"Die Friedensbewegung schwört nicht ab"

Skulptur "Frieden" in Genf. Bild: R. Brandenberg, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Ein Friedenskongress steht kritisch zur Nato und erntet dafür wegen des Kriegs in der Ukraine viel Kritik. Ein Gespräch mit der Publizistin und Friedensaktivistin Christiane Reymann.

Sehr geehrte Frau Reymann, ist das Motto des Kongresses "Ohne Nato leben – Ideen für den Frieden" nicht angesichts des Krieges in der Ukraine aus der Zeit gefallen?
Christiane Reymann: Nein, ganz und gar nicht. Ich finde es sehr bedenklich, dass die NATO inzwischen als Friedensmacht dargestellt wird, die sie de facto nicht ist. Gerade der Krieg in der Ukraine beweist, dass die Nato nicht die Lösung der Probleme ist, sondern auch deren Ursache. Ausgeblendet wird der Aufbau eines realen Bedrohungsszenarios – Frank-Walter Steinmeier hat das einmal als "Säbelrasseln" bezeichnet – gegenüber Russland sowie der Beitrag der Nato zum Scheitern einer europäischen Friedensordnung.
Ein führender SPD-Politiker, Michael Roth, meinte, die Teilnehmerliste des Kongresses lese sich wie das Who-is-who der Putinversteher und Faktenverdreher. Was würden Sie ihm antworten?
Christiane Reymann: Als erstes würde ich sagen, dass es schade und bedauerlich ist, dass in der SPD die Politik der Verständigung in Verruf geraten ist. Es ist schließlich die Politik eines Willy Brandt und Egon Bahr.
Und wenn Herr Roth meint, es würden Fakten verdreht, dann müssten wir über die Fakten sprechen, die angeblich verdreht werden. Stattdessen wird aber eine Zeitenwende propagiert, die faktisch eine Wende hin zu mehr Aufrüstung ist. Verstehen wollen und Verständigung wird offenbar nicht mehr angestrebt.
Es heißt, der geplante Nato-Beitritt von Schweden und Finnland strafe die Initiatoren des Kongressen Lügen, denn zwei Länder würden sich von Russland bedroht fühlen und nun Schutz bei der Nato suchen. Kam deren Beitrittsgesuch für Sie überraschend?
Christiane Reymann: Nein, für mich kam das keineswegs überraschend. Aber ich empfinde es als bitter, dass die Position der Neutralität aufgegeben wird. Ich kann es nur begrüßen, dass Österreich einen anderen Weg einschlägt und weiterhin tapfer die Fahne der Neutralität hochhält.
Der Eintritt von Schweden und Finnland lässt auch nichts Gutes erahnen, denn er bedeutet auch einen Schritt hin zur weiteren Militarisierung der Arktis. Und das dürfte die Spannungen in dieser Region auch weiter verschärfen.
Schon länger war die Tendenz wahrnehmbar, dass sich Schweden zunehmend der Nato zuwendet. Die schwedische Armee hat schließlich auch an den Nato-Manövern Defender 2020 und 2021 teilgenommen und auch an den Manövern in der Ostsee.
Nicht nur Herr Roth beklagte das "Gerede" von der scheinbar aggressiven Nato. Aus der Linken heißt es, gäbe es die Nato nicht, stünde Putins Armee schon längst im Baltikum oder in Polen. Wieso sollte man ihrer Meinung nach die Nato nicht als Friedensprojekt sehen?
Christiane Reymann: Es ist schon abstrus, was so alles behauptet wird. Ich plädiere dafür, nicht nur eine Momentaufnahme des Bündnisses zu betrachten, sondern seine Geschichte. Und vor dieser erscheint die Nato wie ein Bund von Völkerrechtsbrechern.
Die Nato wurde gegründet, um gemeinsam einem Feind entgegenzutreten. Damals war dieser Feind die Sowjetunion. Und zu diesen Ursprüngen kehrt das Bündnis jetzt zurück und bekämpft wieder diesen Feind, nur dass er jetzt Russland heißt.
Die Nato kann auch deshalb nicht als Friedensprojekt bezeichnet werden, da sie nie Kritik an der atomaren Erstschlagsdoktrin der USA geübt hat. Dass die USA für sich das Recht in Anspruch nehmen, andere Länder mit Atomwaffen anzugreifen, die auch in mehreren europäischen Staaten gelagert werden, kann nicht als friedensfördernd bezeichnet werden.
Außerdem folgt das Bündnis einer diffusen Gefahrendefinition. Es sieht zum Beispiel im Drogenhandel, Flüchtlingsströmen oder Wassermangel Gefahren, denen militärisch begegnet werden müsse.

