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Die Halbierung des Genesenen-Schutzes

Vor wenigen Tagen entschied das RKI, den offiziellen Genesenen-Schutz von sechs Monaten auf drei Monate zu halbieren. Damit ist die Schutzdauer für Genesene nur noch ein Drittel im Vergleich zu Geimpften

Die bisherige Einschätzung des RKI [1] lautete: "Die derzeit verfügbaren klinischen und immunologischen Daten belegen eine Schutzwirkung für mindestens 6 – 10 Monate nach überstandener SARS-CoV-2-Infektion."

Die Folgerung hieraus war, den Genesenenschutz auf sechs Monate zu begrenzen. Wie auf Telepolis bereits ausführlich dargelegt [2] wurde, widersprachen zu diesem Zeitpunkt zahlreiche wissenschaftliche Studien und Experten dieser Festlegung. Vielmehr galt ein Schutz von zwölf Monaten als die gängige Einschätzung. Auf Nachfrage von Telepolis erklärte das RKI hierzu, die Festlegung auf sechs Monate sei "eine politische Entscheidung".

Die Konsequenz der aktuellen Entscheidung: Ohne Vorankündigung, gleichsam über Nacht, wurden Hunderttausende Menschen ohne ihr Wissen zu Ungeimpften herabgestuft und bis zur (Zweit-)Impfung de facto aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen.

Und das, obwohl Lauterbach im Bundesrat und auf der Webseite des PEI versprochen hatte, dass Änderungen "mit angemessener Frist" [3] bekanntgegeben werden," wie Benjamin Stibi moniert. (Das gleiche Schicksal ereilte Menschen, die mit Johnson & Johnson geimpft [4] sind.)

Der Immunschutz

An dieser Stelle sei noch einmal auf die Worte von Alexander Kekulé verwiesen:

Es ist ganz schön vermessen [5], dass die Menschen, die sich irgendetwas ausgedacht haben, um die Natur zu kopieren - nichts Anderes ist ja ein Impfstoff.

Dass die glauben, dass sie besser wären mit ihrem Impfstoff, den sie jetzt gerade mal ein halbes Jahr in Betrieb haben, als das seit Millionen von Jahren, genauer gesagt seit Milliarden von Jahren entwickelte Immunsystem des Menschen. Unser Immunsystem ist, sage ich jetzt einfach mal, mit hoher Wahrscheinlichkeit besser als alles, was wir so nachbasteln können.

Alexander Kekulé [6]

Natürlich gilt es zu betonen, dass dies nicht bedeuten kann, Menschen sollten sich freiwillig infizieren. Aber es ist ein wichtiger Gesichtspunkt zum Immunschutz nach einer Infektion im Vergleich zur Impfung. Daher stellt sich natürlich zwingend die Frage, warum nun eine Impfung gar dreimal so lange schützen soll wie eine überstandene Krankheit. (Ab dem 1. Februar ist das Impfzertifikat nicht mehr zwölf Monate, sondern nur noch neun Monate gültig [7]).

Dies widerspricht vollkommen der Erfahrung von der Delta-Variante [8]. Während Genesene meist einen Schutz von zwölf Monaten hatten, war bei der Impfung bereits nach einigen Monaten ein deutlicher Rückgang der Wirkung zu verzeichnen. Als illustrierendes Beispiel kann auch aktuell auf das Kanton Zürich verwiesen werden (S. 27, PDF [9]). Es finden sich so gut wie keine reinfizierten Genesenen im Krankenhaus.

Erklärung des RKI

Auf Anfrage von Telepolis zur Aktualisierung der Vorgaben für einen Genesenennachweis [10] erwiderte das RKI:

Aufgrund der Änderung der Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung und die Einreise-Verordnung vom 14.1.2022 ist dem RKI die Aufgabe zugewiesen, die fachlichen Vorgaben für den Genesenenstatus zu erstellen. Das hat das RKI im Kontext dieser Verordnungen getan. Die Dauer des Genesenenstatus wurde von 6 Monate auf 90 Tage reduziert, da die bisherige wissenschaftliche Evidenz darauf hindeutet, dass Ungeimpfte nach einer durchgemachten Infektion einen im Vergleich zur Deltavariante herabgesetzten und zeitlich noch stärker begrenzten Schutz vor einer erneuten Infektion mit der Omikronvariante haben.

