Die Friedensfront ist gefechtsbereit
Seit Putins Angriff auf die Ukraine ist der Schreck über den Krieg allgegenwärtig, führt aber zu einer merkwürdigen Forderung: Frieden schaffen mit mehr Waffen!
Gegen einen Krieg zu sein ist eine Sache, die fast eine Banalität darstellt. Denn wer will schon das systematische Töten anderer, wildfremder Leute und die Zerstörung aller möglichen Lebensbedingungen? Was sollte auch der hiesige Herr Meier gegen Herrn Rabotnik in Russland oder Herr Rabotnik gegen Herrn Uljanow in der Ukraine haben?
In der wunderbaren Welt der globalisierten Marktwirtschaft, die jetzt auch im ehemaligen "Ostblock" gilt, ist eins über alle Grenzen hinweg fürs nationale Fußvolk ja klargestellt: Es kann in Freiheit arbeiten gehen – so es denn Zugang zum kostbaren Gut "Arbeitsplatz" findet –, niemand zwingt es dazu, außer dem ordinären Geldmangel natürlich, den jeder Lohnabhängige kennt.
Feindschaft könnte da lediglich aus dem Arbeitsverhältnis entstehen, denn schließlich will der Arbeitgeber wenig an Lohn zahlen und viel an Leistung einkassieren. Gegnerschaft könnte sich auch zwischen Mietern und Vermietern ergeben, zwischen verschuldeten Hausbesitzern und Banken, die sie auf die Straße setzen usw. usf. – das freie Konkurrieren um den Gelderwerb kennt eben zahlreiche Gegensätze, auf die in letzter Instanz ein umfangreicher innerstaatlicher Gewaltapparat aufpasst.
Aber einen Krieg gibt es aus solchen privaten Gründen nicht. Wenn er ansteht, dann geht es um die Nation, die der Bürger als Hort seiner Freiheit im Hauen und Stechen des Wirtschaftslebens kennt, der er Steuern zahlen muss und der er überhaupt Respekt vor Recht und Gesetz schuldet – bis dahin, dass er zum Kriegsdienst zwangsverpflichtet werden kann.
Der Staat ruft – zu den Waffen!
Kriege führen Machthaber, die sich dadurch auszeichnen, dass sie andere Menschen kommandieren und ihnen ihre Lebensbedingungen diktieren, was ja als Berufsbild des Politikers und – nicht zu vergessen – der Politikerin bekannt ist. Dieser Berufszweig kennt viele Gründe, andere Menschen auf verschiedenste Art und Weise umzubringen, wenn es denn der Nation nützt.
Dazu beschaffen sich die Verantwortlichen alle möglichen Mittel und Waffen zu Lande, zu Wasser und in der Luft (heutzutage inklusive Cyberspace und Weltraum). Und zwar in Friedenszeiten, in denen auch die Gründe für den nächsten Krieg akkumuliert werden. Als Mord und Totschlag wollen sie ihr Handeln allerdings nie verstanden wissen, sondern immerzu als einen Dienst an den von ihnen beherrschten Menschen, an deren Freiheit, Wohlstand, Rechten und wie die Titel dann jeweils heißen, die geschützt werden müssen.
Die Freiheit der Privatleute hat natürlich da ein Ende, wo der Krieg gegen andere Machthaber, die sich ähnliche Gewaltmittel zugelegt haben, auf die Tagesordnung kommt. Da müssen dann Medien eingeschränkt oder etwa ganz verboten werden, wenn sie die Sicht des Gegners darstellen, also "Desinformation" liefern.
Ansonsten gibt es viele Einschränkungen, wobei die Staaten mit ihrem Recht des Ausnahmezustands, das sie für diesen Fall vorbereitet haben, ganz offen festlegen, was die Bürger zu tun und was sie zu lassen haben.
Einen Kriegseinsatz befehlen die Kriegsherren dabei nie einfach als Akt ihrer Entscheidungsfreiheit, sondern als Reaktion auf die Taten anderer Potentaten. Alle Seiten verteidigen sich nur und niemand will Schuld an einem Krieg haben, der letztlich bloß unternommen wird, weil man von der anderen Seite dazu gezwungen wird.
So möchte auch ein Putin seinen Einmarsch in die Ukraine als Reaktion auf den Genozid an seinen Landsleuten im Donbass verstanden wissen – als Abwehr eines Menschheitsverbrechens, das ihm keine andere Wahl lässt.
Eine Begründung übrigens, die älteren Deutschen bekannt vorkommen dürfte. Hatte doch auch der ehemalige grüne Außenminister Fischer 1999 den Krieg der Nato-Staaten gegen Serbien damit begründet, dass ein neues Auschwitz an den Kosovo-Albanern verhindert werden müsste.
Da sich der Einsatz dort schlecht durch das Völkerrecht begründen ließ, wurde, jedenfalls aus der deutschen Perspektive, die geschichtliche Verantwortung des eigenen Landes bemüht, um die Bombardierung zu begründen – siehe auch die Alarmierung der deutschen Öffentlichkeit durch Verteidigungsminister Scharping (SPD), der mit dem legendären Hufeisenplan kam, gekrönt durch das Massaker von Racak.
Leben rettet man nach dieser Logik am besten durch Bomben. Diese Begründung ist dabei so fadenscheinig wie die eines Putin, der heute gewissermaßen den westlichen Legitimationsmodus kopiert. Doch Putin will man diese Begründung nicht durchgehen lassen, während sie einem grünen Außenminister, der Deutschland in den ersten Krieg nach dem Zweiten Weltkrieg führte und ihn so in die Mitte Europas zurück brachte, gut zu Gesicht stand.
