Deutsche Medien und die Arbeit der Zuspitzung
Lauter blinde Flecken: Was die deutschen Medien über den Krieg erzählen – und was nicht
"Ich ruf' ja nicht auf, ich stelle nur Fragen!" behauptete Gesine Dornblüth am Montagabend bei "Hart aber Fair" (Minute 32:16). Dornblüth war von 2012 bis 2017 Korrespondentin des Deutschlandfunks in Moskau.
Als solche praktiziert sie in ihrer Russlandberichterstattung vor allem einen "Haltungsjournalismus", der ohne Neugier auf Überraschendes und ohne das Bedürfnis, zum Beispiel Mehrheitsmeinungen oder gar Regierungspositionen zumindest ihrer Intention nach zu verstehen, konsequent Minderheiten und Oppositionellen das Wort gibt, so sehr, dass als Gesamteindruck ein verzerrtes Russlandbild eines zwischen Gut und Böse gespaltenen Landes entsteht - das nicht wenigen Hörern als tendenziöser Blick aufgefallen ist und auch im Gespräch mit regierungskritischen Russen schnell in differenzierte Positionen aufgelöst wird.
"Wir sind nicht ganz unschuldig!"
Tatsächlich stellte Dornblüth bei Plassberg vor allem Fragen, allerdings waren die meisten von ihnen rein rhetorisch: "Sind wir nicht eigentlich schon Kriegspartei?" Oder "Ich frage mich: Ist es nicht doch möglicherweise geboten, dass die Nato aktiver wird?"
Die Medien als Kriegstreiber. Es waren die Generäle wie Erich Vad (Ex-Merkel-Berater), die widersprachen: "Was Sie sagen, ist echt gefährlich!" (Minute 33:00) Und Experten, wie der Politikwissenschaftler Christian Hacke, die sich auf mögliche Auswege konzentrierten:
Wir sind nicht ganz unschuldig. Wir haben einiges provoziert bei Putin, was nicht hätte sein müssen. Die Möglichkeit eines friedlichen Auswegs wäre von Anfang an gewesen: Eine neutrale Ukraine. Zwischen Ost und West, nicht im westlichen Bündnis, nicht im östlichen. Es gibt keinen einzigen diplomatischen Vorschlag – weder von den USA noch von den NATO-Staaten – die diesen Vorschlag einmal auch nur aufgebracht hätten. Heute ist er aber auch virulent. Denn wir müssen bei einer Verschärfung der Situation auch Putin einen gesichtswahrenden Ausweg geben.
Christian Hacke
Was denken Italiener? Spanier? Ungarn? Griechen?
Bleiben wir aber für heute bei der Medien-Lage, und machen es mal wie Gesine Dornblüth und stellen einfach Fragen – was fehlt und was fehlt nicht? Was gibt es im Überfluss in der Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt, und woran herrscht Mangel?
Wir hören in den deutschen Medien gerade sehr umfangreich, was die Bundesregierung denkt. Wir hören und sehen jeden zuständigen Minister. Wir hören jeden Vertreter einer jeden Partei, dazu jeden Verteidigungs-Experten. Das alles ist noch irgendwie verständlich. Wir hören auch, schon viel weniger detailliert, was Macron denkt, was die Franzosen sagen, wir hören wiederum sehr ausführlich, was die Amerikaner denken. Wir hören Nato-Funktionäre und EU-Politiker.
Wir hören dagegen schon ziemlich wenig über die Diskussionen in anderen europäischen Ländern. Vielleicht noch die Polen. Vielleicht noch die Briten. Aber was denken Italiener? Was die Spanier? Nicht ukrainische Minderheiten in Spanien, die mal in irgendeiner Sendung zu Wort kamen, sondern die Spanier? Was denken die Skandinavier? Was die Ungarn, die in den letzten Jahren besonders viel Verständnis für Putin hatten. Die Griechen werden nicht mal erwähnt.