RKI

Dies widerspricht der Einschätzung von Alexander Kekulé:

Eine Omikron-Infektion, die man durchgemacht hat, schützt interessanterweise mit einer guten Wahrscheinlichkeit [11] auch vor einer Delta-Infektion. Das heißt: Omikron immunisiert besser als die Impfungen gegen Delta. Und was heißt das?

Das heißt, wir verstehen jetzt das, was sowieso offensichtlich ist, dass Omikron nämlich in der Lage ist, Delta zu verdrängen. (…) Dass Delta so komplett verschwindet in der Omikron-Welle – überall, wo wir es gesehen haben, in Deutschland ist es ja noch im Prozess – das liegt eben daran, dass die Omikron-Infektion zumindest kurzzeitig vor einer Delta-Infektion schützt.

Alexander Keulé, Interview im MDR [12]

Wissenschaftliche Begründung des RKI

Auf Nachfrage von Telepolis antwortet das RKI: "ergänzend zur schon erwähnten wiss. Begründung der Stiko" mit diesen Referenzen:

"(1) Neil Ferguson, Azra Ghani, Wes Hinsley and Erik Volz. Hospitalisation risk for Omicron cases in England [13]. Imperial College London (22-12-2021)
(2) UK Health Security Agency [14]: SARS-CoV-2 variants of concern and variants under investigation in England. Technical briefing 34."

Die beiden britischen Untersuchungen stellen unter anderem fest, dass sich die Anzahl der Reinfektionen bei Omikron erhöht. Es fällt allerdings auf, dass keine der beiden Untersuchungen eine Aussage über die Schutzdauer von Menschen treffen, die mit der Omikron-Variante infiziert sind. (Das RKI schreibt explizit von dem verringerten Immunschutz vor Omikron von Menschen, die sich mit der Delta-Variante infiziert hatten).

Tatsächlich ist auch derzeit überhaupt nicht möglich, über die Schutzdauer von an Omikron-Infizierten zu urteilen, da hierfür noch gar nicht ausreichend Zeit ins Land gegangen ist. Wie also kann die Stiko eine Aussage hierüber treffen? Vor allem: Wie kann die Stiko die Gewissheit haben, dass sich diese Schutzdauer nur noch auf drei Monate beläuft?

Auf die entsprechende Nachfrage, wie die Stiko überhaupt jetzt schon eine Aussage zum Immunschutz nach einer Infektion mit Omikron treffen kann, erwiderte das RKI, man habe dem Gesagten nichts mehr hinzuzufügen.

Begründung von Experten

Experten äußern sich zu dieser Frage deutlicher: Klaus Stöhr, Virologe und Epidemiologe und ehemaliger Leiter des Globalen Influenza-Programms und SARS-Forschungskoordinator, kommentiert [15] auf Twitter: "Das sollen die Daten sein, die Verkürzung des Genesenenstatus auf 3 Mon in D zu begründen? Wieviel Eigentore kann man eigentlich schießen: es wird jetzt sehr schnell immer mehr Genesene geben; mit mehrfacher Infektion! Soll das zum Impfen motivieren?"

Auf Nachfrage von Telepolis erklärte Alexander Kekulé kurz und bündig: "für die Anerkennung des Genesenenstatus von 3 mo und gleichzeitige Anerkennung der Impfung für 9 mo gibt es keine wissenschaftliche Begründung."

An einer anderen Stelle betont Kekulé: "Die Verkürzung des Genesenenstatus ist auch deshalb problematisch [16], weil sich in den kommenden Wochen sehr viele Menschen mit Omikron infizieren werden, die dann natürlich gegen eine weitere Infektion mit Omikron besser geschützt sind als die Geimpften." (Als Hintergrund sei an dieser Stelle erwähnt, dass die Impfung weiterhin auf dem Wuhan-Variante basiert [17] und nicht auf der Omikron-Variante).

