Deutsches Schweinefleisch: Zu teuer, zu kompliziert, zum Scheitern verurteilt?
Deutsches Schweinefleisch verliert auf dem Weltmarkt an Bedeutung. Seuchen wie ASP und MKS erschweren den Export zusätzlich. Ist die Branche zum Scheitern verurteilt?
Zu Beginn des Jahres wurden Schweinemäster in Brandenburg ihre schlachtreifen Tiere nicht los. Das lag nicht nur am "Schweineüberhang", der alljährlich zum Jahreswechsel in den Ställen entsteht. Andere Gründe waren die Afrikanische Schweinepest (ASP) und die Maul- und Klauenseuche (MKS).
Letztere war kürzlich in Brandenburg ausgebrochen. Der erste ASP-Fall in Deutschland liegt vier Jahre zurück. MKS- als auch ASP-Viren sind für Menschen ungefährlich, ebenso der Verzehr von Produkten dieser Tiere. Für Schweine allerdings ist ASP ansteckend und tödlich. Die Seuche infiziert Wild- ebenso wie Hausschweine.
Während für Fleisch aus Gebieten mit Vogelgrippe (Aviärer Influenza) keine Sonderkennzeichnung nötig ist, muss Frischfleisch von Schweinen aus Restriktionsgebieten besonders gekennzeichnet sein. Auch wenn sie nachweislich gesund sind, dürfen die Tiere von Schlachtunternehmen wie Westfleisch nicht abgenommen oder bezahlt werden, klagte der Bauernverband Brandenburg.
Derart markiertes Fleisch werden die Kunden nicht kaufen, fürchtet der LEH. Der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels fordert die EU daher auf, die Kennzeichnung abzuschaffen.
Der Schweinestau in den Ställen führt nicht nur zu wirtschaftlichen Einbußen für die Schweinehalter, es bringt sie auch in Konflikt mit dem Tierschutz. Um den Druck der Betriebe und in den Ställen zu mildern, lagert das Fleisch zudem in Kühlhäusern der Schlachtunternehmen, was wiederum Kosten verursacht.
Schlachtkonzerne schließen deutsche Filialen
Der LEH vermarktet gerade mal 30 Prozent des Schweinefleischs im deutschen Markt. Der Großteil der Ware wird von der fleischverarbeitenden Industrie, dem Export und der Außer-Haus-Verpflegung abgenommen.
Im vergangenen Jahr zog sich Vion, drittgrößter Schlachtkonzern nach Tönnies und Westfleisch, nahezu vollständig aus Deutschland zurück. Im niedersächsischen Emstek entließ der Konzern 750 Beschäftigte. Angesichts der starken Konkurrenz auf dem Weltmarkt gebe man das Geschäft auf und konzentriere sich künftig auf die Beneluxstaaten, hieß es.
Auch Danish Crown, größter Fleischproduzent Dänemarks, strich konzernweit 500 Stellen. Der konzerneigene Schlachthof im Oldenburger Münsterland machte allein im vergangenen Geschäftsjahr 25 Millionen Euro Verluste.
Einstige Schinkenmacht Deutschland ist am Weltmarkt bedeutungslos
Weltweit steige der Konsum von Schweinefleisch moderat an, aber deutsche Produzenten seien nicht mit im Boot, bedauert der deutsche Marktexperte Josef Efken vom Thünen-Institut. Denn Schweinefleisch kann so gut wie überall hergestellt werden: Mehr als jedes zweite Schwein auf dem Planeten lebt heute in China.
Spanien hat Deutschland als größter Produzent Europas abgelöst. Russland, das lange Schweinefleisch importierte, beliefert mittlerweile befreundete Länder. Auch die USA sind seit Langem im Geschäft. Thailand, Vietnam, Brasilien holen auf.
