Die Atombombe im Kino: Vergessene Helden, Schurken und verdrängte Gefahren

Screenshot aus dem Trailer zu Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb. Deutscher Titel: Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben, 1964.

Die drohende atomare Katastrophe im Ost-West-Konflikt beeinflusste das Kino. Bedeutende Filme über die Bedrohung der Ordnung. Wie seltsame Figuren entstehen.

J. Robert Oppenheimers charismatische Person ist "die" große Ausnahme für die Möglichkeit der Darstellung physikalischer Entdeckungen im 20. Jahrhundert.

Die einzige zweite, ähnlich wirkungsvolle Figur ist Albert Einstein, dessen wenige "Spielfilmauftritte" sich allerdings auf die Relativitätstheorie konzentrieren. Einen kuriosen Sonderfall bildet hier "Insignificance" von Nicholas Roeg (1985), in dem der Regisseur eine fiktive Begegnung zwischen Einstein und Marilyn Monroe ins Zentrum stellt.

Ansonsten haben im Gegensatz zu der immer wieder aufgesuchten Szenerie von Los Alamos zwei andere wichtige Aspekte der Realgeschichte das fiktionale Kino bislang kaum interessiert: Im Fall der Entwicklung der Atomphysik und der Kernspaltung zwischen 1890 und 1939 liegt dies bestimmt auch daran, dass der eigentliche Gegenstand in hohem Maß abstrakt und visuell schwer fassbar ist, und dass naturwissenschaftliche Arbeit in der Regel im Teamwork geschieht.

Nur die polnisch-französische Wissenschaftlerin Marie Curie, die mit ihrem Mann Pierre die Radioaktivität entdeckte, scheint als Symbol heroischer Wissenschaft, erst recht aber weiblichen Empowerments bis zu einem gewissen Grad gerade in jüngster Zeit leinwandtauglich zu sein.

Gleich dreimal steht Curie in Spielfilmen der letzten zehn Jahre im Zentrum: Claude Pinoteau verfilmte die Geschichte 2013 kurioserweise als Komödie: Isabelle Huppert spielt in " Darstellung physikalischer Entdeckungen im 20. Jahrhundert – Forscherin mit Leidenschaft" die Hauptrolle. Ernsthafter sind die Ansätze bei Marie Noelles "Marie Curie" (2016) und in Marjane Satrapis "Radioactiove" (2019) mit Rosamunde Pike ist als Curie.

Andere "heroische" Physiker wie Ernest Rutherford, Niels Bohr oder Max Born, die zum Teil auch in politische Kämpfe verstrickt waren und deren Leben im Fall von Bohr und Born von der Faschismus-Erfahrung gezeichnet wurde, wurden dagegen bislang fürs Kino noch nie erzählt.

Verwunderlicher ist das weitgehende Desinteresse des Films im Fall des "Wettlaufs" zwischen den USA und Nazideutschland um die technische Realisierung der Atombombe. Während dieser dramatische Aspekt in den zuvor genannten Filmen nur am Rand auftaucht, stand er bislang auch dreimal im Zentrum.

"The Heroes of Telemark" (1965) von Anthony Mann mit Kirk Douglas und Richard Harris in den Hauptrollen und die norwegisch-britische Serie "Operation Schweres Wasser" (2015) dramatisieren den gleichen authentischen Fall, in dem norwegische Widerstandskämpfer zwischen 1941 und 1943 die Produktion von "schwerem Wasser" sabotierten, das von deutschen Wissenschaftlern für die Entwicklung einer deutschen Atombombe benötigt wurde.

Dieses beinahe erfolgreiche deutsche "Uranprojekt" sowie die US-amerikanische "Alsos-Mission", die seit 1943 die beteiligten deutschen Institute auszuspionieren versuchte, ist bislang auch im Film fast völlig ignoriert worden.

Nur Frank Beyers prominent besetzter Zweiteiler "Ende der Unschuld" rekonstruierte 1991 das Uranprojekt im Rückblick aus der Perspektive der Gespräche der beteiligten deutschen Wissenschaftler, die 1945/46 in der Internierung im britische Farm Hall abgehört wurden.

Containment-Kino

Now listen, Mike. Listen carefully. I'm going to pronounce a few words. They're harmless words. Just a bunch of letters scrambled together. But their meaning is very important. Try to understand what they mean.

Jetzt hör zu, Mike. Hör gut zu. Ich werde jetzt ein paar Wörter aussprechen. Es sind ganz harmlose Wörter. Nur ein Haufen zusammengewürfelter Buchstaben. Aber ihre Bedeutung ist sehr wichtig. Versuche zu verstehen, was sie bedeuten.

Manhattan Project, Los Alamos, Trinity.

Aus: "Kiss me deadly" 1955

Umso mehr Interesse hatte das Kino von Anfang an den Folgen der Entdeckungen von Los Alamos. Sehr schnell wurden "die Bombe" und "Hiroshima" (weit mehr als Nagasaki) zu universalen Symbolen und Metaphern für absolute Zerstörung und die Drohung menschengemachter Apokalypse.

