Die AfD, Weimar und die Antifa: Schulter an Schulter, weil der Staat versagt?

Roter Frontkämpferbund

Der historische Konflikt zwischen SPD und KPD (hier: Roter Frontkämpferbund 1927) wird oft als mahnendes Beispiel genannt. Foto: Bundesarchiv Bild 183-Z0127-305/ CC-BY-SA 3.0

Rechte feiern Erfolge. Die Gegenbewegung könnte über vieles streiten. Was heute am Reden von Weimarer Verhältnissen falsch ist. Ein Kommentar.

Wieder einmal sorgen Wahlen in ostdeutschen Bundesländern für Aufregung. Natürlich sind es die Zahlen der AfD, der große Zugewinne prognostiziert werden. Der Rechtsaußenpolitiker Björn Höcke hat sich in den letzten Monaten als Thüringer Ministerpräsident in Spe inszeniert. Doch in den letzten Tagen versucht Höcke seine Fans darauf vorzubereiten, dass er auch nach dem 1. September in der Opposition bleiben wird.

Höcke und sein Umfeld geben die Schuld dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das in Thüringen auch Wähler erreicht, die sonst vielleicht für die AfD gestimmt hätten. Doch auch auf der Straße ist der Widerstand gegen Höcke und die AfD gewachsen.

Die AfD und die Warnung vor Weimarer Verhältnissen

Das zeigte sich letzte Woche, als eine Blockade von AfD-Gegnern einen Auftritt von Höcke in Jena verhinderte. Der Polizei gelang es trotz Schlagstockeinsatz nicht, die Blockade aufzulösen. Die AfD warnte wieder einmal vor Weimarer Verhältnissen, eine Phrase, die von Rechten und ihren Gegnern benutzt wird und die dementsprechend unterschiedlich besetzt ist.

Tatsächlich könnte man sagen, die Proteste gegen die AfD waren das Gegenteil von dem, was gemeinhin als Weimarer Verhältnisse bezeichnet wird. Es gab keine Straßenschlachten zwischen Rechten und Linken, sondern eine gewaltfreie Blockade. Zudem reichte der Kreis derer, die den Auftritt von Höcke verhindern wollten, bis ins Lager der bürgerlichen AfD-Gegner.

Als Fehler der Nazigegner in der Weimarer Republik wird dagegen immer hervorgehoben, dass sie sich nicht einigen konnten – und dafür wird der Konflikt zwischen der SPD und der KPD herangezogen. Dazu wäre viel Kritisches zu sagen, aber darum soll es hier nicht gehen. Es wird jedenfalls oft vergessen, dass es an der Basis von SPD und KPD diese Zusammenarbeit gegen die NSDAP durchaus gegeben hat, wie der US-Historiker David Arns am Beispiel der südhessischen Stadt Pfungstadt zeigt.

Seine Forschungen aus den frühen 1970er-Jahren hat der Verlag "Die Buchmacherei" jetzt wieder zugänglich gemacht. Sie haben Arns’ Buch "Der Weg in die NS-Diktatur. Die Geschichte von Pfungstadt 1928 bis 1935" neu herausgebracht. Demnach könnte man sagten, die Höcke-Gegner in Jena haben aus Weimar gelernt, dass sie Gegner der Rechten bei allen Differenzen gemeinsam agieren und sich eben nicht spalten lassen sollten.

Die Mär von der militanten Antifa

Es ist auch bezeichnend, dass selbst Medien, die sich gegen die AfD wenden, nach der Blockade von Jena wieder das Bild von der bösen militanten Antifa beschwören. Zu begrüßen ist, dass es dem Filmkollektiv Leftvision gelungen ist, für den Film "Antifa" fünf Personen vor die Kamera zu holen, die sich in den frühen 1990er-Jahren den Neonazis in unterschiedlichen Regionen in Deutschland entgegengestellt haben.

Es sind drei Frauen aus Brandenburg, Ostberlin, Schleswig-Holstein und zwei Männer aus Göttingen und Quedlinburg. Zunächst könnten sich diejenigen, die immer das Bild von der gewaltbereiten Antifa zeichnen, bestätigt fühlen. Denn vier der Personen im Film berichten von militanten Auseinandersetzungen mit den Rechten. Aber sie gehen auf den Kontext ein.

So beginnt der Film mit dem Angriff von Neonazis und sympathisierender Nachbarschaft auf das von vietnamesischen Vertragsarbeitern bewohnte Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen 1992. Nina aus Schleswig-Holstein berichtet, wie sich dann Antifaschisten aus dem Bundesland aufgemacht haben, um sich den Rechten entgegenzustellen – ohne Kontakte und Anlaufstellen vor Ort.