Kritik an der US-Politik in den USA
Aber auch im Fall der US-Amerikaner, über deren Positionen, wie erwähnt, relativ viel zu erfahren ist, bleibt der Blick sehr einseitig an der Regierung kleben, an der Frage des politischen Backups für Biden und vielleicht noch an Medien, die mehr oder weniger für die Unterstützung der Ukraine eintreten und die Regierungspolitik mittragen.
Gleichwohl gibt es und gab es im Vorfeld des 24. Februar 2022 in den USA eine ganze Reihe kritischer Stimmen, und zwar sehr wohl auch von etablierter Seite, insbesondere aus der Wissenschaft. Eine gewisse Mehrheit dieser Stimmen steht den Republikanern nahe, die sich historisch in außenpolitischen Fragen oft als realistischere, pragmatischere Partei erwiesen haben. "It was Nixon to go to China."
Aber auch unter Demokraten sind sie zu finden. Stellvertretend nennen wir Responsible Statecraft und Anatol Lieven, ein britischer Professor und Ost-Experte, der Anfang Januar in einem längeren Text für Neutralität plädierte. Ein anderer Autor beschrieb am gleichen Ort "vier Provokationen" des Westens.
Was denken die Russen?
Was wir aber überhaupt nicht hören, ist, was die Russen denken. Wir hören zwar Pressekonferenzen von Putin; vielleicht noch eine Erklärung von Lawrow. Dies immer mehr oder weniger explizit mit dem Zusatz versehen, dass man den Leuten sowieso nichts glauben kann und dass sie vor irgendein Kriegsverbrechertribunal gestellt werden sollen.
Wir hören aber keinen einzigen russischen Verteidigungs- oder Strategie-Experten, keinen Botschafter, der die offizielle russische Regierungsposition darstellt. Wir hören keinen russischen Politiker oder der Regierung nahestehenden Abgeordneten, der über mögliche Auswegszenarien und Schritte zur Beendigung des Krieges nachdenkt.
Wir hören ansonsten von den Demonstrationen, die es in Russland gegen den Krieg gibt. Sie sind verhältnismäßig zahlreich. Wir hören von russischen Medien, die nicht mehr berichten dürfen. Wir hören die Opposition – gut so!
Sind alle Ukrainer für den Krieg?
Aber warum hören wir nichts dergleichen aus der Ukraine? Gibt es nicht einen einzigen Menschen in der Ukraine, noch nicht mal einen, der von den Russen gekauft wurde, der für ein Ende des Krieges plädiert? Dafür aufzugeben? Der sich einsetzt für Waffenstillstandsverhandlungen? Was sagt die ukrainische Opposition? Oder gibt es keine? Sind alle in Reih und Glied hinter ihrem Präsidenten versammelt? Was ist eigentlich mit der russischen Minderheit?
Gibt es irgendwen in der Ukraine, der es nicht richtig findet, dass sämtliche Männer zwischen 16 und 60 Jahren ein Ausreiseverbot haben und gezwungen sind, in diesem Krieg zu kämpfen, auch wenn sie dagegen sind? Gibt es Kritik daran, die Zivilbevölkerung faktisch in Geiselhaft zu nehmen? Warum hören wir nichts über die ukrainischen Faschisten? Kämpfen sie in diesem Krieg. Wo und wie?
Viele weitere Fragen könnte man stellen.
Die Personalisierung und die Zuspitzung auf einen einzigen möglichen Standpunkt ist das erste Grundübel nicht nur dieses Krieges. Putin gegen Silensky. Putin gegen den Westen. Putin gegen den Rest der Welt.
"Medienbeobachtung" - unter diesem Reihentitel erscheinen hier in loser Folge Notizen aus der Welt der Medien, aktuelle Beobachtungen, Analysen und Kritiken von Rüdiger Suchsland. Eine Art "Die letzten Tage von Pompeji - Seelenruhe in der Informationsgesellschaft"