertreten werden. Nicht mal die Kirchen würden sich solch einer Absurdität hingeben."
Es wäre an der Zeit, dass die Bundesregierung, die Landesregierungen und die Wohlfahrtsverbände wie z.B. die Diakonie oder der Paritätische Wohlfahrtsverband ihre Zusammenarbeit mit den Unterorganisationen des Politischen Islams kritisch hinterfragen.
Dabei gäbe es auch förderungswürdige liberale oder säkulare Muslime. Sie werden aber von den Parteien noch immer nicht gehört, denn sie haben keine mächtigen Lobbyorganisationen wie z.B. Milli Görüs, die Islam-Föderation, DITIB oder den Zentralrat der Muslime im Rücken.
Die Organisationen des politischen Islams
Die Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (Atib) ist Gründungsmitglied des Zentralrats der Muslime, stellt dort den stellvertretenden Vorsitzenden und ist eine der mitgliederstärksten Organisationen im Zentralrat der Muslime. Das Bundesfamilienministerium förderte den Verband zwischen 2016 und 2018 als Einsatzquelle im Geschäftsbereich des Bundesfreiwilligendienstes mit Flüchtlingsbezug.
Auch wenn die Bewertungen des Verfassungsschutzes immer wieder kritisch hinterfragt werden müssen, weil zu oft Sachkenntnis und gute Recherchearbeit fehlt, stimmt dessen Einschätzung, Atib sei Teil der rechtsextremen türkischen Grauen Wölfe. Deren Überhöhung des Türkentums führe "zu systematischer Abwertung anderer Volksgruppen oder Religionen, insbesondere der Kurden und des Judentums".
Auch andere Bundesministerien und mehrere Bundesländer fördern bis heute Projekte des Zentralrats der Muslime und seiner Unterorganisationen, wie auch die von der Türkei kontrollierten Ditib, die Islamföderation, der auch die islamistische Organisation Milli Görüs angehört oder Organisationen der Gülen-Bewegung. Die Gülen-Vereine werden oft vergessen, wenn es um die Bewertung der Ausrichtung muslimischer Organisationen geht.
Bis vor einigen Jahren dementierten Gülen-Vereine in Deutschland noch, dass sie der Gülen-Bewegung angehören und dass es Netzwerke bzw. Strukturen gibt, in welche sie eingebunden sind. Heute präsentieren sie sich als "gülen-nah" oder von Gülen "inspiriert". Sie werden in Deutschland gerne als Alternative zu den AKP-nahen muslimischen Organisationen gehandelt, obwohl sie ähnliche Ziele wie die AKP-nahen Organisationen verfolgen.
Auch sie wollen eine Gesellschaft und einen Staat, dem die islamischen Regeln und Gesetze zugrunde liegen. Man sollte langsam begreifen, dass die Wirkung der verschiedenen Islamisten-Organisationen umso stärker wird, je weniger sich die Gesellschaft mit ihnen kritisch auseinandersetzt und ihre eigentlichen Ziele erkennt.
Der Politische Islam will nicht, dass die Menschen hier in Koexistenz leben, sich durchmischen und demokratischer werden. Denn das würde bedeuten, dass manche Muslime womöglich mit der Zeit weniger religiös würden. Dass andere ihren Kindern endlich eine Liebesbeziehung vor der Ehe erlaubten. Es gäbe mehr Frauen, die kein Kopftuch bräuchten, um ihre Verbundenheit zur Religion unter Beweis zu stellen. Es gäbe mehr Muslime, die eine Ehe mit einem Christen oder Atheisten eingingen. Doch das ist genau das, was der Islamismus nicht möchte.
Ahmad Manour
In Deutschland versucht man an Universitäten Studiengänge einzurichten, die politisch unabhängige Imame ausbilden. Aber diese Imame wollen die Moscheen nicht haben. Der türkische Dachverband Ditib setzt nur auf eigene, in Deutschland ausgebildete Imame. Damit soll die Unabhängigkeit von der Türkei bewiesen sein. Aber wie geht das zusammen, wenn Ditib seine Order, die Texte der Freitagsgebete, die Interpretationen des Koran, die Bücher oder Curricula direkt von der türkischen Religionsbehörde Diyanet empfängt?