Ihre Folgen für Kultur und Kino waren zweierlei: Einerseits spielt die Atombombe in diversen Filmen eine Hauptrolle als Bedrohung der Ordnung. Die Bedrohung kommt immer schon von außen, mehr und mehr aber auch von innen.

Denn die "Bombe", zunächst geschaffen, um die vermeintliche Gefahr durch "das Andere" – die Nazis und die Japaner im Krieg, im Kalten Krieg dann die Sowjetunion und den Kommunismus" – einzudämmen und Sicherheit zu geben, wurde zunehmend selbst als Gefahr wahrgenommen und beschrieben, als Unsicherheitsfaktor.

Stand der Feind zunächst außen, am Rand des Eisernen Vorgangs, so drang er in den Filmen bald ein ins Innere des Westens, vor allem der USA. Zunächst sichtbar, zunehmend unsichtbar. Die Spione Moskaus, die "Fünften Kolonnen", die Amerika unterwanderten, die "gehirngewaschenen" "Manchurian Candidates" konnten noch enttarnt werden.

Wie die Aliens, die das Land in Science-Fiction-Filmen angriffen. Radioaktiv "mutierte" Tiere waren oft schon schwerer zu erkennen, aber noch offenkundiger Ausdruck der Angst vor den Gefahren durch unsichtbare "Strahlen" und Radioaktivität.

Von "Them!" (1954) über "Tarantula" (1955), "Attack of the Crab Monsters" (1957) bis zu "Attack of the Giant Leeches" (1960), um stellvertretend für Hunderte Filme ein paar repräsentative und besonders eindrucksvolle Werke zu nennen. Was aber ist mit den Kreaturen, die sich von außen nicht erkennbar von Menschen unterscheiden, aber innerlich "umgedrehte" oder "untote" unmenschliche Wesen sind?

Diese "Invasion der Körperfresser" ist nur durch Beobachtung und genau Verhaltensstudien erkennbar – analog zum Boom des "Behaviorismus" in den 1950er-Jahren.

Viele dieser Filme sind mehr oder weniger offene Allegorien nicht nur auf die allgemeine Kommunistenverfolgung im Kalten Krieg und die "Hexenjagd" des Senators McCarthy, sondern auch auf die unausgesprochene Angst vor dem Ost-West-Konflikt und der mit ihm einhergehenden Atomkriegsdrohung.

Diese schließt die Angst vor dem eigenen Atomarsenal, vor ungeahnten Folgen der Atombombentests, möglichen Pannen, Fehlfunktionen und Missbrauch mit ein, die mehr und mehr in den US-Filmen seit Mitte der 1950er-Jahre vergegenwärtigt wird.

Ein exzellentes Beispiel hierfür ist "Kiss Me Deadly" (1955). Robert Aldrichs Thriller ist ein Film Noir, in dem der zynische Privatdetektiv Mike Hammer zwischen zwei Bedrohungen lavieren muss, die beide direkt mit der nuklearen Technik verknüpft sind: Mafiagangster, die mit illegalem atomarem Material handeln, und der Staat, der versucht, die Gefahren der Atomkraft zu vertuschen. Ein Meisterwerk der Paranoia mitten im Kalten Krieg.

Die US-amerikanische Kultur nach dem Krieg steht ganz allgemein im Zeichen des "Containment". Dieser aus der Politischen Theorie stammende Begriff ist von der Situation des Atomzeitalters geprägt. Er geht davon aus, dass ein politischer (System-)Gegner auf Grund der gegenseitigen atomaren Vernichtungsmöglichkeit grundsätzlich nicht mehr militärisch besiegbar ist.

Er kann in der zweigeteilten Welt des Kalten Kriegs nur noch "eingedämmt" und in Bann gehalten werden. Dieses Gebot der Eindämmung gilt ebenso für die Paradoxa und inneren logisch-ethischen Widersprüche der Abschreckungsphilosophie. Es wird nur wenige Jahre dauern, bis dies in US-Filmen der Sechzigerjahre ad absurdum geführt werden.

Dazwischen liegt ein Film wie "On the Beach". Stanley Kramers Film ist einer der ersten "seriösen" US-Filme, der sich ernsthaft die Welt nach einem Atomkrieg und das Leben mit der Gewissheit baldigen Sterbens vorzustellen versucht. Er erzählt von den letzten überlebenden Menschen, die sich im (damals zukünftigen) Jahr 1964 nach Australien geflüchtet haben, während sich ihnen eine Wolke mit tödlichem radioaktiven Niederschlag unaufhaltsam nähert.

Diese Menschen, gespielt von unter anderem Gregory Peck, Ava Garner und Anthony Perkins haben fünf Monate Zeit, um das zu genießen, was von ihrem Leben übrig geblieben ist, und um sich auf ihr Ende vorzubereiten.

Von tiefer Melancholie durchzogen ist "On the Beach" auch eine Abrechnung mit dem unpolitischen Mittelklasse-Amerika und seiner bürgerlichen Moral – in elegisch-prachtvollen Schwarz-Weiß-Bildern des Stammkameramanns von Visconti und des späteren Fellini, Giuseppe Rotunno.