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Die Illusion von einer De-Globalisierung der Halbleiterproduktion zerbröselt

Politik und Öffentlichkeit fordern lautstark eine Rückverlagerung aller Stufen der Halbleiterproduktion in die EU. Es gab sie in Europa bislang gar nicht und das ist auch weder machbar noch sinnvoll.

Im Zusammenhang mit dem Wunsch, den Handel mit China zu reduzieren, wird von der Politik hierzulande immer wieder die Idee geäußert, die Halbleiterproduktion müsse wieder nach Europa verlagert werden.

Grundsätzlich wird dabei außer Acht gelassen, dass es sich dabei um einen mehrstufigen Prozess handelt und dass jeder Halbleiterbaustein während seiner Fertigung etwa zweieinhalbmal um die Erde fliegt. Praktisch kein Land verfügt heute bei allen Chip-Arten über alle Stufen der Halbleiterproduktion.

Weil es gerade aktuell ist, lohnt sich in diesem Zusammenhang ein Blick auf die Produktion von Elmos in Dortmund, deren Verkauf an Silex, die schwedische Tochter eines chinesischen Sia-konzerns, durch das Bundeswirtschaftsministerium gerade untersagt wurde. In Dortmund befindet sich nur noch das Design und die Belichtung der Wafer.

Das Packaging wurde schon vor vielen Jahren erst in die Elmos Advanced Packaging B.V. in Nijmegen/Niederlande ausgelagert. Mit Packaging [1] bezeichnet man die Prozessschritte, bei denen der nackte Chip mit einem Trägermaterial verbunden wird, also zum Beispiel die Einbringung in ein Gehäuse (Package) und elektrische Kontaktierung. Diese erfolgt zu 90 Prozent durch sogenanntes Wire Bonden, mit dem die elektrischen Anschlüsse zu Außenkontakten durchgeführt werden, die die Verlötung auf der Platine ermöglichen.

Das Packaging der Großserien von Elmos wurden dann nach Asien verlagert [2] und die auf Spezialgehäuse konzentrierte niederländische Tochter [3] an Nimbus Hands-On Investors abgegeben.

Elmos plant die Fertigung in Dortmund nur noch für wenige Jahre und kann sie inzwischen nicht mehr auslasten. Die aktuellen Elmos-Chips werden von der Samsung Foundry in Südkorea gefertigt. Gleichzeitig mit der Untersagung des Elmos-Fab-Verkaufs erfolgte das Verbot des Verkaufs der in der Halbleiteranlagenindustrie tätigen ERS electronic GmbH in Germering.

Einhellig wurde demnach der Verkauf von ERS Electronic als eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in Deutschland eingestuft.

Der Spiegel [4]

Ob man mit der Untersagung des Verkaufs eine Verlagerung des Know-how nach Mainland China verhindern kann, ist fraglich, denn man ist im Reich der Mitte schon vertreten, hat zahlreiche Maschinen installiert und hat mit Joshua Zhou einen Vice President in Shanghai [5].

Die Arbeitsschritte bei der Halbleiterproduktion

Für die Fertigung eines Chips oder Mikrochips angefangen beim Wafer bis zum fertigen einbaufähigen Produkt werden deutlich mehr Fertigungsschritte benötigt, als dies allgemein bekannt ist. Aufgrund der geringen Baugröße lassen sich die Teile leicht transportieren und die einzelnen Fertigungsschritte müssen nicht in einem einzigen Werk, ja nicht einmal in einem Land durchgeführt werden.

Laut Infineon stecken hinter einem Chip 1.000 Arbeitsschritte [6]. Man unterscheidet bei der Chipfertigung grundsätzlich zwischen Front-End und Back-End. Im sogenannten Front-End of Line beginnt die Fertigung mit dem unbelichteten Wafer und endet mit den vollständig aufgebauten Transistoren.

Als Middle of Line bezeichnet man die Schnittstelle zwischen Front-End of Line und Back-End of Line. Hier werden Stresslayer aufgebracht, sowie die Isolierung der Transistoren zur ersten Verdrahtungsebene. Mit Back-End of Line werden die Schritte zur Metallisierung zur vollständigen Verdrahtung der Schaltkreise sowie die Passivierung bezeichnet. Abschließend erfolgt die Kontaktierung der fertigen Chips und die Chipvereinzelung sowie das Packaging.

