Die 10 gängigsten Propaganda-Thesen zum Ukraine-Krieg – kurz erklärt

Fragwürdige Analogie, hier 2014 in Lettland. Bild: Observe The Banana, CC BY-NC 2.0

Geoffrey Roberts über Narrative zum Ukraine-Krieg und Russland. Kritik an historischen Vergleichen. Denn die können verheerende Folgen haben.

Was sind die Hauptpunkte der Propaganda, die den zum Scheitern verurteilten Krieg in der Ukraine am Laufen halten, während die Welt mit der ukrainischen Niederlage konfrontiert ist? Geoffrey Roberts hat einige der wichtigsten Propaganda-Narrative zusammengefasst und erklärt.

Roberts ist emeritierter Professor für Geschichte am University College Cork und Mitglied der Royal Irish Academy.

#1: Putin ≠ Hitler: Ein Mythos entlarvt

Diese häufig verwendete falsche Analogie ist ungeheuerlich und hat keinerlei Faktenbasis.

Putin ist kein manischer, völkermörderischer, kriegstreiberischer Diktator. Er ist kein Rassist oder Militarist, der die Vorherrschaft in Europa oder in der Welt anstrebt. Er hat auch keine messianische Ideologie, die ihn dazu treibt, die Welt nach dem Vorbild Russlands umzugestalten.

Putins geopolitische Ambitionen sind bemerkenswert konservativ: Sicherheit und Respekt für Russland und seine Zivilisation, eine friedliche und wohlhabende, multipolare Welt souveräner Staaten, in der es einen Interessenausgleich gibt, der durch multilaterale Institutionen wie die Vereinten Nationen vermittelt und harmonisiert wird.

Solche Bestrebungen erscheinen nur im Kontext der bröckelnden globalen Hegemonie des Westens radikal.

#2: Stalin gleich Putin? Eine fragwürdige Gleichung

Putin wurde im sowjetischen System nach Stalins Tod geprägt, aber er ist seit den späten 1980er-Jahren kein Kommunist mehr. Wie er nicht lange nach seinem Amtsantritt als Präsident der Russischen Föderation sagte, hat jeder, der die Zerstörung der Sowjetunion nicht bedauert, kein Herz und jeder, der sie zurückhaben will, kein Gehirn.

In den 1990er-Jahren war er ein prowestlicher Liberaler, heute ist seine Ideologie christlich und kapitalistisch, nicht marxistisch oder sozialistisch.

Er übt enorme Macht in der russischen Politik aus, steht aber nicht einer totalitären Parteidiktatur vor, wie Stalin es tat.

Der sanfte Autoritarismus der Russischen Föderation hat keine Ähnlichkeit mit den Massenrepressionen der Stalin-Ära und ist auch nicht mit dem zwar viel weniger gewalttätigen, aber repressiven Einparteienstaat von Stalins kommunistischen Nachfolgern vergleichbar.

Patriotismus, Multinationalismus, Internationalismus und Geschichtsliebe sind das, was Putin mit Stalin tatsächlich gemeinsam hat, aber nicht, dass er ein Diktator ist.

#3: München-Syndrom – historische Fehldeutung

Diese populärste und schädlichste aller historischen falschen Analogien beruht auf der Behauptung, dass der Verrat des Münchner Abkommens an der Tschechoslowakei im September 1938 zeige, dass man Aggressoren nicht besänftigen kann.

Eigentlich war das Problem damals nicht die Beschwichtigungspolitik an sich, sondern die Tatsache, dass Hitler auf einen Weltkrieg aus war und sich nicht besänftigen lassen wollte.

Stalin war der Führer, den die Briten und Franzosen hätten besänftigen müssen, aber sie vermieden ein kollektives Sicherheitsbündnis mit der UdSSR zugunsten von Deals mit Nazi-Deutschland.

Vor dem Einmarsch in die Ukraine war Putin verzweifelt auf der Suche nach einer Vereinbarung mit dem Westen. Deshalb schlug er ein umfassendes europäisches Sicherheitsabkommen zwischen Russland und dem Westen vor.

Wenige Wochen nach Beginn des Krieges bemühte er sich um einen Kompromissfrieden, der für Russland eine neutrale und entwaffnete Ukraine vor der Haustür bedeutet hätte, jedoch mit nur einem geringen Plus an zusätzlichem Territorium.

Moskau bleibt offen für solche Verhandlungen, auch wenn der Preis für den Frieden heute viel höher sein dürfte als noch vor zwei Jahren.

Je früher Putin besänftigt wird, desto schneller wird der Krieg enden und die Ukraine wird vor weiterem unnötigem Leid bewahrt werden.

#4: Die Prager Analogie, ein gefährlicher Irrtum

Diese falsche Analogie ist eine Erweiterung des München-Syndroms. Sie behauptet, Hitlers Besetzung von Prag im März 1939 zeige, dass, wenn man Putin auch nur einen Zentimeter Territorium zugesteht, er sprichwörtlich einen Meter nehmen werde.

Allerdings war 1939 die Eroberung Polens Hitlers Ziel, nicht die der Tschechoslowakei. Deutsche Truppen drangen in das Land ein, angeblich, um für Ordnung zu sorgen, wegen einer inneren Krise, die die Slowakei und die tschechischen Länder nach dem Verlust des deutsch besiedelten Sudetenlandes in München spaltete.

Wenn die Ukraine nach der militärischen Niederlage gegen Russland eine tiefe innenpolitische Krise erleiden sollte, werden die "Wiederhersteller der Ordnung" in Lwiw und Kiew aber wahrscheinlich polnische und rumänische Truppen sein.

Die geschundene Ukraine, die vollständig auf ausländische Hilfe angewiesen ist, dürfte dagegen eher auf dem Weg zu einem westlichen und nicht zu einem russischen Protektorat sein.

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