"Deutschland muss mehr Verantwortung übernehmen"
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1000mal gesagt und nichts passiert? Von wegen! Deutschland ist bestens in den US-Kriegskurs integriert. Beispiel Defender Europe.
"Alles andere als Scheu vor der Verantwortung" kündigte Bundespräsident Steinmeier in seiner Grundsatzrede auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz an. Beim neudeutschen Mantra von der Verantwortungsübernahme räumte das Staatsoberhaupt ein, "dass schon jetzt viele Menschen, jedenfalls in Deutschland, Sorge haben, dass sich hinter dem Begriff der Verantwortung vor allem militärische Auslandseinsätze verbergen".
Aber diese Sorge führe in die Irre, Verantwortung in der Welt von heute heiße vor allem, "sich der Wirklichkeit zu stellen und immer wieder nach praktischen Wegen zu suchen, die Welt zu verändern. Wir müssen uns nur im Klaren sein: Das wird uns nicht aus einer Position der Schwäche gelingen." Und Politik der Stärke - das weiß man hierzulande seit Adenauers Zeiten - gewinnt man "nur aus der Gemeinsamkeit".
Dieser Gemeinsamkeit will sich Deutschland in der NATO und der EU versichern, praktiziert sie jetzt aber auch im Rahmen einer militärischen Übung, bei der man in Treue zum transatlantischen Partner steht, der gerade, wie Steinmeier auch nicht verschwieg, "unter der jetzigen Regierung selbst der Idee einer internationalen Gemeinschaft eine Absage" erteilt.
Bei der Übung zu Truppenverlegung und "Interoperabilität" handelt es sich um "Defender-Europe 2020", eins der größten NATO-Manöver seit dem Ende des Ostblocks, über dessen gigantischen logistischen Aufwand man mittlerweile ins Bild gesetzt wird, während die kriegsträchtige Stoßrichtung eher im Hintergrund bleibt oder gleich als Beitrag zur Sicherheit Europas beschönigt und jetzt auch mit einem eigenen Propagandakrieg begleitet wird.
Europa vorwärts verteidigen
Die Bundeswehr hat über ihr Presse- und Informationszentrum die entsprechenden Sprachregelungen ausgegeben. Mit dem Manöver, heißt es, würden die USA "ein deutliches Bekenntnis" zur Sicherheit Europas abgeben, während "umgekehrt die europäischen Partner" zeigen, "dass sie gemeinsame Vorhaben verlässlich unterstützen".
Dies stelle "einerseits eine Vergewisserung über die Beistandsverpflichtung im Bündnis und insbesondere über das Engagement der USA für die Sicherheit Europas dar", während andererseits von Defender Europe "deutliche Signale der Abschreckung von Übergriffen auf NATO-Staaten" ausgehen sollen. Alles in allem bedeutet dies auch eine militärstrategische Aufwertung Deutschlands, das im Rahmen der "Bündnisverteidigung" nicht mehr die Rolle des Frontstaates, sondern, wie stolz vermeldet wird, einer strategischen "Drehscheibe" spielen soll.
Kritik an dem Vorhaben, das von April bis Mai 2020 auf vollen Touren laufen soll, ist hier und da laut geworden. Es gehe um einen Test, wie brauchbar Deutschland, deutsche Häfen und Flughäfen, die Schienen, Straßen und Flüsse für militärische Zwecke seien, wobei das Land und auch einzelne seiner Städte - im Norden vor allem Hamburg und Bremerhaven - "als Drehscheibe dienen", so Martin Dolzer, der friedenspolitische Sprecher der Linkspartei in der Hamburger Bürgerschaft.
Damit gibt Dolzer nur die offizielle Linie wieder, die er jedoch für eine Fehlentwicklung hält: "Dieses Manöver ist das falsche Signal, ein unnötiges Drehen an der Eskalationsspirale" (vgl. Defender 2020: Norddeutschland mittendrin statt nur dabei). Aus der Bremer Linkspartei hieß es dazu: "Durch dieses Manöver werden zig Millionen Euro verbrannt, Umweltschäden produziert und die Zivilbevölkerung gestört."
Diese Wirkungen sind nicht zu bestreiten. Bei den Kosten könnte sich der endgültige Betrag noch in weit höheren Dimensionen bewegen, und auch bei den Umweltschäden dürfte einiges zusammenkommen, nicht allein bei den Emissionen der Panzer, der sonstigen Fahrzeuge und Fluggeräte. Doch sind dies etwas seltsam angesetzte Einwände bei einem militärischen Unternehmen, dem von offizieller Seite ein ganz hoher Stellenwert in Fragen des Weltfriedens - damit ja auch eines möglichen Weltkriegs - eingeräumt wird.