Hendrik Streeck, Direktor des Institutes für Virologie und HIV-Forschung an der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn, der dem Expertenrat der Bundesregierung angehört, erklärt:

Es obliegt natürlich dem Robert-Koch-Institut, festzulegen, wie lange der Genesenenstatus gültig sein soll. Aber wir müssen wirklich aufpassen [18], dass die Entscheidungen auf fundiertem Wissen basieren und nicht willkürlich getroffen werden. In der Schweiz wurde der Genesenenstatus jüngst aus guten Gründen auf zwölf Monate verlängert. Dass eben jener Status in Deutschland auf drei Monate verkürzt wird, ist aus meiner wissenschaftlichen Erkenntnis nicht erklärbar.

Hendrik Streeck [19]

Erklärung der Stiko

In ihrer Antwort verweist das RKI auf die Begründung der Stiko [20] für die Empfehlung zur Verkürzung des Impfabstands zwischen Grundimmunisierung bzw. Infektion und Auffrischimpfung auf einen Zeitraum ab drei Monaten:

Die STIKO ändert ihre Empfehlung zur COVID-19-Auffrischimpfung hinsichtlich des Impfabstandes. Wie das Epidemiologische Bulletin 2/2022 ausführt, kann (Hervorhebungen sind vom Autor) die Auffrischimpfung mit einem mRNA-Impfstoff für Personen ≥18 Jahre bereits ab dem vollendeten 3. Monat nach Abschluss der Grundimmunisierung verabreicht werden. Personen, die eine labordiagnostisch gesicherte SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht haben, sollen bis auf weiteres eine einmalige COVID-19-Impstoffdosis im Abstand von mindestens 3 Monaten zur Infektion erhalten.

Stiko [21]

Vorsichtig formuliert, ist eine Verkürzung der offiziellen Schutzdauer auf drei Monate angesichts dieser Erklärung erstaunlich. Denn man "kann (…) bereits" nach drei Monaten sich impfen lassen und "soll" die einmalige Impfdosis "im Abstand von mindestens 3 Monaten" nach Infektion erhalten.

Mit anderen Worten: Die Schutzdauer ist so kurz berechnet, dass der Mensch sich exakt drei Monate nach seiner Infektion impfen lassen muss, um nicht vorübergehend seinen offiziellen Schutz zwangsläufig zu verlieren und aufgrund der 2G-Regelung ebenso wie Ungeimpfte ausgeschlossen zu sein.

Die Frage lautet auch: Fallen Minderjährige aufgrund des kurzen Genesenenstatus automatisch in den Status eines Ungeimpften zurück, da sie sich nicht schon nach drei Monaten impfen lassen dürfen?

28 Tage später

Der offizielle Schutz der Genesenen erstreckt sich aber nicht einmal über drei Monate, denn "das Datum der Abnahme des positiven Tests muss mindestens 28 Tage zurückliegen [22]" (allerdings galt diese Einschätzung schon vor der aktuellen Änderung).

Auf Nachfrage von Telepolis an das RKI, ob Menschen, die sich infiziert haben, nach dem Ende der Quarantäne, also sieben Tage nach der Infektion [23], bis zum 28 Tag, also drei Wochen lang gleichsam rechtlich als Ungeimpfte gelten, blieb bisher unbeantwortet.

Die Konsequenzen für die Betroffenen wären verheerend. In anderen Ländern wie beispielsweise Frankreich gilt der Genesenenstatus unmittelbar ab Ende der Quarantäne.

Geimpft und genesen

Abgerundet werden die zahlreichen Fragen rund um die neue Festlegung des RKI mit dem Hinweis auf die zahlreichen (vermutlich Millionen Menschen), die aktuell geimpft sind und sich mit Omikron infiziert haben. Obwohl die Erklärung des RKI wörtlich auf die Wahrscheinlichkeit der Reinfektion bei Ungeimpften abhebt, gilt die Schutzdauer von nun nur noch drei Monaten vermutlich auch für Geimpfte, die sich infiziert haben. Eine Nachfrage von Telepolis, die diesen Punkt zu klären versuchte, blieb bisher unbeantwortet.

