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Die Ampel und der Krieg: Schweigen, drohen, rüsten

Panzerfaust 3 der Bundeswehr. Bild: U.S. Department of Defense

Vor allem Liberale für Waffenlieferungen. Nach Berichten von Spiegel und dpa fordert Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Ermittlungen. Offener Brief stärkt Bundeskanzler Scholz den Rücken

Während sich FDP und SPD öffentlich über die Lieferung von Waffen an die ukrainische Armee streiten, sind sich führende Vertreter beider Parteien in einer Frage erstaunlich einig: Beide wollen Medien und Bevölkerung über das Ausmaß der militärischen Unterstützung im Unklaren lassen.

Nach Telepolis-Informationen fordert die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), nun sogar strafrechtliche Ermittlungen, nachdem deutsche Medien Details zur deutschen Militärhilfe recherchiert hatten.

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) hatte nach Beginn des russischen Angriffskrieges Fachpolitikern im Verteidigungsausschuss Informationen über Militärhilfe für die Regierung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj verweigert – und damit in diesen Krisen für Unmut gesorgt.

Zerstörung im Ukraine-Krieg (0 Bilder) [1]

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Ihr ging es offenbar aber vorrangig darum, der Kritik an ihrer zögerlichen Haltung entgegenzutreten. Denn indem die parlamentarischen Fachgremien über die Lieferungen im Unklaren gelassen wurden, konnten auch keine weiteren Informationen an die Öffentlichkeit gelangen.

Strack-Zimmermann hingegen regierte auf einen Bericht des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, in dem Details zu den deutschen Waffenlieferungen genannt wurden. In einem parlamentsinternen Schreiben, das Telepolis vorliegt, fordert die FDP-Politikerin die SPD-Bundestagspräsidentin Bärbel Bas auf, strafrechtliche Ermittlungen wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht zu ermöglichen.

"... haben ausschließlich persönlich Zugang ...": aus dem Schreiben von Strack-Zimmermann.

Nach Paragraf 353b des Strafgesetzbuches [3] müsste Bas die Strafverfolgungsbehörden dazu in ihrer Funktion als Parlamentspräsidentin ermächtigen. Etwaige Ermittlungen würden sich primär gegen die Verantwortlichen für die Weitergabe der Informationen richten, nicht an die Medien, die von dieser Weitergabe profitiert haben.

Der FDP-Ausschussvorsitzenden geht es um einen Bericht der Spiegel-Journalisten Markus Becker und Matthias Gebauer. Sie hatten unter dem Titel "Wie die USA die EU bei der Ukrainehilfe deklassieren [4]" am Mittwoch dieser Woche über das Thema berichtet.

Strack-Zimmermann führt zudem eine Meldung der Deutschen-Presse-Agentur (dpa) [5]an, die sie – weil dort erschienen – fälschlicherweise dem Berliner Tagesspiegel zuordnet. Darin heißt es:

Die Ukraine hat seit Kriegsbeginn von Deutschland gut 2.500 Luftabwehrraketen, 900 Panzerfäuste mit 3000 Schuss Munition, 100 Maschinengewehre und 15 Bunkerfäuste mit 50 Raketen erhalten. Hinzu kommen 100.000 Handgranaten, 2.000 Minen, rund 5.300 Sprengladungen sowie mehr als 16 Millionen Schuss Munition verschiedener Kaliber für Handfeuerwaffen vom Sturmgewehr bis zum schweren Maschinengewehr, wie die Deutsche Presse-Agentur aus ukrainischen Regierungskreisen erfuhr. Nicht enthalten in der Liste sind schwere Waffen wie Panzer oder Artillerie.

Detailliertere Informationen und öffentliche Meinung

In ihrem Schreiben an Bundestagspräsidentin Bas argumentiert Strack-Zimmermann, die Beiträge von dpa und Spiegel bezögen sich "auf Informationen über das an die Ukraine abgegebene sensitive militärische Material (…), die in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages seit dem 21. März 2022 wöchentlich hinterlegt werden".

Zwar gibt die dpa eine Quelle aus ukrainischen Regierungskreisen an. Dennoch sieht Strack-Zimmermann in Ihrem Schreiben an die Parlamentspräsidentin die Notwendigkeit strafrechtlicher Ermittlungen.

Offenbar will die FDP-Politikerin damit im Bundestag – auch präventiv – den Druck auf Gegner einer Ausweitung von Waffenlieferungen erhöhen. In der Vergangenheit waren Informationen aus der Geheimschutzstelle wiederholt an die Öffentlichkeit geraten, ohne dass die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wurde.