"Beim Schweinefleisch ist Deutschland aktuell kaum mehr wettbewerbsfähig", konstatiert Wilhelm Uffelmann Firmenchef von Westfleisch. Das habe mit Vorschriften und höheren Kosten zu tun, aber auch mit Konsumgewohnheiten. So besteht ein Schweinekörper nur zu 60 Prozent aus Edelteilen, die hierzulande in den Supermärkten gekauft werden: Filets, Koteletts, Schinken. Die Nebenprodukte – Füße, Ohren, Köpfe, Knochen, Innereien – finden keine deutschen Abnehmer.
Im Gegensatz zu China, das für diese "Abfallprodukte" im Jahr 2020 noch rund eine Milliarde Euro zahlte. Noch im Herbst desselben Jahres verhängte das Handelsministerium in Beijing einen Importstopp für deutsches Schweinefleisch. Begründung: der Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest, die zwei Tage zuvor bestätigt worden war, nachdem Veterinäre in Brandenburg ein totes Wildschwein untersucht hatten.
Anfang Januar dieses Jahres wurde nun – ebenfalls in Brandenburg – bei Wasserbüffeln die Maul- und Klauenseuche festgestellt. Weil auch Schweine daran erkranken können, stoppten Südkorea, Großbritannien und Mexiko vorsorglich sämtliche Schweinefleischimporte aus Deutschland.
China: vom Importeur zum Selbstversorger
In China hatte die ASP 2018 und 2019 fast ein Drittel des gesamten Schweinebestands vernichtet. Inzwischen kann China auf die eigene Schweinefleischproduktion zurückgreifen, sodass es nicht mehr auf deutsche Schweine angewiesen ist. Als Agrarminister Cem Özdemir im April 2024 mit Beijing verhandelte, holte er zwar Export-Erleichterungen für Rindfleisch und Äpfel heraus, nicht aber für Schweinefleisch.
Der chinesische Markt ist dauerhaft verloren, schätzt Josef Efken vom Thünen-Institut. Womöglich nicht nur in Deutschland. Nachdem die EU im Sommer Zölle auf chinesische E-Autos angekündigt hatte, reagierte China mit einem Anti-Dumping-Verfahren auf Schweinefleisch aus der gesamten EU. Begründet wurde dies mit "unzulässigen Subventionen". Das ist nicht falsch, bedenkt man, dass europäische Landwirte jährlich 55 Milliarden Euro Agrarsubventionen kassieren.
Megaproducer in Asien ignorieren Tierschutz
Seit ein paar Jahren betreibt der Konzern Muyuan Foods in Zentralchina einen Komplex von der Größe eines Industriegebiets – mit 21 Fabrikhallen für die Schweinemast. Auch der thailändische Konzern CP Foods, ebenfalls ein "mega-producer", betreibt Schweinefarmen in China, Vietnam, auf den Philippinen, in Russland und Kanada. Er kontrolliert die gesamte Wertschöpfungskette – von Zucht, Mast und Schlachtung über die Verarbeitung bis zu eigenen Restaurants.
Länder wie Thailand und Brasilien werden künftig den internationalen Markt bedienen. Dabei spielt Tierschutz keine Rolle: Die Tiere stehen enger, haben weder Auslauf noch Beschäftigungsmaterial. Die Produktionskosten sind somit viel geringer als in Deutschland.
Deutsches Schweinefleisch aus artgerechter Haltung
Das Tierwohl dürfte im Ausland wohl kein Verkaufsargument werden, befand das Thünen-Institut 2021 bei einer Analyse möglicher Absatzmärkte. Selbst in wichtigen EU-Exportländern wie Italien und Polen legten Konsumenten mehr Wert auf Geschmack oder geringen Fettanteil.
Doch ist es wirklich so schlimm, wenn wir den Weltmarkt nicht mehr bedienen können? Schweinemast im großen Stil hat auch Nachteile: Für den Anbau von Futterpflanzen sind riesige Flächen nötig, Kot und Urin der Schweine verschmutzen das Grundwasser. Hierzulande ist die Zahl der Betriebe seit Langem rückläufig: Innerhalb von zehn Jahren gaben vier von zehn Schweinehaltern auf.