Erstaunliche Wendung

Der Welt-Journalist Tim Röhn hat in einem lesenswerten Artikel ausführlich die Beschlussfindung des Bundesrats nachgezeichnet [24]. Erstaunlich ist bereits die Ankündigung der Sitzung:

Eigentlich ließ die Aussage, die noch kurz vor dem Sitzungsstart am vergangenen Freitag auf der Internetseite des Bundesrats stand, keinen Interpretationsspielraum zu. Dort hieß es zum 1015. Zusammentreffen des Gremiums: "Änderungen gibt es auch beim Genesenennachweis. (…) Die Geltungsdauer soll im Zuge einer europäischen Vereinheitlichung geringfügig kürzer werden und statt sechs Monaten 180 Tage betragen."

Tim Röhn, Die Welt

Die Wendung ist offensichtlich und eine Reihe von Mitgliedern des Bundesrats, die das Gesetzesvorhaben einstimmig angenommen haben, zeigen sich nach der Aktualisierung seitens des RKI mehr als irritiert.

Bindende Verkündung

Die aktuelle Entscheidung des RKI ist aufgrund einer Verkündung des Bundesjustizministeriums [25] bindend. Das "Netzwerk kritischer Richter und Staatsanwälte" hat hierzu eine ausführliche Einschätzung der rechtlichen Bedenken [26] verfasst:

Schon bisher war es rechtlich äußerst zweifelhaft, dass solche Regelungen, die eine extrem weitreichende Auswirkung auf die Grundrechtsausübung haben, nur in einer Verordnung der Regierung, statt in einem Parlamentsgesetz getroffen werden. Im Parlament gibt es mehrere Lesungen eines Gesetzes, Ausschussberatungen, Anhörungen und vieles mehr, so dass wichtige Regelungen öffentlich diskutiert werden (auch wenn die vergangenen Monate gezeigt haben, dass man selbst wichtige Parlamentsgesetze in einem undemokratischen "Schweinsgalopp" beschließen kann).

Eine Verordnung kann die Regierung demgegenüber in den meisten Fällen "still und leise" ändern. (…) So kann die Bundesregierung über ihre Weisungsmöglichkeit an das RKI die Basis für die Grundrechtsentzüge definieren, ohne diese nach Außen verantworten zu müssen. (…)

Auch in Bezug auf "geimpfte" Personen, d.h. den künftigen Verlust des Impfschutzes, die sog. Auffrischimpfungen und Impfintervalle, wurde übrigens nun das gleiche Regelungssystem gewählt. Nach dem neuen § 2 Nummer 3 COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung darf nun das Paul-Ehrlich-Institut im Benehmen mit dem RKI diese Regelungen bezüglich der Impfung treffen. Auch hierfür wird also nicht der Gesetzgeber, nicht die Regierung, sondern wieder eine Internetseite zuständig sein.

Netzwerk kritischer Richter und Staatsanwälte [27]

Aus dem ungewöhnlichen Prozedere erwachsen auch weitere grundsätzliche Fragen zur Demokratie. Benjamin Stibi weist daher darauf hin:

Wie die harsche Kritik an Lauterbach aus der Fachwelt zeigt, gibt es nämlich nicht "die" Wissenschaft [28]. Außerdem gilt es neben dem medizinischen Aspekt auch rechtliche oder wirtschaftliche Folgen zu berücksichtigen.

Wenn der Gesundheitsminister im Bundesrat das Abschieben seiner Verantwortung auf RKI und PEI als Ausdruck puristischer Wissenschaft ohne Einmischung der Politik schönredet, scheint er nicht verstanden zu haben: Wir leben in einer Demokratie, nicht in einer Expertokratie.