FDP-Ausschussvorsitzende fordert "Ermächtigung zur Strafverfolgung".

In der aktuellen Debatte, in der weitgehend abstrakt von der Lieferung "von Waffen" an "die Ukraine" die Rede ist, könnten zu detaillierte Informationen aber die öffentliche Meinung beeinflussen; etwa über die Menge an Maschinengewehrmunition, die ja in der Regel dafür verwendet wird, den Gegner zu verwunden oder zu töten. Jede konkrete Information über solche Militärhilfe sorgt daher auch für ein klareres Verständnis der deutschen Rolle im laufenden Krieg.

Befürworter einer Geheimhaltung argumentieren, dass zu konkrete Angaben über Waffen und Rüstungsmaterial den russischen Angreifern kriegsrelevante Informationen liefern könnten. Daher werden auch Routen und Übergabepunkte geheim gehalten.

Die Bundesregierung hat mit diesem Argument und aus Gründen des Schutzes des Staatswohls auch die Beantwortung von parlamentarischer Fragen der Opposition zum Ukraine-Komplex abgelehnt.

Hälfte der Bundesbürger sieht Lieferung schwerer Waffen kritisch

Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa für die Boulevardzeitung Bild [6]bleibt das Thema auch in der Bevölkerung umstritten. Der Erhebung zufolge sprechen sich derzeit die Hälfte der Bundesbürger gegen die Lieferung schwerer Waffen aus.

Eine besonders kritische Haltung nehmen demnach SPD-Wähler ein. Unter Unionswählern stimmten immerhin 55 Prozent für die Lieferung von Panzern und anderen schweren Waffen, die Zustimmung für einen solchen Schritt beträgt unter Grünen-Anhängern sogar 72 Prozent.

Der Druck auf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der sich gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine sperrt, bleibt damit hoch. Die Augsburger Allgemeine berichtet [7], dass neben den Grünen auch der andere Koalitionspartner, die FDP sowie die Union auf eine umfassendere Unterstützung der Ukraine drängt.

"Alles, was der Ukraine bei ihrer Verteidigung ihres Heimatlandes hilft, ist jetzt der richtige Schritt", zitiert die Tageszeitung den verteidigungspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Marcus Faber: "Hauptsache, es passiert schnell."

Die zehn größten Städte der Ukraine (21 Bilder) [8]

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Der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt kritisierte laut der gleichen Quelle, die Ampelregierung "laviert, verzögert und versteckt sich bei den Waffenlieferungen hinter anderen und irritiert damit zunehmend unsere Bündnispartner".

In einem offenen Brief unter dem Titel "Deeskalation jetzt! Dem Schutz der Bevölkerung Vorrang einräumen! [10]" haben indes Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Kultur Bundeskanzler Scholz den Rücken gestärkt.

Der Krieg berge die reale Gefahr einer Ausweitung und nicht mehr zu kontrollierenden militärischen Eskalation ‒ ähnlich der im Ersten Weltkrieg, argumentieren die Unterzeichner:

Es werden Rote Linien gezogen, die dann von Akteuren und Hasardeuren auf beiden Seiten übertreten werden, und die Spirale ist wieder eine Stufe weiter. Wenn Verantwortung tragende Menschen wie Sie, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, diese Entwicklung nicht stoppen, steht am Ende wieder der ganz große Krieg. Nur diesmal mit Atomwaffen, weitreichender Verwüstung und dem Ende der menschlichen Zivilisation.

Die Vermeidung von immer mehr Opfern, Zerstörungen und einer weiteren gefährlichen Eskalation müsse daher "absoluten Vorrang haben".


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[3] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__353b.html
[4] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/ukraine-krieg-wie-die-usa-die-eu-bei-der-hilfe-deklassieren-a-f26cedb1-4cbf-49f8-8077-7b5977a8c5d5
[5] https://www.tagesspiegel.de/politik/slowenien-gibt-kampfpanzer-weiter-deutschland-bereitet-ringtausch-schwerer-waffen-fuer-die-ukraine-vor/28267076.html
[6] https://www.oldenburger-onlinezeitung.de/nachrichten/umfrage-jeder-zweite-gegen-lieferung-schwerer-waffen-an-ukraine-84293.html
[7] https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/krieg-in-der-ukraine-trotz-des-panzer-ringtauschs-geraet-scholz-weiter-unter-druck-id62437766.html
[8] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6654832.html?back=7063215
[9] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6654832.html?back=7063215
[10] https://www.heise.de/tp/features/Brief-an-Bundeskanzler-Olaf-Scholz-Deeskalation-jetzt-7063312.html