Staatsversagen: Warum sich Antifagruppen zuständig fühlten

Es gelang schließlich, in Rostock eine Demonstration zu organisieren und auch für Schutz für die Menschen im angegriffenen Wohnheim zu sorgen. Der Staat sei völlig abwesend gewesen und die Polizei habe sich zurückgezogen, sagte nicht nur die Frau aus Norddeutschland. Torsten aus Quedlinburg betont, dass die Antifa da eingegriffen habe, wo der Staat versagte.

Er berichtet über militante Auseinandersetzungen zwischen der rechten Szene und Antifaschisten. Diese Auseinandersetzungen fanden sogar Nachhall in überregionalen Medien, denn angeklagt wurden nicht die Rechten, sondern ihre Gegner wie Torsten:

"Im Harz-Städtchen Quedlinburg haben Neonazis unterschiedlicher Couleur ihre Liebe zur Justiz entdeckt: Antifas werden mit Strafanzeigen mundtot gemacht und sollen so vertrieben werden", schrieb Bernd Siegler in der taz.

Mit Gewalt gegen rechte Gewalt?

Der Antifaschist, der 1996 mehr als 80 Anzeigen hatte, ist mittlerweile Rechtsanwalt, auch weil es damals linken Anwälten gelang, ihn vor dem Gefängnis zu bewahren. Im Film betont er, dass er zu seiner Antifa-Geschichte steht, die sich aber eben nicht in Militanz gegen Rechte erschöpft. Dass wird im Film schon nach dem ersten Drittel deutlich. Dort äußern sich alle fünf Protagonistinnen und Protagonisten kritisch zu der Haltung, man müsse die Rechten an Militanz übertreffen.

Kessy, die Mitbegründerin des Antifaschistischen Pressearchivs und Bildungszentrums, das noch immer in Berlin-Kreuzberg seine Räume hat, war von Anfang an keine Freundin direkter körperlicher Gewalt zwischen Rechten und Linken. Doch sie betonte, dass sie in manchen Situationen froh gewesen sei, dass es andere Mitstreiter gab, die sich darauf konzentrierten. Dabei ging es nicht um Freude an der Gewalt, sondern um Schutz vor den Nazis.

Laura aus Ostberlin sprach auch von den psychologischen Folgen solcher Auseinandersetzungen. Über Traumata habe man in den 1990er-Jahren nicht viel geredet. Sie hat sich schon in sehr jungen Jahren gegen Nazis engagiert. Ihr Großvater war jüdischer Kommunist und stand nach 1989 im Visier der Rechten.

Die Antifaschistin betonte, wer sich gegen Nazis stelle, dürfe nicht zur Kampfmaschine werden. "Wir waren viele kleine Menschen, die nicht zimperlich waren", beschreibt sie ihre damalige Haltung. Wichtig war aber aus ihrer Sicht, dass man sich auf die Menschen verlassen konnte, die neben einem standen.

Toxische Männlichkeit und Grenzen antifaschistischer Gewalt

Auch die beiden männlichen Antifaschisten sehen aber die Gefahr, dass es auch in den eigenen Reihen vor allem manche Männer Militanz nicht als Mittel, sondern aus Prinzip anwenden. So beschrieb Torsten eine Situation, als ein junger Rechter schon verletzt im Gleisbett lag und weiter Steine auf ihn geworfen wurden.

Das hätten dann andere Antifaschisten gestoppt und dafür gesorgt, dass der verletzte Nazi fliehen konnte. "Wir wollten die Rechten auch mit Gewalt stoppen, aber sie nie so verletzen, dass sie ihr Leben nicht mehr fortführen können oder sie gar töten", betonte Torsten. Narvid aus Göttingen berichtete, dass ein Mitstreiter aus einer antifaschistischen Gruppe ausgeschlossen wurde, weil er einen Rechten, der schon am Boden lag, auf den Kopf geschlagen hatte.

Der Mann betonte auch, dass Militanz einen sehr geringen Stellenwert in der antifaschistischen Arbeit haben müsse, zentraler seien Bildung und Aufklärung. Da war man auch im Film ganz in der Gegenwart. Es wurden Szenen von Protesten gegen die AfD Anfang 2023 gezeigt. Nach der Filmpremiere am vergangenen Donnerstag erschallten Rufe wie "Alerta, alerta, Antifaschista" und es folgte ein kurzes Gespräch mit Protagonisten. Zu wenig Zeit für eine ausführliche Diskussion.

AfD-Wahlergebnisse: Wie erfolgreich war die Antifa?

Aber es ist zu hoffen, dass der Film Debatten anregt. Dafür ist er schon deshalb gut geeignet, weil er eben keine Beweihräucherung der Antifa-Bewegung ist. Alle Protagonisten äußern sich erfreulich selbstkritisch und hinterfragen auch ihre eigene Praxis. Torsten lässt am Ende die Frage unbeantwortet, ob die Antifa erfolgreich war. Wenn er die Wahlergebnisse der AfD betrachte, habe er da seine Zweifel.