Benjamin Stibi, Die Welt [29]

Juristen erheben Einspruch

Auch die renommierte Fachzeitschrift Neue Juristische Wochenzeitschrift (NJW) zeigt sich in ihrem aktuellen Newsletter äußerst kritisch:

Diese Regelungstechnik macht die Corona-Vorgaben, die ohnehin schon als sehr verworren und schwer verständlich gelten, noch unübersichtlicher. Außerdem weist die Privatdozentin Dr. Andrea Kießling von der Universität Bochum, (...) darauf hin, dass die Parlamente in Bund und Ländern zu Recht eine stärkere Beteiligung an den Corona-Maßnahmen gefordert haben. Auch deshalb sei in § 28c IfSG festgeschrieben worden, dass die Bundesregierung nur mit Zustimmung von Bundestag und Bundesrat per Rechtsverordnung Regelungen für Geimpfte, Getestete und Genesene erlassen kann. Wenn eine solche Verordnung, wie jetzt die SchAusnahmV, durch dynamische Verweise Regelungskompetenzen auf Behörden wie das RKI und PEI verlagere, werde die parlamentarische Absicherung begrenzt, so Kießling.

Newsletter, Neue Juristische Wochenzeitschrift (NJW)

Das Netzwerk kritischer Richter und Staatsanwälte fordert aufgrund der aktuellen Lage:

"Bei Rechtsverordnungen haben alle Gerichte eine eigene Verwerfungskompetenz und -pflicht, wenn sie diese für verfassungswidrig halten. Dies ist anders als bei formellen Gesetzen, für deren Prüfung allein die Verfassungsgerichte zuständig sind. Durch die hier besprochene Verordnungsänderung wird der Inhalt von Vorschriften, die extrem bedeutsam sind für die Ausübung von Grundrechten und auch für ihre Beschränkung bzw. ihren Entzug, an die genannten Einrichtungen delegiert.

Es wird zu prüfen sein, ob dies noch mit Verfassungsrecht vereinbar ist. Hierzu ist jede Richterin und jeder Richter in Deutschland berufen. Auch die Beamtinnen und Beamten sollten die auf der Hand liegende Frage der Verfassungsmäßigkeit im Rahmen ihrer Remonstrationspflicht prüfen. Es ist nicht auszuschließen, dass sich auf diese Normen keinerlei Bescheide, Bußgeldbescheide oder Urteile mehr stützen lassen."

Wiederholung der Boosterung

Christian Drosten warnt ausdrücklich vor einem generellen wiederholten Boostern [30]:

Wir können nicht auf Dauer alle paar Monate über eine Booster-Impfung den Immunschutz der ganzen Bevölkerung erhalten. Das muss das Virus machen. Das Virus muss sich verbreiten, aber eben auf Basis eines in der breiten Bevölkerung verankerten Impfschutzes. Die abgeschwächte Infektion auf dem Boden der Impfung, das ist so etwas wie ein fahrender Zug, auf den man aufspringt. Irgendwann muss man da aber auch mal drauf springen, sonst kommt man nicht weiter. Die gute Nachricht ist: Im Moment fährt der Zug angenehm langsam, denn Omikron hat eine verringerte Krankheitsschwere.

Christian Drosten, Interview, Tagesspiegel [31]

Allerdings ist es genau das, was die deutsche Regierung derzeit nicht macht. Aufgrund der Halbierung der Schutzdauer der Genesenen, müssen sich Genesene drei Monate früher impfen lassen. Wenn also eine Boosterung alle drei Monate anstehen sollte, führt dies zu einer zusätzlichen Booster-Impfung und damit genau dem, wovor Drosten warnt.

Eine ähnliche weitreichende Konsequenz, die ebenfalls Millionen Deutsche betrifft, hat die Verkürzung der Schutzdauer der Impfung auf neun Monate und nicht zuletzt, dass die Impfung mit Johnson&Johnson von einem auf den andern Tag nur noch als eine Dosis gilt.

Auch Klaus Stöhr sieht ausdrücklich keine Notwendigkeit [32] einer grundsätzlichen Wiederholung der Booster-Impfung:

In den nächsten zwei bis drei Wochen wird es eine Unsicherheit geben, wie hoch die Inzidenz steigen wird. Danach werden sich durch die sehr starke Durchseuchung, die dann leider einsetzen wird, die man nicht abwenden kann, sehr viele Menschen die natürliche Immunität holen.

Klaus Stöhr [33]

Stöhr fasste den Sachverhalt so zusammen. Diese Immunität werde "oben draufgepflanzt" [34] auf die Immunisierung durch Impfungen. "Beides zusammen werde zu einem anhaltenden Immunschutz führen, so dass man auch nicht das vierte, fünfte, sechste, oder siebte Mal boostern müsse."