Es kommt also in einer kriegerischen Auseinandersetzung offenbar gar nicht darauf an, wie die Kriegsherrn ihren Krieg begründen, sondern es ist entscheidend, wer die wie auch immer beschaffene Begründung vorträgt. Und da steht das Urteil des Publikums, wer allein Recht haben kann, schon vorab fest. In den Augen von Nationalisten sind die Mitglieder der eigenen Regierung immer die Guten, egal was sie sagen, während die Gegner lügen oder gar verrückt sind, weil deren Gründe jeder Vernunft widersprechen.
Die Bundeswehr – die "größte Friedensbewegung"?
Nach dem Einmarsch der Russen in die Ukraine sehen sich viele Bürger herausgefordert, etwas zu tun, sie gehen auf die Straße und demonstrieren gegen den Krieg. Seltsam ist dies im Fall der deutschen "Zivilgesellschaft" deshalb, weil Deutschland sich seit mehr als 20 Jahren beständig als Partei in einem Krieg betätigt – sei es nun in Afghanistan, Mali, Syrien oder im Irak.
Stand Dezember 2021, so die Auskunft des Verteidigungsministeriums, sind es 11 Einsätze auf drei Kontinenten; insgesamt soll sich die Zahl in dieser Zeit auf 40 Einsätze belaufen. Deutsche Soldaten stehen also in vielen Ländern der Erde, bedienen Kriegsgerät und und tragen Waffen, womit man bekanntlich keine Brunnen bohrt, sondern Opfer produziert oder deren Produktion vorbereitet.
Auch ist erstaunlich, dass sich die Friedensfreunde auf den Demonstrationen gleich in die Farben einer Kriegspartei hüllen. Offenbar spielt dabei keine Rolle, dass dieses Land bzw. seine Führung nichts dringlicher werden wollte, als zum Aufmarschgebiet für Nato-Waffen zu avancieren, die gegen Russland gerichtet sind. Es irritiert die Demonstranten auch nicht, dass sie als Unterstützer der deutschen Außenpolitik vereinnahmt werden, die gerade dabei ist, den Krieg in der Ukraine durch zusätzliche Waffen anzuheizen.
Die deutschen Waffen soll man sich wohl als gute Waffen vorstellen, weil sie die Freiheit verteidigen und von Natur aus defensiv sind. Als ob die Panzer-brechenden Waffen vor dem Panzerfahrer halt machen oder die Stinger-Raketen nur das Flugzeug erwischen würden und nicht den Piloten, als ob es eben keine tödlichen Waffen wären! Leider werden die so zu Tode gekommenen nie mehr erfahren, dass sie nicht für Putins dreckigen Krieg, sondern für den Frieden und die Freiheit gestorben sind.
Die Sache mit der Freiheit gilt allerdings nicht für Männer in der Ukraine zwischen 18 und 60 Jahren. Die können sich nicht frei entscheiden, ob sie ihr Leben für den ukrainischen Staat und seinen durch Oligarchen gesponserten Präsidenten geben wollen oder nicht. Sie werden zwangsverpflichtet, und wer sich durch Flucht in Sicherheit bringen will, wird an der Grenze von Grenzsoldaten aus dem Heer der Flüchtlinge aussortiert und an die Front geschickt.
In der deutschen Presse gibt es natürlich nur Ukrainer, die nichts lieber tun wollen, als sich bei den Behörden zum Einsatz an der Front zu melden. Natürlich können sich alle, die ihr Leben für den ukrainischen Staat lassen müssen, sicher sein, dass sie hinterher als Helden geehrt werden, weil sie ihr Leben fürs Vaterland gegeben haben – ganz so, als ob dies ein freiwilliger Akt gewesen wäre.
Humanität wird in diesen Zeiten wieder groß geschrieben und eifrig werden Bilder von Flüchtlingen gezeigt, die sich an den Grenzen Europas drängeln. Die Heuchelei und Berechnung der Aufnahmeländer und ihrer Politiker will niemand wahrnehmen, die noch vor Wochen Flüchtlinge aus Afghanistan, Iran und anderen Ländern mit Polizeiknüppeln zurücktrieben.
Jetzt kommen eben die richtigen Flüchtlinge, die als lebendes Anklagematerial gegen die russische Regierung benutzt werden können. Dabei wird sogar darauf geachtet, dass nur die richtigen Flüchtlinge kommen und sich nicht unerwünschte dunkelhäutige Gestalten unter sie mischen.
Mit all dem erklären sich Friedensfreunde solidarisch, wenn sie gemeinsam mit den herrschenden politischen Parteien oder in Übereinstimmung mit deren Aufrufen auf die Straße gehen. Auch wenn sie für ihren Protest ganz andere Gründe kennen, sei es nun Mitleid mit den Opfern, sei es die Angst vor einer Eskalation zum Dritten Weltkrieg, sei es der Zorn über eine Regierung, die im Handumdrehen 100 Milliarden Euro raushaut.
Ihr Protest wird aber von denen vereinnahmt, die den Krieg zum Anlass nehmen, die größte Aufrüstung Deutschlands seit dem Zweiten Weltkrieg auf den Weg zu bringen, und die lauthals verkünden, dass sie die stärkste Militärmacht in Europa werden wollen.
Soll man sich die Kriegsherren also als wahrhafte Friedensfreunde vorstellen, die Waffen nur zur Kriegsverhinderung einsetzen? Wird so auch in der Protestszene der verlogene Spruch von Verteidigungsminister Struck (SPD), die Bundeswehr sei die "größte Friedensbewegung Deutschlands", heimisch – ein Spruch, mit dem seinerzeit während des Afghanistan-Kriegs die Aufrüstung der Bundeswehr zu einem "der größten Truppensteller für internationale Friedenseinsätze" angekündigt wurde?
Der Artikel erschien zuerst bei unserer Partnerseite Krass & Konkret.