Die CDU-Bundestagsfraktion fordert nach den Angaben der Welt "die deutschlandweite Einrichtung von Lehrstühlen an Hochschulen zum Thema Islamismus, eine breit angelegte Schulstudie über islamistische Einflüsse, die Einrichtung einer 'Dokumentationsstelle politischer Islamismus in Deutschland und Europa' und eines entsprechenden Expertenkreises im Bundesinnenministerium sowie für Moscheevereine die Offenlegung von ausländischen Finanzströmen." Diese Forderung hört sich gut an - wenn die Stellen denn tatsächlich mit unabhängigen Experten besetzt werden und nicht mit Leuten, die eben diesem Spektrum angehören.
Langsam wird die Komplexität des Problems in den Parteien wahrgenommen, wenn auch mit unterschiedlichen Motiven. Die Bundestagsfraktion der CDU fordert neuerdings, staatliche Kooperationen und Finanzierungen von islamistisch beeinflussten Islamverbänden zu beenden. Dies betrifft mehrere große Dachverbände, deren Mitgliedsvereine vom Verfassungsschutz beobachtet werden - auch den Zentralrat der Muslime.
"Der politische Islamismus, der vordergründig gewaltfrei agiert, aber Hass, Hetze und Gewalt schürt und eine islamische Ordnung anstrebt, in der es keine Gleichberechtigung, keine Meinungs- und Religionsfreiheit und auch keine Trennung von Religion und Staat gibt, hat sich in Teilen unserer Gesellschaft breitgemacht", heißt es in einem Positionspapier der Fraktion, das der Welt vorliegt. "Sämtliche finanziellen Zuwendungen, Förderungen, Vertragsbeziehungen und Kooperationen mit diesen Organisationen müssten überprüft und eingestellt werden, heißt es. Dies schließe auch gesetzliche Steuervergünstigungen im Sinne der Gemeinnützigkeit ein."
Dies ist ein guter Anfang. Angesichts vieler enger CDU-Kontakte zu den konservativ - islamistischen Organisationen ist jedoch Skepsis angesagt. Die Frage ist nämlich auch, wo für die CDU der politische Islamismus anfängt?
Aber auch der Partei Die Linke muss diese Frage gestellt werden. Schließlich akzeptierte sie bei dem Drei-Religionen-Haus "House of One" einen Imam der Gülen-Bewegung. Und auch mit dem Zentralrat der Muslime, dessen Vize-Vorsitzender Mehmet Alparslan Celebi auch eine leitende Funktion der islamistisch-nationalistischen ATIB ist, hat die Partei anscheinend kein Problem.
Der geschäftsführende Vorstand der Partei trifft sich seit 2018 zum Austausch mit dem Zentralrat. An dem Treffen 2018 nahm auch der ZMD Generalsekretär Abdassamad El Yazidi teil, dem seine Tätigkeit als Seelsorger in hessischen JVAs untersagt wurde, als dem Landesjustizministerium dessen Beziehungen zur Muslimbruderschaft bekannt wurden.
Im Juni 2020 trat ein Referent des ZMD auf einer Veranstaltung der Linksfraktion auf. Wie passt das zusammen, wenn Ulla Jelpke, Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion von der Bundesregierung fordert, "jede auch indirekte Zusammenarbeit mit dieser faschistischen Vereinigung zu beenden...(gemeint ist Atib, Anm. d. A.) Das betreffe ebenso Kooperationen mit dem Zentralrat der Muslime, solange sich dieser nicht von Atib distanziere".
Fazit
Man muss sich genau anschauen, welche Organisation hinter einem Bewerber auf ein politisches Mandat steht, oder mit wem man sich an einen Tisch setzt, denn die Person handelt im Sinne seiner Organisation, möge sie noch so gut den modernen Diskurs beherrschen. Gewiss kann es sein, dass man zufällig an einer Versammlung teilnimmt, an der auch fragwürdige Vertreter teilnehmen.
Aber das kann man geraderücken, indem man sich von ihnen distanziert. Wenn eine Moschee allerdings einen Salafisten oder einen Vertreter der Muslimbruderschaft in seine Gemeinde aktiv einlädt, um über die islamische Lehre vor den Gläubigen zu sprechen, ist das kein Zufall, sondern gewollt. Die Imame wissen sehr genau, wen sie aus der islamischen Gemeinschaft vor sich haben.
In der islamischen Szene kennt jeder jeden. Und wenn es da mal "aus Versehen" zu einem Kontakt mit Islamisten kam, mit denen man nichts zu tun haben will, gäbe es immer noch die Möglichkeit, sich zu entschuldigen und mit einer inhaltlichen Stellungnahme zu distanzieren. Diese Praxis ist aber weder bei Ditib, der Islam Föderation, dem Zentralrat der Muslime noch der Gülen-Organisationen zu erkennen.