Die Corona-Katastrophe in Portugal (ausgefallen)
Warum hat Spanien an einem Tag sogar offiziell so viele Tote wegen Coronavirus wie das Nachbarland mit insgesamt 567 in mehr als einen Monat?
Oft wurde von einem "Wunder" des kleinen armen Lands am westlichen Rand Europas gesprochen, das sich mit einem Abschied aus der verrückten Austeritätspolitik auf wirtschaftlicher Ebene von einem Rettungsland zu einem Musterschüler entwickeln konnte. Erneut jetzt sprechen nun diverse Medien vom "portugiesischen Wunder". Vergleicht man das arme Land, dessen Gesundheitssystem auch massiv unter den Sparauflagen der Troika gelitten hat, mit den vom Coronavirus hart gezeichneten Ländern Italien, Frankreich und Spanien, scheint es, als würde die Jungfrau von Fatima tatsächlich ihre schützende Hände über die stolzen aber bescheidenen Menschen halten.
Besonders deutlich wird das, schaut man über die Grenze auf der Iberischen Halbinsel ins Nachbarland. Spanien ist, auch nach offiziellen Zahlen, in Bezug auf die Einwohnerzahl weltweit abgeschlagen Spitzenreiter bei Todesfällen, die mit oder an Covid-19 gestorben sind. Die Zahl wird mit 386 pro eine Million Einwohner angegeben. Auf den zweiten Platz kommt, anders als viele vermutlich vermuten, aber nicht Italien (338), sondern Belgien mit 359. Portugal ist von solchen Zahlen weit entfernt. Es registriert 56. Dabei verfügt das Land nicht über ein Gesundheitssystem, das es mit dem in Deutschland (38) oder Österreich (43) aufnehmen könnte. Doch es spielt nun in dieser Coronavirus-Liga mit. Das arme Land steht deutlich besser als die Schweiz (133), die Niederlande (172) oder Schweden (102) mit seinem Versuch da, auf Herdenimmunität zu setzen.
Spanien, das noch immer keine reale Stabilisierung zeigt, aber trotz allem die Maßnahmen gegen den Rat der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und anderen Experten nach 12 Tagen schon wieder gelockert hat, musste am Dienstag wieder einmal eine neue Steigerung der Todeszahl verzeichnen. Es waren offiziell wieder 567 Tote in 24 Stunden. Damit musste Spanien an einem Tag die gleiche Zahl an Toten zu vermelden, wie Portugal in der gesamten Pandemie!
Die Unterschiede zwischen den Ländern sind deutlich
Die portugiesische Gesellschaft, die Parteien und die Regierung haben sehr schnell mit einem Schulterschluss reagiert, als das Land nur wenige hundert bestätigte Infektionen und nur zwei Tote registriert hatte. Als Spanien spät und zaghaft reagierte, verzeichnete man in Madrid offiziell schon fast 300 Tote und weit über 10.000 bestätigte Infektionen. Die realen Zahlen sind und waren auch damals schon deutlich höher. Viele Tote fließen in Statistiken nicht ein, weil zu wenig getestet wird. In dieser Frage ist Frankreich ehrlicher.
Der fatale Fehler in Spanien war, die Hauptstadtregion als Ansteckungsherd nicht sofort abzusperren, wo sich 7.500 der Infizierten und 213 Toten bei der Ausrufung des Alarmzustands fanden. Angesichts der Ankündigung brach man von dort zur großen Ausfahrt in Ferienwohnungen ans Meer auf und verteilte das Virus im ganzen Land. Das versuchten die Verantwortlichen nicht einmal zu verhindern. In Portugal waren die Straßen dagegen schon leer. Schulen mussten bereits vor der Ausrufung des Alarmzustandes geschlossen werden, weil die Eltern ihre Schützlinge nicht mehr aus dem Haus ließen.