Das Packaging von Halbleitern wurde aus Kostengründen nach Fernost verlagert

Da das Packaging mit einem hohen nicht durchgehend automatisierbaren Aufwand verbunden ist, erfolgt dieser Arbeitsschritt zumeist in Ländern mit vergleichbar niedrigen Lohnkosten. Dies ist etwa die Volksrepublik China, aber auch Länder in Südostasien.

So hatte Sony für das Packaging seiner Sensor-Chips eine Tochterfirma, die 2011 im damaligen Hochwasser entlang des Flusses Chao Praya überflutet wurde. Inzwischen wurde das Werk mit seinen Reinräumen wieder komplett neu aufgebaut, weil dieser Arbeitsschritt in Thailand deutlich kostengünstiger ist als in Japan, wo die Wafer belichtet werden.

Eine Verlagerung des Packaging nach Europa ist abgesehen von der Prototypen- oder Kleinserien-Fertigung [7] nicht zu erwarten. Eher steht der Aufbau einer Packaging-Fertigung in den USA [8] an, wo dann mehrlagige Halbleiter produziert werden sollen.

Die Errichtung einer europäischen Halbleiterfertigung kostet beachtliche Summen

Aus der Angst, nach der Abhängigkeit von russischen Energieträgern bald einer Abhängigkeit von chinesischen Halbleitern gegenüberzustehen, haben sowohl die USA als auch die EU Maßnahmen geplant oder schon umgesetzt, um einerseits eine Abhängigkeit bei der Produktion zu verhindern und andererseits es China zu verunmöglichen, mit aktueller Fertigungstechnologie in kleinsten Strukturgrößen aufzuschließen.

Dass Anlagenherstellern wie der niederländischen ASML nun der chinesische Markt nicht nur für die aktuelle Technik, sondern auch für ältere Fertigungstechnologien versperrt werden soll, wird den Absatzmarkt für europäische Technik einengen und China in seiner Entwicklung nur für etwa fünf Jahre zurückwerfen.

Die EU will im Bereich der Halbleiter weniger mit eigenen Sanktionen arbeiten, sondern Anstrengungen unternehmen, wieder mehr Fertigungskapazitäten innerhalb der EU bereitzustellen. Wie herausfordernd das ist, sieht man, wenn man berücksichtigt, dass der weltweite Halbleitermarkt jährlich um ca. 7–8 Prozent wächst und im Bereich der Elektromobilität sogar von einem Wachstum in Höhe von 25 Prozent pro Jahr auszugehen ist.

Wie rasant die Entwicklung verlaufen ist, sieht man an der Tatsache, dass Europa zur Jahrtausendwende fast 25 Prozent der weltweiten Chips produziert hatte und heute über alle Strukturgrößen nur noch auf einen Fertigungsanteil von 8 Prozent kommt.

Die Angst vor einer Chip-Abhängigkeit von China sollte nicht übersehen, dass heute zwar fast jeder vierte Chip in der Volksrepublik produziert wird, aber nur 5 Prozent der Fertigungskapazität chinesischen Firmen gehört. Fünfzig Prozent der weltweiten Produktion erfolgt durch bzw. im Auftrag von US-Halbleiter-Unternehmen.

Die Europäische Union hat sich mit dem europäischen Chip-Gesetz [9] das politische Ziel gesetzt, den Anteil Europas an der weltweiten Chipproduktion von unter 10 auf 20 Prozent zu steigern. Dafür will man 43 Milliarden Euro an öffentlichen und privaten Investitionen mobilisieren, was jedoch nicht gleichzusetzen ist mit einem entsprechenden zusätzlichen Fördervolumen, sondern eher mit einer Umschichtung.

Zudem stellt sich die Frage, ob damit die europäische Industrie gefördert wird oder eher die US-Hersteller.

Die Milliarden dürften vor allem die ausländischen Chip-Giganten anlocken, in Europa zu produzieren. So plant Intel den Bau von zwei Fabriken in Europa für 20 Milliarden Dollar, falls die Konditionen stimmen. Soll heißen: Falls genügend Subventionen fließen. Denn der Bau von Chipfabriken in Europa ist bislang 30 bis 40 Prozent teurer als in Asien, sagt Intel-Chef Pat Gelsinger.