Stöhr ist optimistisch: "Im Frühjahr, Sommer dann wird es sehr entspannt."

Eine Warnung

Vor einer generellen Wiederholung der Boosterung, die offensichtlich die Strategie der Regierung zu sein scheint, ohne dass dies bisher explizit kommuniziert worden ist, warnt nicht zuletzt ausdrücklich die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA).

Bloomberg resümiert die Pressekonferenz von Marco Cavaleri, Leiter der Strategie für biologische Gesundheitsgefahren und Impfstoffe der EMA: "Wiederholte Auffrischungsimpfungen alle vier Monate könnten die Immunreaktion schwächen [35] und die Menschen erschöpfen."

Marco Cavaleri unterstreicht: Boosterimpfungen "können einmal oder vielleicht zweimal verabreicht werden, aber wir können nicht davon ausgehen, dass sie ständig wiederholt werden sollten".

Unbeantwortete Fragen

Bundeskanzler Olaf Scholz fordert die allgemeine Impfpflicht. Die Presseanfrage von Telepolis, wie diese Forderung, die aller Wahrscheinlichkeit nach mit einer generellen Wiederholung der Boosterung einhergeht, angesichts der Warnung der EMA zu rechtfertigen sei, blieb unbeantwortet.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach fordert die allgemeine Impfpflicht. Die gleichlautende Presseanfrage von Telepolis wurde mit der Bitte beantwortet, sich an das Justizministerium zu wenden. Die Anfrage an das Justizministerium blieb unbeantwortet.

Die Anfrage von Telepolis an die Stiko, inwiefern die Stiko die Warnung der EMA vor einer wiederholten Boosterung teile, wurde pauschal damit beantwortet: "Die Stiko kommentiert generell keine Äußerungen anderer Einrichtungen."

Die Nachfrage, "Wie schätzt die Stiko die mögliche Auswirkung wiederholter Booster-Impfungen auf das Immunsystem ein?" erhielt die Antwort: "Wir können der bisherigen Antwort nichts hinzufügen. Wenn die Stiko eine Empfehlung fasst wird sie ausführlich wissenschaftlich begründet."

Warum verfolgt die deutsche Regierung eine Gesundheitspolitik, die – basierend auf einer nur sehr bedingt nachvollziehbaren Begründung, welche massiv von Experten kritisiert wird – die Anzahl der Boosterung zwingend erhöht und damit konkret als einziges Land Europas genau das macht, wovor die EMA explizit warnt?