Ein weiterer zentraler Unterschied ist, dass Portugal einen Tag vor Spanien einen Alarmzustand umsetzte, Flüge nach Italien strich und die Landgrenze nach Spanien schloss, um nicht von der großen Ausfahrt aus Spanien mit Infizierten überschwemmt zu werden. Auch die politische Klasse in Portugal verhielt sich anders. Über die Verhängung des Ausnahmezustandes wurde über alle Parteigrenzen hinweg gesprochen, einvernehmlich wurde zwischen Regierung, Präsident und Parlament die Entscheidung getroffen, nicht im Alleingang eines spanischen Kabinetts.
Beispielhaft war in Spanien das Verhalten des ehemaligen Ministerpräsident José María Aznar. Der war bei der großen Ausfahrt aus Madrid dabei. Auch der Ex-Falangist setzte sich mit seiner Ehefrau aus Madrid ins Feriendomizil ins andalusische Marbella ab. Der portugiesische Präsident Marcelo Rebelo de Sousa ging dagegen freiwillig in eine selbst verordnete Quarantäne, wenige Tage nachdem am 2. März der erste Coronavirusfall im Land registriert worden war. Er wollte "ein Beispiel" geben und folgte den Empfehlungen von Experten. Dabei war es sehr unwahrscheinlich, dass er sich angesteckt haben könnte. Tatsächlich stellte sich die mögliche Infektion auch als falscher Alarm heraus. Aber das Beispiel des beliebten konservativen Politikers, der mit der Linksregierung kooperiert, machte Schule.
Insgesamt verhält sich die Bevölkerung diszipliniert und kam so auch um einen Lockdown herum, wie er in Italien noch besteht. Bis heute sind die Beschränkungen in Portugal deutlich schwächer als in Spanien. Eltern dürfen mit ihren Kindern in die frische Luft und in die Sonne, Parks sind geöffnet, Sport im Freien ist auch erlaubt. All das ist in Spanien, weil man zu spät gehandelt hat und der Bevölkerung nicht traut, offenbar nicht möglich.
Ein zentraler Unterschied im Umgang mit der Krise ist auch, dass die Regierung und der Präsident auf Experten hören und keine politischen Entscheidungen treffen, die mit Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie bisweilen im Gegensatz stehen. In Spanien wurden ausgewiesene Experten lange völlig ignoriert. Ein die Regierung beratendes Expertenteam wurde sogar erst Ende März gebildet. Und als nun von Regierungschef Pedro Sánchez entschieden wurde, den Lockdown aufzuheben, so dass nun viele Menschen wieder in die Fabriken und auf Baustellen müssen, wurde das Expertenteam nicht einmal gehört.
Das ist ein gefährlich tödliches Experiment, das Sánchez viel Sympathie kostet. Denn viele Menschen können nicht nachvollziehen, warum sie nun mit der Metro auf die Arbeit fahren "müssen", aber nicht allein oder mit Abstand in den Wald, auf den Berg oder an den Strand gehen dürfen. Auf der Arbeit sei es meist unmöglich, einen Sicherheitsabstand einzuhalten. In sieben bis zehn Tagen werden wir sehen, welche Effekte das zeitigt. Im besten Fall wird nur das reale Abflachen der Kurve verzögert, wahrscheinlich werden die Auswirkungen verlängert. Im schlimmsten Fall steigen in der nächsten Woche die Infektions- und Todeszahlen wieder deutlich an und machen einen zweiten Lockdown nötig.
Dass alles hätte auch anders laufen können, zeigt eben Portugal. Dort hat sich auch als effektiv herausgestellt, dass die überwiegende Mehrheit aller Verdachtsfälle nicht in Krankenhäuser oder Gesundheitsstationen bestellt wurde. Verdachtsfälle und Menschen mit leichten Symptomen wurden zu Hause isoliert, um das Virus nicht über Krankenhäuser oder Gesundheitsstationen zu verteilen. Unklar ist noch, ob die in Portugal übliche Impfung gegen Tuberkulose, die es so weder in Italien, Spanien oder den Niederlanden gibt, einen positiven Effekt hat. Studien schließen einen Zusammenhang nicht aus.