Die Schwäche der hiesigen Kritik zeigt sich exemplarisch beim Aufruf des DGB, der "Nein zum NATO-Manöver" sagt. Er nimmt "im Sinne der Beschäftigten" Stellung und verweist auf die "erheblichen Mittel", die für Investitionen (angesichts der Herausforderungen von Klimawandel, Digitalisierung etc.) und für Maßnahmen der sozialen Absicherung benötigt würden. Deshalb lehnt der DGB übrigens auch die Erhöhung des Rüstungshaushalts auf 2 % des BIP ab, denn "diese Ressourcen würden für die dringend notwendigen Zukunftsinvestitionen fehlen".
Im Fall des Defender-Aufmarsches soll jedoch nicht nur die Fehlallokation öffentlicher Mittel zu beklagen sein, sondern auch eine Verfehlung der eigentlich gebotenen Entspannung und Kooperation in den internationalen Beziehungen - geboten speziell seit der Charta von Paris (1990), die das "Ende des Zeitalters der Konfrontation und der Teilung Europas ausgerufen" habe. Gemessen daran sei die Übung zur Verlegung kampfstarker Verbände in kürzester Zeit bis an die Grenze Russlands ein völlig falscher Weg, hier solle nämlich "die militärische Überlegenheit der NATO demonstriert werden".
Dieser Aufruf ist ein Dokument der Pseudokritik - gleichgültig, ob nun aus dem Nein der Gewerkschaft in der nächsten Zeit praktisch etwas folgt oder nicht. Erstens ist die Berufung auf die Charta von Paris ein Witz. Denn dieses Abkommen wurde längst von der NATO und von der Bundesrepublik in vorderster Linie zur Makulatur gemacht: Das gesamte Vorfeld Russlands ist vom Westen in Beschlag genommen und nur beim letzten Akt, der bündnismäßigen Inbesitznahme der Ukraine, auf russischen Widerstand gestoßen, worauf dann Putins entschiedene, aber defensive Reaktion des "Bis hierhin und nicht weiter" zu einem "Wer weiß" wie gefährlichen Expansionsakt umgedeutet wurde. Diese Umkehrung macht auch der DGB mit, wenn er die Nichteinlösung des feierlichen Anspruchs der Pariser Charta auf kooperative Konfliktlösung beklagt und die Fehlentwicklung auf den "Ausbruch des Krieges in der Ukraine" datiert.
"Spätestens" seit diesem Ereignis, heißt es beim DGB, sei die Fehlentwicklung, die "Achtung und Zusammenarbeit" verdrängt habe, manifest geworden; nun müssten beide, NATO und Russland in gleicher Weise, wieder zur Kooperation zurückfinden. Das ist eine merkwürdige Optik, Subjekt und Zielobjekt der westlichen Ausdehnung auf eine Stufe zu stellen. Und unter der Hand hat sich hier auch nichts entwickelt, das dann in einem fatalen Krieg zum "Ausbruch" gekommen wäre.
Immerhin hatte Putin Jahre zuvor, 2007 auf der Münchner Sicherheitskonferenz, den Vormarsch der NATO und deren sonstige Aufrüstungsbemühungen bis zur Militarisierung des Weltalls als aggressiven Akt beim Namen genannt und sich die Freiheit genommen, die sonst der Westen für sich beansprucht, seinerseits rote Linien zu ziehen; eine Neuauflage der sowjetischen Kapitulation, wie unter Gorbatschow geschehen, habe der Westen nicht zu erwarten. "Genau dies, dass Russland der westlichen Expansion nicht mehr nur rhetorischen, sondern auch praktischen Widerstand entgegensetzt, ist der Kern des Konflikts." https://www.jungewelt.de/beilage/art/347051?sstr=Lauterbach
Zweitens ist der Hinweis des DGB auf die Demonstration westlicher "Überlegenheit" - gelinde gesagt - eine ziemliche Untertreibung. Falsch eingesetzte Mittel, für Auf- statt für Abrüstung, haben angeblich in eine neue Konfrontation geführt, die den Auftrag von 2+4-Vertrag und Grundgesetz, dass "von deutschem Boden nur Frieden ausgehen" soll, aus den Augen zu verlieren droht. Militärische Absichten sind demnach nicht erkennbar.
Dieser Logik zufolge soll die NATO irgendwie auf eine falsche Schiene geraten sein und jetzt mit dem Pochen auf ihre Überlegenheit auftreten, statt der anderen Seite die Hand zu reichen - wie man es eigentlich von Deutschland kennt, das mit seiner wirtschaftlichen Übermacht in alle Welt "den Frieden ausgehen" lässt.