Tagesschau [10]

Europa steht hier nicht nur im Subventionswettbewerb mit den USA, die mit dem "Chips for America Act" deutlich größere Summen für den Ausbau der Halbleiterfertigung zur Verfügung stellen als die EU, sondern hinsichtlich der Fördervolumina auch im Wettstreit mit der Volksrepublik China und Südkorea.

China stellt für die nächsten Jahre über eine Billion Dollar in Förderprogramme für Technologien im Bereich der Halbleiterindustrie zur Verfügung und Südkorea bietet bis 2030 den Chipbauern steuerliche Anreize von 450 Milliarden Dollar.

Die geplanten EU-Fördersummen zeigen sich im globalen Zusammenhang eher unscheinbar. Zudem fördern die Wettbewerber nicht nur die Ansiedlung von Arbeitsschritten, sondern auch den laufenden Betrieb.

Was bei dem Vorgehen der EU außerdem unberücksichtigt bleibt, ist die Tatsache, dass es für viele Halbleiter in Europa gar nicht genug Anwender gibt, die diese Produkte verbauen könnten.

Die weltweite Spezialisierung auf einzelne Arbeitsschritte wird sich jetzt auch mit der Brüsseler Idee von einer Europäisierung der Halbleiterproduktion nicht aufheben lassen.

Halbleiterfertigung weltweit vernetzt und massiv gefördert

Die Halbleiterfertigung gilt weltweit als ein wichtiger Ausgangspunkt der aktuellen industriellen Entwicklung. Halbleiter sind somit der neue Rohstoff.

Ohne Halbleiter können heute viele Produkte nicht mehr entstehen. Sie haben in vielen Bereichen die früher dominierende Feinmechanik abgelöst. Wurde der Stromverbrauch über Jahrzehnte mithilfe von Ferraris-Zählern gemessen, treten heute elektronische Zähler an ihre Stelle.

In manchen Ländern, in welchen die alten Zähler von den Kunden gerne überbrückt wurden, haben die Energieversorger den Wechsel auf elektronische Zähler forciert, weil man damit leicht feststellen konnte, wenn der gemessene Stromverbrauch trotz sichtbarer Stromnutzung auf null fiel.

Im Uhrenbau hat die Elektronik die Kosten dramatisch reduziert und gleichzeitig die Genauigkeit verbessert. Für den Preis eines mechanischen Messsuchers eines Fotoapparates bekommt man heute eine digitale Systemkamera mit Wechselobjektiven. Kurzum: Auf die Elektronik kann heute keine Region mehr verzichten, wenn sie nicht von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt werden will.

Somit verwundert es keinesfalls, wenn die Halbleiterfertigung weitgehend subventioniert wird. Man hofft das für die Subventionen benötigte Geld mit den anschließenden Entwicklungs- und Produktionsschritten wieder mehrfach zurückzubekommen.

Im Bereich Automotive ist der Einsatz von Halbleitern in den letzten Jahrzehnten dramatisch angestiegen und diese Entwicklung wird nicht aufzuhalten sein, auch wenn sich in den alten Industriestaaten automatisierte PKWs anders als in China wohl nicht durchsetzen werden, weil man hierzulande im Automobilismus einen letzten Rest von Freiheit verorten mag.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7344181

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.halbleiter.org/lexikon/P/Packaging/
[2] https://evertiq.de/design/2386
[3] https://www.pressebox.de/pressemitteilung/elmos-semiconductor-ag/ELMOS-Verkauf-der-Gehaeuseaktivitaeten-in-den-Niederlanden/boxid/396721
[4] https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/ers-electronic-bundesregierung-stoppt-offenbar-weitere-chinesische-uebernahme-von-halbleiterfirma-a-a5309194-5953-421a-a64f-ea6560b1efb4
[5] https://www.businesswire.com/news/home/20210316005833/en/ERS-electronic-Appoints-Joshua-Zhou-as-Vice-President
[6] https://www.sn.at/wirtschaft/oesterreich/das-infineon-geheimnis-hinter-einem-chip-stecken-1000-arbeitsschritte-114120427
[7] https://oiger.de/2022/06/29/kehrt-die-chip-endmontage-nach-europa-zurueck/183576
[8] https://www.computerbase.de/2022-08/advanced-packaging-milliardeninvestition-von-sk-hynix-in-den-usa-geplant/
[9] https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/europe-fit-digital-age/european-chips-act_de
[10] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/lohnt-sich-europas-chip-offensive-101.html