Was die Friedensbewegung will

Im Aufruf zum Kongress heißt es sinngemäß, das Agieren der Nato würde das Funktionieren einer Friedensordnung in Europa verhindern. Wie könnte Ihrer Meinung nach eine europäische Friedensordnung aussehen?
Christiane Reymann: Seit 1989/90 gab es verschiedene Ansätze für eine europäische Friedensordnung. Schauen wir nur auf die Charta von Paris, die damals von allen europäischen Staaten unterzeichnet wurde. Sie sah unter anderem vor, dass sich die Länder in der Wissenschaft und anderen Bereichen zunehmend "verweben". Das sollte auf vielen Ebenen den Dialog und den Austausch fördern.
Der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew griff dies später auf und schlug vor, die Charta von Paris in ein Vertragsprojekt auszubauen. Doch die europäischen Nato-Staaten durften sich auf Weisung von Washington nicht daran beteiligen.
Nicht zu vergessen sind auch die Vorschläge eines eurasischen Projekts. Oder die Modernisierungspartnerschaft zwischen Deutschland und Russland, die vor einigen Jahren vom damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier angestrebt wurde.
Was dagegen jetzt geschieht, halte ich für gefährlich. Die wirtschaftliche Entflechtung zwischen den Nato-Staaten und Russland gleicht einem Umstellen der Wirtschaft auf eine Kriegswirtschaft.
Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine und der zunehmenden Spannungen in Asien: Welche Ziele verfolgt die Friedensbewegung in Deutschland und welche Positionen vertritt sie?
Christiane Reymann: Die Friedensbewegung in Deutschland ist vielschichtig. Unter den Akteuren gibt es eine wesentliche Übereinstimmung: gegen Aufrüstung und gegen das Streben sein, Konflikte mit militärischen Mitteln lösen zu wollen. Unterhalb dieser Ebene gibt es viele Meinungen und Akzente, hinsichtlich der Ursachenanalyse und der Strategie.
Klar ist aber auch: Eine nachhaltige Lösung kann nur eine friedliche sein. Das internationale Recht muss wieder gestärkt werden, nachdem es durch die US-Kriege der letzten 30 Jahre förmlich geschreddert wurde. Wir brauchen Kooperationsprojekte und Dialog. Konfliktparteien sollen sich aufeinander einlassen.
Das ist auch vor dem Hintergrund wichtig, dass die Medien zurzeit eine unrühmliche Rolle spielen. Denn ihr Dauerfeuer gegen friedensfördernde Positionen könnte in der Bevölkerung einen dauerhaften Schaden hinterlassen und in den Köpfen fest verankern, dass sich Konflikte mit militärischen Mitteln lösen ließen.
In den letzten Jahren führte die Friedensbewegung in Deutschland eher ein Schattendasein – und noch immer zeichnet sich nicht ab, dass sie Zulauf bekommt. Wie will sie es schaffen, wieder zu Kräften zu kommen?
Christiane Reymann: Unsere Möglichkeiten sind Aktionen und Aufklärung. Eines macht die Friedensbewegung nicht: Sie schwört nicht ab. Frieden in Europa ist nicht an einem Zuviel an Berücksichtigung von Interessen und Diplomatie gescheitert, von beidem gab es zu wenig.
Früher, im Kalten Krieg, war die Angst vor einem Atomkrieg und dem Atomtod eine starke Triebkraft, sich in der Friedensbewegung zu engagieren. Ich denke, wir haben heute wieder Anlass zu dieser Angst. Die Gefahr eines 3. Weltkriegs ist so groß wie nie.

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