Deutsch-russischer Meinungskampf: Was steckt hinter Freundschaft Putin-Schröder?
In der Halbzeitpause eines WM-Spiels 2018 in Russland: Schröder spricht mit Putin. Bild: Kreml / CC BY 4.0 Deed
Putin griff zum Deutschen, um dem Altkanzler beizustehen. Ein strategischer Kniff. Denn die "enge Männerfreundschaft" ist ein deutsches Phänomen. Worum geht's?
Als sich Altkanzler Schröder (SPD) in der Berliner Zeitung zu Russland äußerte, war ein allumfassender Shitstorm bereits vorprogrammiert. Inhaltlich lieferte er nichts, was aus seinem Mund neu gewesen wäre, will Nord Stream reaktivieren, bezeichneten die russische Invasion der Ukraine als "fatale Fehlentscheidung" und negierte eine Bedrohung der Nato durch Russland ("Diese Angst davor, dass die Russen kommen ist absurd").
Gerade mit der letzten Aussage widerspricht Schröder diametral der herrschenden Meinung in der deutschen Politik und Presse. Doch bereits vor der heftigen Abkühlung der deutsch-russischen Beziehungen in den letzten Jahren war Schröder mit solchen Worten kein allzu einflussreicher Fürsprecher der Zusammenarbeit mit Moskau mehr. Zu schnell ging nach seiner aktiven Amtszeit sein fliegender Wechsel in die Führungsebene russischer Staatskonzerne. Nach dem Überfall der Ukraine Anfang 2022 machten Schröders Verflechtungen ihn fast zur Unperson für das deutsche Politestablishment.
Deutsche Medien glauben an tiefe Männerfreundschaft
Dieser Wechsel und gegenseitige Besuche zu Schröders Amtszeit in Hannover und Sotschi brachten dem Altkanzler in Deutschland den Ruf einer engen Männerfreundschaft mit der Symbolfigur im Kreml ein. Doch Putins Freundeskreis wäre groß, wenn man jeden dazu zählen würde, den er nach einer aktiven Amtszeit mit einem guten Nachfolgeposten bedenkt.
Auch die frühere österreichische Außenministerin Karin Kneissl (parteilos, nominiert von FPÖ), eher bekannt für ihren Hofknicks vor Putin als für eine enge Freundschaft, war nach dem Amtszeitende Aufsichtsrätin bei Rosneft und wurde nun Präsidentin eines neu gegründeten Thinktanks in Sankt Petersburg.
Gleiches widerfuhr zahlreichen früheren Politfunktionären aus dem Kreml-Apparat. Putin schätzt Loyalität und belohnt diejenigen, die ihm gegenüber in Amt und Würden loyal waren nach deren Ausscheiden – auch wenn sie eigentlich nicht Teil seiner eigenen Verwaltung gewesen sind.
Allgemein ist Schröder in Russland selbst nicht als "enger Freund" Putins bekannt. Das russisch-deutsche Politmagazin Russland.direct warnte in einem Beitrag über Putins privates Umfeld davor, Empfänger solcher Zuwendungen gleich als persönliche Freunde Putins zu sehen. In Bezug auf Gerhard Schröder zitiert es den langjährigen Russlandkenner Kai Ehlers, der Schröder für Putin nur "als nützliche Figur, die ihm sympathisch ist" bezeichnet.
Deutsch als Unterstützung eines Nazivergleichs
Gerade deswegen machte es viele Schlagzeilen auch in russischer Presse, als Putin zur Rechtfertigung Schröders in der aktuellen Auseinandersetzung im Rahmen einer TV-Sendung zur deutschen Sprache griff: "Je weiter von Schröder, desto näher zu Anthony Rota, der Nazisten sympathisiert" [sic]. Schon die Formulierung zeigt, wie selten der Gebrauch des Deutschen bei Putin geworden ist.
Hintergrund war die Ehrung eines SS-Veteranen im kanadischen Unterhaus durch eben jenen Anthony Rota, welche Rota seinen Posten als Parlamentssprecher kostete. Er hatte den Altnazi als "ukrainisch-kanadischen Kriegsveteran" bezeichnet.
Putin begründete auf Russisch, warum er hier zur deutschen Sprache gegriffen habe, "damit die Menschen in Deutschland mich verstehen können". Vorausgegangen war auf Russisch die Frage, was Putin dazu meine, dass Schröder bei wichtigen Ereignissen aktuell so stark von der restlichen deutschen Politprominenz getrennt sei.
Die Botschaft ist klar und nichts Neues in der Darstellung des Kreml-Chefs. Er sieht sich als Bekämpfer eines "Nazismus" und wer ihm gegenüber loyale Personen ausgrenzt, begibt sich selbst in die Nähe von Nazis. Das klingt aufgrund des ultrakonservativen, zunehmend totalitären Staatsaufbaus von Putins selbst regiertem Land für deutsche Ohren befremdlich, aber entscheidend ist für seine Statements nur das eigene Bild Putins.
Taktisch geschickt im Meinungskrieg
Im Zuge der Stellungnahme wurde auch eine Freundschaft von Schröder zu Putin in regierungsnaher, russischer Presse thematisiert, die sonst dort kein Thema ist. "Der ehemalige deutsche Bundeskanzler gab zu, mit dem russischen Präsidenten befreundet zu sein", schreibt die Onlinezeitung Lenta. Schröder gestand "freundschaftliche Beziehungen zum russischen Präsidenten ein", schrieb zum Thema die regierungsnahe Gazeta.ru.
Von einer umgekehrten Freundschaft Putins mit Schröder ist jedoch nirgends die Rede und der generelle Aspekt wird in vielen Berichten gar nicht erwähnt. Zentral ist dagegen überall die warnende Botschaft vor "einer Annäherung Berlins an Nazi-Sympathisanten", wie es das Medienportal RBK ausdrückt.
Mit dieser Botschaft hätte Putin auf andere Weise in Deutschland kaum Aufmerksamkeit bekommen. Zu zahlreich sind die Faschismusbeschuldigungen aus den Führungsetagen des russischen Establishments in die westliche Richtung geworden, als dass sie überhaupt noch eine Presseecho bekämen. Währenddessen bezichtigen wiederum westliche Experten Russland des Faschismus.
In diesem Krieg der Meinungen und Informationen war es in der Tat ein taktischer kluger Schachzug von Putin, zu seinen etwas eingerosteten Deutschkenntnissen zu greifen und sich damit ohne Nachrichtenwert in den großen deutschen Medien breites Gehör zu verschaffen.
Hier liegt auch der eigentliche Grund des Rückgriffs auf halb vergessene Sprachkenntnisse. Schlimm ist dabei, dass der Krieg der Meinungen nicht der einzige ist, der heftig tobt.