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[1] https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2021/Ausgaben/38_21.pdf?__blob=publicationFile
[2] https://www.heise.de/tp/features/Dies-ist-eine-politische-Entscheidung-6211168.html
[3] https://www.welt.de/debatte/kommentare/article236327423/Neue-Regeln-Ueber-Nacht-nicht-mehr-geimpft-die-totale-Verwirrung.html
[4] https://www.berliner-zeitung.de/news/johnson-und-johnson-millionen-deutsche-ploetzlich-nicht-mehr-vollstaendig-geimpft-li.206662
[5] https://www.mdr.de/nachrichten/kekule-corona-kompass-nummerderfolge-zweihundertachtzehn-100-downloadFile.pdf
[6] https://www.mdr.de/nachrichten/kekule-corona-kompass-nummerderfolge-zweihundertachtzehn-100-downloadFile.pdf
[7] https://www.handelsblatt.com/politik/verkuerzter-genesenenstatus-wer-bald-nicht-mehr-als-vollstaendig-geimpft-oder-genesen-gilt/27804066.html?ticket=ST-886169-LjdRkwNefs066hGvKqpc-ap5
[8] http://www.heise.de/tp/features/G-ist-nicht-gleich-G-6190470.html
[9] https://www.zh.ch/content/dam/zhweb/bilder-dokumente/themen/gesundheit/corona/hauptseite/gd_zh_corona_lagebulletin.pdf
[10] https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Genesenennachweis.html
[11] https://www.mdr.de/nachrichten/podcast/kekule-corona/kekule-corona-kompass-zweihundertdreiundsechzig-100-downloadFile.pdf
[12] https://www.mdr.de/nachrichten/podcast/kekule-corona/kekule-corona-kompass-zweihundertdreiundsechzig-100-downloadFile.pdf
[13] https://www.imperial.ac.uk/media/imperial-college/medicine/mrc-gida/2021-12-22-COVID19-Report-50.pdf
[14] https://www.gov.uk/government/publications/investigation-of-sars-cov-2-variants-technical-briefings
[15] https://twitter.com/stohr_klaus/status/1483385822300852227?s=27
[16] https://www.welt.de/politik/deutschland/plus236344739/Verkuerzter-Genesenenstatus-Heftige-Kritik-an-Lauterbach-Coup.html
[17] https://www.welt.de/wirtschaft/plus235257136/Corona-Impfstoff-Keine-Anpassung-an-Delta-Warum-wir-noch-gegen-die-Wuhan-Variante-boostern.html
[18] https://www.oldenburger-onlinezeitung.de/nachrichten/streeck-kritisiert-verkuerzten-genesenenstatus-78735.html
[19] https://www.oldenburger-onlinezeitung.de/nachrichten/streeck-kritisiert-verkuerzten-genesenenstatus-78735.html
[20] https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2022/02/Art_01.html
[21] https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2022/02/Art_01.html
[22] https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Genesenennachweis.html
[23] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/gesetze-und-verordnungen/vo-aend-covid-19-schausnahmv-und-coronavirus-einreisev
[24] https://www.welt.de/politik/deutschland/plus236317603/Corona-Regeln-Wie-kam-es-zum-ploetzlichen-Verlust-des-Genesenenstatus.html
[25] https://www.bundesanzeiger.de/pub/publication/yW2hBRkcEPpvCQIb8IT/content/yW2hBRkcEPpvCQIb8IT/BAnz%20AT%2014.01.2022%20V1.pdf?inline
[26] https://netzwerkkrista.de/2022/01/16/eilmeldung-bundesregierung-verkuerzt-genesenenstatus-auf-drei-monate-will-es-aber-nicht-gewesen-sein-delegation-wichtiger-impf-und-fristentscheidungen-genesenenstatus-auffrischungsimpfung/
[27] https://netzwerkkrista.de/2022/01/16/eilmeldung-bundesregierung-verkuerzt-genesenenstatus-auf-drei-monate-will-es-aber-nicht-gewesen-sein-delegation-wichtiger-impf-und-fristentscheidungen-genesenenstatus-auffrischungsimpfung/
[28] https://www.welt.de/debatte/kommentare/article236327423/Neue-Regeln-Ueber-Nacht-nicht-mehr-geimpft-die-totale-Verwirrung.html
[29] https://www.welt.de/debatte/kommentare/article236327423/Neue-Regeln-Ueber-Nacht-nicht-mehr-geimpft-die-totale-Verwirrung.html
[30] https://plus.tagesspiegel.de/wissen/charite-virologe-drosten-im-interview-wie-lange-geht-diese-qualerei-noch-weiter-361636.html
[31] https://plus.tagesspiegel.de/wissen/charite-virologe-drosten-im-interview-wie-lange-geht-diese-qualerei-noch-weiter-361636.html
[32] https://www.rnd.de/gesundheit/corona-virologe-klaus-stoehr-erwartet-durchseuchung-und-natuerliche-immunisierung-6EBGOPDHPHGJHGSS6SLTIVEXJQ.html
[33] https://www.rnd.de/gesundheit/corona-virologe-klaus-stoehr-erwartet-durchseuchung-und-natuerliche-immunisierung-6EBGOPDHPHGJHGSS6SLTIVEXJQ.html
[34] https://www.rnd.de/gesundheit/corona-virologe-klaus-stoehr-erwartet-durchseuchung-und-natuerliche-immunisierung-6EBGOPDHPHGJHGSS6SLTIVEXJQ.html
[35] https://www.bloomberg.com/news/articles/2022-01-11/repeat-booster-shots-risk-overloading-immune-system-ema-says