Wie wäre es, weniger Tiere artgerecht zu halten, weniger Fleisch zu produzieren und mit diesem den Binnenmarkt und nur EU-Länder zu beliefern? Zu höheren Preisen, die dann auch an die Erzeuger weitergegeben werden. So abwegig ist das nicht. Kürzlich wurden etwa die Haltungsformen erneut ans staatliche Tierhaltungskennzeichnungsgesetz angepasst.
Nun müssen auf jeder Packung Schweinefleisch fünf statt wie früher vier Haltungsstufen stehen. Zur Auswahl stehen: Stall, Stall und Platz, Frischluftstall, Auslauf/Weide und Bio. Schweinehalter müssen zusätzlich mindestens drei Strukturelemente in die Buchten einbauen.
Alternativ ist ein Auslauf mit mindestens 0,2 Quadratmetern pro Schwein vorgesehen. Da ist natürlich noch Luft nach oben. Denn Schweine benötigen auch Stroh im Stall, zumindest Häckselstroh oder anderes Material, an dem sie ihren Beschäftigungstrieb ausleben können. Das ist derzeit nur in Bio-Haltung vorgesehen.
Trendwende beim deutschen Fleischkonsum
Laut einer aktuellen repräsentativen Befragung von YouGov Anfang Februar aßen 60 Prozent der Menschen in Deutschland in den vergangenen zwölf Monaten unverändert viel Fleisch und Wurst im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. An der Befragung Anfang Februar nahmen rund 1.700 Erwachsene teil. Während die Älteren angaben, weniger Fleisch gegessen zu haben, war der Anteil der Jüngeren, die ihren Konsum steigerten, überdurchschnittlich hoch.
Spielt auch das Tierwohl beim Kauf eine Rolle? Laut einer Forsa-Umfrage vom Januar 2024 ist die Initiative Tierwohl 70 Prozent der deutschen Bevölkerung zumindest bekannt: 80 Prozent der Verbraucher nahmen die Haltungsform-Kennzeichnung bewusst wahr. 93 Prozent fanden das Konzept gut oder sehr gut.
Doch während Tierwohl bei Umfragen ein Thema ist, scheint es beim Einkauf im Supermarkt so gut wie keines mehr zu sein. 2022 lag der Anteil ökologischer Landwirtschaft am gesamten Schweinefleisch laut Statista bei gerade mal 0,8 Prozent.
Schlachtungen und Exporte nahmen zuletzt wieder zu
Im vergangenen Jahr produzierten deutsche Schlachtunternehmen insgesamt 4,3 Millionen Tonnen Schweinefleisch – 1,9 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Zahl der geschlachteten Tiere stieg auf 44,6 Millionen (um 1,2 Prozent). Im Vergleich zum Rekordjahr 2016 waren es allerdings 1,3 Millionen Tonnen weniger, was einem Rückgang um knapp ein Viertel entspricht.
Auch die Schweinefleischexporte sind wieder leicht gestiegen, nachdem sie vorher rückläufig waren. Laut Destatis erhöhte sich die Ausfuhr von frischer, gekühlter oder gefrorener Ware ohne Schlachtnebenerzeugnisse auf 1,3 Millionen Tonnen (um 3,7 Prozent). Rund 80 Prozent der Exporte gehen in EU-Länder. Die Schweinefleischimporte gingen um rund 50.000 Tonnen (7,6 Prozent) im Vergleich zum Vorjahr zurück.
Laut Statista summierte sich der deutsche Pro-Kopf-Fleischverbrauch im Jahr 2023 auf rund 52 Kilo. Das ist zehn Kilo weniger als noch vor elf Jahren. Der Pro-Kopf-Konsum von Schweinefleisch lag 2023 weltweit bei 10,89 Kilo. In zehn Jahren soll diese Zahl mit 10,6 Kilo leicht sinken.
In Industrieländern wird immer noch deutlich mehr Schweinefleisch konsumiert als in ärmeren Ländern: Aß hier eine Person im Schnitt rund zwanzig Kilo, waren es in den Entwicklungsländern nur knapp neun Kilo.