In Spanien bekämpfen sich Opposition und Regierung
In Spanien bestimmt auch der politische Konkurrenzkampf das Bild, was ein koordiniertes Vorgehen unmöglich macht. Die rechte Opposition lauert darauf, der sozialdemokratischen Regierung jedes Fehlverhalten unter die Nase zu reiben und sie streut auch gezielt Fake-News, um sie zu schwächen. In Portugal wird dagegen kooperiert. So erklärte der konservative Oppositionsführer Rui Rio im Parlament, dass er die Regierung des Sozialisten António Costa unterstützt. Rio wünschte seinem Widersacher "Mut, Nerven aus Stahl und viel Glück", denn "sein Glück ist unser Glück". Er versucht nicht, wie die spanische Rechte, die Regierung mit Blick auf bald anstehende Regionalwahlen zu verschleißen, die wegen der Krise verschoben wurden.
In Spanien ist die Kritik der rechten Opposition ohnehin lächerlich. Denn schlimmer als die rechte Regierung in der Hauptstadtregion kann man kaum eine Krise zu einer Katastrophe ausweiten. Die hat sie vor allem selbst zu verantworten, denn sie verfügt über die Kompetenzen im Gesundheitswesen. Die Regierung der Volkspartei (PP) und der Bürger (Ciudadanos), die sich auch noch von der faschistoiden VOX stützen lässt, versagt dabei auf ganzer Linie. Wie in kaum einer anderen Region wurde das Gesundheitssystem in Madrid schon zuvor von PP-Regierungen kaputtgespart und privatisiert.
Die fatalen Zustände dort hat ein Beschäftigter im Telepolis-Interview ausführlich geschildert. Er gehört zu den etwa 25.000 bis 28.000 im spanischen Gesundheitssystem, die inzwischen wegen fehlender Schutzausrüstung infiziert sind. Dass in Spanien von nun 172.000 bestätigten Infektionen gut 15% Beschäftigte des Gesundheitswesens sind, zeigt ebenfalls das gesamte spanische Versagen an.
Letztlich, so kann man leicht feststellen, gibt es, wie auf ökonomischer Ebene, in Portugal auch im Umgang mit dem Coronavirus kein "Wunder", sondern es ist schlicht ein anderer Umgang mit Problemen, der auch zu anderen Ergebnissen führt. Portugal konnte auf seinem Weg die Arbeitslosenquote und das Haushaltsdefizit genauso deutlich senken wie Steuern und Abgaben - und die Linksregierung schafft es nun auch, die Coronavirus-Todeszahlen niedrig zu halten.
In Spanien kommt weder der sozialdemokratischen PSOE noch deren Partner Podemos derzeit das über die Lippen, was in Portugal sogar der konservative Präsident Rebelo de Sousa vernünftigerweise fordert. Er hält es nämlich für "sehr wichtig", dass Steuergelder, mit denen Banken im Verlauf der Finanzkrise gerettet wurden, jetzt zurückgezahlt werden. Jetzt hätten sie die Gelegenheit, das den Portugiesen zurückzugeben, was diese ihnen gegeben haben.
Last but not least, hat sich Portugal auch zu einem anderen bedeutsamen Schritt durchgerungen. Per Dekret wurde am 27.3. die Legalisierung des Status aller Immigranten, Flüchtlinge und Asylbewerber bestimmt, die vor der Verhängung des Ausnahmezustands einen Antrag auf Aufenthaltsrecht oder Asyl gestellt hatten. Und das hat einen wichtigen Grund, denn damit sind auch zuvor "illegale" Menschen nun krankenversichert und stehen unter Kontrolle des Gesundheitssystems. Damit sinkt die Chance, dass sie durch die Maschen fallen und das Virus in Portugal verbreiten. Geschützt wurden mit der intelligenten Maßnahme gleichzeitig damit die Bevölkerung und die Betroffenen. Auch diese Maßnahme wird vom konservativen Präsidenten mitgetragen.