Aber vielleicht sind erfolgreiche Blockaden wie die in Jena auch ein Zeichen dafür, dass die Gegner der Rechten lernfähig sind und sich nicht – wie so oft zuvor – an ideologischen Fragen zerstreiten. Ein negatives Beispiel war die Absage einer Demonstration gegen ein Neonazizentrum in Eisenach, wegen unterschiedlicher Positionen zur Nahost-Frage nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023.

Antifaschismus jenseits des Linksliberalismus

Im Film "Antifa" spielen theoretische Fragen keine große Rolle und ideologische Streitpunkte werden weitgehend ausgespart. Das ist positiv, wenn es um Dauerkonflikte wie die Positionierung zum Nahen Osten oder zum Ukraine-Krieg geht. Dazu gibt es schließlich genügend andere Filme. Doch über die Diskussionen in der unabhängigen Antifa-Bewegung hätte man doch etwas mehr erfahren wollen.

So spricht Narvid über die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO), die sich 2010 aufgelöst hat, aber zuvor einige Jahre erfolgreiche Kampagnen geführt hatte. Hatten die Antifaschisten damals tatsächlich den Anspruch "Schulter an Schulter, weil der Staat versagte", zu kämpfen, hatten sie nicht eine staatskritische Haltung und gar nicht die Absicht, Staatsaufgaben zu übernehmen?

Das sind auch Fragen, die sich viele vor allem jüngere Antifaschisten heute wieder stellen. Manche wünschen sich wieder eine Organisierung, die nicht einfach zum linken Flügel von SPD und Grünen wird. Unter dem Aufruf "Zeit zum Handeln" haben verschiedene Antifagruppen einen Aufruf veröffentlicht, um die Diskussion über einen Antifaschismus jenseits des Linksliberalismus anzuregen.

Dort heißt es:

Wenn es unsere Analyse ist, dass der Aufstieg von AfD und Co. nicht zufällig mit der mehr und mehr spürbar werdenden Krise zusammenfällt, ist die naheliegende Folgerung, dass ein Aufhalten, bzw. Umkehren des Rechtsrucks nur durch eine bereite antikapitalistische Bewegung geschafft werden kann. (...)

Das sehen aber nicht alle so. Die liberalen und sozialdemokratischen Parteien wollen von den Ursachen des Rechtsruck nichts wissen, müssten sie sich doch damit eingestehen, selbst Teil des Problems und nicht der Lösung zu sein. Ganz zu Schweigen davon, dass sie gerade einige der menschenverachtenden Forderungen der Rechten selbst umsetzen.

Aus dem Aufruf "Zeit zum Handeln"

Einige Antifagruppen sehen in dem Aufruf zu viel revolutionären Antifaschismus. Beiden Seiten geht es dabei erfreulicherweise nicht um mehr Militanz gegen Rechte, sondern um die Frage, ob es reicht, gemeinsam mit Grünen und SPD gegen die AfD vorzugehen – und dann vielleicht in Thüringen eine Koalition aus BSW und CDU zu bekommen, die ebenfalls in vielen Bereichen rechte Politik macht.

Sie fragen sich, ob es nicht an der Zeit ist, einen Satz von Horkheimer abgewandelt ernst zu nehmen, nämlich von Kapitalismus nicht zu schweigen, wenn man den Faschismus bekämpfen will. Vielleicht kann der Film dazu beitragen, dass eine solche wichtige Diskussion über Perspektiven der Antifa-Bewegung auch mit Menschen geführt wird, die bereits vor 30 Jahren gegen die Rechten aktiv waren und verschiedene Organisationsansätze sowie deren Grenzen erlebt haben.

Ihre Erfahrungen könnten für aktuelle Organisationsdebatten wichtig sein und auch einer Mystifizierung der Antifa-Bewegung der 1990er Jahre vorbeugen. Ein kleiner Kritikpunkt sei am Ende noch genannt: Es gab im Film eine kurze Szene mit einer Jugend-Antifa, die sich Ende der 1980er-Jahre in Hamburg-Bergedorf gegründet hat und wohl vor allem aus Arbeiterjugendlichen bestand.

Sie hatte sich die Aufgabe gestellt als "rote Cops" den Rechten die Grenzen zu setzen, die ihnen die offizielle Polizei ihrer Meinung nach nicht setzte. Leider spielt diese Gruppe später im Film keine Rolle mehr. Dabei wäre es interessant gewesen, zu erfahren, was aus ihr geworden ist, da ihr Ansatz durchaus auch heute noch Anhänger hat und sie doch eigentlich einen Anspruch in ihrem antifaschistischen Handeln formulierten, der perfekt zum Untertitel des Films passte: "Schulter an Schulter, weil der Staat versagt".